Eins hab ich noch

Kurz vorm Abstieg nach Santiago noch ein Bild durchs offene Wifi des Alberguencafeteria Monte de Gozo pumpen.

Panoramamontage der Landefeuer am Flugplatz.

Monte de Gozo

Cafeteria der Herberge Monte de Gozo. Santiago vor Augen. Die Herberge hat etwa 500 Habitationes, Zimmer mit was weiß ich wievielen Betten. Gut 100 m läuft man durch ein Spalier an Häusern, ähnlich einer Kaserne bis zum zentralen Platz, an dem sich Supermarkt, Wäscherei, Kaffeeautomaten und der Restaurantkomplex befinden. Brunnen mit lebensgroßer Pilgerin aus Bronze, die sich die geschundenen Füße reibt.
Sieht aus wie auf einem italienischen Adriacampingplatz. Fehlt nur noch die Disco und der Minigolf.

Unweit des Flugplatzes von Santiago. Noch ca. 10 km zu laufen.
Pilgerinnendenkmal in Monte de Gozo. Knappe Stunde vor der Kathedrale.

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Nur noch 18 km. Seit Saint Jean knapp 800 km zu Fuß. Das Unvorstellbare fühlt sich ganz natürlich an, wenn man es erst einmal wahr gemacht hat. Vorhin im Restaurant schräg gegenüber der Porte de Santiago Herberge servieren sie unser Essen auf den typischen Papiertablets, Unterlagen für Teller, Servierten und Besteck, die mit Werbung und sonstigem Schnick-Schnack bedruckt sind. Auf diesen ist der Camino von den Pyrenäen bis Santiago gedruckt, sowie die nördlichen Caminoderivate, der Küstenweg, der Camino Primitivo, der in Oviedo beginnt und der englische Weg, der von Norden nach Santiago führt.
Die üblichen fleischlastigen Speisen, Rotwein, gute Laune. Mit den beiden Rosen und Jesus (nicht verwechseln mit dem radpilgernden Trucker Jesus, mit dem ich einen Abend in Punte la Reina verbracht habw) sitze ich an einem Tisch. Ein Tisch weiter der Rest der Familie.
Auf die Papierunterlage kritzele ich alle Caminos, die mir einfallen, eine Art Todoliate für die Zukunft, falls man mal nichts zu tun haben sollte: der Ole-Way (o. Ä. ) in Südkorea, Pfälzer Jakobsweg, Via de la Plata, Kungsleden, Coast to Coast und moch ein paar weltweite Wanderstrecken. Jesus mokiert, dass meine unvollständige Liste nur Wege in der nördlichen Hemisphäre enthält. Sagt etwas von Anden und Patagonien, wo er mal gewandert ist oder es tun möchte. Mein Spanisch ist noch immer bescheiden und Roser übersetzt nur bruchstückhaft. Also schreibe ich Patagonien und Anden auch auf die Liste, sowie den Adlerweg, den uns Thomas ans Herz legt. Zusammen etliche tausend Kilometer. Ich brauche mehr Leben. Rosa setzt ihre Unterschrift darunter und nach und nach unterschreibt die gesamte Happy Family das Blatt. Es ist rührend. Jesus beäugt die Unterschriften faszoniert und beginnt den Rosen über die Charaktereigenschaften der Unterzeichnenden zu erzählen. Nicht dass er Graphologe oder Psychiarter wäre, irgendwas mit Militär macht er, munkelt Roser. Aus einem kurzen Telefonat, das ich belausche, erfahre ich, dass er mit einer gewissen Antonia redet. Dem Ring an seiner Hand nach zu urteilen, könnte es seine Frau sein.
Ich Hercules Poirot, ich Sherlock und Columbo, ich.
Egal. Jesus redet und redet und deutet und deutet die Schriftbilder und er fordert die Rosen zu weiteren graphologischen Proben auf. Roser etwa macht auffällig große Wortabstände, so als wolle sie alles, was sie schreibt mit nachdruck schreiben.
Mittlerweile verdächtige ich Jesus, dass er Militärpsychologe ist, oder Geheimdienstler, Amtonia nur ein Codewort. „Si Señor M., ich bin jetzt bei ihnen“, sagte er doch am Telefon, oder?
Im Fernsehen läuft der Wetterbericht. Es bleibt wie es ist die nächsten Tage, regnerisch, warm, galizisch irgendwie. Und Portugal, lachen wir uns kaputt, hat, wie man in der Wetterkarte sieht, überhaupt kein Wetter. Keine Sonne, keine Wolken, keine Temperatzren und keinen Wind.
Ein ganz normaler Pilgerabend nimmt seinen Lauf, der letzte unterwegs.
What’s next, frage ich. Vielleicht trifft sich die Happy Family ja mal auf dem Pfälzer Jakobsweg?

