Botschafter des langsamen Vorankommens

Pressemitteilung

Kunstprojekt per Fahrrad entlang der Grenzen von Rheinland-Pfalz auf der 1040 Kilometer langen Rheinland-Pfalz-Radroute. Liveblog vom 25. August bis 8. September 2020.

Botschafter des langsamen Vorankommens

Grenzen. Plötzlich kehrten sie zurück. Als sich im Frühling 2020 die Lage um das neuartige Coronavirus zuspitzte und sich mit Covid-19 eine lebensbedrohliche Krankheit rings um die Welt ausbreitete, verwandelte sich die Welt wie wir sie gewohnt waren in Windeseile in eine Welt der Grenzen. Hatte man sich im Laufe der letzten dreißig Jahre an ein weitgehend grenzenloses Europa gewöhnt, herrschten von heute auf morgen plötzlich Zustände wie zu Zeiten des Eisernen Vorhangs und die freie Bewegung ohne Kontrollen war massiv eingeschränkt.

Die tägliche Dosis Rheinland-Pfalz

Der Zweibrücker Künstler Jürgen Rinck alias Irgendlink nimmt diese Situation zum Anlass, entlang der Grenzen von Rheinland-Pfalz zu radeln, nachdem seine ursprünglich im März geplante Reise von Zweibrücken nach Andorra vereitelt wurde. Live bloggend und online eine Karte malend folgt er der Rheinland-Pfalz-Radroute und schreibt täglich frisch in seinem Blog über das Erlebte. Er fotografiert, sammelt Daten, Geschichten, besondere Ansichten des Bundeslandes und zeichnet die bereiste Strecke mit dem GPS auf. Die Reise kann in den sozialen Medien und im Irgendlink-Blog verfolgt und kommentiert werden. Das Rohmaterial wird später zu einer informativen Kunstausstellung verarbeitet und ausgestellt.

Vielfalt im Rund des Bundeslandes

Die Rheinland-Pfalz-Radroute ist ein 1040 Kilometer langer Radweg sehr nahe bei den Grenzen des Bundeslandes, eine Kombination verschiedener Themen- und Fernradwege, der durchgängig beschildert ist und zu weiten Teilen über Radwege, Feldwege und wenig befahrene Landstraßen geführt wird. Die Radroute durchquert alle Regionen und Landschaften, die unser Bundesland zu bieten hat, die großen Städte, Mainz und Ludwigshafen, wie auch den Westerwald, die Eifel, den Hunsrück und den Pfälzer Wald. Abwechslung ist groß geschrieben bei dem Abenteuer. Im engen, aber distanzierten Kontakt mit den Menschen entsteht nach und nach eine künstlerisch-literarische Dokumentation unserer Heimat in Zeiten der Pandemie.

Reise zum Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz

In Tagesrhythmen von etwa 70 Kilometern ist der Künstler langsam genug, um die Reise auf sich einwirken zu lassen und darüber zu sinnieren.

Fünfzehn Tage sind eingeplant, sowie auch ein Abstecher zum Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz in Bärenbach, unweit des Flughafens Hunsrück-Hahn, denn auch das Kerngehäuse der Heimat will erkundet werden.

In einer Online-Karte, die begleitend zum Blog als Schaltzentrale für aktuelle Informationen dienen wird, kann man Blogartikel und Fotos betrachten und das behäbige, dem Fortbewegungsmittel geschuldete Wachstum des Kunstprojekts verfolgen.

Nebenbei Stadtradeln, aber im Land

Ein Teil der Reise fällt auch in die Phase des Stadtradelns, an dem sich Zweibrücken ab 30. August erstmals beteiligt. So wird nebenbei auch noch einiges an Radelkilometern für die Gemeinde beigetragen. Sowie der Intention des Stadtradelns, Aufmerksamkeit für die Belange des regionalen Radverkehrs zu erzeugen, Impulse gegeben.

Das Konzept der Reise ist nicht neu. Schon 2017 umradelte Jürgen Rinck Rheinland-Pfalz und berichtete darüber in seinem Blog. Als Gast beim SWR in der Landesschau und in Henriette von Hellborns Film Einig Land war er zwei Wochen entgegen dem Uhrzeigersinn als Botschafter des langsamen Vorankommens unterwegs.

