Gib mir ein Immer zwischen zwei Jetzt

vs.

Das Jetzt ist eine Insel im Immer

Weiß nicht, ob mein  Plan so gut ist, die PlusPlus-Texte in ein korrigiertes Script zu verwandeln und sie den treuesten unter den treuen Leserinnen und Lesern zu Weihnachten zu schenken. Im Prinzip ist das erste Volume PlusPlus abgeschlossen, liegt verteilt auf dem Laptop in kruden Textdateien, und einige Teile sind als Fetzen im ledernen Notizbuch, auf Kritzelzetteln und in anderen Büchern, in die man etwas mit Stift hineinschreiben kann. Sowie fragmentarisch im Hirn. Handlung des Volume 1 der PlusPlus Texte ist die Lebensgeschichte ansich. Deine, Deine und Deine und meine und die Anderer – und dass jeder Mensch das Recht hat, seine Lebensgeschichte zu erzählen, dass es aber nicht jedem Menschen vergönnt ist, es zu tun. Sowie diverse Tricks, wie man es dennoch schaffen könnte, jemandem seine Lebensgeschichte zu erzählen. Indem man zum Beispiel ein Teil seines Lebens dem Postboten erzählt und einen anderen dem Pflegepersonal im Krankenhaus – wohl dem, der einen Psychiater hat, dem er alles erzählen kann.

Oder ein Blog, so wie Moschö Irgendlink. Hehe.

Baulärm dringt durch komprimierte Nebelluft. Mit schweren Dieselmaschinen verdichten schwitzende Arbeiter Boden am Rande der Stadt, was bis zu mir aufs einsame Gehöft dringt. Ich sitze auf der Südseite am wunderbaren Freiland-Tresen, den ich vor Jahren zusammen mit Freund QQlka gebaut habe. Kaffee und Vögleinzwitschern, sowie das schrille Krähen des Hahns, während langsam die Sonne den Dunst lichtet.

Der gute alte Abe Simpson (aus der Trickserie Die Simpsons), jene Szene vor dem Altenheim, als die Alten voller Elan durch die Tür laufen und Abe laut ruft : „Hurra, wir sind frei!“ mit seiner heiseren Altmännerstimme. Stille legt sich über die eben noch mit aller Kraft geladenen Alten, die Szene friert ein und einer sagt: „Und was sollen wir jetzt tun?“ Ein braunes Ahornblatt weht durchs Bild.

++Computer sagt nein, als Monsieur Irgendlink sich morgens einloggen will. Das Zeitkonto steht auf Null. Im Amt ohne Wiederkehr herrscht rege Aufruhr wegen dem Firmenduell. Um neun Uhr erfahre ich, dass es vorher aufgezeichnet wird und erst um 11 Uhr gesendet wird. Nur Schund bietet einem der örtliche Werberadiosender. Wenn die Kollegen im Amt ohne Wiederkehr auf Journalist F. und mich gehört hätten, hätten wir das Duell gewonnen. So aber haben die anderen, ein Autohaus aus der Landeshauptstadt das Sternebuffet für den Mittagstisch eingeheimst. Chef R. hat sich tatsächlich aus dem schweren Krankenstand ins Büro geschleppt. Diese Wundernase. Er ist es auch, der dem Computersystem entlockt, dass Monsieur Irgendlinks Vertrag schon gestern ausgelaufen war.

++Es folgte: Verabschiedung mit den Worten „ich komme wieder“ und Kollegin Miss Ellie umarmte mich sogar. Dannper Zug heim nach Z., Krankenkasse, Arbeitsamt und nun bin ich schon auf dem Sprung, Blogkollegin Sofasophia vom Bahnhof abzuholen.

Dass ich morgens aus einem chinesischen Mädchen mit Schuhgröße 36 und einem süßlich riechenden Bettler einen olfaktorischen Akkumulator der Spitzenklasse basteln wollte, sei einmal dahin gestellt. Die Zugfahrt zur Arbeit ist bisweilen bizarr. Auf dem Marktplatz im Städchen S. steht nun ein 3000 qm großes Zelt. Freitag in acht Tagen kann ich die drei Damen, die für Morgenunterhaltung sorgten während der Zugfahrt, dort treffen. „Ham wir Dich zugetextet,“ verabschiedeten sie mich, als ich ausstieg. Es verblüffte mich, wieviel man über seine Mitmenschen auf einer 20-minütigen Fahrt herausfinden kann.

