klitzekleines Schlusswort

Liebster Irgendlink

Ein bisschen, ich gestehe es, habe ich mich zuweilen wie eine Voyeurin gefühlt oder wie eine Wanze, derart mitpilgernd mit all den anderen Blog-Lesenden in deiner Hosentasche, im Jackenärmel oder im Rucksack …

Wie ein Mäuschen, das in sicherer Distanz zu Sardi in einer Ritze unter dem Bett neben Wollmäusen und vergessenen Stinksocken mitlauschte. Dem Schnarchen. All den Träumen. Den Gedanken. Den Gesprächen.

Fern und doch ganz nah. Ich bin froh, dass du es geschafft hast und einen Teil deiner Erlebnisse und Gedanken mit mir, mit uns geteilt hast. Danke!

Doch nun bin ich froh, dass du zurück kommst. Obwohl nicht religiös gibt es da einen wunderbaren Satz im Heiligen Buch der Christenheit:

Alles hat seine Zeit.
Pilgern hat seine Zeit. Heimfliegen hat seine Zeit.

Gute Landung im doppelten Sinn!

Herzlich, deine Sofasophia

Neue Wege zur Schuld

Ach, ich herrlich kompliziertes Memschenwesen. Nun war ich für eine Nacht des naiven Glaubens, ich habe jegliche Schuld hinter mir gelassen, weil ich diese Pilgerreise absolviert habe. Zudem im Año Santo, dem heilgen Jahr. Soll mich das Schicksal gegen Nachmittag eines Besseren belehren. Mein armes kleines Gewissen gibt und gibt keine Ruhe. Obschon ich sagen muss, dass die Fallstricke der Zwischenmenschlichkeit mich in diese Predouille bringen.
Doch der Reihe nach. Chaeuk, Roser und ich haben ein Zimmer geteilt in der Pension Estrela, das eigentlich nur ein Zweibettzimmer ist. Aber die Wirtsleute quetschen kurzer Hand eine Liege hinter die Tür, so dass der gesamte Raum zu einer Liegefläche wird und das Abstellen von Rucksäcken bzw. das Öffnen der Türen eine logistische Herausforderung ist. Mit 25 € pro Person ein stolzer Preis. Immerhin Handtücher, Seife, warm.
Frühmorgems erkläre ich Roser das iDogma. Demonstriere, wie man mit dem Minicomputer und ein paar Applikationen schöne kleine Fotokunstwerke kredenzt und erkläre ihr an Hand des Wortes ‚Camino‘ die für das literarische iDogma typischen Fipptehler. Der M-Bug. Ein Klassiker. Die Zukunft wird zeigen, dass der M-Bug der wohl markanteste Hinweis ist, ob ein Text, so wie dieser Blogeintrag auf einer iPhone-Tastatur geschrieben wurde. „Guck, Roser, so schreibt sich das Wort Camino, wenn man versehentlich.die Löschtaste direkt neben dem M trifft“, erkläre ich. „Cino. Man löscht nämlich statt ein M zu schreiben den Buchstaben davor. In diesem Fall das A. Die Literaturexperten der Zukunft werden viel kryptologische Arbeit leisten müssen.“ Ein weiteres typisches iDogma Merkmal ist der E-R-Konflikt. Folgt ein R auf ein E, so tippt man oft versehentlich zwei R.
So lachen wir uns wach. Chaeuk kriecht auf allen Vieren aus den Federn, hat er doch bis 3 Uhr nachts mit Rosa, Rodrigo und Thomas gezecht. Die schlafen nebenan in einem echten Dreibettzimmer. Carlos haben wir gestern Abend in den 21:40 Bus zum Flugplatz gesetzt. Wie verblasste Geister spiegeln sich unsere Silhouetten in den Omnibusscheiben.
Vor der Kathedrale am Morgen: Abgang Chaeuk und Rosrr, die sich zu Fuß nach Finisterre aufmachen. Nur etwa 80 km. Wetter zum Glück recht freundlich. Den Mittag verbringe ich mit den drei erstaunlich frisch wirkenden anderen Familienmitgliedern. Thomas mietet ein Auto, mit dem er und Sardi zuerst nach Finisterre fahren, morgen zurück nach Pamplona. Wo sein eigenes Auto – hoffentlich noch – geparkt ist. Ach Thomas und Sardi, diese meine beiden größten Herausforderungen auf dem Camino. Sei es nur, dass ich mittags, als ich in meinem nun endlich Einzelzimmer Siesta machen will, Sardi unter meinem Bett wieder finde. Der Hauswart hat nämlich den Dreien erlaubt, Rucksäcke und Hund in der Pensionsküche zu lassen, damit sie die Stadt besichtigen können. Den Hund hat er kurzerhand unter mein Bett verfrachtet in MEIN Zimmer, ohne mein Wissen.
Zum Abschied hat Thomas die grandiose Idee, Rodrigo, der aus Kostengründen die Pension wechselt, könne doch einfach in dem nun freien Bett in meinem Zimmer schlafen. Kompliziertes Gewissen-Irgendlink ON: kannst dem armen Teufel doch nicht nein sagen, immerhin seid ihr zwei Wochen zusammen gelaufen … aber das ist doch Betrug an den Wirtsleuten … egal, die Bude ist teuer genug. So mahlt es in mir. Und ich fürchte, ich muss gleich wieder loslaufen zwecks Sündenabbau, denn egal wie ich nun handele, Rodrigo reinschmuggeln oder nicht, entweder mache ich mich an den Wirtsleuten schuldig oder an dem Weggenossen. Ach Thomas, du mein Prüfstein, in was für eine Lage hast du mich wieder gebracht.
Wie sagt man so schön in Pilgerkreisen: Nach der Schuld ist vor der Schuld.