Arca

Ein schöner aber trüber Tag. Immer wieder Nieselregen. Die Art Wetterlage, wie sie in meiner Vorstellung herrschte, bevor ich losgelaufen bin..Das Stück Camino von Salceda nach Arca führt meist an der N 547 entlang. An diesem Sonntag ohne LKW noch erträglich.
Der Hauswart der Privatalbergue, in der die Familie absteigt, tippt das WIFI Passwort persönlich ins iPhone. Übernachtungskosten 10€ und Hund Sardi darf auch rein. Mit im ca. 30-Bett-Zimmer ist Jesus. Der ehemals kräftige Schnellwanderer mit den Kniestrümpfen trägt einen Vierwochenbart und ist allerbester Laune. Wie wir alle eigentlich.
Falls es einen Jakobswegdramaturgen gibt, hat er allerbeste Arbeit geleistet. Der Weg läuft sich wie ein Stück von Dürrenmatt. In einer Bar in Salceda bei km 25,5 läuft klasse Musik, Bob Dylan, Kokain und so weiter. Alle Wände sind mit Sprüchen bemalt. Chaeuk schreibt unsere Namen in koreanisch an die Decke. Es gibt Pilgerschnickschnack zu kaufen, Jakobsmuscheln, Schmuck etc. Tischfußballspiel und die quirlig fröhliche Wirtin, die jedem von uns eine Anstecknadel schenkt. Wenn das so weiter geht – gestern hat man jedem von uns in einem Supermarkt ein dreiviertel Kilo Musaka geschenkt – werden wir vor den Stadttoren unter dem Gewicht der Geschenke zusammen brechen.

Nähe Calzada, km 31,1. An diesem trüben Tag rettet die HDR-App auf dem iPhone die Photos vorm Versumpfen.
Kaum ein Schild, Pfosten oder Baum, auf dem noch niemand sich verewigt hat. Auch die nackten Stämme der Eukalyptusbäume, die ihre Rinde offenbar von selbst verlieren, sind manchmal beschriftet.
Ein LKW für die Peregrina, die Pilgerin von Welt in Santa Irene.
Der Camino streift Arca nördlich. Auf der Suche nach der Happy Family machen Roser und ich einen kilometerweiten Umweg. Erst der singende Pilgerdraht, SMS bringt uns zur Albergue Porte de Santiago im Ortszentrum.

K. 29,5

Eine Bar direkt am Weg. Vorhin hat es geregnet. Weshalb alle Peregrinos und Peregrinas in ihre Regenkleider gekrochen sind. Ein umgewohntes Bild. Man erkennt sich an den Farben schon von Weitem. Die Regenkluft hat in der Regel andere Farben. Wieviele Tage haben wir sie nocht gebraucht? Roser, die sonst rot trägt, erkenne ich im blauen Poncho erst, als sie direkt vor mir steht.
Eine Weile laufe ich mit der Deutschspanierin Frauke, die ich in O Cebreiro erstmals traf. Ihr Vater hat sich zu ihr gesellt. Mit Vätern den Camino zu laufen ist eine ähnliche Herausforderung, wie mit Hund.
Die Bar ist kühl. In drr Ecke heizt ein Kanonenofen nasses Holz. Es riecht nach Qualm. Im Zuge meiner Resozialisierumg und wegen des gestrigen Pulpo-Erlebnisses ordere ich ein vegetarisches Bogadillo, ein halbes belegtes Baguette mit Zwiebeln, Karotten, Tomaten, Salat und Paprika.
An der Wand hängt ein 6000teiliges Puzzle, das Spielkarten zeigt. Unheimlich kompliziert wegen der vielen Details. Der Patron sagt, er und seine Frau haben es innerhalb von drei Monaten Rato für Rato an den Abenden zusammengepuzzlet.
Im Flachfernseher läuft eine Dokumentation über den kleinen Problemhund Nacho, fieß kläffender Chihuahua, 4,5 Jahre alt. Das vierbeinige Familienoberhaupt terrorisiert die ganze Familie. Die Mutter ist den Tränen nah. Papa ist lethargisch resigniert und der fümfzehnjährige Sohn riskiert seine Finger, das kläffende Alphatier unter dem Bett hervor zu holen.
Auch in Spanien scheinen Hundesendungen von Interesse zu sein.
Der Camino neigt sich erschreckend dem Ende. Wie ein leckeres Abendessen versuche ich mir die Reste aufzusparen so lange es geht.