Sinnierend in der Niemandszeit

Nachts um vier hellwach, runter zur Südterrasse, Mond starren. Es ist hell und kühl, nicht zu kalt; so stehe ich unterm Nussbaum und begutachte die Welt. Aus dem Traum habe ich den Gedanken ans nahe Ende mitgenommen. Leise schimmert die Stadt, kein Auto unterwegs auf der Landstraße, die sich zweihundert Meter weiter östlich zur Sickingerhöhe schlängelt. Wie oft ich schon hier stand, genau an dieser Stelle unterm Nussbaum, der sozusagen mit mir gemeinsam groß wurde. Wir sind krumme, verbogene Genossen, wir beiden, Weggefährten durch eine rapid dahin galoppierende, sich stetig voran ändernde Welt.

Im Traum hatte sich meine zu erwartende Restlebenszeit komprimiert auf die Zeitspanne, die passiert, wenn einer aus einem Traum aufwacht, dessen innerer Chronometer noch nicht den Tagrhythmus gefunden hat, und dessen Zeitempfinden somit bei vollem Bewusstsein im Traumzeitrhythmus tickt: sprich schnell, mit blitzartig dahin zuckenden Zehntelsekunden, in denen selbst Verschiedenstes harmoniert, mit nichtmessbaren Momenten, die sich an andere nichtmessbare Momente reihen und eine verrückte Sequenz aus Bildern, Geschmäcken, Tönen und Gerüchen vermischen zu einem dennoch schlüssigen Etwas, das man als Wirklichkeit annimmt. Alles passiert gleichzeitig und das ist gut so und es ist auch verstehbar – nur in diesen raren Minuten, die sich manchmal ereignen, wenn man erwacht, noch nicht richtig da ist im Bewussten, aber auch nicht mehr dort drüben im Unbewussten.

Zehn Jahre noch, dachte ich, zehn gute Jahre, Junge, also solche Jahre mit funktionierenden Beinen, Armen, Hirn und Innereien; zehn Zipperlein freie Jahre … vielleicht auch fünfzehn oder zwanzig … manche meiner Freunde sind auch mit achtzig noch topfit, aber hey, ich hab bisher noch keine Ausnahme erlebt, dass aus der Sache mit dem Leben einer lebend und von Zipperlein ungepeinigt herauskommt. Irgendwann hatte es bisher jeden erwischt. Ich bin mittlerweile in dem Alter, in dem auch die ersten Freundinnen und Freunde sterben oder siechen. Schlaftrunken sinniere ich unterm Nussbaum, den man einst versucht hatte auszurotten.

Ich weiß nicht, warum man nicht die Kettensäge benutzt hatte vor vierzig Jahren und ihn einfach abgeschnitten hat. Mitleid? Ein Versehen? Keine Kettensäge parat? Der Baum steht viel zu nahe beim Haus. Ein ziemlich verstümmeltes Etwas mit ineinander verschränkten Ästen, von denen man dem einen oder anderen ansieht, dass er einmal angebrochen war durch Menschenhand, dessen Bruch sich erholte, der Ast groß und stark wurde, aber mit Narben. Die Äste ragen schon übers Dach. Jeden Herbst, wenn die Nüsse fallen, gibt es ein atonal-rhythmisches Konzert von willkürlich prasselnden Nüssen auf Blech. Manchmal plumpst sogar ein Eichhörnchen aufs Dach, was eher dumpf klingt und gefolgt ist von bedröppelndem sich Aufraffen, dahin Tappsen übers Dach mit anschließendem Hechtsprung zum nächsten Zweig. Nüsse raffen, Nüsse raffen, Nüsse raffen und durchkommen durch den Winter. So das Leben eines Eichhörnchens und so auch meines.

