Das Leben ist wie eine Cervantes-Geschichte, mal bist du der Don Quichote, mal bist du der Sancho Pansa.
In Hofstetten steht mir plötzlich ein anderer Radler gegenüber – in meiner Erinnerung sagt er gebieterisch ‚Halt, Bursche!‘ Er kommt mir aus dem Gegenlicht entgegen, trägt Lanze, Schild und Schwert, was aber hanebüchen übertrieben ist. Dennoch. Die Sonne steht kaum noch ein paar Fatbike-Reifen breit über dem Horizont. Die Silhouette des Mannes mit dem riesigen Fahrrad nebst Anhänger hat etwas Gebieterisches. Er hat eine Frage und ich die Antwort. Bzw. ich habe die Antwort nicht, aber eine Ahnung, wo wir sie finden …
Weißt du wo der Campingplatz ist? Nein, aber ich ahne es, so ähnlich. Wir müssen jedenfalls ins Dorf, dort hin, wo er her kam, so viel ist sicher. Mein GPS lügt nicht.
Das Radel von J., so heißt mein neuer Freund, ist ein so genanntes Fatbike. Armdicke Bereifung, butterweich gefedert. Akku und Anhänger und eigentlich gar nicht mal so viel mehr Gepäck dabei wie ich oder andere Reiseradler, sondern nur anders verteilt auf Hänger, Satteltaschen und Gepäckrolle. Wie wir so gemeinsam in den Sonnenuntergang gen Campingplatz rollen nur ein paarhundert Meter durchs Dorf, sehen wir aus wie ein moderner Don Quichote und Sancho Pansa, denke ich. Er mit dem großen Ross und dem Anhänger ist der Don und ich mit meinem kleinen Radel-Eselchen bin der Sancho.
Der Campingplatz in Hofstetten ist ein gemütlicher kleiner Platz, ruhig, nette Menschen, nettes Team, was nicht immer der Fall ist, so werde ich noch feststellen (und eigentlich kennt man es ja, man hat ja schon alles an Campingplätzen erlebt, was es gibt auf dem Planeten, während all der Reisen). Artgerechte Haltung von Fernreisenden.
Über J., der sich auch als Künstler entpuppt wäre sicher ein eigenes Kapitel zu schreiben. Weit gereist wie ich, in die Jahre gekommen wie ich, immer noch unterwegs wie ich und das ist auch gut so, so trinken wir in der Abendsonne, auf einem Mäuerchen hockend, bzw. daran lehnend unser Feierabendbierchen. Mal bist du der Tresen, mal bist du der Stuhl.
Morgens gehts für uns in entgegengesetzte Richtungen weiter. J. hatte mir schon vom Kahltal-Spessart-Radweg (KSR) vorgeschwärmt. Genau meine Richtung. Die Ruhe im Wald, die tollen Wege, das Schweben auf den dicken Reifen des Radels, das kaum vernehmbare Surren des Elektromotors … zwölf Kilometer bis Lohr auf dem Main-Radweg und ab dort ist schon der KSR ausgeschildert. 72 Kilometer bis Kahl. 72 Kilometer vom Main zum Main, ohne dabei am Main zu radeln.
Die Route folgt verschiedenen Bächen durch liebliche Tallandschaften via Partenstein und ab dort wirds nach und nach immer zackiger. Unterschätze den Spessart nicht! Das sagte ich mir schon morgens, noch in der milden Obhut des Flachlands. Die Bamberger Mühle ist mein Ziel. Auf dem GPS sieht es so aus, als sei man dort, in Kleinkahl endlich oben und rollt dann nur noch abwärts. Stimmt auch.
Ich verabrede mich mit Twitterfreundin @Bahnhofsoma, die per Faltrad und Zug anreisen wird. Die gesamte Strecke, ich will es mal die Nordostpassage des Mainradwegs nennen, windet sich um die stur durch die Täler führende Spessart-Bahn. Man könnte also jederzeit in den Zug steigen und ein bisschen abkürzen. Mache ich natürlich nicht. Die Beine wollen es. Der Körper will es. Der Kopf will auch.
Im ‚Gap‘ zwischen Auf und Ab, welches bei Kilometer 35 bis 40 ab Lohr liegt, erreiche ich die beiden Kahlquellen. Ich muss stets schmunzeln, wenn ich von den beiden ‚Soundso‘ rede, denke ich doch an einen guten alten Monty Python-Sketch. Der mit dem schielenden Expeditionsleiter, der die ‚beiden‘ Kilimandscharos bezwingen will.
Frau @Bahnhofsoma wartet mit Käsebroten zur Höhe des Gebirgs bei den beiden Kahlquellen. Gemeinsam radeln wir abwärts im Kahltal. Eiskalt da oben. Mehrfach muss ich Jacke an, Jacke aus, lange Hose drüber ziehen, lange Hose wieder ausziehen und die Handschuhe könnte ich eigentlich auch gebrauchen, so bitter zieht es an den Händen, wenn die Sonne hinter den lang gezogenen Wolken verschwindet und man nur noch den Gegenwind zu spüren kriegt.
Gut fünfzig Kilometer radeln wir so gemeinsam, quatschen, tauschen uns aus, machen Spaßfotos unterwegs. Lümmeln auf Parkbänken und modernen Waldsofas, die überall am Radweg stehen.
Tut gut mal wieder unter Menschen zu sein. Die Abendsonne wirft unsere Schatten voraus und verflixt, wir sehen ja aus wie Don Quichote und Sancho Pansa, ich mit dem 28 Zöller Reiserad und sie mit dem Brompton. Diesmal bin ich der Don und sie die Sancho, denke ich. Schmunzelnd. Mal bist du der Don und mal der Sancho Pansa. So ist das im Leben, rekapituliere ich.
Abschiedseis in einer Eisdiele in Kahl. Ich erwische gerade noch so die letzte Fähre über den Main nach Seligenstadt, folge dem Mainradweg ostwärts. Mein Plan, auf den Wiesen irgendwo wild zu zelten scheitert daran, dass es kaum Wiesen gibt. Nur Getreidefelder, Obstplantagen und Landschaftsschutzgebiet.
Erst in Kleinostheim der nächste Campingplatz, den ich eher widerwillig ansteuere. Blick in die Karte: Er liegt direkt an der Autobahn. Dennoch besser als weiter Wildzeltplatzsuch spießrutenlaufen.
Dieser Campingplatz im Vergleich zum Campingplatz zuvor ist wie Massentierhaltung versus artgerechte Tierhaltung, sinniere ich abends im Gesäusel der Autobahn. Ich weiß, das trifft es nicht und verharmlost wahrscheinlich. Dennoch meine ich, ein Grundmuster menschlichen Handelns und ’so tickt unsere Spezies nunmal‘ zu erkennen.
Eine Handvoll Radreisende sind zusammen auf einer kleinen Wiese, umgeben von den vorsaisonal noch leeren Arealen für Wohnmobile und Wohnwagen. Das Autobahngemurmel vereinzelt uns. Statt munter ins Geplauder zu kommen um das alltägliche Woher und Wohin, winkt man sich verschämt zu und verschwindet im eigenen Zelt. Als ob das die Geräusche abhalten könnte.