Langatte – das Immer im Jetzt

Der Wärme einer Bäckerei ein paar Worte abringen. Umleitung sei Dank, bin ich hier in Langatte, abseits des Kanals gelandet. Die Umleitungsstrecke, weg vom Kanalradweg ist nicht schön zu fahren. Gerade, langweilige Straße, garniert mit Lärm, aber dafür gibt es nun dieses Bijou einer Überlandstraßendorfbäckerei, vor der die Autos an und abfahren,  ich durch die große Schaufensterscheibe des nicht sehr gemütlichen Cafés die Straße beobachten kann. Der Paketer bringt ein Paket. Jemand mit roten Sandalen schlappt herein, ein anderer hält das Geld fürs Baguette passgenau bereit und im Tausch eine Hand Baguette, andere Hand Geld wirkt es so, als habe er überhaupt nicht bezahlt.

Menschengemurmel mischt sich mit dem Rauschen einer Maschine oder eines Lüfters. Nach den Kilometern auf der Landstraße ist das Hiersein das Quentchen Ruhe, das ich eingebüßt habe, dadurch, dass ich den Radweg am Kanal verlassen musste.

Gegenüber ein Proxi, ein kleiner Supermarkt.

Ich stehe vor der Wahl, über Sarrebourg und Iming zum Kanalradweg zu fahren, was vielleicht ein bisschen kürzer ist als die Umleitung, oder eben der Umleitung zu folgen via Kerprich und Heming.

Esse Pizza Provencale, kalt, trinke Café au Lait.

Nach der kalten Nacht, begehe ich den Morgen relativ ruhig. Fahre nicht zu schnell, mache Pausen, fotografiere, plaudere in die Gopro. Denke viel an die Ur-Kunstmaschine auf dem Nordseeküstenradweg vor elf Jahren. Dieses Einswerden von Künstler und seinen Apps und Geräten. Ich darf es aber nicht verklären. Es war stets ein Ringen um Langsamkeit, um nicht vorankommen müssen.

So auch jetzt. Ein nicht unerheblicher Teil meiner Selbst denkt sich schon voran, wähnt sich in Saverne, Molsheim, gar Colmar oder in der Schweiz. Der abgesteckte Plan, dann und dann dort und dort sein zu wollen ist ein nicht unerheblicher Störfaktor.

Einmal sich treiben lassen können und schon schreibst du ganz nebenbei das schönste live geschriebene Buch der Welt, denke ich.
Bloß, wie werfe ich das Ende über Bord, so dass ich für immer mittendrin sein kann, nie geboren, nie gestartet, nie gestorben, nie angekommen. Ein Immer im Jetzt.

Von abweichendem Verhalten und Vigipiraterie

Reiserad mit Packtaschen vorne und hinten. Profilbild. Lenker rechte Bildseite. Im Hintergrund stehen einige Feuerlöscher auf einer etwa 30 cm hohen Mauer.

Noch vor Wochen tönte die Langzeitwetterprognose für diese Tage martialisch: kalt, Regen, strenger Ostwind. Keine gute Zeit, um das Haus zu verlassen. Trotzdem liebäugelte ich mit einer kleinen Radreise gen Süden, nicht zuletzt, um zur Liebsten in den Aargau zu radeln. Statt wie üblich schnell in zwei Tagen „runter“ zu radeln, hatte ich mir eine Tour auf der elsässischen Weinstraße ausgedacht. Das Kanal-Einerlei südlich von Straßburg kenne ich nach drei vier Touren dieses Jahr zur Nöche. Außerdem möchte ich versuchen, die gute alte „Kunstmaschine“ zu reaktivieren. Der reisende, radelnde Künstler im Gleichklang der Pedale auf moderaten Tagesetappen sich fortbewegend, erlebend, darüber schreibend und neu: filmend.

Die „Kunstmaschine“ funktioniert am Besten bei Tagesetappen von etwa 70 bis 100 Kilometern Länge. Mit viel Zeit am Morgen und am Abend, um die Erlebnisse zu verarbeiten; dem Hirn, dem kleinen zellgrauen Wiesel freien Lauf zu lassen, auf schräge Gedanken kommend, Netze von Unmöglichem knüpfend und einwebend ins Reise-Tagesgeschehen. Die letzten Touren in diesem Sommer waren allesamt schnell, auf Vorankommen getrimmt. Meist Etappen von 100 bis 200 km. Ich hatte weder Lust, noch Zeit zum Bloggen.

Das soll sich ändern (aber es muss nicht). Ich fange mit diesem initialen Blogbeitrag, noch in der heimischen Künstlerbude, ja schon behäbig an. Der Impuls war da, direkt nach dem Erwachen aufs Radel zu steigen und loszuradeln, aber nein, nein, nein, ruhig Brauner, ganz ruhig.

Das Fahrrad hatte ich gestern schon gepackt. Auch ein paar verwalterische Lästigkeiten abgearbeitet, sogar die Steuererklärung endlich abgeschickt, den Server nochmal gecheckt.

Ich leere den Kühlschrank, räume die Draußenküche nach oben, denn nun wird es definitiv Herbst und wenn ich zurückkehre liegt wahrscheinlich überall auf der Terrasse und in den Wirbelwindwinkeln das Laub des Nussbaums.

Schreiberisch, merke ich gerade, geht es zwar flott von der Hand, aber ich bin nicht mehr so fit. Habe mich wahrscheinlich ziemlich selbst verloren, diesen Sommer.