Die Stadt liegt sanft im Tal. Bis vor zehn Jahren kam sie immer näher, wurden Baugebiete erschlossen, wurde die ehemalige Kaserne konvertiert, wurden die Truppen- und Lagergebäude abgerissen, das Areal in schicke kleine Parzellen eingeteilt, gerade groß genug für ein Einfamilienhäuschen und Carport. Die Enge kriecht geballt den Berg herauf. Neue Straßen entstanden, die allesamt den Namen US-amerikanischer Bundesstaaten tragen: California, Missouri, Oklahoma und wie sie alle heißen, bis hin zum finalen Straßenzweig, einer Sackgasse. Die Sackgasse ist das letzte Aufgebot der Landnahme. Ein Gewerbegebiet am Rande der Stadt, das nie bebaut wurde. Welch wunderbare finale Brache. Wie so ein toter Ast an einem alten Nussbaum, wie so ein fehlfunktionierendes Traumhirn, das ein paar Minuten mitten in der Nacht gelüftet wird und dem Denken freien Lauf lässt, ohne sich ins gewohnte Zeitkorsett zu zwängen.

Für gewöhnlich ist in der finalen Sackgasse freitagsabends immer etwas los. Dann trifft sich die motorisierte Jugend zum Quatschen, Kiffen, Trinken, Spaß haben. Vorglühen für das Wochenende in einem Etablissement am anderen Ende der Stadt oder in der nächstgrößeren Stadt oder noch weiter weg in einer riesigen anderen Stadt und sie kehren nachts zurück zum Hupen, Reifenjaulen, Rennenfahren auf den zweihundert Metern Sackgasse, in der nie ein Mensch sein Gewerbe ansiedeln möchte.

Am Rande der Stadt – also rein theoretisch, also wenn ich eine Stadt wäre – passieren dunkle Dinge jenseits der streng getakteten Zeitzone des Bewussten, wird mir klar. Unkontrollierbares lässt sich aus auf den wenigen hundert Metern Freiraum, die die Stadtväter und -mütter im Bauausschuss einst schufen, in der Hoffnung, ein Steurzahler, eine Steuerzahlerin kommt daher und lässt sich nieder.

Stille herrscht in dieser Nacht, absolute Stille. Ein Samstag. Bei Vollmond, leichtem Frost und jeder Menge Niemandszeit, die in keinem Buch der Geschichte auftaucht.

All die Pläne, eine Filmpremiere und wie ich lernte, das schwer zu reitende Pferd Kdenlive zu reiten.

Tausend Worte am Tag schreiben. Den Shop aufräumen. Videos bearbeiten. Gesund leben. Rad fahren. Das Haus ansonsten nicht verlassen. Jeden Tag jede Woche ein altes, unbeendetes Projekt fertig machen. Jeden Monat einen ehrenamtlichen Artikel für den ADFC schreiben. Und noch so einiges.

Filmpremiere Radtour durchs Elsass am 17. Januar

Was hatte ich nicht alles vor in diesem Jahr und nun ist der Januar halb rum. Heute ist der 1 Million 61ste Geburtstag der Kunst und mein Film „Durchs Elsass per Rad“ geht um 18 Uhr online. Schaut gerne zur Premiere heute (Mittwoch 17. Januar 2024) vorbei. Natürlich ist der gut einstündige Youtubefilm danach dauerhaft im Netz. Bei der Premiere gibts eine Chatfunktion und ich werde versuchen, sie zu managen. Sprich, ich bin ab 18 Uhr da, schaue den Film zum gefühlt hundertsten Mal, aber mit Euch gemeinsam und beantworte allfällige Fragen.

Tja, da wären wir womöglich beim Hauptthema. Nachdem ich letzten Herbst schon begonnen hatte, mit Filmschnitt zu arbeiten (Elsässer Weinstraßenvideo), bin ich mit meinem zweiten Radreisevideo etwas tiefer in die Materie gegangen. Ich kann mittlerweile das Open Source Schnittprogramm Kdenlive bedienen und kenne seine Tücken. Hat mich etwa einen Tag Arbeit gekostet, Fehler zu machen, die ich nie wieder machen werde. Die gute alte Lernkurve eben, bzw. die Fehler lagen eigentlich in der Soft- und Hardware. Mit den digitalen Techniken ist es wie mit einem neuen Ledersattel. Dauert eine Weile, bis sie sich dem Körper anpassen.