Nun beginnt am 25. August der Rückweg.

Links

Blog: https://irgendlink.de

Twitter: https://twitter.com/irgendlink (Hashtag )

Projektkarte: http://u.osmfr.org/m/477537/ (die Webseite der Karte ist leider nicht verschlüsselt (‚https‘) und wird ggf. durch Browsereinstellungen blockiert)

Rheinland-Pfalz-Radroute: https://radwanderland.de/seiten/rlpradroute

Tourdaten:

25. August bis 8. September 2020, Fahrradreise im Outdoor-Stil, meist zeltend und, den Bedingungen der Pandemie genüge tragend, kontaktarm.

Voraussichtliche Aufenthaltsregionen/Etappenziele

(siehe auch interaktive Tourkarte)

25.8. Pfälzer Wald/Südpfalz/Wissembourg

26.8. Germersheim/Speyer

27.8. Worms/Oppenheim

28.8. Mittelrheintal

29.8. Hunsrück/Hahn (Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz)

30.8. Sankt Goar/Nastätten

31.8. Walmerod Westerwald

1.9. Daaden/Betzdorf

2.9. Altenkirchen

3.9. Altenahr Ahrtal

4.9. Neuendorf/Prüm

5.9. Irrel, Echternach, Luxemburgische Grenze

6.9. Kell am See/Hochwald

7.9. Baumholder/Idar Oberstein

8.9. Bruchmühlbach/Sickinger Höhe/Zweibrücken

Pressetreffen in den jeweiligen Regionen unterwegs können telefonisch oder per Mail vereinbart werden. Rufen Sie mich gerne an oder mailen Sie mir. Ich habe mein Büro immer dabei.

 

Pfälzisch, ja wie nennen wir es denn? | #UmsLand Tag 1

Sechs Uhr wach. Morgen. Die Nacht war trocken und etwas windig. Zwischendrin musste ich das Zelt verlassen und die Heringe etwas tiefer in den Pfälzer Sand rammen. Niederschlettenbach querab. Ein ruhiges Tal mit bestem Radweg.

Ich bin 104 Kilometer vom Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz entfernt. Am gestrigen Nachmittag in Zweibrücken, waren es nur 78. Luftlinie. Wie so ein Eselchen im etwas verqueren Rund des Bundeslandes an langer Leine dahin trottend. Oder wie ein Komet auf dem Weg zum fernsten Punkt der Ellipse, die keine Ellipse ist.

Frau SoSo sagte einmal, Rheinland-Pfalz sieht aus wie ein Drache. Sie hatte das sogar gezeichnet. und die Zeichnung sollte sich irgendwo im Netz finden, vielleicht? (EDIT: Hier!)

Die gestrige Etappe? Begann mit einen Fototermin am Startpunkt der Reise, dem Zweibrücker Herzogplatz. Inklusive lecker Haferschmatzriegelgeschenk vom Fotografen und dem Wunsch, hab eine gute Reise.

Raus aus Zweibrücken ist ekelerregend mit dem Fahrrad. An der Baustelle zum neuen Kreisel an der Autobahnauffahrt schepperten die Maschinen, Bleche, derb geschütteter Beton aus hoher Höhe, unendlich laut und die Verkehrsplanung hat auf dem nigelnagelneuen, straßenbegleitenden Radweg gar wunderbare Bordsteinkanten gebaut. Alle paar zig Meter. Reiseradler, Reiseradlerin, wenn Du nach Zweibrücken kommmst, komm besser nicht. Erst ab dem Bahntrassenradweg in Rimschweiler wird die Route besser.

Aus der Tour 2017 auf der Rheinland-Pfalz-Radroute erinnere ich an etwa drei eher eklige Abschnitte, die auf Landstraßen verlaufen, auf denen man mit hoher Geschwindigkeit überholt wird. Eines im Westerwald, eins in der Nähe von Prüm und die etwa acht Kilometer zwischen Großsteinhausen und Hochstellerhof bei Vinningen.

