Das Hohelied des Null-LeserInnen-Blogs

Last Exit Weblog. Ich denke, ich fürchte, ich hoffe, ich bin auf der richtigen Spur. Zurück zu den Wurzeln im Anbeginn des weltweiten Netzes. Als der Mensch, im Fall ich, noch frei war und sich nicht bis in den letzten Winkel seines Denkens in den sozialen Medien verirrte. Dieses irre Fraktal aus Ansichten, Meinungen, Bekundungen, dieses Machwerk sich selbst ausschmückender und somit unauthentischer Lebensläufe. Das ist doch alles nicht echt!

Nach der Reise rund um Bayern: Facebook auf, um zu reagieren auf die automatisch durchgereichten Blogeinträge. Unterwegs wollte und konnte ich Facebook nicht öffnen. Warum ich dennoch dort poste und Mitglied bin? Es sind die Menschen. Manche Menschen kenne ich nur auf Facebook. Deshalb bin ich da. Auch da. Manche Menschen sind nur auf Whatsapp erreichbar und so weiter und so fort und deshalb sind wir eben auch bei und so weiter und so fort.

Ich hatte vor vielen Jahren einmal gesagt, ein Mensch, ein Blog. Das war eine Zeit, in der man sich im Netz immer mehr verzetteln konnte, sich bei diesem und jenem Blog-Portal anmelden konnte, um zu publizieren, um der Gemeinde Inhalte beizusteuern und einen gemeinsamen Mehrwert zu schaffen. Myblog hier, TwentySix da, Antville jenerorts, Thumbler, WordPress … man konnte sich zig kostenlose Blogs anlegen. Doch wozu? Um des virtuellen Sternchens Willen? Blogger der Herzen und Likes? Letztenendes gewinnt die Plattform, die dir das Meiste zurückbringt. Kommentare, Herzchen, Daumenhochs und Sternchen. Glasperlen der Moderne allerorten und was dabei untergeht: Darum geht es doch gar nicht.

Ich propagierte das Null-Leserinnen-Blog. Die Königsdisziplin. Bloggen um des Bloggens willen. Egal, ob es überhaupt jemand liest. Die Frage, warum man in diesem Fall denn nicht in sein kleines, papierenes Tagebuch schreibt und gut ist, stand lange Zeit berechtigt, bis mir bewusst wurde, dass es sich um Erde handelt und um Saat. Der Kipppunkt zwischen ich publiziere, theoretisch ist es jedem Menschen der Erde möglich, den Inhalt aufzunehmen, weiter zu spinnen an einem Gedanken und dem ich schreibe es in eine geheime Kladde, die niemand sonst lesen darf, ist auch der Kipppunkt, bei dem es um bedingungsloses Wachstum geht. Im ersten Fall bringst du eine Saat aus, die ganz ohne Zwang entweder wachsen darf oder vergehen, wie das in der Natur eben so ist, bei der zweiten hegst du auf deinem privaten Balkon die Samen. Mag sein, dass deine Zimmerpflanze der Webpublikation eine Weile gedeiht. Aber die wird sich garantiert nicht vermehren. Die erstere hingegen hat wenigstens die Chance darauf.

‚Ein Mensch ein Blog‘ ging natürlich prächtig schief, seit ich diverse Projekte ausgekoppelt und in selbst gehostete Blogs gepostet hatte. Das ist etwas anderes, als jedem Trend hinterher zu laufen für ein paar Klicks mehr. Mittlerweile sind es etwas zehn verschiedene Blogprojekte, die ich größten Teils abgeschlossen habe. Zum Beispiel gibt es das Paminablog und das Erdversteck als verschiedene Saatgutlinien … und noch so ein paar Projekte. Das Hauptblog, der am besten und intensivsten bewirtschaftete Acker, ist und bleibt dieses hier, in dem du gerade liest. Hier laufen alle Spuren zusammen. Es ist die Saatgutbank meiner feinen Künste und der Bloggeratur sozusagen.

Kurzum, Facebook wieder zu. Es bereitet so ganz und gar keine Freude. Es verwirrt mich. Ich kann mich noch nicht einmal über die Statistiken freuen; ich weiß was von Glasperlen und ich kann sie von Diamanten unterscheiden. Facebook und Twitter werden dir nie Diamanten geben. Diamanten sind so selten wie gut gehegte, von Inhaberinnen geführte Blogs. Da kommste nicht einfach so ran. Die liegen nicht wie Sand am Meer. Noch nicht einmal wie Bernstein, die bestellste nicht containerweise in einer billigen Blogherstellerfabrik und vertickst sie zu Massen über den Telekanal.

Metablogging. Bloggen über das Bloggen. Halte dich zurück, Herr Irgendlink. Klar willst du deine Geschichte erzählen, aber du musst doch nicht erzählen, wie du die Geschichte erzählst wie du die Geschichte erzählst wie du … und allegorisieren auf die Allegorie der Allegorie … musste auch nicht.

Es ist jedoch ganz klar, dass im Vorfeld des zu entstehenden Großen und Reinen, einem Buch zum Beispiel, erst einmal jede Menge Material gesammelt und nebeneinander gestellt wird. Dann die Verbindungen suchen. Unsichtbares sichtbar machen, Gutes verstärken, nicht erwünschtes löschen. Womit wir wieder beim Garten sind. Dein Saatgut ausbringen, es düngen, gießen, hegen, die unerwünschten Pflänzlein ausrupfen, hacken, Schnecken fern halten, die Blattläuse, vergiss die Blattläuse nicht und ja, der Ansatz von literarischer Brennnesseljauche schadet nie.