++Wieder Erwarten Stille von Seiten der Personalabteilung im Amt ohne Wiederkehr. Typ im Sakko steht im Regen mit seinen Schönschuhchen. Chef R. rief an und sagte, es habe nichts zu bedeuten, wenn das Computersystem einem aus dem Dienst scheidenden Urlaubstage anzeige, das sei nur ein Strohhalm, an den man sich klammern könne. Neugierig fragte er nach dem Firmenduell, das Kollege N. angezettelt hat. Komisches Radiospiel im örtlichen Werbesender, bei dem zwei Firmen gegeneinander antreten und Fragen beantworten müssen. Die Gewinner kriegen ein Mittagessen spendiert. Ich glaube, Chef R. liebäugt, seine Krankheit zu unterbrechen, um mit dabei zu sein. Die Bewohner des Bundesländchens S. können ja morgen ab 9 Uhr gerne mal reinhören beim örtlichen Werbeschnickschnackradio – aber Herr Irgendlink wird sich hüten, etwas zu sagen, Herr Irgendlink macht die Wikirecherche im Hintergrund. So der Plan. Falls das Amt ohne Wiederkehr gewinnt, ist allerdings etwas ungünstig, denn um zwölf Uhr, wenn der Essensgewinn gebracht wird, arbeitet ja niemand mehr in den Rathäusern.

++Auf dem Rückweg am Bahnhof im Städchen S. Hartz IV Vollstreckerin B. begegnet, zu spät reagiert und sie hatte mich nicht gesehen und als ich sie rufen wollte, fiel mir auf, dass ich sie tatsächlich nur als „Hartz IV Vollstreckerin B.“ kenne. Verflixt. Ich weiß nicht mehr, als meine Blogleser. So kam ich mir reichlich doof vor, an den vielen Fahrgästen vorbei zu rufen: „Hartz IV Vollstreckerin B., lass uns ein bisschen über das Wetter schwätzen.“ Und ließ sie ziehen.

++Wie Vollmond schob sich die Sonnenscheibe hinter Wolken, eine seichte Wolkendecke hing in der oberen Sphäre und weiter unten gaukelten, wohl nur zur Dekoration, kleinere, dichtere Wolken, denen man mit einiger Phantasie diverse Tiernamen geben könnte.

++Zurück in Z. traf ich Frau B. auf der Straße. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben und sie trägt immer noch schwarz. Sie fegte Laub, wir wechselten ein paar Worte und zum Abschied wünschte ich einen schönen Tag, worauf sie antwortete, „ich habe keine schönen Tage.“

++Annahme: Die Welt gerät für gewöhnlich aus purem Zufall aus dem Takt; selten steckt perfide Absicht dahinter, ein System zu stören. Wenn man bei den vier Zeilen Einkaufswagen vor dem Discounter einen heraus holt aus der kürzesten Schlange und ihn später wieder in die längste Schlange stellt, entsteht Unordnung und Chaos bricht aus, wenn Alle das so machen. Tun sie aber in der Regel nicht. So herrscht normalerweise ein ausgeglichenes Einkaufswagensystem, weil die Menschen unbewusst eine gewisse Ordnung einhalten. Ich hole grundsätzlich meinen Wagen aus der kürzesten Reihe, weil der am wenigsten abgegriffen ist. SchweinegrippeSchweinegrippeSchweinegrippe. Dabei ist mir sonnenklar, wenn in Deutschland ein Einkaufswagendepot aus dem Ruder läuft, kann das in China einen Taifun auslösen. Zu Recht gilt der Einkaufswagen als der Schmetterling der Konsumzivilisation.

