Von schwarzen Rittern, weißen Schwänen und schnurstracksen fünfzig Kilometern

Mensch mit Regenkleidung und Fahrradhelm auf dem Fahrrad von der Seite sich selbst fotografierend. Im Hintergrund ein lichtes Wäldchen, das noch kaum Laub trägt.

Das Kap hat längst einen riesigen Raum eingenommen. Ständig muss ich ans Radfahren denken. An hügelige Landschaften zwischen Seen und Schären, durchwirkt von Mückenschwärmen. An Zeltplätze auf vollgesogenem, nassem Moos. An Mittsommer feiernde Menschen, die keine Nacht kennen. An ewiges Licht und Zeitgefühlsverlust.

Die Taubheit der Sekunden, Minuten und Stunden kriecht langsam im streng getakteten Körper, der unterm Joch von Öffnungs-, Abfahrts-, Arbeits- und Sonstwelchenzeiten gar nicht mehr weiß wie das geht; die vollständige Losgelöstheit von von außen aufdiktierten Lebens- und Bemessenstakten.

Eigentlich ein schöner Anblick wie das Zelt so da steht direkt am Kanalradweg im Abzweig des Rhein-Rhone-Kanals zum Colmarer Stichkanal. Ein Reiseradler fährt vorbei. Es ist noch früh. Er klingelt und winkt und ich rufe „Moin“, was man mitunter nicht versteht, wenn man zum Beispiel Franzose ist. Das Zelt ist schnell abgebaut. Unmittelbar bevor steht auf den nächsten drei vier, vielleicht sieben Kilometern das Nest der Killerschwäne. Das ist eine bizarre Sache. Wandrer, Wandrerin, kommst du nach Marckolsheim auf dem schnurgeraden Kanalradweg, sei gewarnt vor den Killerschwänen. Riesige Viecher mit giftig zischenden langen Hälsen, die vom Körper bis fast auf die andere Seite des vielleicht einen Meter breiten Radwegs reichen. Die nach dir schnappen, dich anfauchen.

Erstmals begegnet bin ich den Killerschwänen im letzten Jahr auf einer Tour mit dem Rad zur Liebsten natürlich. Es war schon etwas später im Jahr. Etwa hundert Meter vor dem Nest der beiden war eine Barriere aufgebaut und ein Zettel hing daran, Achtung Schwanennest. Schon von weitem war der ruhig brütende riesige Vogel zu erkennen. Das Nest lag zwischen einem Zaun und dem Weg und es ragte bis zur Hälfte des Wegs. Als ich mich näherte tauchte wie aus dem Nichts ein zweiter Vogel auf. Zeternd, zischend, Flügel ausbreitend. Wie der Schwarze Ritter in Monty Pythons „Ritter der Kokosnuss“. Nur in weiß und ohne Schwert. Und ohne Arme. Und fast ohne Beine. „Ich mach Dich fertig.“ Fauchend. In sicherer Distanz beobachtete ich die Szene, sehe von gegenüber einen anderen Radler sich nähern. Sehe wie er sieht und wie er plötzlich ordentlich in die Pedale tritt. Er gibt was er kann. Mit dreißig Sachen rast er auf dem schmalen verbliebenen freien Stück Radweg an den beiden zischenden Vöglen vorbei. Ein Profi, der öfter hier vorbei muss? Der weiße Ritter schnappt und verfehlt ihn. So also, denke ich, genauso muss ich das machen. Mit meinem superträgen, superschweren Radel voller Gepäck und den müden Beinen und dem gehörigen Respekt vor der Kreatur.

Im Jahr 2022 war ich später dran mit meiner Radeltour. Ich meine, es war Ende April. Das Nest war schon fertig, die Brut aber noch nicht geschlüpft. Auf der diesjährigen Tour hatte ich die Schwäne genau an der Stelle wieder gesehen. Noch keine Spur von Nest, aber die Barrieren von Menschenhand und der Zettel, auf dem gewarnt wurde, standen schon bereit, als ich in der Woche zuvor die Stelle passierte. Nicht so eng, nicht so bedrohlich wie im Jahr zuvor, aber eben. Noch ist das Ei nicht gelegt.

