Wenn die letzte Katzenklappe fällt … #Retrospektive

Zwei blaue und zwei grüne Notizbücher aufgefächert wie ein Kartenblatt auf schwarzem Grund

Nachdem die Katze gestorben war, etwa 2018 – es war kalt, ekliges Wetter, dunkle Tage, ständig regnete es, ich hatte kaum Lust das Haus zu verlassen und mein Körper geriet in jene Art Minimalalltagsverwahrlosung, die sich bei älteren Menschen einstellt, die zum Duschen das Haus verlassen müssen, über den Hof durch Pfützen, Schlamm und meist gegen den beißenden Nordostwind – nachdem die Katze gestorben war klaffte nicht nur das übliche Loch, das klafft, wenn jemand gestorben ist. Die Katzenklappe, die vom Scheunenatelier in die Künstlerbude führt war ein hässliches Plastikteil, aber es tat einst seinen Dienst, den es nun nicht mehr tun musste. Nie wieder. Fett und Katzenhaare klebten an den Rändern. Ich baute ich sie aus und schraubte ein Kunstwerk vor das Loch, genauer gesagt Kilometer 522

Auf einem Filmstreifen sind links ein schwarz-weißes Querformat und rechts ein farbiges Hochformat abgebildet. Beide zeigen den selben Baum. Links lehnt ein Fahrrad an der vermutlichen Weide. Rechts fluchtet ein Feldweg durch eine grüne Wiese darauf zu.
Fotos der beiden Reisen nach Andorra bei Kilometer 522.

meines Langzeit-Kunststraßenprojekts Zweibrücken-Andorra.

Das Bild zeigt einen uralten, verstümmelten Baum auf leicht abschüssiger Weide, an dem das vollbepackte Reiserad lehnt. Ein Schwarz-Weiß-Bild. Daneben ist hochkant ein Farbbild montiert, das den Baum, ohne Fahrrad zehn Jahre später zeigt. Ich weiß noch, wie erfreut ich war, den Baum im Jahr 2010 wieder zu sehen. Leider war die Weide im Jahr 2010 belegt und der Zaun geschlossen, so dass ich nicht zum Original-Bildstandort radeln konnte. Mit dem Teleobjektiv holte ich das Motiv heran. Für die Akten.

In den 2010er Jahren hatte ich eine oder mehrere Ausstellungen oder offene Ateliers, in denen die Dublettenserie gezeigt wurde. Neben den reinen Kunststraßenbildern, strenge Straßensichten konsequent in Reiserichtung, hatte ich zur Auflockerung auch Bildpaare besonderer Ansichten ‚beside the Street‘ mit in die Serie genommen. So auch den Weidenbaum, der irgendwo in Burgund unweit von Dijon wächst.

Im letzten Artikel hatte ich leichtfertig erwähnt, mein wichtigstes Liveblog-Projekt sei der Kapschnitt gewesen, die Radreise 2015 zum Nordkap. Warum?, wurde ich gefragt und im Nachdenken über das Warum begründete ich: Weil es mein längst angelegtes Projekt ist, das seine Wurzeln im Jahr 1988 hat. Weil ich etliche Male scheiterte, bevor ich 2015 als gefühlt erster live bloggender Künstler das Nordkap per Fahrrad erreichte.

Das ist natürlich richtig, aber nur ein Teil der Wahrheit. Ich glaube, das Geheimnis meines Kunstschaffens und Schreibens ist, dass ein Projekt immer nur ein Baustein ist im großen Ganzen und dass diese Bausteine alle miteinander verbunden sind. Dass Zeit dabei keine lineare Bedeutung hat und dass Projekte sich auf verschiedenen Zeitebenen zu verschiedenen Aktivtätsphasen überlappen, sich miteinander mischen, einander beeinflussen und auch bedingen. Der Kapschnitt in der Form 2015 wäre nicht möglich gewesen ohne die beiden Zweibrücken-Andorra-Reisen, ebenso wäre Gibrantiago, die Reise nach Gibraltar nie passiert, wenn es nicht mit dem Nordkap einen Gegenpol gegeben hätte. Auch die Idee zu den  modernen, momentan aktiven Liveblog- und Kunststraßen-Projekten der UmsLand-Serie, in denen ich Bundesländer umradele und portraitiere, hätte nie gezündet.

Es ist nie vorbei, außer die Katze stirbt.

Wo nun statt durchgängiger Klappe, die so oft ein fordernd klapperndes „ich will Futter, streichle mich, lass mich auf dem Sofa schnurren“ mit sich brachte, ist das Loch mit einem Bild aus den Jahren 2000 und 2010 vernagelt.

2020 hatte ich die dritte Reise nach Andorra fest geplant. Das Radel stand gesattelt im Atelier. Der Abreisetag wäre ein Mittwoch gewesen, vielleicht. So genau kann ich das nicht mehr sagen. Es war der Tag, an dem Frankreich seine Grenze wegen der Pandemie schloss. Die Welt war in einem trudelnden sowas-hatten-wir-noch-nie-Modus; ich unsicher und auch vorsichtig. Zweibrücken-Andorra III fand nie statt. Zumindest nicht in echt.

In der Not wurde mir bewusst, dass die Dinge nicht unbedingt ausgeführt werden müssen. Es reicht auch, wenn man sie denkt. Und das Gedachte skizziert. Ich glaube vierzig Tage lang schrieb ich mein fiktives Zweibrücken-Andorra hier in diesem Blog und nutzte die langen Stunden am Rechner für gründliche Recherche auf den beiden voran gegangenen Reisen. Studierte die alten Tagebücher, zog Bilanz wie sehr sich die Welt im Laufe von zehn Jahren verändert hatte. Bei der Recherche der genauen Bildstandorte aus dem Jahr 2000 (uMap) stellte ich erstaunt fest, dass manche bereiste Straße gar nicht mehr existiert, bzw. verlegt wurde. Ich nutzte die Google-Streetview und suchte an den Stellen, die ich im Jahr 2000 nur im Reisetagebuch händisch skizziert hatte. Dies-und-das Dorf Kreuzung soundso oder: hinter Städchen XY bei einem Feldweg rechts lauten die Einträge. Der Standort Weidenbaum, der die Katzenklappe kaschiert, liest sich wie folgt:

522 Im Bergauffahren das Streckenfoto vergessen, hier auf einem Ziegelsteinweg kurz vor dem Hochpunkt vor Saint Didier, der mit Beauvoir beschildert ist (hier ein ins Logbuch gemaltes Augensymbol) etwa so, aber nix spektakuläres. 1. Mal bin ich mittagsmüde […].

Am Ende in Andorra angelangt, den gesamten Liveblog erfunden als wie-in-echt-Text war die Pandemie immer noch nicht vorbei und ich ging im Freestyle weiter südwärts auf einer Route, die ich vermutlich tatsächlich eingeschlagen hätte. Den Abschnitt von den Pyrenäen bis in die Ruinenstadt Belchite recherchierte ich aus Wikipedia, zufälligen Artikeln und Streetview. Das Projekt machte sich virtuell selbständig; es hätte können ein Buch von den Pyrenäenkriegen bis zum Spanischen Bürgerkrieg werden. Kann es noch immer.

In Belchite angekommen, wendete ich mich nordwärts und „erledigte“ gleich noch ein weiteres Projekt, das ich eigentlich als Echtzeit-Liveblogreise vorgesehen hatte. Die Velodyssée ist der französische Abschnitt des Atlantik-Radwegs. Dafür hatte ich das Blog radlantix.de vorbereitet. Ich schrieb und schrieb und schrieb und gelangte schließlich von der Biskaya bis in die Bretagne, wo sich das Buch in den Mysterien und Mythen einer von Menhiren und Wackelsteinen durchzogenen Gegend verliert. Es ist eine Baustelle, ähnlich wie der Kapschnitt lange Jahre eine Baustelle war. Etliche Artikel fehlen. Und zu guter Letzt besteht immer noch die Hoffnung, eines Tages in echt die 1300 Kilometer lange Velodyssée zu radeln.

Nicht fertig. Nichts ist jemals fertig in diesem Künstlerleben, denke ich nun. Erst wenn die letzte Katzenklappe … lassen wir das.

Erkenntnisse:

Die Skizzierung der beiden Reisen in einer uMap war der Beginn und Auslöser, weitere uMaps für Liveblogprojekte in Kartenform zu skizzieren:
-> Französischer uMap-Server
-> Foss uMap-Server
Dort mittels Schlagwort nach Karten filtern, z. B. oder „Zweibrücken“ oder „Andorra“ (Frankreichserver) oder „UmsLand“ (beide Server).

Die einzelnen Elemente der Retro-Ausstellung, die ich unter dem Schlagwort Retrospektive in diesem Blog skizziere sind nie einzeln denkbar, stehen nicht solo als fertiges Etwas. Zweibrücken-Andorra gehört sowohl zum Kunststraßen-Blog, als auch zum Liveblog-Block und auch zum Pandemie-Block. Das Projekt enthält Spuren von iDogma und Appspressionismus, die ich in einem anderen Artikel skizzieren werde.

Wegen der Verflechtungen aller Ausstellungselemente, hatte ich mir schon gleich zu Beginn der Planungen im Frühjahr 2025 überlegt, dass es ein verbindendes Element geben sollte. Mir schwebte eine Art Akte Irgendlink vor. Mit im Raum schwebenden Aktenordnern und Holzblöcken, auf denen die Arten in Ringösen herumliegen zum Durchblättern. Die Idee gefällt mir zwar, aber Holzblöcke sind schwer zu transportieren und die Bandscheibe ächtzt. Eine neuere Denkweise wäre ein „Kleiner Raritätenladen“ als bindendes Element. Ein bisschen chaotisch, verwunschen mit viel Retro, in dem ich die vielen Objekte und Collagen, die im Atelier herumliegen drappiere und von wo aus die seriellen Arbeiten, allen voran die Reifen- und Kettenstücke zu den klar abgetrennten Einzelbereichen leiten.

