Facts about Kunststraßen 5

Die Einladungskarten zu den ersten Kunststraßen-Fotoinstallationen waren Handabzüge im Format DIN lang. Je drei unterschiedliche Motive passten auf ein Stück Fotopapier. Ich nutzte Negativstreifen aus der Kunststraßenserie, die mit Tesafilm auf bedruckte Folie geklebt wurden. Der Einladungstext wurde zuvor per Tintentstrahldrucker drei mal an die entsprechenden Stellen gedruckt. Logischerweise musste ich drei verschiedene Negativstreifen benutzen, um einen Kontaktabzug zu bestücken. Die einzelnen Karten wurden per Schlagschere aus dem etwa A 4 großen Blatt geschnitten.

Somit gibt es von den drei wichtigsten Ausstellungen der ersten Jahre eine geringe Stückzahl von handabgezogenen echten Fotos, die als Einladungskarte verschickt wurden. Die Rückseiten waren mit Etiketten aus Papier versehen.

Es würde mich interessieren, ob der ein oder andere die Einladung aufgehoben hat.

Einladungskarte schwarz-weiß mit Datum und Text zur Ausstellung Kapschnitt und Kontaktabzügen von fünf Straßenfotos
Motiv 1/3 für die Einladungskarte zur Konzeptkunstausstellung Kapschnitt in der Galerie Walpodenstraße (Mainz) 1995. Der Negativstreifen ist auf dem Rennsteig, nördlich von Oberhof entstanden. Bei einem Remake des Kapschnitt 2015  – zwanzig Jahre später – radelte ich nicht die Landstraße, sondern Radwege bis hinauf zur ‚Höhe des Gebirgs‘. Die beiden anderen Versionen der Einladungskarte zeigen Kunststraßenfotos aus Mittelschweden (km 1200 etwa) und aus Lappland (km 2400 etwa). Die Tour ‚AnsKap‘ im Jahr 2015 wurde in diesem Blog live geschrieben und fotografiert. Sie finden Sie verlinkt unter dem Menüpunkt ‚Projekte‘.

Facts about Kunststraßen 4

Die Idee, eine Reise künstlerisch fotografisch umzusetzen, indem der bereiste Weg in regelmäßigen Abständen fotografiert wird, entstand im Sommer 1994. Geplant war, die Strecke Mainz – Berlin in 10-km Stücke zu zerlegen und Fotos stets in Richtung Reiseziel, dem Fluchtpunkt des bereisten Weges folgend zu fotografieren. Der Plan scheiterte und nur ein etwa 300 km langer Rundkurs per Rad über Frankfurt und Fulda um den Vogelsberg schlummert seither in den Schwarz-Weiß Archiven.

Was wie eine Vorwegnahme von Googles Streetview anmutet, sollte sich in den folgenden Jahren zu einem europaweiten „Kunststraßennetz“ entwickeln und in konzeptuellen Rauminstallationen in verschiedenen Galerien in Mainz, Köln, Wiesbaden, Fürth gezeigt werden.