Auf Mastodon warnte man mich, dass in Frankreich die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen wurde, die Vigipirate. 7000 verdeckt ermittelnde Polizeikräfte und/oder Militärs würden ab heute patrouillieren und das Land auf „abweichendes Verhalten“ sondieren. Grund dafür ist der Anschlag in Arras vor ein paar Tagen. Und vermutlich auch der Krieg im Nahen Osten. Vom Wildzelten sei abzuraten, sagte man mir.

Nun bin ich verunsichert; liebäugele aber ohnehin mit Campingunterkünften auf echten Campingplätzen. Der Wind ist kalt. Und ein bisschen Geborgenheit hat noch niemandem geschadet.

Es gibt auch eine Neuheit im Werkzeugkasten des reisenden Künstlers: Film. Klar, bei der Reise um die Schweiz im Juni hatte ich auch gefilmt. Bloß etwas kopflos. Das soll sich ändern. Vorgestern hatte ich mein Dogma 23 ausgerufen, welches im Grunde ein an die Bedürfnisse des Allerweltsfilmens auf Youtube angepasstes Dogma 95 ist. Alles klar? Nein. Naja, wie sage ichs: Die Filmerei rund um die Schweiz hat einen Rattenschwanz an Material mit sich gebracht, was mich überfordert, es zu schneiden und etwas Anschaubares daraus zu machen. Auch der halbherzige Versuch, die Filme automatisch per App (Quik heißt sie) schneiden zu lassen, brachte kein für den Künstler, moi même, zufriedenstellendes Ergebnis. So dass ich die Filme, die ich, nein, die die App produziert hatte, wieder aus Youtube rausgenommen hatte. Und das Filmprojekt UmsLand Schweiz erst einmal auf Eis gelegt hatte.

Stattdessen, so dachte ich mir, sollte ich versuchen, so zu filmen, dass ich möglichst gar nicht schneiden muss. Sprich, die Schnitte schon beim Filmen einplane. Man möge mir verzeihen, dass ich so naiv darauf losplaudere, aber ich muss es doch lernen und das geht am einfachsten, wenn man darauf los experimentiert.

Mein Dogma 23 enthält neben ein paar Dogma 95 Kernpunkten schlicht nur einen weiteren eigenen Punkt: Filme so, dass Du möglichst nicht schneiden musst. Denke linear und schlicht.

Nun noch ein Bild des Reiserads als Artikelbild und dann ab in den Sattel.

Max, der Pilger

Frühmorgens rief Nachbar J. an, wo führt denn der Jakobweg weiter?

Ganz montypythonesk erklärte ich es ihm: Rauf zur Landtraße, hundert Meter durch dichten Verkehr, rüber auf die andere Seite und im ersten Feldweg links bis zum Waldrand, der Weg mit der kleinen Obstbaumallee. Alles kein Hexenwerk, aber ich weiß, ist doof, da oben im Nichts sich zu orientieren.

Natürlich ahnte ich, dass gerade ein Pilger bei ihm nach dem Weg fragte. Also zeichnete ich eine Skizze, packte den hofeigenen Pilgerstempel, spazierte ihm ein wenig entgegen. Am steilsten Abschnitt stand ein junger Mann mit drei Hunden und einem voll bepackten Bollerwagen. Das Wegstück hat wohl seine 20 Prozent. Wir plauderten, er verschnaufte, die Hunde hechelten. Zwei sehr ähnliche Hunde hatte er in Rumänien aus einem Wurf von sechs Welpen adoptiert, die er am Straßenrand gefunden hatte. Ein großer Hund mit unendlich Fell, hellbraun bildete den vierten im Bund der Pilgerrunde. Hellbraunes Fell. Jemand habe ihm ein Ohr abgeschnitten und er sei auf Jäger nicht gut zu sprechen und überhaupt, naja, ich bin ohnehin sehr zurückhaltend Hunden gegenüber. Gemeinsam schoben und zogen wir den Wagen den Berg hinauf bis zum einsamen Gehöft. Max aus Braunau am Inn. Seit sieben Jahren unterwegs kreuz und quer durch die Welt und nun eben auf dem Jakobsweg mit Ziel Santiago. Ich mach das für meinen verstorbenen Onkel, sagte er. Krebs.

Ein zwei Stunden ruhten er und die Hunde sich aus, lud er das Handy, gab einen Blick auf sein momentanes Leben als, naja, Reisender, Pilger, Woofer (Worker on organic Farms; arbeitet gegen Kost und Logis). Wobei er vielfältige Fähigkeiten mitbringt. Automechanik, Gartenarbeit, Carearbeit. Wie so ein moderner Heiliger, der nicht viel Aufhebens macht um seine Person, so kam er mir vor. Gutes tuend von Ort zu Ort, auch Gutes nehmend und auch mal die üblen Seiten der Zivilisation erlebend, das bleibt ja auf der Straße nicht aus. Dabei ist er ganz und gar nicht obdachlos. Zumindest erzählte er von einigen Traktor-Oldtimern, die er zu Hause hat und allmögliches Zeug, was man ohne Obdach sicher nicht hat. Die Nacht hatte er nur einen halben Kilometer entfernt von hier zeltend bei einer Wanderhütte verbracht. Dort gab man ihm abends warmes Essen und überhaupt, die Leute in unserer Gegend seien äußerst freundlich und liebenswert. Hört man natürlich gerne.

Er ist mittlerweile der dritte oder vierte Pilgergast in meiner bescheidenen inoffiziellen Pilgerherberge. Vielleicht sollte ich doch mal ein Gästebuch anlegen, damit ich mich erinnere (aber dafür ist nun dieser Blogeintrag gut).