Das hätte ich wohl gerne: Leben in Auflösung, jenes desperate Gefühl, das einen manchmal überkommt, wenn etwas zu Ende geht und man sich einen festen, fatalistischen Standpunkt sucht, von dem aus man die Szene beobachtet – es fühlt sich an wie fernsehen, einen langen, depressiven Film. In der Tristesse des Morgens nahm ich die Schülergruppe kaum wahr, die neben mir am Bahnhof auf den 9-Uhr-Zug wartete. Erst als das Gerangel um den Einstieg losging und ein fetter Junge sich noch bevor die ankommenden Gäste aussteigen konnten, an mir vorbei ins Abteil quetschte, erwachte ich. Ich rammte ihm den Lenker meines Fahrrads in die Leber und er tat so, als habe er es nicht bemerkt. Wir waren quitt. Unterwegs schrieb ich einige Zeilen ins lederne Notizbuch über die klassische Konstellation von Mädchen-Quartetten: es gibt die Anführerin und die Clownin, die ihr gefallen möchte und es gibt die Intelligente, die nicht gut aussieht und die Stille, die grundsätzlich rothaarig ist. Auf pfälzisch „rothoorisch Wutz“ genannt. Wenn ich als Teenager ein Mädchen und in einem Mädchenquartett gewesen wäre, wäre ich eine Mischung aus der Stillen und der rothaarigen Wutz gewesen.

Auf dem Marktplatz in S. hatte man begonnen, das riesige Festzelt aufzubauen, welches ab übernächste Woche Heimat aller Trinkfreudigen und Feiernasen der Region sein wird. Vom Haus U. konnte ich aus dem Büro ohne Wiederkehr den Aufbau von der Verlegung des Bodens über die Erstellung des Gerippes und das Bespannen mit Planen gut beobachten und freute mich, dass ich diesen Taumel wohl nicht mehr miterleben werde, da ja am Freitag mein letzter Arbeitstag ist. Freute mich zu früh, wie ein Blick in mein computergesteuertes Zeitkonto zeigte. Denn dort gaukelten an der Stelle, an der exakt null Tage Urlaub stehen sollten nun wieder ein paar Plustage. Die können nicht von ungefähr kommen. Das System administriert sich ja nicht selbst. Echte Menschen müssen das veranlasst haben, damit die Maschine mir sagt: „echte Menschen haben etwas für dein berufliches Fortbestehen getan, aber sie haben sich einen Dreck daraum geschert, dich – auch du bist ein echter Mensch – persönlich zu informieren, dass mit der Vertragsverlängerung etwas im Gange ist.“ Tse. Dabei hatte ich mich schon auf ein Leben als Europenner gefreut. Merke für Morgen: Sakko und Hemd und frischrasieren.

++Annahme: Der Mensch erreicht seinen höchsten Wirkungsgrad auf der Position, auf der er sich als unfähig erweist. Nachdem ich die tolle T. besucht hatte, kurbelte ich vorbei an der hiesigen Kaserne zurück zum einsamen Gehöft. Die obige Annahme wollte mir nicht aus dem Kopf gehen bis zu einem Nachbargehöft namens S. Erst dort kam ich zu dem Schluss, der Satz ist vollkommener Stuss. „Aber guuut, Mann, klingt so verdammt guuut, da machste was draus fürs Blog, damit die da Draußen sich den Kopf zerbrechen (oder auch nicht). Zwischen Hofgut S. und Hofgut R. labte ich mich am Wohlklang des Satzes; mein geistiges Auge beobachtet mich mit feinem Sakko und Hemd und Schönschuhchen im Büro ohne Wiederkehr, wo ich im Prinzip genau auf den Punkt zulaufe, den ich soeben fabuliert hatte: früher oder später werde ich mich als unfähig erweisen und getreu dem Peterprinzip an genau der Stelle hängen bleiben. Wie alle im Rathaus. Wie alle in allen Rathäusern. Vollbezahlt, glücklich und unübertrefflich im Wirkungsgrad.

++Annahme 2: Eine Wirkung, die man mit Nichtwirken erzeugt, ist oft größer, als eine Wirkung, die man durch konzentriertes Wirken zu erzielen gedenkt.

++Die Maschine sagt: „Ich bin zwar aus dem Takt und die menschliche Gesellschaft ist auch aus dem Takt geraten und das Krankenhaus, das du vor einer Woche noch deine Heimat nanntest, ist aus dem Takt genau wie dein maroder Körper, aber hey, ein Leben aus dem Takt ist doch die natürlichste Sache der Welt. Gib mir ne Eins. Gib mir ne Null.“