Denkmal, Knochen, Loch

Einmarsch der HeldInnen in Santiago.
Monte de Gozo. Oberhalb der Pilgerherberge, die aussieht, wie ein Campingplatz an der Adria, steht ein riesiges Monument, auf dem Johannes Paul II modelliert ist. Man sagt, wenn man den Monte de Gozo erreicht hat und hinunter schaut nach Santiago, kann man vor Rührung kaum weiter laufen. 800 km Leiden, Lachen, Hoffen entladen sich in einem einzigen Augenblick. Deshalb erwarte ich einen panoramesken Blick über Santiago und die Kathedrale gut sichtbar mitten drin.
Aber der Blick hat nichts Besonderes. Bebautes Land, von Straßen zerschnitten und von der Kathedrale keine Spur. Dunkle Wolken drängen von Westen. Vielleicht werden wir nicht trocken ankommen. Das Ortsschild von Santiago ist nur noch halb vorhanden. Kurz dahinter die Polizeiwache und ein etwa 12 Meter hohes Denkmal mit den Bronzen berühmter Pilger. Nochmal Johannes Paul, sowie der heilige Domingo. Die Camino AllStars, namentlich verewigt. Ich fotografiere die vier Seiten der Säule zwecks späterer Recherche und vielleicht, um die Happy Family digital hinein zu verhonepipeln. Wenn ich daheim am PC mal wieder Lust auf Quatsch habe.
Aus einem Restaurant schneit mir Mitpilgerin Alice entgegen. Mit ihren beiden brasilianischen Mit-Mitpilgerinnen. Großes Hallo, Küsschen hier, Küsschen da. So klackern sie vor mir her mit den Alu-Wanderstecken. Und die Beine unserer Regenhosen reiben rhythmisch – ff pf ff pf und kleck kleckkleck kleckeldikleck – Was für eine atemberaubende Einreise. Geräusche, Düfte, Stadthektik, enger und enger werdende Gassen bis wir, Carlos sei Dank nur 50 Meter bevor sich die Kathedrale aus der Enge schält für zwei Stunden in einem Restaurant unterkriechen, MjamMjam.
Pilgerspießrutenlauf: 3 Minuten vor der Messe will Roser unbedingt, dass wir durch die Pforte des Heiligen gehen, uns was wünschen, Andacht halten usw. Um dann durch die Pforte am südlichen Flügel zur Messe zu gehen, wo wir vom Pfarrer öffentlich als Pilger und Compostela Besitzer gewürdigt werden. Ein Weg von etwa 400 Metern labyrinthisch, auf ab, vorbei am Standbild des Heiligen, runter in die Krypta, Gebeine. Drei gebrechliche Muttchen vor uns, die wir in dem engen Keller nicht überholen können, so erreichen wir die Messe. Zu spät. Der Pfarrer liest mit monotoner Stimme: eine französische Pilgerin, die in Le Puy gestartet ist, vier spanische Pilger aus Leon, ein Ungar aus Roncesvalles und so weiter und so fort. Den Deutschen aus St Jean, mich, hat er wohl schon gelesen, Mist.
So hektisch hab ich mir das nicht vorgestellt, als Amerikanerin Laura mir in der Herberge in Foncebadon von dem Jakobsritus erzählte. Zuerst, sagte sie, kommt die Skulptur und der Handabdruck, wo du deine Hand reinlegst und dir was wünschen darst. Dann passierst du die Gebeine des Jakobus und dankst. Dafür, dass du es geschafft hast. Zu guter letzt ein Loch, in das du einen Zettel werfen kannst, auf dem du einen Wunsch geschrieben hast. Denkmal, Knochen, Loch, merke ich mir.
Vorgestern erzählt mir Deusch-Spanierin Frauke, die mit ihrem Vater pilgert, dass der einzige Grund der Pilgerschaft nach Santiago Dankbarkeit ist.
Ich stelle fest, auch hier jede Menge Vermutungen, Gerüchte, Internetwissen. Ungeprüft und nicht belegt, je öfter durchgekaut und verstümmelt überliefert – so wie ich das gerade in diesem Blog-Fachartikel tue – desto schemenhafter erscheint die Wahrheit.
Prophylaktisch wünsche ich mir ein schönes Restleben zusammen mit Sofasophia, umarme die Santiago-Büste, wie dies Roser mir vormacht.
Als Katholikin muss sie es ja wissen.

Kathedrale Santiago von Osten gesehen, Praza Do Obradoiro.

Georgium Link erhält die Compostela

Gegen vier bis fast sechs im Restaurant Jacobeo versumpft. Dann ins Büro, in dem etwa fünf emsige CompostellistInnen die Urkunden ausstellen. Vom 18. November 2010 abends um Acht bis 20. Dezember 2010 gegen Sechs Uhr abends bin ich somit höchst verbrieft gepilgert.
Ist Stolz eine der Todsünden? Egal. Ist ja heiliges Jahr und mir werden in der Messe gleich um halb Acht bestimmt alle Sünden vergeben. Warum war ich nur immer so ein braver Junge?

Noch druckfeucht: die Compostella mit Irgendlinks latinisiertem Vornamen: Irgend leitet sich von Georg ab, georg, der Landmann, Georgium, wie der/die LateinerIn zu sagen pflegt.