Mein Kopf ist an diesem Morgen voller Gedanken vom Kap, von den Schwänen von fünfzig Kilometer geradeaus nach Straßburg radeln, von Vorankommen wollen, überall hin, nur nicht hier sein. Welch bizarrer Gedanke, dass man sich wohin wünscht, statt im Jetzt zu sein. Sei es nur zur Ecke da vorne am Kanal oder bis zu der kleinen Brücke, ab er der Wind wieder im Rücken liegt. Man vergisst so schnell, dass man immer hier und jetzt ist. Wenn man –  nein, wenn ich bloß nicht stetig unkonzentriert rumdenken würde und mir in dieser Welt künstlich Sorgen erschaffen würde, seien sie auch noch so klein. Schon sehe ich mich radelnd in pechschwarzen Mückenschwärmen in frühem Finnlandfrühling, gepeinigt, nicht anhalten könnend. Im Hintergund läuft Jethro Tulls Locomotive Breath, „no way to slow down“. Achwas, es wäre geradezu dumm, anzuhalten bei den unzähligen Plagegeistern.

Aber ich bin nicht in Finnland. Ich bin nicht auf dem Weg ans Kap. Es gibt hier keine Stechmücken. Ich bin hier und da vorne lauern die Schwäne. Das weiß ich. Nur noch fünf Kilometer. Achje und plötzlich wird mir das Dilemma bewusst. Es ist doch einerlei, ob ich an Schwäne in fünf Kilometern voraus denke und mich ums Gebissen werden sorge, oder an Stechmücken in zwei Monaten zweitausend Kilometer von hier entfernt. Das ist alles so fremd. Ich bin mir so fremd in meinem selbst gebastelten Sorgenkorsett. Ich bin mir unheimlich. Das müsste nicht sein. Denn unsere Nachdenklichkeiten, klein und groß, sind doch die Meilensteine unserer nahen Zukunft, unsere kleinen selbst geschusterten Alltagssorgen. Diese „was wäre wenn wie wos“, die uns immerzu begleiten. Versöhne dich endlich. Das muss so. Du bist immer im Hier und Jetzt, auch wenn du dich darüber hinweg denkst. Nur der Grad, es zu fühlen, das Hier, das Jetzt, ist nicht so hoch, wenn du zu viel grübelst. Das ist alles.

Der Rückenwind steht gut. Könnte besser sein. Schleppend komme ich voran. Die Monsteretappe des Tags zuvor sitzt noch tief. Artzenheim passée. Nun die Schwäne. Sind gar nicht da. Dort wo das Nest ist, sieht man Spuren, ja, und das Warnschild und die Barriere aus Stahl, rotgelb gestrichen, steht auch schon bereit. Komm in einem Monat wieder, Herr Irgendlink, wenn du den Schwarzen Ritter im Schwanenkostüm besiegen willst. Brauchst ihm nichtmal Arme und Beine … das nächste Mal macht er mich fertig. Ganz bestimmt.