Lang haderte ich, ob ich nicht besser die Alternative durchs Tal in Frankreich radele. Über Walschbronn und Dorst. Man muss theoretisch kaum Steigung überwinden, aber hat dafür etliche Waldwegekilometer. Doch tue immer das, was die Radwegeschilder dir sagen, treuer Herr Irgendlink. Also schwitze ich hinauf auf das vierhundert Meter hohe Plateau um Bottenbach und Vinningen und werde gegen Feierabendverkehr von PKWs und Transportern geradezu umspült. Ein Geschiebe aus Berufspendlern. Die einen aus Pirmasens zurück nach Hause fahrend, die anderen aus Zweibrücken, so stelle ich mir das vor und muss an Skagen denken, wo sich die Wellen von Nord- und Ostsee gegenseitig überschlagen. Oder an Andalusien. Die Hochebene hinter Bottenbach ist frisch geerntet, eingeebnet, trocken, karg und hellbraun. Fehlen noch ein paar Weiße Dörfer. Pfälzisch Andalusien versus Pfälzisch Jütland und Pfälzisch Sibirien, wie ich das Wind umpfiffene Vinningen gerne nenne. Vorm Touristenschild mit der Höhenangabe 441 m über dem Meer mache ich ein Foto mit Reiseradel. Klassiker. Muss sein. Im Prinzip lohnt es sich schon alleine wegen dieses Motivs, der offiziellen Radroute zu folgen. Und wegen des verrosteten Radels, das ich in Bottenbach in einem Garten fotografiere und und und. Kurzum, wer Ruhe will, holpert durchs Tal, wer die offizielle Route und Straße mag, nimmt den Höhenweg.

Ab Hochstellerhof gehts rasant abwärts. Seltsame Graffities auf dem betonierten Feldweg und eine Hinweisschild-Phalanx bei einem Gartengrundstück mit Hinweisen nach Hiroshima und Indien und Trulben usw. Liebevoll gemacht. Handgemalt. Ich mag solche Objekte.
Und dann Wald und Tal via Eppenbrunn bis zur Wasserscheide zwischen Rhein und Mosel, die sich zum Glück als eher flacher Minipass auf wenig befahrener Straße entpuppt. Ab Fischbach bei Dahn meist auf Radwegen unterwegs. Dahinbrausend in den Abend. In Bundenthal ein Einkauf und das Phänomen der sich gegenseitig durch Lärm überbietenden Jungmänner. Tollkühne Minderwertigkeitskomplexkompensierer auf rasanten Karren mit solchen Röhrauspuffen. Wieder schweife ich in Gedanken ab. Diese Mal nach Lappand, wo es ein ähnliches Phänomen gibt. Das nennt sich dort Pilluralley. Ein finnisches, sehr sehr derbes Wort.

Wie auch immer. Nun im ersten Übernachtungslager auf einem Parkbänkchen hockend tippe ich diese Zeilen auf meiner klappbaren Bluetoothtastatur.  Sehr sensibles Teil. Tippfehlergarant par Excellance. Muss mich zu dieser Arbeit zwingen, denn eigentlich säße ich viel lieber im Sattel. Vermutlich wäre ich längst in Wissembourg, das noch knapp 12 Kilometer entfernt ist. Ich muss erst noch den richtigen Tourrhythmus finden. Schreiben, Kunstschaffen und Radfahren sind ein komplekes Tripel, das sich erst im Laufe der Zeit richtig einspielt. Wie Tanz.

Brücke aus Holz schlängelt sich über eine natürliche Sumpfwiese
Sumpfwiesenbrücke bei Fischbah bei Dahn.
Rotes Dekoradel mit Blumenampel
Dekorad in Eppenbrunn.
Hasenkopfgraffitty auf Teerweg.
Unterhalb des Hochstellerhofs findet sich dieses Horizontalgraffity.
Altes Bluna-Werbeschild
Blunawerbung, uralt am Hochstellerhof.
Mann und Fahrrad vor liebevoll geschnitztem Schild Vinningen 441 m über dem Meer
Klassiker: Gipfelfoto in Vinningen
Radwegeschilder an einer Landsraße
Etwa acht Kilometer weit muss man auf der Rheinland-Pfalz-Radroute über eine schnell befahrene Landstraße nahe Vinningen.
Bei Hornbach unterquert der radwweg eine hohe Straßenbrücke. Radel im Vordergrund
Radweg unter Brücke bei Hornbach
Kahl geerntete Felder hinter Sonneblumenfeldern.
Außerhalb Bottenbachs könnte mit viel Phantasie Pfälzisch Andalusien liegen.