Kdenlive (in meinem Fall Version 23.08 als Appimage auf Xubuntu) sicher nutzen:

Das A und O sind regelmäßige Sicherheitskopien Deines Projekts (echte Kopien, nicht nur regelmäßiges Speichern der Arbeitsdatei, denn das macht Kdenlive zuverlässig selbst). Falls das Programm abstürzt, oder wie in meinem Fall einen Schnitt-Salat produziert, kannst Du zu einer der Kopien zurück.

Es gibt nur zwei weitere Dinge, die in Kdenlive „gefährlich“ sind:

  • Das Werkzeug „Abstand entfernen“ produziert bei vielen Clips und mehreren Spuren und ggf. einer Untertitelspur einen nahezu irreparablen Schnitt-Salat, das heißt, es verschusselt alle Zeitstempel und zerstört den Film, löscht die Untertitel.
  • Die „Bearbeiten > rückgängig“ Funktion kann das Programm zu einem massiven Absturz bringen, so dass es sich gar nicht mehr starten lässt (davon las ich einige Berichte; in meinem Fall konnte ich das Programm nach dem Restart des Rechners wieder zum Laufen bringen).

Lösung für beide Macken: Die Sicherheitskopien, die Du am Besten immer vor größeren Eingriffen in die Schnittstruktur anlegen solltest. Die Kdenlive-Dateien sind im Vergleich zum eigentlichen Video mit nur einigen Megabyte Größe verschwindend klein.

Youtube

Ich weiß, ich weiß. Der Gigant. Daten abgreifen, die Arbeit kreativer Leute ausnutzen, um bezahlte Werbung unters Volk zu streuen. So widerlich, so gut, ich lasse mich trotzdem ein aus purer Neugier und bin ebenso angetan wie abgestoßen von der Plattform. Die Entscheidung ist gefallen, dass ich mich ein Jahr lang ausprobiere auf der Plattform. Spezialgebiet Radreisen und Outdoor. Ich lerne viel. Staune. Staunen ist wichtig. Es hat etwas Naives, finde ich, und das tut machmal ganz gut.

Art Birthday

Zum Geburtstag der Kunst gibts hier einen Wikipediaartikel. Happy Birthday, altes Künstchen.

Typischer Youtube-Thmunail. Vor der Kulisse eines Unwetters, das man aus einem kleinen Unterstand beobachtet, zerzauste Bäume, Starkregen, schaut weiß umrandet grob ausgeschnitten der Oberkörper eines behelmten Ralders, der verbissen in die Kamera schaut. Rechts über dem Radler ist eine sengende Sonne mit starken Strahlen künstlich animiert und überdeckt einen Teil der Unwetterszene. Die linke Hälfte des Videothumbnails ist in Youtube typischer Clickbait-Manier beschriftet mit weißen Lettern und schwarzem Rand: "Orkan vs. Hitze".
Radtour Elsass – August 2023 Youtube Thumbnail

Zu guter Letzt das Thumbnail meines Films. Bissel Clickbait, ich weiß, aber das gehört zu meinen Youtube-Exerzitien, wie auch die Premiere heute Abend (getreu dem Motto, Du hast das Werkzeug (Software, Feature, was auch immer), probiere es aus.

 

Von Punkern, Ravern und deserten Warriorn – die seltsamen Begebenheiten auf dem Hauptbahnhof Karlsruhe

Draufgestupst durch eine Kurznachricht in Mastodon, erfahre ich, dass Torsun Burkhardt gestorben ist. Gerade mal 49 Jahre alt. Krebs. Zack. Weg. Ein Link in der Kurznachricht erzählt von dem antifaschistischen Musiker, dessen Wurzeln im Punk liegen und der mit seiner Band Egotronics ab den 2000er Jahren zum Raver mutierte. Warum hab ich von denen nie was gehört?

Es lehrt mich wieder einmal, dass die Welt eben viel viel größer ist als man sich das im kleinen, feinen Menschenhirn jemals ausmalen könnte … wie sagte ich einmal: Das Unbekannte ist um ein Undendliches größer als das, was wir kennen und was wir jemals lernen, erfahren und wahrnehmen.