Liste der Kunststraßen seit 1994

1. Vogelsberg-Schnitt. Per Rad zusammen mit Paul Esser-Kukulka (genannt QQlka), Co-Künstler auf zahlreichen Kunststraßen und Galerist. Etwa 300 km rund um den hessischen Vogelsberg.
2. Kapschnitt 1995. Von Mainz nach Alta per Fahrrad. 360 Fotos im Abstand von 10 km, realisiert als Rauminstallation in der Galerie Walpodenstraße in Mainz
3. Murphy’s Pub Schnitt 1996. Von Mainz über Paris zu den Cliffs of Moher in Irland. Ausgestellt in mainz und auf der Kölnmesse Intercycle Cologne. (Anmerkung: der Begriff ‚Schnitt‘ ist der Bauplanung von Straßen entwendet. Eine Straßenplanung besteht u. A. aus sogenannten Schnittzeichnungen, Längs – und Querschnitten, die ein Höhenprofil der geplanten Strecke zeigen).
4. Mainz-Weikersheim-Fürth 1996. Entlang des Mains nach Franken per Rad. Abstand der Fotostandorte 5 km. Ausstellungen in Mainz, Weikersheim und Fürth bei Nürnberg.
5. Mainz-Dijon 1997. Radtour zwischen den Partnerstädten Mainz und Dijon. Bildabstand unregelmäßig. Unveröffentlicht.
6. Mainz-Wiesbaden 1998. Fußweg, Bildabstand 80 Doppelschritte. Ausgestellt im Kulturzentrum Schlachthof und im Kultureck.
7. Postrouten in Rheinhessen 1997-1998. Diverse Postrouten rund um Mainz vom Beifahrersitz eines Postautos in Abständen von 1km. Unveröffentlicht.
8. Zweibrücken-Andorra. Nach dem Umzug von Mainz nach Zweibrücken radelt Jürgen Rinck quer durch Frankreich bis nach Andorra. Bildabstand 10 km. Erstveröffentlichung im Jahr 2010 zusammen mit einem Remake der Reise.
9. Kelf – Kunststraße 11 im Kultursommer 2001. Für „Stadt Land Fluss“, Motto des rheinland-pfälzischen Kultursommers realisiert Rinck eine 9 km lange Kunststraße zu Fuß mit Bildabständen von 80 Doppelschritten quer durch seine Heimatstadt. Die Strecke verbindet die beiden Konversionsgebiete Flugplatz (ehemlige Kanadische Airbase) und Kreuzberg (ehemalige US Kaserne). das Projekt wird gefördert durch den Kultursommer Rheinland-Pfalz und die Stadt Zweibrücken. Die Konzeptausstellung ist im Mai 2001 im Parkhaus hallplatz als Drive-In Ausstellung zu sehen.
10. Rund um die Schweiz 2001. Auf dem gut ausgebauten schweizer Fernradwegenetz von Travers im Jura über Lausanne, Brig, Chur bis nach Basel. Fotoabstände 10 km. Unveröffentlicht.
11. Zweibrücken-Travers 2002. Per rad durch Vogesen und Jura zu besuch bei dem Schweizer Künstler und Mentor Marc Kuhn. Fotoabstand unregelmäßig. Unveröffentlicht
12. Travers-Zweibrücken 2004. Unterwegs per Rad zusammen mit Co-Künstler QQlka. Unveröffentlicht
13. Landau-Zweibrücken 2005. Per Rad an Queich und Schwarzbach. Bildabstand 1 km. Erstmals werden die Fotostandorte mit GPS markiert. Ausstellung im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz (Förderung zum Thema Kunst und Wissenschaft). Zusammen mit dem Pariser Künstler Stephane Jeanneau.
14. Bliestallabyrinth 2007. Ein 42 km langer Fußweg durch die Saarpfalz. Bildabstände sind so gestaltet, dass man im jeweils vorigen Bild den Standort des nächsten Bildes erkennt. Die Ausstellung wurde auf Einladung der Galerie M. Beck in Homburg Schwarzenacker realisiert. Anlässlich ihres 40jährigen Bestehens. Sie stellt die direkte Fortzsetzung von Zweibrücken-Landau dar. Zur Ausstellung ist eine limitierte Edition erschienen (Anfragen per mail oder bei Galerie M. Beck). http://europenner.de/blieslab (Login „gast“ / „ingweiler“)
15. Zweibrücken-Andorra 2010. Zehn Jahre nach der ersten Radreise folgte ich meiner eigenen Spur, versuchte die alten Fotostandorte, die ich im Jahr 2000 noch händisch in einem Notizbuch beschrieb, wieder zu finden und Fotos an ähnlichen Positionen zu machen. In einer Dual-Ausstellung wurden die beiden Kunststraßen gegenüber gestellt. 10 Jahre Reisefotografie und technische Entwicklung. iPhone trifft Nikon Analog-Fotografie, milliardenteure Satelitennavigation versus liebevolle handschriftliche Notizen.
16. Jakobsweg 2.0 November/Dezember 2010. 800 km von den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostella? Rinck ist ein Newbie auf dem Gebiet des Langstreckenwanderns. Sowohl die immense Strecke, als auch die Ungewissheit, was ihn auf dem wohl berühmtesten Pilgerweg der christlichen Welt erwartet, stellen eine neue Messlatte für den Kunststraßenbau und das Live-reisen dar. Und in der Tat, gelingt es dem selbst gebastelten Protagonisten in nächtlichen Live-Blog Berichten aus verschnarchten Pilgerherbergen, nicht nur die Leserschaft seines Weblogs zu überraschen, sondern auch sich selbst. Was 1994 als rein bildnersiches Projekt begonnen hat, gipfelt in einer literarisch-fotografisch-künstlerisch-virtuellen und unmittelbaren Reiseberichterstattung.
17. Ums Meer 2012. Von Zweibrücken in die französische Partnerstadt Boulogne sur Mer und einmal rund um die Nordsee (London, Norwich, Edinburgh, Inverness, John O‘ Groats, Shetland, Bergen, Kristiansand, Göteborg, Varberg, Grenaa, Skagen, Esbjerg, Husum, Glückstadt, Wilhelmshaven, Bremerhaven, Emden, Groningen, Den Haag, Nieuwpoort, Boulogne) und zurück nach Zweibrücken. Während der viermonatigen Reise entstand ein komplexes Blogbuch, in dem sich verschiedene Erzählebenen überlagern. Fiktive und groteske Elemente mischen sich mit Reiseberichten und informativen Teilen.
18. Bilder für die Ewigkeit 2013
19. Gotthard 2014
20. Ans Kap 2015
21. Gibrantiago 2016 (externes Blog)

