Wie ich lernte das Amt ohne Wiederkehr zu lieben – StammleserInnen werden sich erinnern, dass Mister Oberpientz Irgendlink die letzten Monate wieder und wieder den seltsamen Job als Kulturorganisator in Frage stellte – jetzt, zwei Wochen bevor der Arbeitsvertrag endet, weint er bittere Tränen.

Die Kleinkunstwoche, deren Organisation meine Hauptaufgabe war, ist zur Hälfte absolviert. Nur noch Heute und Morgen und am Freitag sind Veranstaltungstage. Danach wird sich wieder ein Büroalltag einstellen. Am gestrigen „pfannefreien“ Tag rief ich Herrn S. von der Personalstelle an, ob er mir etwas über eine gegebenenfallse Vertragsverlängerung sagen könne, „ja, nein, vielleicht?“ – „Vielleicht“, sagte er. Kollege B. hatte mir die Zeitvertragsproblematik im Rathaus der Stadt S. einmal wie folgt erklärt: „Bis zum letzten Arbeitstag hängst du vollkommen in der Luft, aber dann werden sie dich zum OB rufen und dir einen Folgevertrag anbieten. So war es bei mir, so war es beim Kollegen L. und die gute Miss E. hat das Spiel ganze sechs Jahre mitgespielt, bis sie endlich einen unbefristeten Vertrag in der Hand hatte.“ Ouh yeah, was sind wir anderes als die willigen Leiharbeiter der modernen Bürokratie.

Keine Ahnung, warum ich so sentimental werde nun, da ggf. das Ende meiner Lebensphase in Lohn und Brot bevor steht. Ich habe weißgott genug Geld, um die nächsten fünf Jahre mit Nichtstun zu verbringen. Vielleicht ist es die Angst vor der Eigenverantwortlichkeit? Ich müsste dann ja wieder Kunst schaffen oder ein Buch schreiben oder verreisen.

++Gegen 15 Uhr loggte ich einen Dienstgang und schlenderte in aller Gemütsruhe quer über den Marktplatz des Städtchens S. Rathaus mittschiffs voraus, die Stadthalle an Steuerbord, Sonne lullte mich ein und ein eigenartiger Herbstgeruch lag in der Luft. Auf dem Spielplatz vor der Schule, welche sich direkt neben der Stadthalle befindet, quietschte rythmisch die Schaukel. Kinderstimmen. Ein schmutziger Bettler hatte sich auf einer der stählernen Bänke ausgestreckt und schnarchte, als ob dies das letzte Jahr seines Lebens wäre. Seine Plastiktüte war umgefallen und ein Brot lag im Schmutz der Straße. Wie ich ihn beneidete, einerseits, andererseits aber: ist es nicht prima, Irgendlink, in Amt und Würden zu sein, dies alles nicht selbst erleben zu müssen – eine verschmutzte Unterhose, die man vielleicht einmal im Monat waschen kann und die obendrein die einzige ist, die man besitzt ist kein schönes Körpergefühl. Ein Jucken von Bart, sechs Wochen unrasiert lag in der Luft. Ist es nicht besser, die Dinge nur zu beobachten, das Bild im Kopf zurecht zu rücken und es einfach nur aufzuschreiben? Das immersaubere Klo mit Waschbecken und frischer Seife im Amt ohne Wiederkehr just hier am Marktplatz im Haus U. würde für diesen Bettler sicher ein verzaubertes Traumbild sein. Er wird es nie zu sehen bekommen. So schlenderte ich auf Dienstgang über den Marktplatz und überlegte, Frau M. in der Personalstelle zu besuchen, um mich an ihrer Schönheit zu laben. Sicher würde sie mit dem Skalpell akribisch die neuen Namensschilder der mehrhundertköpfigen Rathausbesatzung schneiden und sicher würde sie wieder stöhnen über die viele anstrengende Arbeit und dass ja schon Dienstag ist und die Woche so gut wie rum. Ich traf die Hausmeister der Stadthalle, wie sie scherzend mit den Männern vom Rundfunk in der Sonne standen. Sie fragten, was ich denn hier wolle. „Ich habe mein Hirn vergessen“, sagte ich und ging in den Kassenraum der Stadthalle, um die zu stornierenden Eintrittskarten des dritten Festivaltages zu bergen. Da ich die Männer vom Rundfunk schon erwähne an dieser Stelle noch eine prima Geschichte über die Leichtigkeit eines Menschenarbeitslebens: Zu Beginn der Kleinkunstwoche parkt der Rundfunk seinen Ü-Wagen hinter der Stadthalle, strippt hunderte Meter Kabel und richtet Funkstrecken ein. Der Ü-Wagen ist offenbar so wertvoll, dass er Tag und Nacht von einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Eine volle Woche lang wird das teure Utensil nicht von der Stelle bewegt. Aber es gibt dennoch einen Fahrer. Und der, jetzt kommts, steht sage und schreibe acht Stunden am Tag neben dem Ü-Wagen herum und leistet seine Lenkzeit. Kurios, nicht wahr?