Die gestrige Rückfahrt aus den Ferien war geprägt von Torsun. Ab der Grenze, schon kurz nach Basel, wieder im heimischen Netz, nutze ich die massenhafte Datenflatrate, die mir der Mobilfunkanbieter zu Weihnachten geschenkt hatte und die bis zum 3. Januar um 23:59 verbraucht werden könnte. Dudele Torsuns Lied, das er mit seiner neuen Band, den Stereotronics im Frühjahr 2023 aufgenommen hatte. D.A.R.E heißt es. Es erzählt von einem Todkranken, der nicht schlafen kann, noch wirklich aufwachen, dauernd müde, Tabletten allüberall und es ist ein so wunderbar verspieltes schönes Lied – ich weiß, mein persönlicher Geschmack – so dass ich es praktisch in Dauerschleife höre. Derweil der Zug dahin rattert.

Wenn ich die Dauerschleife unterbreche, schaue ich auf Youtube „meine“ Hashtags durch, Survivalvideos in Abwechslung mit Lehrvideos der bayerischen Forstbehörde, in denen Baumfälltechniken gezeigt werden. Eine ganze Weile bleibe ich beim Hashtag hängen, den der Survivalshow-Youtuber Otto Bulletproof ins Leben rief. Darunter gibts Bewerbungsvideos zu sehen von Menschen, die am kommenden Projekt im Frühling 24 in Namibia teilnehmen wollen. Drei Wildcards gibt es zu gewinnen. Wenn man gerne mit dabei wäre, kann man ein Fünfminutenvideo mit dem Hashtag hochladen und sich bewerben. Ist wie Lottospielen ein bisschen. Zu „gewinnen“ gibt es ein zwölftägiges Abenteuer, bei dem man als Mitglied eines von einer Hand voll Dreierteams eine Art Wüstenwettlauf macht. Die Sache ist zwar ein bisschen militärisch angehaucht, aber der Macher, Otto, gibt sich auf Youtube als sympathischer Kerl. Schon liebäugele ich mit einem Bewerbungsvideo. Als ich in Karlsruhe aus dem Zug steige, das Handy noch immer in der Hand, denke ich kannst ja mal bissel filmen. Ich muss ohnehin üben, wenn ich mit meinen Ende 2023 begonnenen Videoexperimenten weiter machen will. Mein Kanal füllt sich langsam. Nach dem schon hochgeladenen Elsässer-Weinstraßen-Video habe ich in den Ferien in Fitou ein paar Experimente mit den sogenannten Shorts (Hochkantvideos bis zu einer Minute lang) gemacht.

Lange Rede, ich hab wie gesagt das Handy wie so ein Shortsfilmer in der Hand, tappe auf dem Bahnhof umher und finde Gleis 101, wo mein Anschlusszug nach Neustadt fahren soll, völlig verwaist vor. Die Anzeige zeigt einen Zug an, der in anderthalb Stunden nach Schwäbisch-wo-auch-immer fährt, überall hin, nur nicht in meine Richtung. Stürmisch. Fehlen die rollenden Büsche, die zirpenden Grillen.

Ich durchforste die App nach Alternativen. Sieh an, auf dem Gleis gegenüber kann ich in ein paar Minuten einen Zug über Schifferstadt nach Kaiserslautern nehmen, bin damit nur eine knappe dreiviertel Stunde später daheim. Schleppe meinen Rucksack also rüber nach Gleis 102. Hinterm Gleis ist ein Metallzaun, an den ich mich anlehne, feststelle, das Ding wippt schön, wenn ich mich mit dem schweren Rucksack dranplumpsen lasse, also wippe ich eine Weile und weil ich das Hochkanthandy noch immer in der Hand halte, schalte ich den Selfiemodus ein und plaudere: Über das Wippen, den ausgefallenen Zug, die Verspätung und was ich so getrieben habe während der Fahrt auf der Rheinstrecke. Komme schließlich  auf den DesertWarrior zu sprechen. Sind schon sehr viele Bewerbungsvideos im Netz. Teils wunderbar kreatives Zeug. Manche machohaft martialisch, andere lustig, wieder andere herzlich dilletantisch, naja, ähnlich dilettantisch wie ich gerade aufs Handy plaudere. Aber ich mache das ja nur zum Spaß und um ein bisschen zu üben für die Zukunft.