Fast ein kleines Lebenswerk – Mit dieser Reise geht eine Trilogie zu Ende. Ums Meer 2012, Ans Kap 2015 und Gibrantiago sind die Rohdaten für eine Europenner-Trilogie. Ich kann endlich beruhigt heimkehren und auch da bleiben und mich auf ein Leben als Schriftsteller freuen. In Gedanken fabuliere ich, dass mit diesen drei Reisen und den Kunstfotos daraus auch fast schon ein kleines Lebenswerk fertig geworden ist.

Ich bin sehr zufrieden.

22. Flussnoten 2016 (externes Blog)
23. Radlantix geplant voraussichtlich Juni/Juli oder August/September 2017 (externes Blog)

24. Von Zweibrücken nach Zweibrücken auf dem Rheinland-Pfalz-Radweg. 1040 Kilometer Liveblog– und Twitterreise.

Seit 2016 sind die Kunst- und Literaturprojekte in eigenen Blogs als live verfolgbare – tja, wie nennt man denn sowas? – angelegt. Mit der jeweiligen Reise endet das Blog- und Kunsterlebnis und bleibt als Archiv im Netz erhalten. Auf Basis der Texte und Biler kreiere ich nach und nach Bücher aus den Kunststraßenreisen.

Liveblog-Termine 2017

Das Jahr nimmt Kontur an. Es ist instabil. Aber Instabilität ist auch eine Chance. Der Zufall übernimmt bis zu einem gewissen Grad die Regie. Das ist unbequem.

Deshalb ist es gut, dass ich nun ein paar Termine skizziere, trotz der Ungewissheit, ob ich sie einhalten kann.

Rheinland-Pfalz in Aphorismen (März)

Die Radtour rund um Rheinland-Pfalz liebäugele ich, ab dem 7. März zu beginnen. Bei 70 Kilometer Tagesschnitt (so habe ich das langjährig ermittelt auf meinen Wegen kreuz und quer durch Europa) bin ich in 15 Tagen einmal rund ums Land. Vorhin habe ich den Hashtag #umsland als offiziellen Twitterhashtag erkoren. Er war noch unbenutzt, ist schön kurz und knüpft an an die beiden Hashtags und . Man twittert ja mit Stil.

Atlantikradweg Frankreich (September)

Das Reiseprojekt auf dem Atlantikradweg plane ich ab September – von Zweibrücken via Paris in die Bretagne und dann südwärts auf der französischen Vélodyssée. Offizieller Hashtag hierfür ist #radlantix – irgendwie hat es mir keine Ruhe gelassen und ich habe sowohl den Webseitennamen, als auch den Hashtag umbenannt (zuerst hieß das Projekt ‚Radlantic‘) – Monsieur le Penible, c’est moi.

Radlantix hat seine eigene Webseite http://radlantix.de und UmsLand wird hier im Irgendlinkblog in der Kategorie umsland-rlp spielen.

Ich will versuchen, die Termine grob einzuhalten und freue mich, wenn Ihr mitkommt und die Projekte großzügig weltweit verpetzt.

Flussabwärts – ein kollaboratives Schreibprojekt

Buchcover mit der Aufschrift Flussnoten und einem Klappentext. Hautmotiv ist eine anlandende Rheinfähre, im Vordergrund Wasservögel.

Was passiert eigentlich, wenn jemand einen Twitter-Nachrichtenstrom zu einem ganz bestimmten Thema mitschneidet und die Satzschnipsel mit eigenen Gedanken und den Kommentaren anderer Twitterer und Twitterinnen garniert?

Dagmar, mit echtem Twitternamen @traumspruch hat es für Euch ausprobiert. Im Sommer 2016 folgte sie unter dem Hashtag der Wanderung von Frau @_auchICH und mir, Monsieur @irgendlink. Hierbei badete sie ausgiebig im Twitter-Nachrichtenstrom, mischte unsere Flussnoten mit eigenen Tweets und den Kommentaren anderer Twitterinnen und Twitterer, die virtuell mitwanderten. Es entstand ein Text jenseits jeglicher Urheberschaftsfeststellungsmöglichkeit. William S. Burroughs hätte an diesem CutUp 2.0 womöglich seine helle Freude gehabt?

Während wir rheinabwärts wanderten hatten wir, Schweizer Mobilfunknetz sei Dank, fast immer und überall Handyempfang und taten unserer Befindlichkeit und unsere Reiseerlebnisse, garniert mit Fakten, in hundertvierzig Zeichen kund. Abends gab es meist noch Blogberichte im eigens für das Projekt angelegten Blog flussnoten.de. Stets begleiteten uns eine Handvoll Followerinnen und Follower, kommentierten, stimmten ein in den gemeinsamen Zwitschergesang rund um die #flussnoten.

Als die Reise beendet war, hatte ich eines Tages den folgenden Text im Mailpostfach. „Flussabwärts – ein kollaboratives Schreibprojekt“ weiterlesen

Der Spülmaschinenkommunist, seine geschirrtechnische Identitätslosigkeit

2012 gastierte der Mainzer Kunstverein in meinem Atelier. Sie organisierten ein Festival für Performance und ziemlich schräge Musik. Die Veranstaltung war so eine Art Barcamp mit Teilnehmern weltweit, sogar aus den USA und Taiwan waren Künstlerinnen und Künstler angereist. Die Unterbringung war spartanisch in Zelten im Garten oder auf der Bühne im Atelier. Alltagsleben und Kunstschaffen und ‚irgendwas mit Musik‘ machen fanden in mehreren vielschichtig miteinander verwobenen Parallelwelten statt, man könnte es Leben im Allgemeinen nennen.

Die Versorgung war selbstorganisiert und wegen der hohen Teilnehmerzahl brachte der Kunstverein sein eigenes Geschirr mit. Ich erinnere mich gut an den Moment, als jemand eine Kiste voller Besteck in meine eigene Besteckkiste kippte. Gabeln, Messer und Löffel aus zig Haushaltsauflösungen ergossen sich in mein eigenes Bestecksortiment, das aber ebensowenig lupenrein war, die das Sortiment des Vereins. Nie wieder würde ich die eigenen Bestecke aus den fremden Bestecken heraussortieren können. Ich bin ein verdammter Geschirrkommunist, der überhaupt keinen Plan hat, was von dem, das in seinem Schrank steht ihm selbst gehört und was jemand anderem gehört.

Hin und wieder kommt es vor, dass jemand mit einem schön geordneten Haushalt mir etwas zu Essen mit nach Hause gibt, vielleicht ein Stück Kuchen. Er oder sie packen es auf einen Teller oder in eine Tupperschüssel. Normale Menschen sagen im Fall danke, nehmen das Essen mit, essen es, spülen das Geschirr und geben es irgendwann zurück.

Nicht so wir Haushaltskommunisten. Durch die Unzahl durchmischten Geschirrs, das mittlerweile bei weitem nicht mehr nur aus Haushaltsauflösungen stammt oder von Landeshauptstadtskunstvereinen, habe ich geschirrtechnisch keine Identität. Ich bin sozusagen eine Sowchose des Kaffeekränzchens oder eine Kolchose  weltweiter Suppenkellen. Sobald ein fremder Gegenstand in meinen Haushalt gerät, verliert er seine kapitalistische Identität und wird in eine Kommune bunter, vielfältiger Tassen, Teller und Töpfe integriert.

Seit jenem Tag im Jahr 2012 warne ich diejenigen, die mit mir ‚irgendwas mit Geschirr‘ machen, dass es höchstwahrscheinlich niemals zurückkehrt. Wie sollte ich, ein Mensch ohne geschirrtechnische Identität, jemals erkennen können, was mir gehört und was nicht? Oder besser gesagt, ich erkenne ganz klar, was mir gehört, nämlich nichts und alles andere in meinem Geschirrbestand gehört entweder niemandem mehr, oder jemandem, der es arglos hat liegen lassen. Erst kürzlich fand ich ein Messer in meinem Besteckkasten, auf dem der verwaschene Name eines Freundes geschrieben stand; vier Jahre her, dass er zum Grillen da war und nichtsahnend eine Nudelsalatschüssel und ein paar Satz Bestecke einbüßte.