Das Hohelied des Null-LeserInnen-Blogs

Last Exit Weblog. Ich denke, ich fürchte, ich hoffe, ich bin auf der richtigen Spur. Zurück zu den Wurzeln im Anbeginn des weltweiten Netzes. Als der Mensch, im Fall ich, noch frei war und sich nicht bis in den letzten Winkel seines Denkens in den sozialen Medien verirrte. Dieses irre Fraktal aus Ansichten, Meinungen, Bekundungen, dieses Machwerk sich selbst ausschmückender und somit unauthentischer Lebensläufe. Das ist doch alles nicht echt!

Nach der Reise rund um Bayern: Facebook auf, um zu reagieren auf die automatisch durchgereichten Blogeinträge. Unterwegs wollte und konnte ich Facebook nicht öffnen. Warum ich dennoch dort poste und Mitglied bin? Es sind die Menschen. Manche Menschen kenne ich nur auf Facebook. Deshalb bin ich da. Auch da. Manche Menschen sind nur auf Whatsapp erreichbar und so weiter und so fort und deshalb sind wir eben auch bei und so weiter und so fort.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal gesagt, ein Mensch, ein Blog. Das war eine Zeit, in der man sich im Netz immer mehr verzetteln konnte, sich bei diesem und jenem Blog-Portal anmelden konnte, um zu publizieren, um der Gemeinde Inhalte beizusteuern und einen gemeinsamen Mehrwert zu schaffen. Myblog hier, TwentySix da, Antville jenerorts, Thumbler, WordPress … man konnte sich zig kostenlose Blogs anlegen. Doch wozu? Um des virtuellen Sternchens Willen? Blogger der Herzen und Likes? Letztenendes gewinnt die Plattform, die dir das Meiste zurückbringt. Kommentare, Herzchen, Daumenhochs und Sternchen. Glasperlen der Moderne allerorten und was dabei untergeht: Darum geht es doch gar nicht.

Ich propagierte das Null-Leserinnen-Blog. Die Königsdisziplin. Bloggen um des Bloggens willen. Egal, ob es überhaupt jemand liest. Die Frage, warum man in diesem Fall denn nicht in sein kleines, papierenes Tagebuch schreibt und gut ist, stand lange Zeit berechtigt, bis mir bewusst wurde, dass es sich um Erde handelt und um Saat. Der Kipppunkt zwischen ich publiziere, theoretisch ist es jedem Menschen der Erde möglich, den Inhalt aufzunehmen, weiter zu spinnen an einem Gedanken und dem ich schreibe es in eine geheime Kladde, die niemand sonst lesen darf, ist auch der Kipppunkt, bei dem es um bedingungsloses Wachstum geht. Im ersten Fall bringst du eine Saat aus, die ganz ohne Zwang entweder wachsen darf oder vergehen, wie das in der Natur eben so ist, bei der zweiten hegst du auf deinem privaten Balkon die Samen. Mag sein, dass deine Zimmerpflanze der Webpublikation eine Weile gedeiht. Aber die wird sich garantiert nicht vermehren. Die erstere hingegen hat wenigstens die Chance darauf.

‚Ein Mensch ein Blog‘ ging natürlich prächtig schief, seit ich diverse Projekte ausgekoppelt und in selbst gehostete Blogs gepostet hatte. Das ist etwas anderes, als jedem Trend hinterher zu laufen für ein paar Klicks mehr. Mittlerweile sind es etwas zehn verschiedene Blogprojekte, die ich größten Teils abgeschlossen habe. Zum Beispiel gibt es das Paminablog und das Erdversteck als verschiedene Saatgutlinien … und noch so ein paar Projekte. Das Hauptblog, der am besten und intensivsten bewirtschaftete Acker, ist und bleibt dieses hier, in dem du gerade liest. Hier laufen alle Spuren zusammen. Es ist die Saatgutbank meiner feinen Künste und der Bloggeratur sozusagen.

Kurzum, Facebook wieder zu. Es bereitet so ganz und gar keine Freude. Es verwirrt mich. Ich kann mich noch nicht einmal über die Statistiken freuen; ich weiß was von Glasperlen und ich kann sie von Diamanten unterscheiden. Facebook und Twitter werden dir nie Diamanten geben. Diamanten sind so selten wie gut gehegte, von Inhaberinnen geführte Blogs. Da kommste nicht einfach so ran. Die liegen nicht wie Sand am Meer. Noch nicht einmal wie Bernstein, die bestellste nicht containerweise in einer billigen Blogherstellerfabrik und vertickst sie zu Massen über den Telekanal.

Metablogging. Bloggen über das Bloggen. Halte dich zurück, Herr Irgendlink. Klar willst du deine Geschichte erzählen, aber du musst doch nicht erzählen, wie du die Geschichte erzählst wie du die Geschichte erzählst wie du … und allegorisieren auf die Allegorie der Allegorie … musste auch nicht.

Es ist jedoch ganz klar, dass im Vorfeld des zu entstehenden Großen und Reinen, einem Buch zum Beispiel, erst einmal jede Menge Material gesammelt und nebeneinander gestellt wird. Dann die Verbindungen suchen. Unsichtbares sichtbar machen, Gutes verstärken, nicht erwünschtes löschen. Womit wir wieder beim Garten sind. Dein Saatgut ausbringen, es düngen, gießen, hegen, die unerwünschten Pflänzlein ausrupfen, hacken, Schnecken fern halten, die Blattläuse, vergiss die Blattläuse nicht und ja, der Ansatz von literarischer Brennnesseljauche schadet nie.

Jede Menge Daten habe ich gesammelt auf der Reise /Bayern. Drei Kategorien: GPS-Tracks, Fotos, Texte. Alles in Rohform im Blog sichtbar. Fast alles. Manche Beiträge sind privat gestellt, weil sie noch nicht korrektur gelesen sind. Aber letztlich ist der Garten ‚UmsLand/Bayern angesät. Frühlingsstimmung. Viel Arbeit. Dass ich ein Buch daraus mache, sagte ich im gestrigen Blogartikel. Ja. Ich mache ein Buch daraus. Wie es aussehen wird? Das weiß ich, wenn ich sehe, wie sich die Saat entwickelt. Wahrscheinlich ein reines Textbuch, eine Art Reisebericht in Romanform mit einem kleinen Bildteil in der Printversion. Verlag? Vielleicht. Ich habe keine Lust, mir die Hacken wund zu laufen. Hier kommt der Null-Follower-Hassardeur in mir zum Vorschein. Der Sache an sich, Sache an sich, Sache an sich-Plärrer, der, der für die Nachwelt arbeitet, oder nein, noch nicht einmal, der, der sät um des Säens willen und sich am Wachsen (und auch am möglichen Vergehen) erfreut. Der auf eine späte Ernte hofft, aber nicht darauf angewiesen ist.

Wenn ich an einer Sache arbeite, entsteht manchmal eine Art Flow, in dem ich an der Sache auf immer weiter arbeiten kann, ohne, dass ich dabei erschöpfe oder Fragen stelle oder etwas wie Sinn darin suche. So kann ich stundenlang zum Beispiel glücklich Geschirr spülen, eine schmutzige Ecke auf dem einsamen Gehöft aufräumen, einen dreihundertfünfzig Kilometer langen Radweg durch Wälder radeln (Grünes Band, tagelang, nicht nur stundenlang), diesen Blogartikel schreiben, ohne mir Sorgen zu machen, ob ihn je jemand liest. Sobald er fertig ist und im Netz steht, ist er eine Saat. Wenn sie jemand liest und auch nur etwas mitnimmt, vermehrt sich die Saat. Gutso. Wenn nicht, bleibt die Saat einfach liegen. Im Gegensatz zu natürlichen Saaten, bleiben die künstlichen, digitalen so lange erhalten wie die Server laufen, wie die Blogadressen bezahlt werden, wie die Hosterinnen und Hoster (im Fall ich selbst) dies ‚er-tragen‘ können. Und so lange wie es Wesen gibt, die die Inhalte dekodieren können (im Fall welche, die die Sprache der Texte verstehen).

 

 

16 Antworten auf „Das Hohelied des Null-LeserInnen-Blogs“

  1. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Alle, serviert für Alle, die gescheit ein besinnungsloses Wachstum an Nullen scheiteln und sich entsprechend sprechend kurz halten … also Rente für die, die Nichts tun, Nichts, nicht mehr piepen, … und so wenigstens wenig Kosten verursachen… , wenig Hitze verursachen … und …. äh verdammt, schon wieder gescheitert … Nein, es geht wohl nicht ohne Anteil am kollektiven Wahn, … Sinn sei Bedingung zum Sein … öh , äh, bin, bin ich, bin ich entbehrlich, … ab inn de bin, … de Nullblogger postet, also bin ich, … immerhin bin ich im Spiegel, reflektiere meinen Scheitel noch im Spiegel, … willst Du mein Spiegel sein, Du, … was bringts ein, wenigstens etwas Wärme, und ich kühle meinen Server, … unbedingt, … bis in den Grund …

  2. mir gefallen deine gedanken fast immer und regen weiterdenken an. dabei kann ich nicht einmal radfahren, aber darum geht es nicht. sich und seine umwelt gestalten, sich ins leben einbringen, versuchen was gut ist, denken, fühlen mit sich und anderen. und ja, wenn du bei regen nachts in der hängematte lagst wünschte ich dir sonne am morgen. alles gute für dich, grüsse von roswitha

    1. Danke, liebe Roswitha. Ich weiß mich aufgehoben, nicht dass ich es spüren würde, dass Du und andere mitfiebern, mitwünschen, aber vielleicht auch doch. Eine Glaubensfrage ist es wohl. Der Glaube an die unsichtbar Mitreisenden.

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  4. Lieber Jürgen!
    Zweimal gelesen, zweimal drüber nachgedacht, gedanklich angeknüpft an das, was mich zum Bloggen so über die Zeit beschäftigt hat und mich anschließend gefragt: was ist denn jetzt hängen geblieben von dem, was Jürgen da geschrieben hat. Es sind: die Diamanten, die Glasperlen, die Königsdisziplin und die Saat. ich könnte es jetzt ausführen, aber …
    Stattdessen ergänze ich lieber mal: der Blog als eigenes Tagebuch und Dokumentation, die in ihrer Intensität unterschiedlichen Kontakt, aber eben auch gute Kontakte, der Blog als Schaufenster, der Unterschied zwischen privaten und öffentlich, die Eitelkeiten der Vielschreiber, und jetzt ist’s dann wohl aufgrund dieses Stichwortes mal genug.
    Was aber noch zu sagen und zu schreiben bleibt über Deine letzte Tour und die vielen davor: tolle Leistung, wirklich, Respekt, körperlich, literarisch, künstlerisch/fotografisch und philosophisch.
    Liebe Grüße
    Jürgen

  5. So ganz ohne Leser und Leserinnen moechte ich fuer mein Blog doch nicht sein, lieber Juergen. Urspruenglich hatte ich es ja mal konzipiert, um meine Freunde in Deutschland ueber mein Leben hierzulande auf dem Laufenden zu halten, aber es hat sich schnell herausgestellt, dass nur ein oder zwei davon hier ab und zu mal reinschauen, dass aber mein Leserkreis langsam gewachsen ist und auch viele englischsprachige Leser einschliesst. Weswegen ich es eben auch zweisprachig fuehre.
    Liebe Gruesse,
    Pit

    1. Natürlich ist es schön, Leserinnen und Leser hinter sich zu wissen. Es ist eher so eine Vorstellung, die den Entstandenen Text abkoppelt davon, ob er überhaupt gelesen wird.

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