Wahr

Langsam zehrt das Kleinkunstfestival (besser gesagt die recht anstrengende Arbeit. Mehr als 40 Überstunden an nur einem Wochenende). Im Taumel dieser Tage habe ich die letzten beiden stillen Wochen längst vergessen und all das, was ich mir geschworen habe. Ich bin Mitglied einer Art Erfolgsmenschenmafia, unfähig auch nur annähernd zu versagen. Dafür hasse ich mich. Spätnachts mit zufallenden Augen auf der A6 unweit des Neunkircher Kreuz der Erkenntnis, welches mir in fidelen Momenten tagsüber so viele Ideen beschert hat. Brückenpfeilerkonfliktstimmung. Blick auf den Tacho. Die Nadel fällt unter 80. Augen fallen zu. Ein Tanklaster überholt mich. Auf dem Anhänger steht „Wahr“. Wir biegen beide in die A8. In der scharfen Auffahrt verschwindet er im Morgendunst. Erst viel später überhole ich ihn wieder und lese auf dem Gefahrenhinweisschild, er hat 30/1202 geladen. „Irgendwie“, denke ich, „solltest du daraus eine Geschichte basteln.“ Ich liebe nächtliche Autobahngeschichten und LKWs, auf denen „Wahr“ steht, haben ein Boolesches Flair.

++Kollege B. bricht an der Kasse zusammen, legt sich kreidebleich auf die Krankenpritsche. Das Geld liegt eine viertel Stunde unbewacht und zum Glück springt Miss E. für ihn ein. Kollege B. schaut leidend, als er aufrecht nach Hause geht. Menschen, die samstags trinken sterben nicht sonntags, aber sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit montags bis freitags krank geschrieben. gestern hatte er noch geprahlt, er habe Nächte durchzecht, von denen ich nur träumen könne, Ballermann, nur Männer, Testosteron auf Spiegeln und lustige knallrote Strohhalme, die in einem verspuckten Eimer voller Himbeergrütze enden, Busen, Motorräder und all das. Dann dieser theatralische Moment, den habe ich im gestrigen Beitrag nicht richtig erzählt: Aller Aufmerksamkeit gewiss sagte er laut in die runde „Irgend – Pause – MACH- Pause – DICH- Pause – MAL – Pause – LOCKER.“ Ich mag den Kollegen B. trotzdem und eigentlich muss ich mich sogar bedanken für diese Geschichte mit dem MachDichMalLocker.

++Wieder drei Künstlerinnen auf der Bühne, sowie zwei Solisten. Das ist Zündstoff für einen angeheizten Festivalclub. Die Männchen werden wieder balzen und es wird reichlich Schnaps fließen. Alle freuen sich darüber außer Monsieur Irgendlink und Journalist F. Chef R. bleibt bis ganz zum Schluss. Die Jurymitgllieder des gestrigen Abends kommen wieder an den Künstlertisch, aber ich lasse nicht mehr zu, dass sie sich über mich hinweg beugen, mich besabbern und sich den Künstlerinnen zuwenden. Bereitwillig räume ich das Feld, ist wie beim Schach, ich gebe das gesamte Feld frei, weil es ja egal ist, ob man verliert. A1 bis H8 völlig unbewacht. Rochade. Ex-Jurymitglied H. erweist sich als äußerst netter Mensch und ich bin fast ein bisschen reuig über meine gestrigen Zeilen. Egal. Muss doch krachen im Blog. Die Catererin hat an diesem dritten Festivaltag die Künstlerbewirtungsrechnung kalibriert. Willig zeichne ich gegen 2 Uhr einen dreistelligen Betrag ab und verabschiede mich mit einem kurzen Tischklopfen. Ich lerne schnell und kann unbarmherzig sein (der Rückzug aus dem Getümmel sollte geordnet von Statten gehen, aber wenn man die Eingangstür erreicht hat und niemand es sieht, sollte man so schnell laufen, wie man kann, damit man draußen in der Raucherecke nicht noch in zähe Abschiedsrituale verwickelt wird (sorry Journalist F., ich bin gerannt wie der Teufel)). Nur die stille Komponistin B. lächelt mir zum Abschied zu. Sie ist es auch, die für die einzige Notiz des Tages im kleinen ledernen Buch gesorgt hat: „Ich durfte nicht mehr nichts tun.“ (ein Großwort, das sie messerscharf pointierte, als man sie darauf ansprach, wie sie denn in das Bühnentrio gekommen sei und dass sie nur eingewilligt habe, bei dem Projekt mitzumachen, wenn sie auf der Bühne nichts machen müsse – nuja – und als sie dann mit von der Partie war, durfte sie plötzlich nicht mehr nichts tun und nun tingeln die Drei durch die Republik von Gig zu Gig.)

++Mal wieder verpetzt worden mit dem Weblog. Irgendwann kriegen sie dich, Sudelbuchautor und OberschmierLink Irgendlink. Mir graut vor dem Tag, an dem man im Amt ohne Wiederkehr diese Blogeinträge ausgräbt. Noch schlimmer wird es, wenn sie die Artikel über das Jazzfest finden. Dieses Buch ist eine tickende Zeitbombe. Verpetzt wurde ich von Hartz IV Vollstrecker J., seines Zeichens eine Figur, die vor etlichen Monaten des öfteren in Journalist F.s Blog vorkommt. Es war mir gar nicht recht, dass er mich seiner Kollegin B. und Marketingspezialistin R.- nuja – als Blogger outete. Wir redeten über Fotografie und die Vollstreckerin erzählte von ihrem Kirschbaum, den sie in den Jahreszeiten portraitiert hatte. Sei glücklich im Herbst. Als Blogger hat man es schwer da draußen in der echten Welt. Stets dieser Dünkel, was hat dieser oder jener Mensch denn ggf. über einen gelesen. Frühmorgens, habe ich darüber nachgedacht, wie deckungsgleich die Figur Irgendlink mit seinem Autor ist. Ich sehe mich außer Stande, das richtig einzuschätzen, denke aber, Irgendlink ist weitaus fiktiver, als mancher Leser denkt. Manchmal bin ich so verrückt, zu glauben, ich habe mir die ganze Welt nur ausgedacht und bin eigentlich mutterseelenallein und alles alles alles ist nur in meinem Kopf.

Es gibt ja so viele Ermäßigungsarten für die Karten des Kleinkunstfestivals. Eine lautet, Menschen mit einer körperlichen 100 prozentigen Behinderung dürfen eine Begleitperson mitbringen, die keinen Eintritt bezahlt. Was aber macht diese Begleitperson, wenn ihr Schützling krank ist und nicht an der Veranstaltung teilnehmen kann? Jene Frau, die ihren behinderten Mann begleiten wollte, aber, da er ja wegen Krankheit verhindert ist, sagt sie, sie hätte gerne seine Eintrittskarte umgetauscht gegen Bargeld, sie könne ja auch alleine zur Vorstellung mit ihrer gratis Begleitpersonenkarte. Haste Worte.

++Chef R. stöhnt, er sehe schlecht in letzter Zeit und brauche für jede Kleinigkeit eine Brille. Such dir eine Frau mit größeren Brüsten, sagt nassforsch Monsieur Irgendlink.

++Journalist F. ist der einzige Mensch, den ich kenne, der sich mit einem Puls von unter 70 und einem traumhaft niedrigen Blutdruck auf die Bühne traut, um vor 900 Gästen zu moderieren. „Ich hatte einmal einen Auftritt auf einem Kinderdreirad, auf dessen Gepäckträger ein Korb mit Lyonerwurst gepackt war. Vor 400 Gästen kreuzte ich Tatütata rufend auf der Bühne. Das ist der Grund, warum ich kein Lampenfieber habe.“ – „Du warst sicher ein niedliches Kind und deine Eltern haben sich riesig über den Auftritt gefreut.“ – „Ich war über Dreißig, als ich das gemacht habe.“

++Eine der Künstlerinnen kommt mir während des Festivalclubs ziemlich nah. Gefällt mir. Aber mein kaltes Veranstalterherz wird von einem messerscharfen Verstand beherrscht und als die Runde gegen zwei Uhr nachts eskaliert und sich uralte dicke Alphamännchen zu uns an den Tisch gesellen, die über mich hinweg an der Künstlerin graben, bestelle ich die Rechnung, bin unhöflich und verlasse das Restaurant. Im ewigen Satirefestival-Kartenspiel gilt: der Trumpf ein Schildchen an der Brust zu haben mit der Aufschrift Veranstalter oder so ähnlich, ist nur ein mittelhoher Trumpf gegen den Trumpf, ein Jurymitglied zu sein. Von den beiden Alphamännchen war nunmal eines Jurymitglied und das Andere ein Ex-Jurymitglied. Die nette Künstlerin muss sich nun, da ich einsam diese Zeilen tippe mit den Typen über den Unterschied zwischen barockem Katholizismus und prüdem Protestantentum unterhalten.

++Kollege B. fühlt sich pudelwohl am Künstlertisch und gießt drei Asbach in kürzester Zeit und drei Weizenbiere, wird schließlich so laut, dass es mir ein bisschen peinlich ist, kippt aber Kraft des Alkohols und trollt sich zu Fuß nach Hause, nicht ohne mir vorher zu predigen, mach dich mal locker, Irgendlink, du bist immer so uncool. So als würde ich nicht in die Runde passen. Recht hat er. Aber um die schwarzhaarige Künstlerin tut es mir trotzdem leid.

++Kurz vor Einlass rufe ich Journalist F. an, der gerade an der Dialyse hängt. Telefonisch lösen wir ein Eintrittskartenproblem. Ich bin ziemlich aufgekratzt, weil ich nur drei Stunden Schlaf hatte. Ringe unter den Augen. „Oh Herr“, denke ich und stelle mir den Kollegen Journaiist F. einhändig an seinem Netbook in der Dialysestation vor, umzingelt von klinisch Weißem und von Schläuchen und von Piepstönen, „wir sind Kulturzombies.“ – „Es ist eine Frage der Erziehung, ums Verrecken funktionieren zu wollen,“ sagt Journalist F.

Der Letzte schließt das Klavier ab.

2.58 Uhr. Zu Hause. YeahYeahYeahs dudeln die unbequeme FeverToTell. Noch immer total aufgekratzt von der Kleinkunstveranstaltung, welche heute Ihr Debüt gab im Nachbarstädtchen S. Seit fast vier Monaten arbeite ich an dem Ding im Amt ohne Wiederkehr und kann mich somit als Mitorganisator betrachten. Wohl deshalb war ich so erpicht darauf, mich wieder gesund schreiben zu lassen, denn ich bin eine projektversessene Kulturorganisatorensau, die nichts lieber tut, als sich im Gewimmel zwischen Kunst und allerlei Schillerlei zu suhlen. Da pulst das Herz, wenn es endlich losgeht und die Dinge, die man monatelang im Kopf geplant hatte, in Datenbanken ausformuliert und von Werbefachleuten in buntes Schnickschnack hat verwandeln lassen, wenn diese Dinge endlich rollen. Natürlich chaotischer erster Tag. „Das ist immer so,“ sagte Kollege Journalist F., „der Eröffnungstag der Veranstaltungsreihe ist der härteste. Hier merzen wir die letzten Kinderkrankheiten aus.“ „Antiquierte Hardware trifft auf moderne Antivirensoftware“, gab der weise Journalist aka Moderator F. auf der Bühne dem knapp 900-köpfigen Publikum zu verstehen. Dennoch war es gelungen, sämtliche Eintrittskarten auszudrucken und die Gäste auf ihre feinen Kleinkunstguckplätze zu bugsieren – wie jedes Jahr, gab es genau vier doppelt belegte Plätze, was zu Missmut führte, ein Bug im System? Ein Spaß der großen Systemebastler? Monsieur Irgendlink, moi meme, vertröstete die Unglücklichen in einen undimensionalen Raum in Reihe drei, von dem niemand etwas wissen darf, der aber eigens dafür eingerichtet ist, schwierige Gäste oder solche, die einfach nur Pech hatten, etwas Wellness zu vermitteln – und besten Blick auf die Bühne naturellement.

++Morgens um 9 erklärte mir Chef R., dass es ihm nicht gelungen war, meinen demnächst vakanten Posten in die Ausschusssitzung zu bringen, damit mein Vertrag endlich verlängert wird. Vielleicht hat es etwas mit dem langen Kranksein zu tun oder mit der allgemeinen Trägheit im Amt und dass dort keiner so recht weiß, wie es im chronisch unterbesetzten Amt ohne Wiederkehr weitergehen soll. Ich zuckte mit den Schultern und war nicht überrascht. Fakt ist, dass ich in zwei Wochen arbeitslos werde. (Hätte ich mich also diese zwei Wochen getrost krank schreiben lassen können, wie es die Ärzte gestern empfohlen hatten?) Nein! Ich kann den lieben Kollegen und Freund, Journalist F. mit der Veranstaltungswoche nicht im Stich lassen. So einfach ist das. Außerdem bin ich neugierig, das Ding, an dem ich die letzten Monate gearbeitet habe zu sehen, zu erleben, wie es wahr wird. Endlich. Da kehrt der Künstler zurück, der die Dinge tut, weil sie ihn interessieren und nicht deshalb, weil er für irgend etwas belohnt wird. Es war schon immer mein Credo, dass der Mensch nur dann glücklich ist, wenn er tut, was er tut, weil er es tun will und nicht, weil er sich mit dem bisschen Geld zufrieden gibt, das man ihm gibt, damit er tut, was er tun soll. Die Putzfrau putzt nicht, um zu putzen, sie tut es, weil sie Geld dafür kriegt. Deshalb kann sie nicht glücklich werden im Beruf. Aus ähnlichen gründen heilen manche Ärzte nicht, weil sie heilen wollen und Bankmanager managen keine Banken, weil sie Banken managen wollen, wie auch Politiker nicht politiken weil sie politiken wollen. Nur Künstler künstlern weil sie künstlern wollen. Dies ist eine Heiligsprechung.

++Pfützenübersäter Marktplatz, den ich in gewagten Sitesteps überquere, um fürs Amt ohne Wiederkehr ein paar Besorgungen im Rathaus auf der gegenüberliegenden Seite zu machen. Die lange Krankheit, der Aufenthalt in der Anstalt im sechsten Stock hat mich dermaßen durcheinander gebracht, dass ich vergesse, es ist Freitag, da arbeitet um 12 Uhr niemand mehr im  Rathaus. Fünf vor zwölf grinst mich der Hausmeister an und schließt die Tür. Ich kann gerade noch bei Frau M. vorbeischneien, die unter lautem Stöhnen mit einem Skalpell Namenscchildchen ausschneidet und jammert, die Woche sei ja viel zu schnell vorüber gegangen und es gäbe noch einen Rattenschwanz zu schuften, „was für ein Gulag,“ sagt sie. Das gefällt mir, wenn Frauen sagen, „Was für ein Gulag“. So ein Mist, dass der Job nun bald endet. Hier im Rathaus könnte man sich mit den Damen wirklich prima bespaßen, hatte ich schon beim Geburtstagsfest des OB bemerkt, dass es so eine Art geheimen Fickmarkt geben muss in dem Rathaus. Man muss sich nur debil dreinschauend bei solchen Festen in eine Ecke hocken und so tun, als kriegt man nichts mit, dann kann man die Gespräche belauschen und das Gezeter, wer mit wem was macht und sich heimlich trifft, bzw., man wird ausgefragt, ob man ledig sei, schwul, Kinder habe und wie alt. Die Kollegin M. ouh ja, was wir einen Spaß haben könnten und erst die andere Kollegin am Bürotisch gegenüber, ein Menschenleben könnte ich im Rathaus verbringen, ohne, dass mir langweilig würde. Durch traurigen, langanhaltenden Septemberregen laufe ich zurück zum Amt ohne Wiederkehr.

++Überhaupt: das Amt ohne Wiederkehr gilt als die Strafabteilung in der Stadtverwaltung. Wer hier hin versetzt wird, verliert jegliche Privilegien, muss nachts arbeiten, am Wochenende, zu unmenschlichen Zeiten (hatte Monsieur Irgendlink erwähnt, dass er gestern von 9 Uhr früh bis heute 2 Uhr nachts ohne Pause im Dienst war). Das Strafbataillon im Haus U., welches wie ein Aussätzigenlager dem Rathaus im Städchen S. gegenüberliegt auf der obskuren Seite des Marktplatzes.

++Nachmittags denke ich, ich breche zusammen. Die Regenschauer haben eine Pause eingelegt und ich gönne mir gegen 15 Uhr ein bisschen Ruhe. Da das Amt ohne Wiederkehr wegen finanzieller Differenzen einen Krieg mit der Catererin angezettelt hat, ist es nicht empfehlenswert, das Cateringbuffet ohne Vorkoster zu probieren. Ich kaufe in einer Bäckerei zwei Bretzeln und eine Apfeltasche. Auf dem Weg durch die Stadt schliddere ich mit den Ledersohlen edelster Schuhe über den Asphalt. Ich fiebere, fühle mich nicht wohl und zweifele erstmals, ob es richtig war, direkt aus dem Krankenhaus solch einen harten Tag anzugehen. Nach der Apfeltasche geht es mir besser. Ich beobachte die Künstler beim Soundcheck und döse ein wenig in der gähnend leeren Stadthalle. Genug Zeit, zu verschnaufen. Kurz vor Publikumseinlass prasselt ungehemmter Stress über die gesamte Crew. Der Kassencomputer schmiert ab, 900 Gäste begehren Einlass, Freund und Journaist F., göttlichster Windows-Administrator aller Zeiten rettet die Maschine und gewinnt den Kampf der antiquierten Hardware gegen das moderne Antivirenprogramm, um sodann die Moderation auf der Bühne zu übernehmen. Wie ein leichtfüßiger Jongleur löse ich Backstageprobleme und pflege die Künstler wie tausendjährige Bonsai-Buchen aus der südlichen Mandschurei.

++20 Uhr platzt der Knoten und die Veranstaltung fließt in ruhigem Strom dahin. Hausmeister M. überreicht mir einen Schlüsselbund: „Fürs Klavier. Du musst es nach dem Festivalclub abschließen und die Kunstlederdecke darüber ziehen.“ Vor meinem geistigen Auge steht ein Gerät von unschätzbarem Wert mit Elfenbeintasten und goldenen Pedalen und Saiten aus dem Gedärm außerirdischer Lebewesen, die einen Klang von gar entzückendem Frieden hervorbringen. Paar Probleme zwischendurch gelöst, mit Künstlern, Jurymitgliedern und wichtigen Leuten gut Wetter geredet und schließlich entgegen jeglicher Warnung durch die Kollegen das Buffet doch noch probiert. Wenn das Amt ohne Wiederkehr im Krieg steht mit der Catererin, ist es durchaus möglich, dass sie aus Wut ins Essen spuckt. Hirn sagt: Auf fünf Kilo Essen fällt ein bisschen Spucke überhaupt nicht auf. Mjammjam.

++Gegen 24 Uhr alles vorbei. Die Hartgesottenen treffen sich im Festivalclub, wo Moderator T. mit den Künstlern des Abends allerlei Hintergründe recherchiert und die Gäste im Club intime Fragen stellen dürfen. Monsieur Irgendlinks Aufgabe ist es eigentlich nur, stillschweigend daneben zu sitzen und anschließend die Rechnung abzusegnen, denn alle werden eingeladen. Naturellement. Ach und da war noch etwas, was bloß?

++Die seltsame Magnifikanz von Männern mit Namensschildern. Merke: wenn Du Sex haben willst, kaufe Dir einen Sakko und hefte ein Namensschild mit dem Untertitel Veranstaltungsorganisation oder so ähnlich ans Revers. Gehe zu einer kulturellen Veranstaltung. Halte dich in der Nähe der Toilette auf. Hütde dich vor Borderlinerinnen.

++Gähnend müder Irgendlink konnte die Rechnung im Festivalclub (im Restaurant, welches der Catererin gehört) auf moderate 53,40 Euro dimmen (da staunst, Journalist F., und verstehst die Welt nicht mehr, gell). Etwas ist im Busch. Die Rechnung beträgt normalerweise ca. 150 Euro, hatte Journalist F. mich gewarnt.

++Der Damokles-Schlüssel zum Klavier, ach was, Klimperkasten muss man das Ding nennen, hängt an einem Rosshaar über meinem Schädel. Verflixt: Klavierspieler R. „Seit Menschengedenken beglückt er die Gäste im Festivalclub mit seinen Melodien“ spielt versonnen bis spät in die Nacht. Und Monsieur OberArschkartenzieher Irgendlink trägt den verflixten Schlüssel, mit dem man das Ding gegen unerlaubten Tastenzugriff sichert …

++Nun, nach diesem aufreibenden Tag endlich müde geschrieben. Es ist vier Uhr zehn. Ich höre Bobby Conn.