Einmarsch der HeldInnen in Santiago.
Monte de Gozo. Oberhalb der Pilgerherberge, die aussieht, wie ein Campingplatz an der Adria, steht ein riesiges Monument, auf dem Johannes Paul II modelliert ist. Man sagt, wenn man den Monte de Gozo erreicht hat und hinunter schaut nach Santiago, kann man vor Rührung kaum weiter laufen. 800 km Leiden, Lachen, Hoffen entladen sich in einem einzigen Augenblick. Deshalb erwarte ich einen panoramesken Blick über Santiago und die Kathedrale gut sichtbar mitten drin.
Aber der Blick hat nichts Besonderes. Bebautes Land, von Straßen zerschnitten und von der Kathedrale keine Spur. Dunkle Wolken drängen von Westen. Vielleicht werden wir nicht trocken ankommen. Das Ortsschild von Santiago ist nur noch halb vorhanden. Kurz dahinter die Polizeiwache und ein etwa 12 Meter hohes Denkmal mit den Bronzen berühmter Pilger. Nochmal Johannes Paul, sowie der heilige Domingo. Die Camino AllStars, namentlich verewigt. Ich fotografiere die vier Seiten der Säule zwecks späterer Recherche und vielleicht, um die Happy Family digital hinein zu verhonepipeln. Wenn ich daheim am PC mal wieder Lust auf Quatsch habe.
Aus einem Restaurant schneit mir Mitpilgerin Alice entgegen. Mit ihren beiden brasilianischen Mit-Mitpilgerinnen. Großes Hallo, Küsschen hier, Küsschen da. So klackern sie vor mir her mit den Alu-Wanderstecken. Und die Beine unserer Regenhosen reiben rhythmisch – ff pf ff pf und kleck kleckkleck kleckeldikleck – Was für eine atemberaubende Einreise. Geräusche, Düfte, Stadthektik, enger und enger werdende Gassen bis wir, Carlos sei Dank nur 50 Meter bevor sich die Kathedrale aus der Enge schält für zwei Stunden in einem Restaurant unterkriechen, MjamMjam.
Pilgerspießrutenlauf: 3 Minuten vor der Messe will Roser unbedingt, dass wir durch die Pforte des Heiligen gehen, uns was wünschen, Andacht halten usw. Um dann durch die Pforte am südlichen Flügel zur Messe zu gehen, wo wir vom Pfarrer öffentlich als Pilger und Compostela Besitzer gewürdigt werden. Ein Weg von etwa 400 Metern labyrinthisch, auf ab, vorbei am Standbild des Heiligen, runter in die Krypta, Gebeine. Drei gebrechliche Muttchen vor uns, die wir in dem engen Keller nicht überholen können, so erreichen wir die Messe. Zu spät. Der Pfarrer liest mit monotoner Stimme: eine französische Pilgerin, die in Le Puy gestartet ist, vier spanische Pilger aus Leon, ein Ungar aus Roncesvalles und so weiter und so fort. Den Deutschen aus St Jean, mich, hat er wohl schon gelesen, Mist.
So hektisch hab ich mir das nicht vorgestellt, als Amerikanerin Laura mir in der Herberge in Foncebadon von dem Jakobsritus erzählte. Zuerst, sagte sie, kommt die Skulptur und der Handabdruck, wo du deine Hand reinlegst und dir was wünschen darst. Dann passierst du die Gebeine des Jakobus und dankst. Dafür, dass du es geschafft hast. Zu guter letzt ein Loch, in das du einen Zettel werfen kannst, auf dem du einen Wunsch geschrieben hast. Denkmal, Knochen, Loch, merke ich mir.
Vorgestern erzählt mir Deusch-Spanierin Frauke, die mit ihrem Vater pilgert, dass der einzige Grund der Pilgerschaft nach Santiago Dankbarkeit ist.
Ich stelle fest, auch hier jede Menge Vermutungen, Gerüchte, Internetwissen. Ungeprüft und nicht belegt, je öfter durchgekaut und verstümmelt überliefert – so wie ich das gerade in diesem Blog-Fachartikel tue – desto schemenhafter erscheint die Wahrheit.
Prophylaktisch wünsche ich mir ein schönes Restleben zusammen mit Sofasophia, umarme die Santiago-Büste, wie dies Roser mir vormacht.
Als Katholikin muss sie es ja wissen.
Kathedrale Santiago von Osten gesehen, Praza Do Obradoiro.