Seit ausklingen der Pandemie stellte ich mir jedes mal wenn ich an Kilometer 516 vorbei komme vor, dass ich dort ja einfach hinradeln könnte. Nur eine kurze Tour von fünf Tagen. Es bereitet mir ebenso wehmut und Traurigkeit wie der Sandstein im Garten, unterm dem die Katze begraben liegt. Das dritte Jahrzehnt ist nun schon halb vorbei und ich schaue in die Zukunft und ich verspreche mir, dass ich zur Jährung 2030 erneut aufbrechen werde nach Andorra.

Wenn es diese Welt dann noch gibt.

Selbstverzettelung zwischen Kunst, künstlicher Intelligenz und konzertiertem Molloch

Poster mit Bildern der Fahrradreise ans Nordkap 2015

Der gestrige Tag war ein Paradebeispiel künstlerischer Selbstverzettelung. Manchmal frage ich mich, wie weit ich es gebracht hätte, wenn ich von Anbeginn an strukturiert, zielgerichtet und effizient gearbeitet hätte. Stattdessen: hier ein bisschen, dort ein bisschen, ah und das noch, wo war das noch gleich, durchsuche ich die Festplatte, den Fundus, je nachdem, ob das Gesuchte physisch vorhanden ist, oder nur virtuell. Jaja, richtig, ich habe die Ausstellung schon recht gut im Kopf skizziert. Ich weiß, was mit muss an die Galeriewände, was ich noch ausbelichten muss, woran ich noch arbeiten muss. Bloß, wo zur Hölle ist die Sternkarte der Kau? Wo ist meine QR-Installation? Habe ich das Objekt „Dies ist keine Tasse“ getauscht, verschenkt, verloren oder wo vergessen und so weiter und so fort.

Frühmorgens gebe ich zum Spaß ein Skript in Auftrag bei einer künstlichen Intelligenz. Die Idee ein zwei Artikel zuvor, die Festplatte nach Bildern durchsuchen zu lassen und daraus eine Slideshow zu generieren, die ähnlich wie das viel beschriebene „Am Ende deines Lebens zieht dies in Sekundenschnelle noch einmal an dir vorbei“, funktioniert.

Am Ende eines Künstlerlebens zieht die gesamte Festplatte und das Analogarchiv noch einmal an den Augen des Ausstellenden vorbei und das würde doch gar trefflich passen als Element für eine Retroausstellung, finde ich.

Codeprogrammbrowser zeigt verschiedene Zeilen Code mit Syntaxhighlighting rot und grün einzelner Elemente.
Künstlich generiertes Diaschau-Film-Skript

Die KI liefert ein einfaches Skript, das auf Anhieb funktioniert. Ich bin erstaunt. Das Skript ist so ähnlich wie ich dachte, dass es aussehen muss. Mit dem Befehl find erzeugt es eine Liste aller Bilder, die dann von dem Befehl ffmpeg abgearbeitet wird. Der Rechner schuftet in einem Testverzeichnis mit 600 Bildern und liefert ein zwanzig sekündiges Video, schon tauglich. Aber die Intelligenzmaschine stellt mir Fragen, ob ich noch dies und das möchte, zum Beispiel Musik hinterlegen, die Bildübergänge aufhübschen, die Standdauer der Einzelbilder verändern usw. und ich falle prompt darauf rein, sage ja und die Maschine liefert nicht funktionalen Mist. Das hätte ich alles auch selbst gekonnt. Vom erstmaligen funktionierenden Simpelskript bis hin zum nicht funktionierenden komplexen Superschönding. Bloß hätte es länger gedauert und das Simpelskript hätte wahrscheinlich nicht auf Anhieb funktioniert, das komplexe Skript aber letztlich schon. Ich überlege, das Komplexskript zu überarbeiten, verliere mich aber in anderen PC-Dingen, weil, ursprünglich wollte ich ja ganz etwas anderes, bloß was?

Später finde ich mich darin wieder, meine Passwortedatei zu überarbeiten, Überflüssiges zu löschen, Accounts zu schließen, die Passwortdatei auf zwei Telefone und zwei PCs zu kopieren und zwar so, dass auf den Wegen dahin nichts schiefgehen kann, niemand sie entschlüsseln, sie nicht beschädigt, pi pa po. Ein uraltes Microsoftkonto entdeckt. Das war der Hammer. Es ist so gut wie unlöschbar, stelle ich fest und überhaupt, dämmert mir im Laufe des Vormittags, dass die digitalen Verstrickungen, die du während des digitalen Existierens in Form von Accounts eingehst, ein Fangnetz sind, aus dem du dich je länger du wartest, nicht mehr befreien kannst. Microsoft schießt den Vogel ab, lässt mich nicht mich löschen und nach langem hin und her setze ich ein ewig langes neues Passwort, belasse den Account, der nur Email und Geburtsdatum enthält, wie er ist und speichere ihn in einem Verzeichnis namens unlöschbar meines Passwortmanagers.