Plötzlich dämmerts mir, dass Bewerbungsvideos zu Survivalshows oder irgendwelchen anderen Youtubeformaten eigentlich ein eigenes Genre darstellen. Dessen ist man sich nur nicht bewusst, wenn man sich bewirbt. Scheuklappenbewehrt fokussiert man ja nur streng aufs Ziel hin und nimmt gar nicht wahr, dass man Teil eines gigantischen Pools von Ähnlichen unter Ähnlichen ist. DU BIST MITTEN IN EINEM BEWERBUNGSVIDEO, wird mir plötzlich klar. Noch habe ich kein Wort darüber verloren, oder gar einen Ansatz gemacht, etwas über mich zu erzählen. Schnitt.

Die Entscheidung, dass aus meiner lapidaren Pauderei auf Gleis 102 im Hauptbahnhof Karlsruhe ein Bewerbungsvideo für den DesertWarrior wird, fällt um 16:01. Gegen den Wind filmend, die Stimme völlig verrauscht, plaudere ich Eckdaten, etwa eine Minute lang. Schnitt.

Ich füge noch etwas hinzu, runde die Sache ab. Schnitt.

Mittlerweile bin ich in Schifferstadt, steige um, baue auch dort ein dahingeschnuddeltes Videoschnipsel ein und bin sodann zufrieden.

Abends daheim beschließe ich, am folgenden Tag, heute, das Material zu sichten, es zusammenzufügen und das Video fertig zu stellen. Ich muss es ja nicht veröffentlichen, mache es ja nur zur Übung … ha, denkste. Das ist das Problem mit der Kunst. Es kitzelt so schön, wenn man eine Grenze überschreitet. Treibt den Puls hoch, schüttet Adrenalin aus. Und zu guter Letzt die Rechtfertigung, du musst das tun, egal wie gut, wie schlecht es ist, die Dinge, die man sich ausgedacht hat müssen aus dem Kopf, müssen vom Tisch und das geht nur, wenn man sich ihrer in Form von Veröffentlichung entledigt.

Verbringe den Tag damit das Video zu schneiden und habe es nun hochgeladen. Noch ist es nur ungelistet und es wird somit auch nicht in die Bewerbungskolonne eingereiht. Es juckt mich in den Fingern, es öffentlich zu stellen, nur um zu schauen, was passiert.

Naja, ratet mal, was passieren wird.

Nachtrag zum Clip. Er ist nach meinem selbst erfundenen Dogma 23 gedreht. Out of the box. Der Künstler in seiner Zeit mit mit den Mitteln seiner Zeit und den Mitteln, die er gerade zur Verfügung hat. Im finalen Schnitt fehlen nur etwa 30 Sekunden des ursprünglichen Materials. Selbiges Dogma 23 gilt für den Elsässer-Weinstraße-Film. Dort habe ich vom originalen Rohmaterial etwa zehn Minuten weggelassen. Das Dogma 23 besagt etwa folgendes: Filme so, wie es final geschnitten aussehen sollte.

 

Von unscharfen Zukünften und präzisen Pfützenthermometern

Ein kleines Transportfahrzeug auf einem Bahnsteig verdeckt teilweise eine meterbreite Schrift, die zentriert an einer Wand geschrieben steht: "Ich bin ein Individuum. Weit mehr als jedes ausgedachte Figur aus irgendeiner Erzählung. Ich atme. Ich fühle. Ich lebe. Ich esse. Ich arbeite. Ich renne. Ich springe. Ich klettere. Ich erschaffe und zerstöre. Und das mein Leben lang. Teile der Schrift sind vom Transportfahrzeug verdeckt. Das Bild hat Panoramaformat und ist schwarz-weiß.

Im Zentrum der Künstlerbude liegen Klamotten, Kleinkram, Technik, der Reisepass, Fahrradpacktaschen, allmögliches Zeug. In der unscharfen Wolke, die meine Zukunft darstellt zeichnen sich zwei Möglichkeiten ab: kommenden Donnerstag mit der Bahn zur Liebsten in den Aargau, oder morgen, spätestens übermorgen per Radel inklusiv zwei oder drei Zeltübernachtungen bei Brrr Grad Celsius durch die Nordvogesen und das Oberrheintal.

