Rumtrödeln. Ich muss die Überstunden bis Wochenende noch loswerden. Ein Hin und Her im Amt ohne Wiederkehr. Der kranke Chef rief an, weil er sich Sorgen um mein persönliches Fortbestehen machte: „Du hast etwas Neues ab nächste Woche?“ fragte er. „Der Ex-Owner wird mich einstellen, auch wenn ich nur noch ein Bein habe“, log ich. Da war er beruhigt und versuchte mir die komplizierten Rathausmechanismen zu erklären und dass mein Posten nicht im Ausschuss zur Debatte stand. Journalist F. begrüßte mich morgens frustriert mit den Worten „Ich kündige.“ So sehr schlagen die Wogen der Kultur über uns zusammen. Alles geht drunter und drüber. Versonnen hielt ich mein Namensschild mit dem neuen Stadtlogo in der Hand, welches Kollegin M. in liebevoller und langsamer Arbeit so sorgsam mit dem Skalpell ausgeschnitten hatte.. Blick aus dem Fenster über den vernieselregneten Marktplatz. Die Bettler hatten sich irgendwo verkrochen. Die Kinderschaukel vor der Schule stand still. Auf dem Marktplatz waren zwei 40-Tonner geparkt, die die Tribüne für das kommende Oktoberfest geladen hatten. Die Kultur pumpt und pumpt und pumpt. Die Maschine läuft im Takt, wenn auch unter der ständigen Gefahr, für immer kaputt zu gehen. Lustlos wühlte ich mich durch Akten. Soll das die Zukunft sein? Ehrlichgesagt brauche ich das Pulsierende, den Adrenalinkick, die unverschämt schmutzigen Überstunden in der Nacht, den Kontakt zu bizarren Künstlern. Das Amt ohne Wiederkehr ist nur ein Kratzen am Mythos Gutbürgerlichkeit.

Die Kapelle des evangelischen Krankenhauses Z. Auf einem Tischlein vor der Tür liegt allerlei Lesbares, Prospekte, Karten etc. Und ein Teller mit gefalteten Zetteln. Kluge Sprüche drauf gedruckt. Ich öffnete einen Psalm soundsoviel, faltete ihn wieder zusammen, weil es mir nichts sagte, öffnete den nächsten, faltete ihn wieder zusammen und wiederholte das Spiel ein paarmal. Schließlich packte ich einen letzten Zettel. Der ist für mich bestimmt: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für dein Leben“ stand drauf, Ghandi habe das gesagt.

Journalist F. arbeitet zwar fieberhaft an einer Verlängerung meines Vertrags im Amt ohne Wiederkehr. Ob es etwas nützt erfahre ich erst am Freitag. Ich muss offen gestehen, dass ich den Job, dem ich anfangs so ambivalent gegenüber gestanden habe, lieben gelernt habe. Noch bin ich vom Siegestaumel der Kleinkunstwoche geblendet. Das Anstrengende aber Spannende liegt mir offenbar besser, als das Geruhsame aber Langweilige. Wer weiß, wie ich nächste Woche sinneswandele, wenn wieder bürokratischer Unsinn sich ausbreitet.

++Freitags lagen fein säuberlich geschnittene neue Namenschilder auf meinem Schreibtisch. Diesmal stimmte alles: neues Stadtlogo, Format und sogar die CI-Farben. Fein säuberlich hatte Frau M. sie mit dem Skalpell ausgeschnitten, ein Hauch ihres Parfüms lag in der Luft, aber als ich sie gegen 14 Uhr anrufen wollte, um mich zu bedanken und ein wenig über das feine Herbstwetter zu plaudern, nahm niemand mehr den Hörer ab. Stimmt ja auch: freitags nach 12 ist von der Rathausbande niemand mehr da. Nur die armen Kulturfuzzies schuften.

++Der OB hatte eine Mail ohne Betreff geschrieben, in der er die traurige Mitteilung machte, dass Ortsvorsteher T. frühmorgens gestorben war. Der Mann, den ich am Tag zuvor auf dem Pflaster hatte liegen sehen.

++Völlig aufgelöst begegnete mir Hausmeister H. vor der Stadthalle: „Ich mach‘ den Laden dicht. Ich werfe sie alle raus. Sie missachten die Hallenordnung. So kann ich nicht arbeiten.“ Die Fernsehleute hatten ihm und seinem Co-Hausmeister M. offenbar mächtig zugesetzt. Ziemlich knifflig, den Streit zu schlichten und die Veranstaltung zu retten. Mir ist sehr wohl bewusst, wer die Macht hat in diesem Land: die Hausmeister. Deshalb war ich in höchster Alarmbereitschaft, vermied laute Worte und ließ die beiden Herrscher der Welt das guter Hausmeister böser Hausmeister Spiel mit mir spielen. Auch dies gehört zu den Aufgaben eines Veranstaltungsorganisators, sich wagemutig zwischen die Fronten zu werfen und deeskalierend zu wirken, das Antibiotikum des Bühnenmanagements. Hallenverordnung hin, Hallenverordnung her.

++Kollege N. ist mir auf die Schliche gekommen mit einigen meiner Web-Aktivitäten. Offenbar hat er meinen Namen recherchiert und fragte mich über meine Webseiten aus. Auf dieses Blog sprach er mich jedoch nicht an. Es taucht zum Glück nicht auf den ersten Seiten einer Suchmaschinenabfrage auf. Dennoch: irgendwann kriegen sie dich, Mister Nestbeschmutzer Irgendlink Sir.

Mitten in einem PlusPlusText hängend mich etwas mit Bloggen ablenken. Kurz vor 12. Noch eine Stunde, dann beginnt der finale Lauf zur Kleinkunst. Letzter Tag. Gestern fiel die übliche Horde Fernsehleute über die Stadthalle her, installierte Traversen und Licht, entfernte Werbebanner. Gut 30 Menschen, eine alte römische Kohorte, wuselten durchs Haus und verbreiteten operative Hektik. Vorm Restaurant in der Stadthalle war ein Mann zusammengebrochen, Rettungsdienst, Blaulicht. Ich schlenderte auf Dientgang vorbei, suchte Frau M. vom regionalen Fernsehsender, damit sie mir als Ansprechpartner die Hölle heiß machen kann. Tat sie nicht. Nette Frau M. Der Mann lag nackten Oberkörpers auf dem Pflaster und ein Sanitäter knetete das stillstehende Herz. Für einen Moment wurde mir klar, wie seiden der Faden ist, an dem auch mein Leben hängt. Auf den stählernen Bänken unter den uralten Bäumen neben dem Restaurant saßen zwei zerlumpte Gestalten und starrten in seichte Sonne. Ein lauer Wind wehte von Nordost, ungewöhnlich lau wie ich fand, aber das gönnte ich den Gestalten. Wie Hitchcocks Vögel würden es vielleicht immer mehr werden. Am Anfang, also am gestrigen Tag, würde niemand etwas bemerken, aber im Laufe der Geschichte, die noch geschrieben werden muss über den beschaulichen Marktplatz im kleinen Städtchen S., würden nach und nach die Bettler das Regiment übernehmen, eine unschlagbare Armee geballten Scheiterns und in alkoholische Larmoyanz Verfallens.

Die Trüben Gedanken, die mich befielen, als ich neben dem Sterbenden stand und bei seiner Wiederbelebung zuschaute, verflogen, als ich Frau M. traf und wir den Ablaufplan für die heutige Fernsehaufzeichnung besprachen. Nun pulst das Leben und das Herz schlägt schnell aber stabil. Der Zusammengebrochene, sei ein Ortsvorsteher gewesen, flüsterte jemand. Der Rettungswagen fuhr mit Blaulicht davon, was kein schlechtes Zeichen ist.

Im Amt ohne Wiederkehr gingen im Minutentakt Anfragen ein für Eintrittskarten am heutigen Freitag. Aber die Veranstaltung ist seit Wochen ausverkauft. Da nützt es auch nichts, wichtig zu sein oder ein Ortsvorsteher oder der Freund eines Freunds eines Freunds …

++Zittrig erwacht am heutigen Morgen. Mir ist nach Herzstillstand. Die Hände wollen nicht, was ich will. Widerwillig führen sie die Kaffeetasse zum Mund. Hirn glaubt, etwas vergessen zu haben, bloß was? Im Kopf eine Hochstressmarke für 18:30 Uhr gesetzt. Das ist der Moment am heutigen Veranstaltungsabend, an dem für mich und Journalist F. der größte Stress besteht. Dann müssen wir nämlich auf diplomatische Art ein paar Sitzplatzprobleme für die Misters und Mistresses Oberwichtig in der viel zu kurzen ersten Reihe lösen. Die beiden Hausmeister der Stadthalle, welche Journalist F. seit Tagen gezielt bauchpinselt, weigern sich noch immer ein paar Extrastühle aus dem Hut zu zaubern und sie irgendwo da vorne direkt vor der Bühne aufzustellen. Vehement berufen sie sich auf die geänderten Hallenvorschriften und das Fernsehen braucht genau 1.23 Meter Raum, um mit der Kamera durch die Stuhlblöcke zu driften.

++Oh Herr, verlängere bitte nicht meinen Arbeitsvertrag im vermaledeiten Amt ohne Wiedertkehr, auf Knien will ich vom einsamen Gehöft bis zum Jakobusgrab pilgern …

++Oder tackern bis an mein bitteres Ende

++Dennoch hat Herr Irgendlink alles in die Wege geleitet, falls am nächsten Freitag, seinem letzten Arbeitstag, der werte Oberbürgermeister ihn einen zweiten Amtseid schwören lässt … kaufe Auto Haus, Frau und Kind und werde endlich in Echt echt.

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nachtrag. undeutlich ausgedrückt wohl: das Passwort heißt passwort und ich habe es gesetzt, weil der artikel unkorrigiert ist, aber gelesen werden darf aber nicht einfach so durch suchmaschine ausgespuckt werden soll