Vorbei an Marckolsheim bis Sundhouse, wo ich in einem Supermarkt einkaufe. Es gibt beim Eingang eine kleine Selbstbedienungskaffee-Ecke. Zwei Stehtische, vier Barhocker, ein Kaffeeautomat. Ein Euro pro Getränk. Ich nehme zwei Café au Lait, lümmele herum, werde langsam wach. Es mag zehn Uhr sein. Der Paketdienst fährt vor. Offenbar ist der Supermarkt auch gleichzeitig eine Paketfiliale. Die Paketerin liefert einen ganzen Schwung Pakete und nimmt ein Häufchen mit, das neben der Kaffeemaschine steht. Ohne Hast scannt sie die Päckchen, plaudert ein wenig mit der Frau von der Information. Ich beneide sie. Um ihren Job, um ihren gefügten Alltag. Die Sicherheit. Das warme Auto. Ihre kleine Wohnung, die sie bestimmt irgendwo hat in einem der Dörfer zwischen hier und da. Um ihr ganz normales, kleines gemütliches Leben. Und die Supermarktfrau beneide ich auch und den jungen Kassier, der mir erklärte wie man Bananen wiegt und wie man den Preiszettel an der Selbstbedienung ausdruckt. Ich beneide alle in diesem kurzen Moment. Ich bin ja so alleine. So weit weg von daheim. Das Reiserad ist eine elende Last. Der Wind mein einziger Freund. Der Kanalradweg so langweilig. So geradeaus. Fünfzig Kilometer nur geradeaus per Fahrrad ohne auch nur einem Auto zu begegnen. Mitten in Europa. Das glaubt mir doch niemand. Die ab und zuen Angler am Kanal beneide ich, weil sie einfach in ihr Auto steigen können, wenn sie den Fisch gefangen haben. Damoklesk schwebt das Schwert der bevorstehenden Kapreise über mir. Nein nein, ich werde das nicht tun, sage ich in diesem Moment nach zwei Kaffee in einem kleinen Supermarkt im Südelsass. Was werde ich mich erst alleine fühlen in Finnland. Kann ja noch nicht mal die Sprache und achje, die Finnen haben doch alle „solche“ Messer. Erzählte mir einst ein alter Schwede in Pajala im Jahr 1995. Hüte Dich vor den Finnen! Klar war das ein Scherz, ein übler, aber der sitzt. Ich kann Realität, Vergangenheit, Zukunft, Mögliches und Unmögliches gar nicht mehr auseinander halten in diesem kleinen französischen Supermarkt, in dem man die Bananen noch selber wiegen muss und mit Preisschild beklebt zur Kasse mitnehmen muss.

Gegen nicht Vorankommen hilf nur Weiterkurbeln. D’accord? D’accord. Ich trete also ordentlich rein. Noch etwa zwei Stunden bis Straßburg. Es läuft besser. Der Kaffee wirkt. Das Rund des Tritts beruhigt mich. Ich schicke das Hirn in einen stoischen Schlaf ohne viel zu denken außer wo ich die nächste Pause mache. Das hilft immer. Sich Abschnitte setzen. Gerade Linien brechen. Abwechslung in die Geschichte bringen. Ich denke an die Schären im Süden Finnlands. Da gibts doch einen Radweg jenseits von Turku. Muss ich gleich mal recherchieren wenn ich daheim bin. Schären bieten bestimmt Abwechslung. Schären sind gnädig. Nicht allzu steil. Schären haben Wasser und Fels und kleine Buchten. Es gibt in den Schären keine Stechmücken. Schären sind schön. Schären sind lieb. Schären sind Antiseen. Wenn man eine Schäre und einen See übereinander tut …

… schon baue ich mir ein Bild von Finnland, das eine Art Negativ-Positiv-Abdruck ist und im Grunde ist alles eins. Das Land addiert sich zu Null, wenn man die Schären über die Inseln legt. Dann bleibt nichts mehr übrig. 2000 Kilometer geradeaus bis ans Kap. Um Himmels Willen, Hirn, was tust du mir an! Das wäre ja der Horror. Vierzig mal von Marckolsheim nach Straßburg radeln immer geradeaus. Da wäre es dann egal, ob der Wind von hinten kommt, es bergab geht. Das wäre ein Langweiligkeitsoverkill.

An diesem zweiten Tag auf dem Rückweg aus der Schweiz, testtourend für die kommende Tour ans Nordkap kann ich keine konkrete Aussage machen, ob ich mir das zutraue. Etwas in mir sagt, lass es einfach sein. Bleibe daheim auf dem Sofa. Gibt so viele schöne Dinge, die man von da aus erledigen kann. Der Funke Abenteurer in mir hält halbherzig Widerrede. Gleichzeitig versucht er Ausflüchte (zu alt, es zwickt hier, es tut da weh, es könnte dies passieren und jenes nicht und überhaupt, kannst die Liebste doch nicht so lange alleine lassen und und) und – ganz ehrlich, es wäre ein Leichtes, sich aus der Sache zu befreien; ich weiß gar nicht, wieso ich trotzdem darauf zu laufe und wieso es vermutlich trotzdem wahr werden wird. Es ist nur ein kleiner Schritt über die Kante …

… zack anderes Leben. Ähnlich wie nach Straßburg radeln, beim Beginn der Agglomeration auf den Tacho schauen, mit sich selbst wetten wie weit es bis zum Europaparlament ist, das in etwa das andere Ende der Agglomeration markiert. Sechs Kilometer. Und raus nach Vendenheim, vorbei fliegt der Lagerplatz der ersten Nacht, ich durchquere Brumath, schufte mich über Kriegsheim nach Haguenau und darüber hinaus ins Tal der Sauer, wo ich in einem Supermarkt Lebensmittel einkaufe, man meine Tasche an der Kasse durchsucht auf Diebsgut, derweil an einer anderen Kasse die unendlich laute Diebsalarmsirene heult, alle lachen, mit den Schultern zucken, die Stimmung ist gut an dem Abend. Ich freue mich über Bananen, Käse, Wurst und Baguette zur Nacht und zwei Dosen Bier. In Lembach, fast schon im Pfälzer Wald fülle ich an einem Brunnen die Trinkflaschen. Es steht nicht daran, dass es kein Trinkwasser ist (Eau non potable) und ein alter Mann schlurft daher und wir schwätzen ein bisschen, ja ja, „des Wasser kannsche trinke, des kommt aus der Quell do owwe“. Er zeigt zum Wald. Die Quelle muss stark sein. Sie speist drei Brunnen im Dorf. Köstliches Wasser, nicht ganz so populär wohl wie das Wasser der Quelle bei Moutherhouse, von der ich auf dem Hinweg zapfte.

Ich quere die Grenze. Müde, so müde. Zum Bahnhof Hinterweidenthal schaffe ich das heute nicht mehr. Ein Wiesschen an einem kleinen Bach jenseits von Hirschthal breitet sich aus. Lockt. Es gibt eine Sitzbank. Einen Tisch. Der Bach rauscht. Es sieht nach Regen aus.

Ich baue das Zelt auf Moos.

Hast Du bis hierher gelesen? Hab tausend Dank. Das freut mich sehr. Ich habe etwa zwei bis drei Stunden an dem Artikel gearbeitet.

Ich liebäugele stets auch damit, ein alternatives Leben zu leben. Zum Beispiel Pakete auszuliefern, was mir vor vielen Jahren einmal viel Freude und ein regelmäßiges Einkommen bescherte. Das Problem ist, die Kunst schafft sich nicht von alleine und Blogs verkauft man nicht.

Die Fluchtgeschwindigkeit des Radreisenden #mdrzl

Reiserad fast im Dunkel vor einem rötlich orangenen Streifen Abendrot.