Darüber grollend, wie gemein die Großkonzerne zu uns Userinnen und Usern sind, die wir sie doch zu dem gemacht haben, was sie sind, Großkonzerne und wir sind nur noch virtuelles Klickvieh, das so gut wie möglich dumm gehalten und gemolken wird, vergeht mein Tag.

Abends in der physischen Welt finde ich die Sternkarte der Kau, lege sie aufs Gästebett in der Kammer des Schreckens und auch weitere Elemente, die in die große Retroausstellung sollen, nehme ich aus den Kisten mit, die ich im Atelier durchsuche. Ich lege auf dem Gästebett einen Stapel für iDogma und Appspressionismus an – das erkläre ich in einem anderen Blogartikel – zahlreiche kleine Objekte kommen am Fußende zu liegen. Jaja und im Kopf sehe ich langsam, wie die Ausstellung aussehen wird. Ein rhizomischer Kuriositätenladen schwebt mir vor, in dem sich kleine Objekte, Collagen, komisches schwer erklärbares aber sehr dekoratives Zeug sammelt, das durch Spuren serieller Arbeiten in die einzelnen Teilbereiche der Ausstellung geleitet.

Spät durchsuche ich noch die Box mit den tragenden, ganze Reisen darstellenden Fotocollagen und nehme von jedem relevanten Thema ein Poster heraus. Sie werden einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden, weil sie die übrig gebliebenen Gerippe längst vergangener Livereisen in Blogform sind.

Heute, Sonntag, ist eigentlich Ruhetag angesagt. Das versprach ich mir gestern Abend nach dem Blutdruckmessen, fragt nicht, aber nun hänge ich schon wieder, dies schreibend, an der Kiste. Es ist nicht leicht, loszulassen als Künstler, Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach kündigen.

Das Titelbild ist eine Collage meines wichtigsten Liveblogprojekts „Ans Kap“ aus dem Jahr 2015.

Motivationsmotive und die verflixte Hydraischkeit allen Seins #Retrospektive

Atomkraftwerk Cruas Meysse als grünlich verfärbtes Bild. Im Vordergrund ein Grabstein, dahinter der Kühlturm eines Kernkraftwerks und die Oberleitung einer Bahnlinie. Dunstwolke steigt grün-gelblich in den Nachthimmel.

Off-Topic oder auch nicht, wer kann das in einem Blog schon so genau sagen. Das Problem liegt im Künstlerberuf, der sphärenübergreifend gestrickt ist, so vermute ich. Das Private ist professionell. Das Professionelle privat. Alles mischt sich. Du gehst nicht abends nach getaner Arbeit heim und widmest dich  deiner Hobbies. Profession und Alltag sind in einer untrennbaren Masse vermengt. Es gibt keinen Außenposten, von dem aus ich mich selbst definieren könnte. Kein Patron, kein Arbeitgebender, keine Institution, die mich feedbacken könnte. Geradezu im Blindflug. Das ist schwer auszuhalten.

Die Nacht war löchrig. Ich sinnierte verdrossen über meinen Rückstand beim Ausstellungsbauen. Immerhin sind noch fast drei Monate Zeit, die Retrospektive vorzubereiten … mal zählen, wieviele Fresszettel mittlerweile auf dem Tisch liegen … 26 Stück. Jeder ist ein Abschnitt der Retro-Ausstellung und jeder Fresszettel sollte auch ein Blogbeitrag werden. Über allem gaukeln noch weitere, ungeschriebene Fresszettel, bzw. Ausstellungselemente: Sollte ich den Gedanken umsetzen, dass mein Künstlerleben in Form eines Films in Sekundenschnelle an mir vorüberzieht? Ein Raspberrypi mit Beamer und eine Videokabine wären dann in der Ausstellung zu sehen und ich müsste entweder ein Skript schreiben, das sich alle Fotos von der Festplatte holt und sie zu einem Zufallsfilm zusammenfügt (hat jemand so etwas schon mal geschrieben?) … wieviele Fotos sind das … eine halbe Million … wie lange wäre solch ein Film, wie lange die Standzeit der Einzelbilder?

Und weiters: Sollte ich dieses Blog zum Schlagwort einlesen und in eine Audiodatei verwandeln? Hörbuch einer finalen Ausstellung. Verflixte Hydraischkeit allen Seins. Jede abgearbeitete Idee gebiert zwei neue.

Zurück zur letzten Nacht. Frustriert und müde zugleich, überlegte ich aufzustehen. Mein innerer Wecker vermutete, es sei vielleicht fünf oder sechs Uhr. Dafür sprach die Helligkeit, die diffus durch den Nebel sickerte. Dagegen sprach die Stille. Kein Verkehrslärm. Keine Frühmorgenmenschen unterwegs und es ist doch erst Freitag. Drei Uhr nachts. Die Frustration, die mich grübelnd wach hielt, rührte daraus, dass ich mein Ausstellungselement „Motivationsmotive“ nicht in Blogform gießen, es erklären kann. Es mangelt an Bildmaterial. Es mangelt an Idee, es zu formulieren. Also denkt es nur im Kopf und denkt und denkt und denkt. Und nichts, aber auch gar nichts, dringt nach draußen. Mit jedem Denk wälze ich hin und her, nutze das Bett ab, den Körper. Ich zerfließe und wenn ich es Flann O’Brienisch betrachte, bin ich halb Bett und halb Mensch. In ‚Der dritte Polizist‘ skizziert der irische Schriftsteller eine Molekültheorie, nach der Menschen, die Gegenstände über Gebühr nutzen und mit ihnen täglich in Berührung kommen, immer mehr zu dem Gegenstand werden und der Gegenstand wird immer mehr menschlich. Im Fall geht es um Menschen und Fahrräder. Aber ich finde, die Molekültheorie lässt sich auch auf Betten anwenden.

Leuchttischbild mit acht mal acht Dias in Schachbrettraster. Verschiedene Landschaftsszenen und künstlerisch bearbeitete Bilder.
Lichtinstallation mit 64 Kleinbilddias.

Ich überlege, die Leuchttisch-Diainstallation mit in die Ausstellung zu nehmen. Sie ist mit uralten Dias aus den 1990er Jahren beklebt und gibt ein tolles Retrobild. Leider fehlen darauf einige wichtige Motivationsmotive (z.B. das Titelbild dieses Beitrags). Tagsüber versuchte ich ein brauchbares Foto der Leuchtinstallation zu machen, kramte die uralte Nikon hervor. Ein RAW-Foto, das ich später entwickeln würde, scheiterte an der Kamera, die ohnehin schon abgelebt ist. Und nur 12 Megapixel hat. Das Bild war unscharf, ich mich auf die Schnelle in den Prozess des Raw-Entwickelns einzuarbeiten versuchte, dabei scheiterte … natüüürlich!

Dass ich aber auch immer die Perfektion herausfordern muss. Warum nicht das nehmen, was ist, es erklären und Ruhe. Mit dem iPhone, das mir die Liebste kürzlich schenkte, gab es ein besseres Bild als das Nikon. So vermutete ich.

Nun mal Tacheles und sags schnell, sags in einem Satz: Motivationsmotive sind die frühen Fotos, die ich analog mit Kleinbildfilm fotografierte und die selten absichtlich, oft aus Versehen zu Bildern gerieten, die mir sagten, mach weiter und somit ranke ich seit jeher an den Motivationsmotiven.

Der Leuchttisch enthält Bilder von etwa 1995 bis 2001. Viele Bilder aus der ersten Zweibrücken-Andorra-Reise im Jahr 2000 und aus der dritten Kunststraße, Mainz-Weikersheim-Fürth 1996. Es sind auch erste Dia-Sandwich-Experimente auf der Bildtafel. Besonders motivierend war C8, ein Dia-Schnappschuss am Main 1996, der im Gegenlicht das Zelt eines Zirkus abbildet.

Den gestrigen Tag verbrachte ich damit wahlweise die alte Nikon zu beherrschen, vom Neukauf einer aktuellen DSLR zu träumen, mich in Darktable zur Raw-Bildbearbeitung einzufuchsen und mit der Suche nach diesem verdammten zweiten Leuchttisch, denn es sind nicht alle wichtigen Motivationsmotive auf der Bildtafel.

Nun da ich dies schreibe kommen mir folgende Gedanken: Es sollten mindestens drei Leuchttisch-Collagen in die Ausstellung kommen, sprich, ich muss noch zwei weitere bauen. Und: Ist es nicht merkwürdig, dass die Tafeln aus genau 8×8 Bildern bestehen, genau wie beim Schach? Wenn ich ein imaginäres Künstler- Krimi- oder Mystery-Buch schreiben würde, käme darin ein Künstler vor, der in einer Schachbrett-Bildcollage einen Code hinterlässt, den man entschlüsseln kann, wenn man auf dem „Spielfeld“ eine bestimmte, berühmte Schachpartie nachspielt. Springer auf E6, Schach usw.

Wirres Zeug? Willkommen in meinem Hirn.

(Überlege noch, ob der Artikel öffentlich soll? Obschon er ja das Kriterium der Skizze für das Ausstellungselement „Motivationsmotive“ erfüllt. Finde ich.)

Das Beitragsbild ist für mich das motivierendste aller Motivationsmotive. Ein Bild, das sagt, mach weiter. Frisch mit einem Fotoapparat ausgestattet machte ich etwa 1991/1992 eine nächtliche Langzeitaufnahme auf Dia-Film und staunte nicht schlecht, als ich das farblich unerwartete Ergebnis im Diakasten hatte.

Tausend Fragen zum Thema Kaugummie #Retrospektive

29 Nordseeradweg Reifenstücke - Reliquien eines Europenners 2012-2014

Wie wir nach getaner Arbeit am Fenster im Obergeschoss stehen, uns hinauslehnen in den Lärm und den Dieselrußgestank der Straße, die Lammstraße heißt. Wo zwei Hupende sich bekriegen am Nadelöhr vor der Ampel und alles beim Alten ist in der kleinen feinen Stadt; diese Szene Ende 2013 ist unbezahlbar. Einen halben Tag lang hatten wir in unserer geräumigen Innenstadtgalerie Bilder gehängt und Skulpturen gerückt, damit alles schön fein ist zur Vernissage tags darauf.

Im Stadtgewusel und der nachlassenden Anspannung der Ausstellungskuratiererei geht mein Blick wie beiläufig nach unten auf den Gehweg. Ich nehme plötzlich etwas wahr, das ich schon immer vor Augen hatte und das mir auch schon öfter Kopfzerbrechen bereitet hatte. Etwas, das es bisher aber nie geschafft hatte, die Beiläufigkeitsgrenze betrachtenswerter Phänomene zu durchbrechen.

Kaugummies auf Gehwegen, plattgetreten, getrocknet, punktuelle Zierade im Straßenbild – wie kommen sie in derart signifikanter Menge dahin?


Der heutige Morgen ist nicht erquicklich. Ich hatte die Nachrichten geöffnet, verdrießliche Schlagzeilen gelesen von der großen bürgerlichen Demo in Gießen, die als linksextrem geframed wurde und wohl von massiver Polizeigewalt gemetzelt wurde. Ich dachte, was wenn es die letzte große Demo vor den Repressalien des aufkommenden Autoritarismus gewesen ist? Und ging weiter zur Schlagzeile wie schlecht es um die Beziehungen zum Nachbarland Polen steht, und dachte, was wenn wir in der Entzweiung – mit wem auch immer – auf eine schreckliche Zukunft zusteuern? Entzweiung als zersetzendes Element. Nachrichten zu.

In drei Monaten eröffnet meine große Retrospektive in der Galerie B. und ich werde langsam unruhig, dass ich nur Mist abliefere. In den letzten Tagen hatte ich mein Bild von der Ausstellung, das bisher nur im eigenen Kopf existierte auf Fresszettel skizziert. Für jedes Element in meiner gut dreißigjährigen Freischaffender-Künstlerzeit schrieb ich ein paar Schlagworte auf die Zettel. Die Kunststraßen müssen rein, die Streetnames, die Numbers und ach und je, das wird mir alles zu viel und generell muss ich wohl Abbitte leisten gegen meine Pedanterie, die mich dazu verleitet hatte, wahllos die Welt in Serien zu kategorisieren und Sammlungen selbst unansehnlich zu scheinender Motive anzulegen. Was sich nun möglicherweise als Vorteil herausstellt.

Bloß wie umgehen mit der Überfülle an Material? Scherzhaft sagte ich mir: Am Ende einer Künstlerkarriere spult sich dein ganzes Künstlerdasein in einer gigantischen Bilderflut in Form einer Retrospektive vor deinen Augen ab. Dann meldest du dich beim Finanzamt ab und begibt dich in den Ruhestand.


Du kommst aus dem Blog und du gehst auch wieder zurück ins Blog. Jaja, viele meiner Kunstwerke sind Blogs. Unsichtbares. Geschriebenes. Ephemeres und die Kunstwerke, die es manchmal bis in eine Ausstellung schaffen und physisch in „echt“ an den Wänden hängen, sind doch nur die wenigen Spitzen, die aus einem unergründlichen Urmeer der feinen Künste als kleine Inseln herausragen. Der Vulkanismus der feinen Künste. Die Plattentektonik der Literatur. Phlegäische Felder des Kreativismus. Was eignet sich besser als ein Blog, um den Moment festzuhalten und ihn in Form von Möglichkeit, einfach weiterzulesen oder wegzuklicken zu ephemisieren. Alles ist. Alles war. Alles wird gewesen sein und alles wird bis zum vollständigen Serverstillstand für die kurze Zeit eines Immers bis in alle Ewigkeit sein.


Ich komme aus dem Blog, also wird die Retrospektive auch ein Blog werden. Ein aus dem Moment geschriebenes konzeptuelles Etwas, das nicht den Anspruch hat, verstanden zu werden, denn es geht ja nicht um die da draußen, sondern um mich, den Künstler, den Schreiber hier drinnen. Die Sache muss raus und erst dann geht es auch um die da draußen.  Wenn die Bilder im Innern äußerlich nicht realisierbar sind weil mir die Mittel fehlen oder ich zu faul bin, es anzugehen, dann muss ich sie so gut wie möglich skizzieren. Also Blog. Also bin.

Hier wäre ein guter Platz, die Geschichte der Künstlergruppe Prisma zu erzählen. Zum Glück existiert die Webseite (Stand 12/2025) noch. https://prismakunst.de


Sternkarte der Kau by Jürgen Rinck
Sternkarte der Kau by Jürgen Rinck

Die Sternkarte der Kau war mein Beitrag zur Ausstellung Code 5 der Künstlergruppe Prisma, der ich von ihrer Gründung 2012 bis Ende 2014 angehört hatte. Ein Zusammenkunst von etwa fünf bis zehn Südwestpfälzer Künstlerinnen und Künstlern.

Die Rheinpfalz schreibt über den irgendlinkschen Part der Gemeinschaftsausstellung Code 5:

Normalerweise finden sich in den Prisma-Räumen Fotografien von den Kunstreisen des Zweibrücker Künstlers. Doch dieses Mal ist es anders. Denn mit ironischem Augenzwinkern macht er nicht nur seine feinsinnigen Beobachtungen der Welt zu Kunstwerken. Etwa, wenn er den Reifen seines Fahrrades zerschneidet, der den Weg rund um die Nordsee hinter sich gebracht hat. Es entstanden quadratische Gummistücke, die jeweils mit einer Schraube auf dem Untergrund befestigt werden. „Reliquien eines Europenners“ nennt er das aus 29 Einzelbildern bestehende Werk. Nicht minder verstörend die „Sternkarte der Kau“ vor dem Eingang der Galerie. Rinck fotografierte das mit Kaugummiresten bedeckte Pflaster aus dem Obergeschoss und entwickelte daraus eine imaginäre Sternenkarte. Mit verblüffendem Ergebnis.

Link zum Artikel über Code 5 in der Rheinpfalz vom 12. April 2014


Erst heute, gut ein Jahrzehnt später, wird mir die Tragweite meines Blicks durchs Fenter runter auf den gepflasterten Gehwegboden der Zweibrücker Lammstraße vollends bewusst. Seine Bedeutung für die Nimmerendlichkeit menschlichen Erkennens und Suchens. Ein Rattenschwanz an Fragen tut sich plötzlich vor mir auf. Neben der ursprünglichen Frage wie kommen die Kaugummies, oft schon seit Jahren festgetreten, in derart signifikanter Menge dahin? gaukelt plötzlich ein Universum weiterer Fragen:

Es kann unmöglich ein einzelner Mensch sein, der Kaugummis kaut, sie irgendwo ausspuckt und weitergeht, oder?
Wie fühlen sich diejenigen, die versehentlich in ein frisch ausgespucktes Kaugummie treten?
Gibt es Barfußläufer?
Wer kauft Kaugummies?
Wieviele verschiedenen Kaugummieausspucker gibt es in der Stadt? Im Land? Auf der ganzen Welt?
Wer produziert das Zeug? Warum? Was kost‘? Wer kauft, wer kauft, wer kauft verdammt?
Wieviele der ausgespuckten Kaugummies sind geklaut, wieviele wurden verschenkt?
Schlucken manche Kaugummies und wenn ja, bleiben sie im Darm kleben?
Kann man Gentests machen und herausfinden, wer die Spucker, die Spuckerinnen sind?
Gibt es Orte in der Stadt, an denen keine Kaugummies ausgespuckt wurden?
Werden die Kaugummies manchmal entfernt?
Wieviel wiegen alle in den letzten zehn Jahren ausgespuckten Kaugummies der, ja, sagen wir einmal nur der Lammstraße?
Könnte man einen Zeitrafferfilm der Spuckakte machen und den Akt des Kaugummie auf Straße Spuckens plakativ visualisieren?

Oder ist es doch nur das, was es schon vor Anbeginn der Zeit war: Eine geheime Sternkarte einer gestrandeten Spezies der Kau, die auf dem Pflaster der Stadt ihren Heimweg mittels unauffälliger Kaugummiespuckereien kartografiert hatte? -> Sternkarte der Kau

Hast Du weitere Fragen zum Thema Kaugummie für mich? Gerade kommt mir die Idee, eine Liste zu schreiben und in die Ausstellung zu integrieren. Dann bist Du mit dabei :-)


In Situ und aus dem Nähkästchen geplaudert: Die Sternkarte der Kau wird in der Retrospektive gezeigt werden. Die Reifenstücke von „UmsMeer“ (Titelbild) und „AnsKap“ (die erst 2015 entstanden) dienen als grafisches Element, das sich vom „Kleinen Raritätenladen“ zu verschiedenen anderen Stellen der Ausstellung verbindet. Der kleine Raritätenshop wird ein Teil der Ausstellung, in der sich Skurriles und Objekte zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Doch davon in einem anderen Blogartikel.

Hundert Jahre Irgendlink, Weltmeister des Wachliegens

Auf dem kleinen Wohnzimmertischchen liegt meine Retrospektive neben einer Orange, Nusschalen, Nussknacker, vielen Krümeln, ich glaube, es ist auch noch ein bisschen Mehl vom Brotbacken dabei. Hausstaub, ein ganzer Kosmos an Materie liegt da auf meinem Wohnzimmertischchen neben der Orange und der Retrospektive.

Hundert Jahre Irgendlink nenne ich meine Ausstellung, die sich nächstes Jahr mit 30 Jahren Kunst schaffen, Schreiben, Bloggen, kreativ sein beschäftigt.