Liebe Grüße aus der Homebase | #UmsLand Tag 2

Diesmal ist alles anders. Diesmal fummle ich nur im Hintergrund rum. Diesmal werde ich mich nicht täglich zu Wort melden, nur da und dort im Hintergrund ein bisschen was mit Bildern und Tracks schrauben.

Anders ist, dass ihr diesmal der Bildergalerie und der gefahrenen Strecke allabendlich oder wann immer ihr Lust habt, sozusagen beim Wachsen zusehen könnt. Sie ist interaktiv.

Was Irgendlink im Frühling während seiner Schreibtischreise ausbaldowert und am heimischen Rechner praktiziert hat, wird jetzt das erste Mal unter Reisebedingungen in die Tat umgesetzt. Ein spannendes Werkzeug hat er da entdeckt!

Screenshot der Karte mit der Streckenführung, integrierten Bildern und einer rechtsseitigen Infotafel
Screenshot der Karte

Zur interaktiven Karte mit integrierter wachsender Bildergalerie gehts hier lang. Die rote Spur ist die seit gestern erradelte Strecke, die Bilder bei den grünen Stecknadeln werden standortgenau in die Karte integriert. Wir aktualisieren das, wann immer wir Zeit haben.

Ich freue mich auf eine spannende, inspirierende, beglückende, anregende Grenzerfahrung UmsLand Rheinland-Pfalz 2020!

Liebe Grüße aus der Homebase
Eure Sofasophia aka SoSo

Von Niederschlettenbach nach Altrip #UmsLand Tag 2

Schon eine Weile im Sattel. Neunuhrfrühe Welt. Neunuhrfrühe Welt südlich von Ludwigshafen. Das Zelt stand heute Nacht fast direkt gegenüber einem Campingplatz, stelle ich fest. Hinterm Deich kriegt man das Treiben in der Welt nicht mit. Alleine mit Tieren, die mich nachts aus dem Schlaf schreckten, Laub raschelnd, in Gedanken sicher viel größer als in Wirklichkeit. Vielleicht Igel? Irgendwas schmatzte und ich schlief wieder ein und gegen Dämmerung begann ein Dieselmotor auf dem Altrheinarm zu brummen.

Es deutschlandfähnelt auf den Campingplätzen. Mannigfaltige Schwarzrotgelbs, mal zerfetzt, mal stramm gestellt wie so eine Mondflagge, meist aber schlapp im Wind hängend. Der gestrige Sturm hat sich gelegt. Viele leere Fahnenmaste auf einem geradezuen Spalier aus Campingplätzen in der Gegend um Altrip lassen Übles befürchten für die Hochsaison. Dann weht hier ein Fahnenmeer ohne Gleichen. Auch fremde Flaggen sind dabei. Eine spanische. Und Europaflaggen. Dennoch finde ich, dass dieses Rumgeflagge auf engstem Terrain sehr seltsam ist. Beklemmende Enge, wie überhaupt viele Deutsche Campingplätze eher so wirken wie eine Adaption des Schweinemast- und Schweinehaltungsprinzips an die Bedürfnisse des Tourismus und der Wochenenderholung. Jeder hat seine feine kleine Zelle und wenig Freiraum, den er sich im Innern seiner Parzelle selbst vorgaukeln muss. Man könnte sagen, wir haben es nicht anders verdient. Es ist sozusagen ein Wesenszug, alles durchzuoptimieren in unserer streng getakteten Welt. Fleischproduktion wie auch die Produktion von Erholung.

Der gestrige Tag war kompliziert. Ich hätte beinahe aufgegeben, oder besser gesagt, wenn ich nicht der Ich von gestern, also aus dieser Zeit, gewesen wäre, sondern ein jüngeres, unerfahreneres Ich vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren, dann hätte ich die Tour aufgegeben. Verflixte Psyche. Der Körper kurbelte tadellos schon früh die ersten zehn Kilometer rein nach Weißenburg in Frankreich, was sehr beklemmend war so früh morgens. Wie ausgestorben. Die Pandemie? Normal? Etwas anderes passiert, wovon ich nichts weiß? Der aufkommende Sturm tut sein übriges. Starker Westwind bläst mich raus aus der Stadt, zurück nach Deutschland, wo ein Forstweg kilometerweit geradeaus in den Bienwald führt und er mündet schließlich in einer schmalen Teerstraße und mehr Sturm und die Fetzen fliegen und von den Bäumen rasseln Fichtenzapfen und andere Früchte wie Geschosse, so dass ich den Helm aufziehe, den Schirm ganz weit ins Gesicht ziehe. Augen zu und durch.

Der Bienwald war der Sehnsuchtswald meines Vaters, muss ich daran denken, und wenn ich den Wald so betrachte, der Vater hatte recht. Auf den ersten Blick eher langweiliges, flaches Ding, wirkt unterschwellig eine ganz besondere Atmosphäre, die ich mir nicht erklären kann. Die Gedanken an meinen Vater, der vor drei Jahren starb, und mit dem ich zusammen oft diese Gegend durchradelte, machen mich ganz trüb, saugen mir alle Kraft aus den Knochen und wenn der Rückensturm nicht wäre, würde ich vieleicht liegenbleiben, mitten im friedlichen Bienwald.

Ich merke, dass es nicht gut ist, durch schon oft bereiste Gegenden zu radeln. Es handelt sich nicht nur um irgendwelche Landschaften. Meine beradelte Linie ist eine gottverdammte Erinnerungsstrecke und so leben so manche Begebenheiten der letzten zig Jahre wieder auf an diesem windumzausten Tag und ich sehne mich danach, möglichst schnell das alles hinter mir zu lassen. Schon kommt der Rhein. Nur noch 160 Kilometer bis zum Binger Loch und ich habe es geschafft, erreiche weniger von Erinnerungen belastete Strecken.

Durch Wörth entlang einer Hauptstraße und Deichweg, Deichweg, Deichweg und durch Speyer im Abendlicht vorbei am Verkehrsmuseum mit der unheimlichen Boeing auf Stelzen, die fast so hoch wie der Dom über der Stadt thront. Und der Dom, ich singe leise, mir losse de Dom in Speyer, denn do jehört er hin, muss lachen über meinen kleinen Witz. Will Wasser fassen. Unweit des Doms ist ein öffentlicher Trinkwasserhahn eingezeichnet in der Open-Cycle Map. Fehlanzeige. das Ding ist Plastikfolie ummantelt, gesperrt, abgestellt. Was los, Speyerer Tourimusleute, wieso dreht ihr an Deutschlands meist befahrener Radroute den Leuten das Wasser ab? Würdet Ihr auch auf der A7 alle Tankstellen dichtmachen?

Ein gnädiges spätes Putzteam lässt mich kurz bevor sie ihre frisch geputzte öffentliche Toilette für die Nacht abschließen, doch noch Wasser zapfen.

Raus aus Speyer vorbei an einem renaturierten, mit Solarzellen bedeckten Müll-Berg, also einer ehemaligen Deponie und Deichweg, Deichweg, Deichweg … der Wind lässt nach und auch die Wucht der Erinnerungsstrecke lässt ein wenig nach. Zum Glück

Begegnungen
Ein italienischer Rentner, der früher ein Restaurant betrieben hat, radelt eine Weile neben mir her und feiert das Radler- und Rentnerleben. Pawlowesk kriege ich Lust auf Pizza, etwas mit Peperoniewurst oder Vierjahreszeiten.

Ein behäbiger Deichinspekteur, der seinen Hund Gassie führt und die Vorzüge des Öffentlichen Dienstes lobpreist gegen die Arbeit, irgendwo in der Industrie, die er zuvor gemacht hatte, die Schrauben werden immer härter angezogen.

Ein Hut? War das ein Hut neben dem Mann mit dem Fahrradanhänger, der irgendwo außerhalb von Germersheim am Radweg sitzt und ruht? Ich radele zurück, tatsächlich, ein Hut, in dem ein paar Münzen liegen und eine Schale Wasser für das Hundchen und der Mann erzählt, er will nach Bourg-en-Bresse. Bukarest, frage ich. Neee, Bourg-en-Bresse, in Frankreich. Ich verstehe. Er fährt nur zwanzig Kilometer am Tag, der Weg ist weit und er muss über die Enz und die Seine dahin und entlang der Rhône und eine Bekannte hätte ihn ja abgeholt, aber irgendwas war, wie auch immer, eine teure Reparatur am Radel, der Reifen des Anhängers und nun kein Geld mehr. Geschichte hin, Geschichte her, wahr oder erfunden, Tatsache ist, dass vor mir ein Mann sitzt, der viel zu wenig Geld hat und schon gar kein regelmäßiges Einkommen, also werfe ich ein paar Münzen in den Hut und erinnerte mich an die Fünfeuroscheine, die doch noch im Geldbeutel waren, einen könnte ich abgeben, durchsuche das Scheinefach, doch da ist nichts und krame weitere Münzen heraus, ist doch egal, der Mann kanns gebrauchen und ich habs hier, das Geld. Außerdem fummele ich einen Müsliriegel aus der Tasche. Im Nachhinein etwas grübelnd, denn der Mensch hatte keine Zähne. Mac heißt der Hund, nicht Julius, wie es auf dem Halsband steht, das sei nur die Marke, und das Hundchen blickt treu und traurig. Im Anhänger befänden sich vierzig Kilo Hundefutter.

Wasser, ich brauche dringend Wasser jenseits von Germersheim. Der Wasserhahn beim Wohnmobilstellplatz in der Festungsstadt funktionierte nur mit Geld. Durstend raus in die Dörfer, Deichweg, Deichweg, Deichweg, Dorf, endlich, Mann mit Müllsäcken vorm Haus und, ja, aber natürlich kriegst Du Wasser. und er geht rein, füllt ab, kommt raus und gestikuliert mit Daumen und Zeigefinger, unten hab ich soviel Jack Daniels reingefüllt, und lacht verschmitzt und erklärt mir den Weg.

Dachgibel eine Restaurants an der französischen Grenze. Restaurant au Cerf steht auf einer vergilbten Tafel, auf einer anderen Fischer und Chez Margot. Über dem Gibel dichtwolkiger Blauhimmel.
Kleiner Abstecher nach Frankreich
Korbballkorb zwischen zwei hohen Mauern aus hellrötlichen Natursteinen. Im Hintergrund Bäume.
Einsamer Übungsplatz
Mit Bauernmalereiblumen in rot-blau-orange-Tönen bemalter, rosa grundierter Fensterladen, in einer blaustichig-weißen Wand. Der Laden ist orange umrahmt.
Fensterladen
Rostiger Seepferddrache aus Metall auf hellblauem Metalltor oder -laden.
Seepferddrache – oder so
Steinernes Kruzifix auf Steinsockel mit einer blaugewandeten Maria in stehender Gebetshaltung unter dem Kreuz. Dahinter ein Gebüsch und darüber ein dramatisch bewölkter Blauhimmel.
Die Leidenden am Wegesrand
Lastwagen-Seitenfront in den Farben Gelb und Blau bemalt. Stilisierte Umrisse einer Comicfigur.
Was fahren kann, fährt
Drei nebeneinanderstehende Spitzgibelhäuser. Das Mittlere mit roten Zierelementen, die andern beiden grau respektive braun. Darüber Blauhimmel.
Wohnen in Wörth
Holzsteg, der in den Fluss ragt. Im Fluss schwimmen Seerosenblätter. Am andern Ufer Bäume, darüber wolkiger Blauhimmel.
Steg in den Rhein rein
Direkt am Fluss: Links und rechts Bäume, die übers Wasser ragen. In der Bildmitte ein abgebrochener kahler Ast, der sich im Wasser spiegelt. Der Himmel ist milchig-blass.
Am Rhein
Eine Phallanx von verschiedenen Bäumen, die sich im Sturmwind vor Blauhimmel nach links im Bild neigen.
Bäume im Sturmwind
Das Reiserad steht an einem Wegweiser der nach Wörth links und nach Speyer rechts zeigt. Im Hintergrund Bäume und Wiese.
Wegweiser zwischen Wörth und Speyer
Gelber Baustellenkran auf einem Floss im Rhein. Dahinter Bäume unter Blauhimmel, im Vordergrund kiesiger Strand.
Baustelle im Fluss
Großer gelber kürbisförmiger Stein, aus dessen Mitte Gras wächst, liegt inmitten von Wildkräutern
Kürbis oder Stein?
Selbstgemaltes Verbotsschild, das Hunden hier das koten verbietet, angeschraubt an Metallgitter vor einem dahinter verschwommen sichtbaren Gehöft
Hundedarmerleichterungsverbotstafel
In der Bildmitte fragil aus wenigen Stangen gebauter Hochsitz mit Hocker zuoberst. Hochsitz steht auf leerem Acker, im Hintergrund Wiese, Wald und darüber Blauhimmel.
Hochsitz