Das Handy ist aufgewärmt. Ich auch. Ich hatte es bei Sonnenaufgang aus der Seitentasche des Zelts genommen und in den Schlafsack gelegt. Was gäbe ich jetzt um einen Kaffee. Sooo müde. Der Körper will nicht auf Touren kommen. Aber nein, der Herr musste ja das „Besteck“ daheim lassen, sprich den Trangiakocher und die zwar schäbige, aber gutmütige Brühe, die ein löslicher Kaffee im Zelt abgibt.
Das Zelt steht in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte für ein Zugunglück vor vielen Jahren nahe Straßburg, genauer gesagt bei Vendenheim neben einer Art Gleisdreieck. Durchwirkt von Straßen und Gleisen. Abends donnern noch einige Züge vorbei. Nachts zum Glük nicht. Unheimlich sind die nicht beleuchteten Güterzüge, die man zwar hört, aber kaum sieht. Zwischen zwei spitz aufeinander zu laufenden Schienensträngen ist ein kleiner Park, Gedenktafel, schön angelegt mit Wegen und ein paar Skulpturen und unaufdringlichen Monumenten. Ich weiß nicht, wieviele Menschen bei dem Unglück umkamen. Mein Zelt steht natürlich außerhalb des Parks auf einer Wiese. Nur etwa hundert Meter westlich führt der Rhein-Marne-Kanal mit seinem grandiosen Kanalradweg.
Mit dem Rad zu Liebsten, Hashtag mdrzl heißt mein Auftakt-Radelprojekt 2023. Von der Pfalz, wo ich wohne bis in den Aargau, wo die Liebste wohnt, sind es etwa 350 Radelkilometer. Eine Kurzstrecke, sage ich immer gerne kühn.
Aber ich habe Respekt davor. Die Strecke ist nicht nuuur flach und sie führt nicht nuuur auf feinen Etepetete-Radwegen. Drei bis vier Tage muss ich dafür rechnen, 18 bis 20 Mannsattelstunden. Im letzten Jahr hatte ich die Route einemal in zwei Tagen geschafft. Nun rechne ich mit vier, so kurz nach dem Winter, das Radeln nicht mehr gewöhnt. Die Kurztouren zu Journalist F. und nach Mainz per Fahrrad und Zug letzte Woche stecken mir noch in den Knochen. Bin ich denn überhaupt noch fit genug, überhaupt noch in der Lage, ein solches Großprojekt wie AnsKap anzugehen? Der Zweifel radelt immer mit und der Körper zwickt. Ich finde, der Hashtag Geriarctix, ein Wortspiel aus „geriartrisch“ und „arktisch“ (englische Schreibweise), hat durchaus etwas.
Gegen kurz nach zwölf komme ich am gestrigen Tag endlich los. Noch fertig gepackt am Morgen und einen Artikel für die ADFC-Seite geschrieben. Ich traue mir nicht zu, unterwegs auf der Handyoberfläche mit dem Typo3-System Artikel zu bearbeiten, will es gar nicht erst ausprobieren, obschon, sollte ich, muss ich ja irgendwann doch das Büro ganz ins Zelt verlegen.
Pünktlich beim Losradeln begann es zu regnen. nur leichter Niesel, ein guter Radfahrregen, also eigentlich nicht schlimm, aber der graue Schwerlasthimmel drückt das Gemüt.
Runter in die Stadt. Frau W. getroffen, kurz geschwätzt. Sie lud mich ein in die Druckerei, ein bisschen plaudern, vielleicht etwas drucken, aber nein nein, sonst komme ich ja nie weg. Am Anfang ist die Gravitation der Heimat noch immens. Man könnte es analog zur Fluchtgeschwindigkeit lesen, die von Nöten ist, einen Planeten zu verlassen oder ein Sonnensystem oder ein ganzes Unversum. Je näher du noch am Kern, an deiner Heimat bist, desto schwerer fällt es.
Winde mich durch Zweibrücken auf den Bahntrassenradweg am Hornbach und bin schon bald in Frankreich. Über Volmunster und Schorbach nach Bitche, wo ich im Intermarche einkaufe. Scheint es nur so, oder ist es hier billiger? Zwei Käse, eine Wurst, Baguette und ein Trinkjoghurt für unter 15 Euro. Dem entgegen setze ich zwei widerliche Sandwiches und zwei labbrige Käsebretzeln im Mainzer Hauptbahnhof jüngst.