Das Jahr neigt sich konfus dem Ende. Ich glaube, es war mein bisher schlimmstes – zumindest erinnere ich mich an kein übleres Jahr mit mehr Toten, mehr Welt-geht-vor-die-Hunde, mehr Elend und mehr Schmerz. Ein diffuses, hässliches Gemenge an Ereignissen. Großweltenläufig wie persönlich klein.

Seit Herbst stand sogar der Künstlerberuf auf dem Spiel und ich verbrachte viele Stunden mit Grübelei, ob ich 2024 nicht besser den Beruf wechseln sollte. Ein feiner warmer Job irgendwo; die Künstlerseele freikaufen. Auch das eine unscharfe Wolke möglicher Zukünfte.

Eine zarte Frostnacht. Der Garten liegt unter Raureif. Sonne streifte langsam über den östlichen Horizont heute früh. Als ich aus dem Hochbett kletterte runter in die spärlich beheizte Künstlerbude und nach draußen schaute, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, morgen früh aufs Reiseradel zu steigen und gen Süden zu radeln. Obschon es vermutlich genau das ist, was ich gerade brauche. Langsam im Wiegetritt auf dem heimischen Sattel das Jahr ausbaumeln lassen. Mein Blick streifte die „gepackten“ (wahllos dahin geworfenen) Klamotten, die Radelpacktaschen, den Teetisch mit kleinen Wichtigkeiten. Eine Explosionszeichnung des „geplanten“ Aufbruchs. Ich muss eigentlich nur noch zusammen packen.

Vor der Tür: Das Thermometer auf der Südterrasse zeigt ein zwei Grad. So genau kann ich das ohne Brille nicht ablesen. Der rote Strich rangiert aber sicher über null. Auf den mittlerweile geleerten Regenfässern neben der Tür liegen zur Abdeckung der Öffnungen alte Bratpfannen, in denen sich noch etwas Wasser befindet. Insgesamt vier Fässer (wir nennen sie scherzhaft Thinktanks) stehen in Reih und Glied und die Pfannen sind, je näher an der Haustür, teils noch offen, teils gefroren. Die Mittlere zeigt sich nur zur Hälfte mit dünnen Eis bedeckt. Ich habe ein präzises Pfützenthermometer vor der eigenen Haustür.

Tiefer Atemzug. Frische, kalte Luft. Ein herrlicher Morgen. Der Abend zuvor, fällt mir ein, war auch wunderbar. Still, kalt, klare Luft und ein ins Rötliche tendierender Sichelmond, der ungewöhnlich groß wirkte hinter den Pappeln am westlichen Horizont. Wie mit dem Stechbeitel geschnitzt.

Ich frage mich, warum ich aufgehört habe, solche alltäglichen Belanglosigkeiten zu notieren. Nein, das frage ich mich eigentlich nicht. Die Antwort kenne ich.

Persönliche Einschätzung, was die Zukunftswolke betrifft: Ich nehme Donnerstag den Zug (70 zu 30).

 

Radtour durchs Elsass auf der Elsässer Weinstraße – mein Film auf Youtube

Reiserad mit Gepäck auf geteertem Weg. daneben rechts ein Mensch im Schneidersitz. Im Vordergrund steht eine Action-Kamera uf einem etwa 20 cm hohen Stativ und scheint die Szene zu filmen.

Zum Schreiben reicht es momentan nicht.

Aber ein Film ist fertig geworden. Mitte Oktober war ich für vier Tage radelnd auf der Elsässer Weinstraße. Der Anderthalbstünder erfreut sich erstaunlicher Beliebtheit. Ich hatte ihn bisher nur über meinen Mastodon-Account im Fediverse beworben. Vermutlich habe ich aber auch bei Youtube versehentlich etwas richtig gemacht mit Titel, Beschreibung und Schlagworten.

Man kann den Film werbefrei über die Yewtube-Schnittstelle abrufen: https://yewtu.be/watch?v=xT86FGojUSE

Oder bei Youtube: