Ums Land Schweiz #UmsLand

Oder lieber das Sofa? Schon stehen neue Orte auf meinem Zettel, schon skizziere ich ein genaueres Bild der Schweiz, suche nach Radrouten durch Graubünden: Landquart, Klosters, Davos (da wo’s steil wird :-) ), Sankt Moritz. Mir unbekannte Passstraßen, Flusstäler, elend hohe Berge ringsum und schließlich die italienische Grenze. Alleine das Schauen auf der Karte macht mir schon Herzrasen.
Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich mehr plane als ausführe. Viel mehr. Dass ich fast nur noch in Plänen und Luftgebäuden aufgehe und kaum noch etwas in die Tat umsetze und mit jedem neuen Plan kommt mehr Angst, mehr Unruhe, reift ein komplexes System aus Verunsicherung in mir.
Und wie sollte es auch anders sein? Wir leben in ungewissen Zeiten. Ungewisser als auch schon. Umgeben, geradezu eingelullt von schlechten Nachrichten, Klima, Krieg, Militärübungen ungeahnten Ausmaßes, Rankwerk für Ungewissheiten allüberall. Fürs einfach nur Kleinmenschsein bleibt kaum noch Kraft. Alles saugt, zerrt, versucht Dich auf die eine oder andere Seite zu bringen, eines unüberschaubaren Bildes, zu dem du dir eine Meinung bilden sollst, ohne überhaupt irgendwelche Tatsachen zu verstehen. Es gibt nur noch Expertenrat. Den Glauben, die Behauptung, die vorgibt, sakrosankt zu sein.
Leicht begreifbare Dinge wie etwa: In zweiundzwanzig Kilometern zweigt Radweg A von Radweg B ab und führt über Pass C ins Flusstal des D, vernebeln, verschleiern, spielen überhaupt keine Rolle im großen Spiel der Weltenränkeschmiede. Als trüge man gezwungener Maßen eine ewige Weitsichtbrile, die einem vorgaukelt, man habe eine Zukunft im Blick, könne etwas bewegen, habe die Chance, teilzuhaben. Nichts hat man.
Ein paar Tage Vergangenheit auf Reisen liegen hinter mir. Etwa 450 Kilometer in den Knochen, die mich von der Pfalz in den Aargau führten. Zunächst radelte ich nördlich und westlich der Vogesen entlang von Kanälen, Blies abwärts, Saar aufwärts, quer durchs westvogesische Hügelland, querte das Departement Meurthe et Moselle, streifte die Vogesen, begab mich direkt hinein, folgte der Route des Crètes, die westlich des Vogesenkamms als ehemalige Militärstraße gebaut wurde.
Einst führte die Narbe mitten durch unsere Gegend. Nun herrscht Friede, Freude Bergtourismus. Die Route des Crètes per Fahrrad? Hmm, ja. Vor 10 Uhr früh und nach 17 Uhr abends ist es recht erträglich. Dazwischen Motorradtourismus, Wohnmobile, PKWs, teils recht knapp überholend und ungeduldig. Gefährlich war es trotzdem nicht. Kriegt man etwas geschenkt auf der Route des Crètes? Nein. Sie führt von Vogesenpass zu Vogesenpass und erzeugt quer zu den Pässen ein eigenes System künstlicher Pässe. Beim Col du Bonnehomme stoße ich nach einstündiger Schiebstrecke über die ehemalige Route de Colmar auf die berühmte Gratstraße. Etwa 900 Meter hoch. Erwartete ich ab dort Flachland? Nein. Ich folge dem Auf und ab und lerne schnell, dass ich zu jedem der west-östlich verlaufenden Pässe in den Vogesen von den künstlichen Pässen, die die Gratstraße erzeugt, wieder absteigen muss. Col de la Schlucht, Col de Cavaillère, glaube ich, ne, der war vor la Schlucht, aber einerlei, erst etwa zehn Kilometer südlich von la Schlucht wird die Gratstraße etwas milder. Beim Abzweig zur Burg (oder ist es ein Berg, oder beides?) Hohneck sitze ich die Mittagshektik aus, liege auf einer Holzbank vor einer geschlossenen Auberge. Ein Trupp Soldaten trifft nach hartem Marsch bei einem uralten Omnibus ein, der beim Parkplatz vor der Herberge auf sie wartet. Sie rauchen, sie plaudern, ich lausche, ich warte. Ja, doch, die Route des Crètes lohnt sich per Fahrrad. Aber nicht in der Hochzeit, in der Hinzchen und Kunzchen ihre Nachmittagsausflüge motorisiert, „ei wie ist das fein, dahin zu brausen“, absolvieren.
