Bilder für die Ewigkeit – Strecke der Kunststraße ins MOM Archiv Hallstatt

Die Reise ins Archiv des Memory Of Mankind Projekts in Hallstatt kriegt ein Gesicht. Wie gehabt, setze ich das Kunststraßenkonzept ein, das ich seit 1994 auf fast allen Radelreisen anwende, um dem live gebloggten virtuellen Kunstprojekt eine Struktur zu geben. Alle zehn Kilometer schieße ich ein Foto der bereisten Strecke, berichte über den Reiseverlauf, kreiere während der Reise die Kunstwerke, die, getreu dem iDogma, vom Smartphone direkt zum „Endverbraucher“ kommen. Ein Einblick in die Arbeitsweise des Kunststraßenbaus findet Ihr auf der Portfolioseite für die letztjährige Kunststraße „UmsMeer„, bei der ich vier Monate unterwegs war. Die Geschichte des Kunststraßenbaus von den analogen Anfängen bis zur mobil-virtuellen Gegenwart wird auf der Kunststraßenseite erzählt.

Noch ist das kommende Projekt mit dem Arbeitstitel „Bilder für die Ewigkeit“ im Planungsstadium. Der Zeitrahmen und die unten abgebildete Strecke sind noch nicht zu hundert Prozent „festgeklopft“ (im Grunde arbeiten wir Konzeptkünstler ähnlich wie Bildhauer, nähern uns in verschlungenen Denkschleifen dem Endprodukt).

Im Fall werden ca. hundertzwanzig Keramikfließen erstellt, die im Salzstock in Hallstatt über tausende Jahre sicher lagern. Die einzigen Duplikate gehen in einer Ausstellung auf Wanderschaft und können käuflich erworben werden. Martin Kunze vom MOM unterstützt das Projekt mit seiner Keramikwerkstatt.

Eigentlich ist das Memory Of Mankind Archiv nur sechshundertfünfzig Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Die geplante Strecke versucht, den Flüssen zu folgen – ein Stück die Saar hinauf, bei Saareunion am Rhein-Marne Kanal entlang in die Europametropole Straßbourg. Hinauf zur Brigachquelle im Schwarzwald, runter zur Donau – man wird es aus dem Erdkundeunterricht noch kennen: Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg – In Donaueschingen durchs Lechtal – irgendwie rüber nach München. Salzburg, Salzachradweg, und dann am Tennengebirge entlang nach Hallstatt.

Da es sich bei Memory Of Mankind um ein für die Archäologen der Zukunft höchst interessantes Archiv handeln dürfte, möchte ich der avangardistisch künstlerischen Bilder- und Textserie auch einen wissenschaftlich wertvollen Touch geben, indem ich die Kulturwege (z.B. die französischen Kanäle) und Verkehrsverbindungen unserer Zeit fokussiere.


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Bilder für die Ewigkeit

Hundertzwanzig Bilder für die Ewigkeit, archiviert im Weltkulturerbe in Hallstatt, in gewagter Livereise kreiert und direkt aus dem Smartphone in ein Hochsicherheitsarchiv übermittelt. Eine Idee, die wahr gemacht werden kann, muss unbedingt umgesetzt werden. Schon am zwanzigsten Juli soll es losgehen. Ich habe mich mit dem faszinierenden Archivprojekt Memory of Mankind (MOM) zusammengetan für eine konzertierte Livereise-Tour. Im diesjährigen Sommerurlaub wird wieder live gebloggt ala Nordseeumrundung und Jakobsweg 2.0. Ich will von Zweibrücken ins Weltkulturerbe Hallstatt in Österreich radeln, alle zehn Kilometer ein Streckenfoto schießen und unterwegs wieder ein live geschriebenes Buch verfassen. Unter dem Spannungsbogen Ewigkeit trifft Gegenwart wird mit Witz und Spritz am Mythos Vergänglichkeit gekratzt. Alle sind herzlich eingeladen die Reise in diesem Blog zu verfolgen. MOM brennt hundertzwanzig unikate Kunstwerke, die allesamt in den Salzstöcken von Hallstatt archiviert werden. Auch die Texte sollen archiviert werden.

Hund. Neugier. Gucken, was kommt.