Ich habe die Ausstellung auf Fresszettel gekritzelt, die ich aus einem alten DIN A4 Heft geschnitten hatte. Ein sicher dreißig Jahre altes unbeschriebenes Heft mit Löschblatt und Cover, einfach mit der Schere in Notizzettel. Cooles handgekritzeltes Retro. Ursprünglich sollte die Ausstellung Akte Irgendlink heißen und ganz ursprünglich sollte die Ausstellung nie stattfinden, aber der Galerist B. hatte mich beschwatzt und gesagt, du wirst alt, Irgendlink und anlässlich deines runden Geburtstags sollten wir was machen und ich dachte, achne, noch so ein Ding im physischen Raum, das nur Mühe macht und nur der eigenen Bauchpinselei dient und nichts bringt; bei der letzten Ausstellung hatte ich immerhin 40 Euro Umsatz für die Galerie generiert und ich frage mich, wieso der Galerist das macht? Ich meine, hey, er bezeichnet sich selbst gerne als The Capitalist und dann gibt er sich mit unbekannten Konzeptkunsttypen wie mir ab. Er muss im Kern seines harten Kapitalistenpanzers ja doch ein gutes, weiches Herz haben.

Oder führt was im Schilde. Oder ist gar kein Kapitalist. Oder hofft, dass ich etwas wert werde, wenn ich tot bin, was weiß denn ich.

Kürzlich hatte ich einen halben Tag lang eine Edition beim Galeristen signiert, gefühlt tausend Blätter voller Kunst, die in limitierte Mappen kommen und als ich meinen Anteil, fünf Mappen auf den Gepäckträger des Radels schnallte und wund geschriebenen Fingers nach Hause radelte, wurde mir erst auf der engen Landstraße unweit des einsamen Gehöfts bewusst, wie lukrativ ein nicht verschuldeter Fahrradunfall sein könnte, wenn dabei die Ware zerstört wird. Ich hatte Kunst im Verkaufswert von 15.000 Euro auf dem Gepäckträger, doch es fühlte sich an wie ein Stapel Papier und nun liegen meinen fünf Exemplare der Edition bei mir in der Schreibtischschublade und warten darauf … äh ja, auf nichts eigentlich. Und ich warte auch nicht auf irgendwas, sondern lebe mein Leben in den Tag.

Letzte Nacht wachte ich um halb zwei auf und wälzte mich bis fast fünf Uhr hin und her, wälzte Unannehmlichkeiten, die mich zudem eigentlich nichts angehen oder wenig; ein Telefonat mit dem Finanzamt für jemanden, was mir Puls verursacht und mich verunsichert, mich klein und hilflos fühlen macht, so wälzte ich und wälzte und es kristallisierte sich heraus, dass es mein ureigenes, in mir verankertes Problem mit Autorität ist, was mich wach hält: Ämter und schwarze Moloche von Organisationen und herzlose Chatbots und alles, was wischiwaschi menschlos ist, bringt meinen Blutdruck zum steigen, hält mich wach, macht mich wütend, macht mich mich ausgeliefert fühlen.

Ich wünschte, ich hätte mich nie auf die Menschen eingelassen. Eine Szene von ganz weit früher kommt mir in den Sinn: Ich auf dem Rücksitz eines Autos mit nur zwei Türen und mein Vater versucht, mich dazu zu bringen, auszusteigen und in den Kindergarten zu gehen, der erste Tag. Abwechselnd verkrieche mich auf der einen oder anderen Seite des Autos und mein Vater hechtet außenrum, um mich, ohne Hand anzulegen aus dem Auto zu holen, mal an der Fahrseitentür, mal an der anderen und in meiner Erinnerung gelingt es mir, mich zu widersetzen an diesem Tag.

Später kam ich doch noch in einen Kindergarten. Die Geschichte hat womöglich auch anders stattgefunden. Es ist nur ein Erinnerungsfetzen, auf dem ich mein heutiges Postulat baue, dass ich schon von ganz früh an mich nicht mit anderen Menschen einlassen oder mich in deren Institutionen zwängen lassen wollte.

Ich schlief gegen fünf Uhr ein. Zwischendrin habe ich sicher auch geschlafen, denn man denkt immer nur, oder nein, ich tue das, denken, dass ich immer wach bin und am Ende der Nacht gibt es dann doch Lücken im Grübeln, in denen sich die Ungewissheit von Träumen sammeln konnte.

Morgens postulierte ich, dass ich der Weltmeister im Wachliegen bin und diagnostizierte, dass ich zu viele Dinge, die eigentlich im Hintergrund unter der normalen Tagdenke laufen sollten ganz weit nach vorne hole, die mich sodann blockieren.

Ein paar Ideen zur Retrospektivausstellung gingen mir in dieser Nacht ins Netz. Ich kritzelte sie auf Fresszettel. Der Fresszettelstapel ist meine Maximalforderung. Er skizziert, wie ich die Ausstellung gerne aussehen lassen würde. Nun geht es daran, abzuspecken, zu den Akten zu legen und nur ein paar besonders wichtige Aspekte aus tausend Jahren irgendlinkscher Konzeptkunst zu zeigen … und eigentlich bin ich ja Blogger und Schreiber und die Kunstwerke entstehen nebenbei. Ich hoffe, der Galerist versteht das auch.