Klaus oder Wolfgang und die Schublade der Weisheit – #UmsLand Tag 3

Die Autobahn hatte ich bei der gestrigen Lagerplatzsuche nicht bedacht. Beständiges Hintergrundrauschen mit Blick über den Rheindamm auf die Sehenswürdigkeit oberhalb Ingelheims, ich meine irgendein Turm, vielleicht Hindenburgturm? Später mal die Suchmaschinen fragen.

Ich hatte nicht bedacht, dass sich ab Ingelheim das Land zwischen Rheinaue und Autobahn, gen Bingen zu, immer mehr verjüngt, der Radweg in den Obstfeldern sich der Straße nähert und einem der Lärm mehr und mehr auf die Pelle rückt. Egal. Die Nacht war okay, der Schlaf löchrig, aber gut. Es regnete sogar ein bisschen, was einem normalerweise, radelnd unterwegs, ein Graus ist. Dieses Mal nicht. Zu groß die Trockenheit, der Durst, das Verlangen nach Veränderung.

Eben jenes Verlangen nach Veränderung, das vielleicht in jedem von uns steckt, hatte mich gestern hierher katapultiert. Über hundert Kilometer auf dem Tacho. Die Oberrheinische Tiefebene per Rad rollt zwar wunderbar, aber sie ist auch auf charmante Art monoton. Faszinierend die Durchradelung dreier großer Städte, von denen Ludwigshafen an Qualität der Radwege, Sicherheit und sogar Schönheit am besten abschneidet. Es ist allerdings auch mehr eine Umradelung der Stadt durch den Altrheinarm Maudach. In schönfeinkleiner lullifulli-renaturierter Wäldchenwelt umschifft man gekonnt den Molloch der großen Chemie und anderer Fabriken. Worms ‚The Worst‘ ist dagegen die Hölle. Industrie, Staub, Dreck, Tonnen von Dieselruß am dicht neben der Bundesstraße geführten Radweg, Holperstrecken ohne Ende, apathisch verkommen, aber, na ja, das hat irgendwie auch etwas. Radelsadomasospielchen mit großen Städten.

Unterwegs rufe ich meinen Freund QQlka an und verabrede mich am Fischtor in Mainz mit ihm. Halb fünf. Nicht ahnend, dass ich noch gut vierzig Kilometer bis dorthin habe. Kopf runter und strampeln. Ich bin, wie letztens erwähnt, etwas zwiespältig, diese von Erinnerungen durchwirkte Strecke, die ich so oft radelte, zu erkunden. Wie Blitze zucken Erinerungen an Erlebnisse der letzten zwanzig, dreißig Jahre, nicht immer schön, wehmütig, ja, aber auch Gutes, natürlich.

Auf dem Radweg kommt mir ein Mann entegen mit monströs schwerem Fahrrad und Anhänger, selbst gebaut mit viel Alu und Schubladen und zack, Erinnerung an den Radler, den wir 1995 in unserer Oppenheimer WG eingeladen hatten. Wie hieß er noch, Klaus, oder Wolfgang? Klaus oder Wolfgang hatte eine Schublade in seinem Anhänger, ein kleines Fach, von außen zugänglich, das er jeden Tag öffnete und eines der Karteikärtchen herausnahm, die sich darin befanden, die Weisheit las, die auf dem Kärtchen geschrieben stand, und es wieder in die Kartei zurücksteckte. Sein Anhänger wog 150 Kilo. Klaus oder Wolfgang war etwas anstrengend, erzählte viel, hielt die Gesprächslonge, an der er einen führte streng und kurz, weshalb ich mich hütete, ihn anzusprechen, ob er Klaus oder Wolfgang heißt und 1995 in einer Oppenheimer WG zu Gast war.