Eine Schlagwortwolke des eigenen Lebens aufzuschreiben – auf so eine Idee kommen nur Künstler oder Psychiater. Dabei hat alles so harmlos angefangen. Um Ordnung zu schaffen im Bauesoterik-Blog, experimentierte ich mit diversen Begriffen, die, ähnlich wie ein Inhaltsverzeichnis, den jeweiligen Artikeln angehängt werden. Taggen nennt sich das auf Neudeutsch. Ich schrieb auf ein Blatt: „Szene“, „Ort“, „Person“. Weil Person ziemlich persönlich ist, und ich im fiktiven Bauesoterik-Komplex ein schreiberisches Universum ausbreiten möchte, ersetzte ich „Person“ durch „Figur“. Die Geburt aller Probleme ist die Verzettelung. Nach ein paar Minuten ist das DIN A4 Blatt randvoll gekritzelt mit Begriffen, Begriffsderivaten und den Ablegern der Derivate und so weiter. Wie eine russische Babuschkafiguren-Entpackung, gibt Eins das Andere und ich kann mich nicht mehr auf die Fiktion konzentrieren, sondern breite eine Schlagwortwolke meines eigenen Lebens aus. Frage mich, wie es wohl bei anderen Menschen aussieht mit den Schlagworten. Ein interssantes Experiment: schreibe alles, was dir wichtig ist im Leben und worauf du dich konzentrierst, womit du dich beschäftigst, auf einen Zettel. Ein blasenartiges Gebilde entsteht, ähnlich wie Mengenlehre in der Grundschule, bei der man verschiedenfarbige Kunststoffplättchen, Kreise, Dreiecke und Rechtecke spielerisch sortierte und somit die mathematische Struktur erlernte.
Ich ließ den Zettel liegen bis zum Abend. Das ist ein paar Tage her. Neben all dem Bleistiftgekritzel ist ein nachträglicher Eintrag mit Kugelschreiber zu finden: „Ich verkaufe Gegenwart“.
Als ob es einfach wäre, die Gegenwart schreiberisch aufzuarbeiten und sie in beinahe Echtzeit ins Blog zu stellen. Seit 2010 beschäftigt mich diese Frage, versuche ich auf Tuchfühlung zu gehen mit dem gelebten Moment. Wie ein Wissenschaftler, der sich auf hundertstel Sekunden dem Urknall nähert, komme ich mir vor. Das, was ich fassen, wissen, sehen will entzieht sich mit jedem Nanometer, den ich mich nähere, umso vehementer. Es ist zum Verzweifeln.
Gestern durchradele ich die Stadt. Wie ein Film läuft das Alltagsgeschehen. In der Verdrossenheitsallee beim Rathaus, wo nachmittags die Schluckspechte auf Parkbänken herumsitzen und über das Weltgeschehen debattieren, begegnet mir ein Rentner zu Fuß, grundlos hundlos, wie mir scheint und mit einem Blitz kommt mir die Schlagwortwolke wieder in den Sinn. Wenn ich selbst eine Schlagwortwolke erzeugen konnte für mein eigenes Dasein, das auf einem A4-Blatt alle Kernpunkte meines Seins enthält, so müsste doch für jeden anderen Menschen auch eine Schlagwortwolke machbar sein. War der Mann im Krieg? Ist er Witwer? Das Ende einer lebenslangen Beamtenlaufbahn in Form wohliger Pension? Schon bin ich versucht, umzukehren, den vollendeten Spinner zu geben, ihn anzuquatschen, damit er die Schlagworte seines Daseins auf einen Zettel schreibt, da kommt mir eine Gruppe Soldaten in hellblau gestreiften Jogginganzügen entgegen. Dreißig Meter vorweg rackert ein braungebrannter Kerl vom Typ Afghanistan-Veteran – normalverteilt folgt die Gruppe. Ich kann die mathematische Kurve vom Ausreißer bis zu dem kläglich schwitzenden Rest der Truppe genau sehen, ein parabolisches Gebilde. Blitzartig zucken Erinnerungen an Gauss und den alten DM-Geldschein, auf dem die Kurve aufgezeichnet war. Wo sind Eure Schlagworte?, bin ich versucht zu rufen. Den armseligen letzten in der Truppe, drei vier Hansels, die mächtig schwitzen, und ein gequältes Gesicht machen, möcht ich gerne raten, gar nicht erst zu versuchen, dazu zu gehören. Mehr Mut zum Scheitern. Der Normalverteilung, die einen per Schicksal an den hintersten Rand ihres selbstherrlich schönen Verlaufs gedrängt hat, kann man nur durch Verweigerung ein Schnippchen schlagen. Der gemeinen Gesellschaft, die per Mathematik für eine ach so natürliche Auslese sorgt, müsste man allerdings den Rücken kehren. Jungs, genau das solltet ihr machen, wenn ihr hinkebeinig Scheinwerten hinterher rennt. Seht ihr nicht, dass man in dem Sauladen nach und nach jeden eurer, schon als Kinder geträumter Begriffe klammheimlich gegen die heren Schlagworte anderer austauscht? Schlagwortbetrug. Ist es nicht so? Die Außenwelt kritzelt doch allzu oft fleißig mit auf unseren Schlagwortzetteln.
Es wird wieder still jenseits einer im Bau befindlichen Fischtreppe am Schwarzbach. Das Blatt mit den Schlagworten ändert sich also im Laufe des Lebens? Und fremde Mächte schreiben kräftig mit? Steht in der Jugend groß Ausbildung, Karriere, Erfolg drauf, und man rackert zielgerichtet, so kommt im Mittelalter ein melancholisch grauer Beigeschmack hinzu. Wie eine Doppelhelix ranken die Begriffe Sieg und Niederlage …
Das müsstste mal bloggen, Mann, denke ich, als ich den Anstieg zum einsamen Gehöft nehme. Vorbei an der Kaserne im Zigarettenrauch pausierender, Tarnanzug tragender Recken, wird mir das Gegenwartsproblem bewusst. Du kannst die Gegenwart gar nicht darstellen. Sobald du auch nur den Versuch machst, direkt, sagen wir einmal einen Blogartikel wie diesen zu schreiben, den Berg hinauf kurbelnd, sehend, erlebend, riechend, hörend, fühlend, denkend, alles komprimiert auf den engsten Raum einer hunderstel Hundertstel Sekunde, fällst du aus dem Strom der Gegenwärtigkeit, katapultiert dich der Akt des Aufschreibens in eine andere, reflektierende Sphäre – ein Mann mit Hund nähert sich von vorne und ein Auto von hinten, ich fahre Schrittgeschwindigkeit, schwitze, kalkuliere den Begegnungspunkt. Der Mann zieht seinen Hund ins Grün des Straßengrabens, das Auto überholt mich und passiert wenige Sekunden danach den Hundegassigänger. Das Hundchen starrt mich an. Der Mann lächelt hinter seinem Vollbart und weist, wie ein Entertainer mit beiden Händen auf den Hund: „Hund …“, gekonnt theatralischer Schwenk auf mich: „… Neugier …“ und sodann die steile Straße hinunter zeigend: “ … Gucken, was kommt“.
Vor Glück möchte ich ihm um den Hals fallen für den schönen Blogtitel, für diese individuelle, ins Jetzt gehauchte, wunderbare Schlagwortwolke.