Nun nieselt es ein bisschen stärker. Ich erklimme das Plateau Grunholtz, welches zum Glück nicht so steil und schwierig ist wie ich es in Erinnerung habe. Überhaupt fällt mir das Radeln unerwartet leicht. Bei der Quelle von Mouterhouse habe ich schon etwa 50 Kilometer in den Beinen. Der kräftige Brunnen ist bis in aller Ferne berühmt und man sagt, die Menschen kommen sogar aus Straßburg hierher, um Wasser zu zapfen. Zwei Männer mit Autos voller Plastikflaschen parken neben der Quelle direkt am Straßenrand. Das sind gut zweihundert Kilo, sagt ein älterer Mann, der zweite der beiden, der, der warten muss, bis er endlich füllen kann, weißt mit dem Kinn zum Auto. Offene Kofferraumklappe, Räder hängen tief in den Radkästen. Da darf keiner mehr sonst zusteigen. Wir schwätzen ein bisschen, gut gelaunt und geduldig. Der Mann kommt aus Sarreguemines, gut 30 Kilometer entfernt. Er spricht lothringisch. Wir verstehen uns. Ich kann irgendwann zwischen den Flaschen mein Trinkwsser auffüllen. Auf auf weiter abwärts der Zinsel via Bärenthal und Zinswiller. In Bärenthal schmerzt die Wunde mitten im Dorf, die ein einst schillerndes, gut besuchtes Restaurant hinterlassen hat. Von dem märchenhaft von Efeu und Pflanzen umrankten bunt bemalten Gebäude, in dem ich leider nie eingekehrt bin, ist nur noch eine Art Bauruine geblieben. Ein schäbiger, hand gemalter Schriftzug Hotel blättert ab.
Das fördert nicht mein Reisegemüt. Bremst mich, lähmt mich, macht mir Angst. Aber es ist besser als am Morgen, als ich mich mit aller Kraft diesen lähmenden Kräften entgegen stellen musste, um überhaupt loszuradeln. Im Kopf natürlich die Gedanken an die große Reise. Das schaffste nie. Du bist zu alt. Du kannst das nicht. Das ergibt keinen Sinn. Ich brauche mehr Fluchtgeschwindigkeit.
Und die kommt, als ich mich hinter Zinswiller „verirre“, zu weit westlich in die sogenannten Fünfhüpfberge radele, irgendwann im Feierabendverkehr durch Pfaffenhoffen. Mist. Oder auch nicht. Ich nehme den Radweg durchs Moderthal bis Haguenau. Schön flach. Er führt durch dichten Wald mit hohen Bäumen und Warntafeln, dass es ein Technologisches Risikogebiet ist und man nicht anhalten soll. Atomwaffenlager? Irgendwas mit Militär. Radele schnell durch mit zugekniffenen Augen, denn das was ich atme ist nur etwa zur Hälfte Luft. Der Rest sind winzige Mücken. Denke an Skandinavien, das werd ich niemals schaffen.
Es dunkelt. In der Dämmerung raus aus Haguenau. Radweg entlang der Straße. Später ab Kriegsheim nur noch „Schutzstreifen“. Beruhigt trotzdem ein wenig, die fette, gestrichelte Linie, die mich vom Autoverkehr „schützt“. Nach Brumath und somit zum Rhein-Marne-Kanal sind es nur 11 Kilometer. Wo hätte ich gedacht, dass ich so weit komme und so unerschöpft. Später Einkauf gegen halb acht in einem Carrefour Express. Bier und Schokolade und ein unheimlich freundliches Bonne Soiree vom Verkäufer. So muss Reisen sein.
Fast bin ich versucht, einfach weiter zu radeln. Die Kraft hätte ich. Bis Straßburg auf dem Kanalradweg noch 20 Kilometer und vielleicht noch einmal 15 raus aus der Stadt.
Die Vernunft siegt.
Das Zelt baut sich ganz gut auf im Dunkeln. Ich schlafe löchrig. Nachts umschwirrt von wohl Förstern, die im Wald rumpeln. Einmal fährt ein Auto am Zelt vorbei, blendet auf, fährt weiter. Gutso.

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Tag 12 der 3. Etappe (Tag 33) im Rückblick | #UmsLand/Bayern

Heute gibt es einige sinnige Tröts und Tweets zum Tag. Wozu doch ein Fluss namens Sinn so inspirieren kann!

»Guten Morgen. Die Nacht im Zelt war saukalt. Gestern hatte ich noch halbherzig und vergeblich versucht, in Mellrichstadt eine lange Unterhose zu kaufen, um das Leben im Schlafsack erträglicher zu gestalten. Vor der Rhön weht bissiger Dauerwind.
Heute gehts ins Sinn-Tal und runter zum Main auf meiner

»Ich hätte gewarnt sein sollen bei den Ortsnamen wie Ostheim VOR der Rhön, als ich noch jubelte, Flachland! Bischofsheim heißt IN der Rhön.
Frühmorgens im Café Voll, das seinem Namen alle Ehre macht, surfe ich an der Spitze Kaffeedurstiger gerade noch so, ohne Schlange zu stehen.
Plötzlich aus allen Poren der Stadt Menschen, Blechkarossen, Motorräder und der Rhön-Bus mit Fahrradanhänger. Nix wie weg.«

»Zackig aber ich glaube, ich habs geschafft. Von VOR über IN AUF die Rhön. Und nun macht das Radfahren wieder SINN.

»Der , die Rhön und das Röhnrad haben eines gemeinsam: Ich weiß nie, wo die Hs in den Worten gesetzt werden müssen. Es ist fast so kompliziert wie die

»Damit hab ich nicht gerechnet: Ein 26 km langer , der Rhönexpress auf der ehemaligen Sinnbahntrasse. Garantiert maximal 3% Steigung. Zudem für meine Richtung, Fluss abwärts, Gefälle. Der Gegenwind der letzten Tage koomt nun von der Seite bis gar von hinten.
Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Bahntrassenradweg her.«

»Das müde Abend-Ich freut sich stets, wenn das Mittags-Ich diszipliniert das Zelt zum Trocknen ausgelegt hat. /Bayern«

»Endlich habe ich eine plausible Erklärung für die vielen Höhenmeter, die aufzeichnet: Entführung durch Außerirdische! Sie löschen zwar jeden Tag mein Gedächtnis, vergessen aber das GPS. Diese Trottel! Heute ist der Peak des Hochbeamens im Track genau zu erkennen.«

Nun ist er unterwegs Richtung Gemünden, hoffend, dass ein Campingplatz noch ein ruhiges Plätzchen für ihn hat.

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Auf Mastodon und Twitter trötet und twittert Irgendlink seine Reise direkt und unmittelbar. Lest dort über seinen heutigen Tag – und über alle kommenden.
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Hier die wirklich nur sehr ungefähre heutige Strecke bei Guugl.

Den heutigen Track im Gesamtkontext seht ihr hier (Ausschnitt).

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Das ganze Projekt auf einen Blick (Opencycle-Karte) gibt es hier zu sehen: Vollbildanzeige

Die allererste Guugl-Skizze findet ihr hier: Skizze

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Tag 11 der 3. Etappe (Tag 32) im Rückblick | #UmsLand/Bayern

»Leichenhallenhopping am Grabfeld-Röhn-Radweg. Vor den Hallen hats Dächlein, unter denen ich Schutz vor Regenschauern suche. Gerade in . Wetter soll ab 14 Uhr besser werden.« So textete Irgendlink am frühen Nachmittag auf Mastodon.

Und auf Twitter: »Ein Spießrutenlauf von Leichenhalle zu Leichenhalle, um den Regenschauern zu entfliehen. Da gibts Dächlein. Bei der letzten sogar Strom fürs Handy. Hier in Irmelshausen hingegen Netz, um den Blogartikel hochzuladen.« (Mögen ihn die Regenwolken weiträumig umschiffen.)

»Ich frage mich, ob die /Bayern als eine Art virtuelles eingestuft werden kann. Eine appspressionistische Performance mit Social Media-Anbindung. #Appspressionismus« (So Gedanken, wenn das Hirn des in die Pedalen tretenden Künstlers Freigang hat.)

»War sehr anstrengend wegen Regen morgens und Wind den ganzen Tag«, schreibt er mir soeben. Die Trackaufnahme hat er darum mittendrin unterbrochen und in zwei Stücken geschickt.

Nun hat er bei Sondheim vor der Rhön einen Lagerplatz gefunden. Hoffentlich lässt der Wind nach.

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