Das Binger Loch des Vergessens scherze ich später am Fischtor mit Freund QQlka, da will ich heute noch hin. Er hatte zwei Einmachgläser selbst gebrühten Tees mitgebracht. Wir schlürften, schadronierten über früher und jetzt und umschifften gekonnt die Klippen des Pandemiethemas, an denen wir, jeder mit seiner Sicht, nicht zerschellen wollten. An einer Mauer neben uns stand geschrieben: Seefahrt ist Not. Im Rheinauf und Rheinab der Transportschiffe, Motorboote und Aquascooter verging die Zeit und hinter uns auf der Promenade flanierte die Stadt, joggte und ganz besonders hervor stach ein Junge auf einem E-Roller, der auf dem Rücken ein Musikdingsi trug, groß wie ein mittelalterlicher Tornister, aus dem laute Musik schallte. Ghettoblaster 2.0 sozusagen.

Gegen Sonnenuntergang dann raus aus der Stadt über den katastrophalen und extrem gefährlichen Radweg an der Rheinallee. Hatte Mainz still die Absicht, mit dieser kilometerlangen, geraden, von Bordsteinen durchwirkten und mit Laternenmasten mitten im Weg gespickten Piste, Worms den Rang der miesesten Stadtdurchquerung auf der Rheinland-Pfalz-Radroute abzunehmen? Erst bei den Kleingärten in Budenheim wurde die Strecke wieder erträglich. In Budenheim versorgten mich die Feuerwehrleute in ihrem Spritzenhaus mit Trinkwasser und ab der Held, in den Sonnenuntergang reitend entlang des Rheindamms.

Am Verkehrsmuseum Speyer die unheimliche Boeing auf Stelzen, die fast so hoch wie der Dom über der Stadt thront, vorne Straße und Zaun, darüber Blauhimmel
Tag 2: Am Verkehrsmuseum Speyer die unheimliche Boeing auf Stelzen, die fast so hoch wie der Dom über der Stadt thront
Schattenwurf des Künstlers samt Fahrrad auf rotem Klinkersteinboden. Im Hintergrund der Unterteil einer Skulptur und noch weiter hinten Menschen auf der Straße.
Tag 2: In Speyer: Künstlerschattenselfie mit Rad
Lange Hauswand, die sich mittig quer durchs Bild zieht. Darauf gemalt sind ganz unterschiedliche Menschen bei unterschiedlichen Tätigkeiten. Darüber Dach, dahinter Bäume und Blauhimmel. Im Vordergrund Wiese und ganz vorn die Straße.
Menschen am Radweg
Hausmauer, durchbrochen von drei mit Backsteinen verschlossenen Fensterlöchern und einer Holztür, die unbenutzt aussieht. Im Vordergrund zugewuchertes Gebüsch.
Du kommst hier nicht rein!
Gelbgestrichene Backsteinwand. Links im Bild Autobahwegweiser nach rechts zeigend. Rechts im Bild Absolutes Halteverbot neben einer Straßenlampenstange, an der ein Fahrrad lehnt. Vorne Straße.
Halten verboten
In der Bildmitte ein mit Wolle kringelig bunt eingestricktes Fahrrad als Kunstobjekt. Auf dem Platz vor einem Holzhaus stehen weitere Kunstobjekte. Dahinter ein ausladender Baum.
Winterfestes Fahrrad
Autobahn-Rheinbrücke zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen von unten betrachtet. Ein Holzste4g im Wasser. Darüber Blauhimmel.
Am Rhein bei Mainz
Radweg mit gutgemeinten Bäumchen bepflanzt, die den Weg schmal machen. Links im Bild Häuserfront, davor Hecken, rechts Autostraße, darüber Blauhimmel und Stromkabel.
Mainzer Radweg
Am Ende einer Mauer aus Natursteinen, die von hinten nach vorn das Bild halbiert, steht eine menschliche Skulptur aus Metall. Die Figur hält sich, wie zum Gruß oder Fernblick, die linke Hand an die Stirn. Rechts im Bild Straße und Häuserfront, darüber Blauhimmel, links Steinboden.
Wer guckt denn da?
Im Gegenlicht sind in der Bildmitte zwei Menschen auf einer Anhhöe zu sehen. Die obere Bildhälfte zeigt den lilablauen Himmel bei untergehender Sonne, die untere Bildhälfte eine Art Deichmauer für die Straße, auf welcher die Menschen stehen, rechts und links davon hüglige Wiese mit Bäumen bewachsen.
Was der in den Sonnenuntergang reitende Held so sieht …