Fahrrad-Tetris

„Das ist das erste und das letze Mal, dass ich das Fahrrad im Zug mitnehme“, sagt ein italienischer Reisender. Nur weil ihm in den letzten zehn Jahren insgesamt fünf Fahrräder an Bahnhöfen geklaut worden sind, hat er es dieses Mal probiert, es im Zug mitzunehmen. Das Abteil füllt sich in Offenburg rasant. Acht bis zehn Radler garniert von Kinderwägen und einer behäbigen Frau in schwerem Rollstuhl. Von Station zu Station mehr Leute, die sich mit Gepäck tetrishaft im Abteil stapeln. Eigentlich wäre genug Platz für alle. Aber die Unbedachtheit, manchmal auch der Egoismus jedes Einzelnen … ganz wie in der großen weiten Welt. Mit dem Jungen neben mir gehe ich einen Pakt ein. Wir opfern unsere beiden Sitze und machen Platz für zwei Räder. Man müsste das Ganze noch viel besser organisieren. In meinem Schädel brennt der kleingeistige Ruf nach einem starken Mann, der hier mal ordentlich aufräumt. Einem weisen, gütigen Schaffner, der uns alle sinnvoll stapelt. Wer als letzter raus muss, dessen Rad kommt nach Hinten. Schon bastele ich an einem Nummernsystem, wobei jeder Bahnhof der Strecke eine Nummer kriegt. Und jedes Rad kriegt auch eine Nummer. Monsieur Kleingeist Süperadministratör.
Die Frau im schweren Rollstuhl verzieht sich drei Haltestellen weit in die Toilette. Als sie raus kommt, ist das Abteil verschachtelt überfüllt. Quengelndes Kind. Die Mutter versucht ihm den Schnuller in den Mund zu stopfen. Wie eine Schmeißfliege schwirrt ihre rote Hand vor dem Kindergesicht. Ein Kerl telefoniert über eine Entbindung. So detailiert, dass, wenn ich die Vorlesung zu Ende gehört habe, ich in der Lage sein werde, eine Zwillingsgeburt zu begleiten. Ich Hebamme der modernen Blogliteratur. Das Mädchen soll Bente getauft werden, ja, Be, E, En,Te, E, buchstabiert der Hobbygynäkologe, ein nordischer Name, der sowohl seiner Frau, als auch ihm gut gefallen habe. Derweil setze ich meine gynäkologischen Erkenntnisse direkt in die Tat um, indem ich einem Jungen helfe, sein Fahrrad von ganz hinten bis zur Tür zu bringen. Eine transporttechnische Steißgeburt. In Freiburg leert sich der Wagen und während der fünf Minuten Aufenthalt kommen andere Radler herein, eine Frau mit Rollstuhl, die resolut einen Sitzplatz einfordert. Gut so. Sie strickt. Kinder drehen durch. Ein Geplärr wie Wahnsinn. Als würde der Zug ausatmen und wieder einatmen. Die Luft anhalten bis zur nächsten Haltestelle, Ausatmen, Einatmen. Ich bin ein Fremdkörper, eine Thrombose, die den Stoffwechsel behindert. Den letzten Atemzug wird die Regionalbahn in Basel tun. Endstation. Da muss ich ein letztes Mal umsteigen. Nun an einigen Haltestellen vorbei mit seltsamen Namen: „Augen“ und „Haltingen“.
Und warum?
Weil am Rhein!