Man möge mir diesen Ausreißer in die vergangenen Tage verzeihen. Es handelt sich um ein „Was bisher geschah“. Im Grunde sind die vergangenen vier Radeltage schon Teil meiner Umradelung der Schweiz. Eine Art Prolog und mit den Vogesen auch ein kleiner Vorgeschmack auf die bevorstehenden Pässe.
Ich erreichte die Schweiz beim Dreiländereck in Hunigue, Weil am Rhein, Basel und begab mich direkt auf den Rheinradweg. Die nationale Fahrrdroute Nummer zwei der Schweiz. Nicht ganz einfach, nur auf Basis der Beschilderung mich durch Basel zu wursteln, vorbei an Muttenz, hindurch durch Pratteln, ein Streifzug vorbei an den römischen Ausgrabungen in Kaiseraugst.
Es war heiß, so heiß! Wann war das? Letzten Donnerstag. Nun seit ein paar Tagen bei Frau SoSo, ihren Geburtstag gefeiert, nette Menschen getroffen, und unterschwellig immer wieder mit meinem Vorhaben gehadert. Eigentlich könnte ich auch wieder nach Hause fahren, denke ich oft. Heimisches Sofa. Heimischer Garten. Stille im Kokon.
Mein Plan, via Finnland ans Nordkap zu radeln scheiterte krachend. Das sollte ich an dieser Stelle erwähnen. Ich wurde gebraucht. Und zwar sehr. Als amtsrichterlich bestellter Betreuer von Freund Journalist F. war es eine nervenaufreibende Zeit, drei vier Wochen zuvor, ihn durch die Ethikkommission des kosmodämonischen Krankenhauses zu bringen, ihm einen würdevollen Tod zu ermöglichen. Er ging friedlich am 27. Mai, drei Tage, nachdem meine Fähre nach Finnland ablegte. Durch Finnland ans Nordkap ist „die beste gescheiterte Reise“, die ich je gemacht habe, schrieb ich in mein Notizbuch.
Ich bin natürlich sehr traurig. Viele andere Menschen trauern auch um Journalist F. Zu Lebzeiten wunderbar vernetzt und am Ende doch fast mutterseelenalleine.
Ich stellte fest – während der rekonvalezendierenden vier Tage radelnd in die ganz andere Richtung (nach Süden, statt nach Norden) – die Begleitung hatte mich über die Maßen beansprucht. Oft merkt man erst hinterher, wie gefährlich eine die eigene Gesundheit beeinträchtigende Ausnahmesituation im Alltag ist. Hörsturz, Herzschmerzen, Schlaflosigkeit, zum Glück wieder besser. Nichts von all dem ist geblieben. Die Ohren funktionieren wie eh und je, das Herz tuckert im steten Rhythmus … nur diese allgemeine Lebensunruhe begleitet mich noch. Ich nehme sie mal mit, rheinaufwärts, wenn ich morgen weiter radele.
Aktueller Standort im Aargau ist die Kleinstadt Brugg. Mein Plan ist, ins schweizerische Städtchen Koblenz an der Aaremündung zurück zu radeln und der Radroute Nummer zwei zu folgen, die in Andermatt in die Radroute Nummer eins, die Rhôneradroute, übergaht und schließlich ab Nyon am Genfersee durchs Jura zurück nach Basel. Das sei ein in den Niederlanden beliebter Klassiker rund um die Schweiz, erzählten mir einmal zwei Radler aus Utrecht. Es gebe sogar einen Reiseführer zu der Strecke. Mal schauen, ob ich den Graubünden-Schlenker noch einbaue.
Oder doch lieber heimisches Sofa und Garten?

3 Antworten auf „Ums Land Schweiz #UmsLand“

  1. Meine (nicht maßgebliche) Meinung: Fahr los! Es wird dir gut tun. Aber lass dir Zeit und Ruhe. Und: DU bestimmst das Ende, kannst jederzeit ab- oder unterbrechen. Dazu musst du allerdings los fahren. Doof, oder? ;-)

    1. Genau das, liebe Ulrike. Morgen gehts los. Frau SoSo gibt mir auf den ersten Kilometern sogar Starthilfe (radelt ein Stück mit). Hab Dank!

      1. Supergut! Ich wünsch dir gute Wege, ein paar Herausforderungen (macht ja sonst keinen Spaß, oder?), trockene Nachtplätze, feine Begegnungen und eine gute Zeit! Und uns allen, dass du zwischendurch bloggen kannst und wir dich wieder einmal begleiten dürfen. Pass auf dich auf, bleib gesund und in einem Stück!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert