Von unscharfen Zukünften und präzisen Pfützenthermometern

Im Zentrum der Künstlerbude liegen Klamotten, Kleinkram, Technik, der Reisepass, Fahrradpacktaschen, allmögliches Zeug. In der unscharfen Wolke, die meine Zukunft darstellt zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab: kommenden Donnerstag mit der Bahn zur Liebsten in den Aargau, oder morgen, spätestens übermorgen per Radel inklusiv zwei oder drei Zeltübernachtungen bei Brrr Grad Celsius durch die Nordvogesen und das Oberrheintal.

Das Jahr neigt sich konfus dem Ende. Ich glaube, es war mein bisher schlimmstes – zumindest erinnere ich mich an kein übleres Jahr mit mehr Toten, mehr Welt-geht-vor-die-Hunde, mehr Elend und mehr Schmerz. Ein diffuses, hässliches Gemenge an Ereignissen. Großweltenläufig wie persönlich klein.

Seit Herbst stand sogar der Künstlerberuf auf dem Spiel und ich verbrachte viele Stunden mit Grübelei, ob ich 2024 nicht besser den Beruf wechseln sollte. Ein feiner warmer Job irgendwo; die Künstlerseele freikaufen. Auch das eine unscharfe Wolke möglicher Zukünfte.

Eine zarte Frostnacht. Der Garten liegt unter Raureif. Sonne streifte langsam über den östlichen Horizont heute früh. Als ich aus dem Hochbett kletterte runter in die spärlich beheizte Künstlerbude und nach draußen schaute, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, morgen früh aufs Reiseradel zu steigen und gen Süden zu radeln. Obschon es vermutlich genau das ist, was ich gerade brauche. Langsam im Wiegetritt auf dem heimischen Sattel das Jahr ausbaumeln lassen. Mein Blick streifte die „gepackten“ (wahllos dahin geworfenen) Klamotten, die Radelpacktaschen, den Teetisch mit kleinen Wichtigkeiten. Eine Explosionszeichnung des „geplanten“ Aufbruchs. Ich muss eigentlich nur noch zusammen packen.

Vor der Tür: Das Thermometer auf der Südterrasse zeigt ein zwei Grad. So genau kann ich das ohne Brille nicht ablesen. Der rote Strich rangiert aber sicher über null. Auf den mittlerweile geleerten Regenfässern neben der Tür liegen zur Abdeckung der Öffnungen alte Bratpfannen, in denen sich noch etwas Wasser befindet. Insgesamt vier Fässer (wir nennen sie scherzhaft Thinktanks) stehen in Reih und Glied und die Pfannen sind, je näher an der Haustür, teils noch offen, teils gefroren. Die Mittlere zeigt sich nur zur Hälfte mit dünnen Eis bedeckt. Ich habe ein präzises Pfützenthermometer vor der eigenen Haustür.

Tiefer Atemzug. Frische, kalte Luft. Ein herrlicher Morgen. Der Abend zuvor, fällt mir ein, war auch wunderbar. Still, kalt, klare Luft und ein ins Rötliche tendierender Sichelmond, der ungewöhnlich groß wirkte hinter den Pappeln am westlichen Horizont. Wie mit dem Stechbeitel geschnitzt.

Ich frage mich, warum ich aufgehört habe, solche alltäglichen Belanglosigkeiten zu notieren. Nein, das frage ich mich eigentlich nicht. Die Antwort kenne ich.

Persönliche Einschätzung, was die Zukunftswolke betrifft: Ich nehme Donnerstag den Zug (70 zu 30).

 

4 Antworten auf „Von unscharfen Zukünften und präzisen Pfützenthermometern“

    1. Tatsächlich. So hab ich das noch nicht gesehen. War glaube ich in Offenburg, oder Karlsruhe oder Basel? Muss mal schauen, wenn ich wieder durchfahre.

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