Time and Tide are „Hm-Hm-Hm“ for a Man

Off-Tag in London. Lee Valley Caravaning Park ist eine gute Ausagangsbasis für einen Stadtbesuch. An der Rezeption erklärt man mir den Weg und die Bus-Linien und Bahnverbindungen. Es gibt eine schnelle, teure und eine langsame, günstige Vebindung.

Für 7.95 Pfund kaufe ich an der Rezeption ein Wunderticket. Freie Fahrt für einen Tag. Etwa eine Stunde brauche ich bis zur Haltestelle Oxford Circus, wobei ich alle Register der Fortbewegung ziehe: Doppeldeckerbus, Bahn, U-Bahn. Ausgespuckt in den quirligen Straßen, habe ich gar keinen Plan, weder in „echt“, noch im Kopf. Ich laufe auf ein markantes, spitzes Gebäude zu. Ich Motte ans Licht, ich. Dann besinne ich mich anders, will zur Themse, lasse mich vom Navi des iPhones dirigieren. Immer wieder schalte ich es ab, um Strom zu sparen. Wenn ich nicht radele, kann ich auch meinen Akku nicht aufladen. Was für ein elendes Hamsterrad :-)

London im Zick-Zack. Zufällig am Buckingham Palast vorbei. Touristen hängen am Zaun, wie am Affenkäfig. An der Themse entlang etwa zwei Stunden über den Links-Themse’schen Footpath bis zur Towerbridge. Eines meiner beiden „Muss“. Der Spaziergang gerät zum fotografischen Schlachtfest. Ich bereue es dennoch nicht, die Nikon in einem Schließfach beim Campingplatz eingesperrt zu haben. Bin froh, einmal ganz ohne Gepäck zu sein. Noch immer befinde ich mich in einem „selbstborumatisierten“ Zustand (siehe einige Artikel zuvor). Unter der knielangen Jeans ragt die lange Unterhose heraus, die ich wiederum in Socken gestopft habe, obenrum die gelbe, einfamilienhausteure Regenjacke, da es recht kühl ist. Die ist leider schwer zu borumatisieren, ohne sie unbrauchbar zu machen. Und nach nur zwei Wochen unterwegs ist sie noch nicht schmutzig. Dennoch. Als Tüpfelchen auf dem i trage ich die weiße Sarcom Baseballmütze, was mir, so glaube ich, den Look eines typischen Londoners verleiht. Eine zerfetzte, leere Plastiktüte leger in der Hand baumelnd, soll Verwirrung stiften. Kein Trickdieb oder Schnorrer spricht mich an.

Problematisch wird mein Outfit allerdings, als ich bei meinem zweiten „Muss“-Ziel auftauche, der Orange Dot-Galerie, die ich als möglichen Ausstellungsort ins Auge gefasst habe. Zwar hatte ich mein Erscheinen per Mail angekündigt, aber die drei Jungs in den Hinterräumen des etwa 60 qm großen, hippen Schauraums, haben die wohl nicht ernst genommen. Überraschung. Mitinhaber Jack mimt Gelassenheit und ich komme mir ein bisschen vor wie ein Eindringling. Eine Ausstellung, die morgen eröffnet, hängt schon. Bitterböse, kleine Ölgemälde mit religiös-sexuellen Anspielungen.

So plump habe ich mich noch nie bei einer Galerie vorgestellt: im selbst gewählten Affenkostüm, englisch das Anliegen „Ums Meer“ radebrechend, auf dem iPhone Kostproben meiner Arbeiten zeigend. Sie seien ausgebucht bis nächsten Februar, sagt Jack, und ich möge ihm doch eine E-Mail an seine Privatadresse schicken. Dann verschwindet er wieder im Hinterraum der Galerie, in dem das Team an drei Computern arbeitet. Im Feierabend-Getümmel zurück ins Lee Valley.

Heute morgen bin ich schon um 7 Uhr Ortszeit wach. Im Waschhaus steht ein Typ mit tätowiertem Oberkörper vor dem Rasierspiegel, dem ich nicht bei Nacht begegnen möchte. Aber wie das so ist, der äußere Anschein ist fast immer anders, als der Kern selbst. Auf seinem Rücken steht etwas, das ich ohne Brille nicht vollständig entziffern kann: „Time and Tide“ … und „for a Man“. Wir schwätzen ein bisschen wie dies Männer tun, die gemeinsam vorm Rasierspiegel stehen. Dann wünscht er mir eine gute Reise, macht am Türrahmen der Dusche zehn Klimmzüge und ich begebe mich zum Zelt, um das alles aufzuschreiben.

Nachtrag Männerteesprüche. Folgende drei Sprüche habe ich auf den Zettelchen meines Tees gefunden:
„Du musst dein Haus verlassen, um zu lernen“.
„Sieh dich selbst im Spiegel der Anmut“ (Zuerst lese ich ohne Brille: „Sieh dich selbst im Spiegel der Armut“).
„Wer sich viel traut, erreicht viel“.

(entfipptehlert, mit Link bestückt und gepostet von Sofasophia)

2 Antworten auf „Time and Tide are „Hm-Hm-Hm“ for a Man“

  1. „Touristen hängen am Zaun, wie am Affenkäfig….“ laut gelacht… das Bild ist sooo klar! wunderbar…

    guuut, habe wieder Anschluss, die letzten Tage hatte ich keinn wirklichen Raum dich zu lesen…
    danke nochmals dir und auch dir, liebe Sofasophia für alle entfipptehlern und überhaupt

    herzlichliebgrüßt euch ulli

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