Jede Menge Daten habe ich gesammelt auf der Reise /Bayern. Drei Kategorien: GPS-Tracks, Fotos, Texte. Alles in Rohform im Blog sichtbar. Fast alles. Manche Beiträge sind privat gestellt, weil sie noch nicht korrektur gelesen sind. Aber letztlich ist der Garten ‚UmsLand/Bayern angesät. Frühlingsstimmung. Viel Arbeit. Dass ich ein Buch daraus mache, sagte ich im gestrigen Blogartikel. Ja. Ich mache ein Buch daraus. Wie es aussehen wird? Das weiß ich, wenn ich sehe, wie sich die Saat entwickelt. Wahrscheinlich ein reines Textbuch, eine Art Reisebericht in Romanform mit einem kleinen Bildteil in der Printversion. Verlag? Vielleicht. Ich habe keine Lust, mir die Hacken wund zu laufen. Hier kommt der Null-Follower-Hassardeur in mir zum Vorschein. Der Sache an sich, Sache an sich, Sache an sich-Plärrer, der, der für die Nachwelt arbeitet, oder nein, noch nicht einmal, der, der sät um des Säens willen und sich am Wachsen (und auch am möglichen Vergehen) erfreut. Der auf eine späte Ernte hofft, aber nicht darauf angewiesen ist.

Wenn ich an einer Sache arbeite, entsteht manchmal eine Art Flow, in dem ich an der Sache auf immer weiter arbeiten kann, ohne, dass ich dabei erschöpfe oder Fragen stelle oder etwas wie Sinn darin suche. So kann ich stundenlang zum Beispiel glücklich Geschirr spülen, eine schmutzige Ecke auf dem einsamen Gehöft aufräumen, einen dreihundertfünfzig Kilometer langen Radweg durch Wälder radeln (Grünes Band, tagelang, nicht nur stundenlang), diesen Blogartikel schreiben, ohne mir Sorgen zu machen, ob ihn je jemand liest. Sobald er fertig ist und im Netz steht, ist er eine Saat. Wenn sie jemand liest und auch nur etwas mitnimmt, vermehrt sich die Saat. Gutso. Wenn nicht, bleibt die Saat einfach liegen. Im Gegensatz zu natürlichen Saaten, bleiben die künstlichen, digitalen so lange erhalten wie die Server laufen, wie die Blogadressen bezahlt werden, wie die Hosterinnen und Hoster (im Fall ich selbst) dies ‚er-tragen‘ können. Und so lange wie es Wesen gibt, die die Inhalte dekodieren können (im Fall welche, die die Sprache der Texte verstehen).

 

 

Die Puzzeligkeit allen Webexistierens

Individuelle vs. kollektive Identität

Manchmal wünschte ich, ich wäre meine eigene Nachwelt. Ein Literatur- und Kunstforscher am Institut für digitale Frühgeschichte, irgendwann in ein paarhundert Jahren und ich könnte dann auf unsere Zeit zurückblicken, so wie wir es heute tun auf frühere Zeiten der Kulturgeschichte. Mir lägen dann sämtliche Informationen über die Frühphase einer im Aufbau befindlichen Soziale-Medien-Welt vor und wie sie (womöglich) alles bisher Dagewesene an Literatur und Kunst in den Schatten stellen würde, weil die Sparten sich mischen. Weil es – Hypothese ein – nicht mehr nur das geschriebene literarische Buch gibt. Und nicht mehr nur den Maler/die Malerin, der/die Öl auf Leinwand malt und nicht mehr nur den Komponisten/die Komponistin. Weil sich nämlich alles mischt und in digitaler Form dargestellt wird, was einst haptisch analog war. Literarische Werke, die angereichert mit Programmcode sich verselbständigen, Bücher, durch die man, gesteuert per GPS und per räumlicher Trigger erst das nächste Kapitel vor Ort geliefert bekommt. Die Welt des Spiels mischt sich mit der Welt der Kunst in dieser meiner Vision einer fernen Zukunft. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir nicht alles kaputt machen auf dieser Erde, es schon bald möglich ist, etwa mit einem E-Book-Reader durch die Lande zu spazieren, der einem zunächst nur ein erstes Romankapitel bereitstellt. Der Leser/die Leserin erhält in diesem Kapitel Anweisungen, wo und wie die Geschichte weiter geht und begibt sich, per GPS gesteuert à la Geocaching zum nächsten Schauplatz, wo per Mobilfunknetz das nächste Kapitel herunter geladen wird. Im Prinzip sind wir sogar schon so weit. Es gibt diese interaktiven GPS-Schnitzeljagden ja schon längst. Werigo Cache heißt das Zauberwort. Literarisch hat das allerdings noch niemand gemacht, soweit ich weiß. Die Wherigo-Software lässt auch nur eine gewisse Zeichenanzahl zu, was die literarischen Möglichkeiten einschränkt. In der Tat hatte ich mir schon überlegt, die Programmiersprache LUA zu erlernen, mit der es mutmaßlich möglich wäre, solche „Dynamic Novels“ zu kreieren.

Ist ein LUA-kundiger Mensch unter uns, der Lust hätte, das mit mir auszuprobieren?

Anderes Thema. Während ich diesen Blogartikel schreibe, sind weitere Browserfenster geöffnet. Facebook und Twitter und Konsorten. Davon gibt es ja so viele – und überall postet man seine Ideen und Kommentare. Wie Kometen verströmen wir unsere geistigen Bestandteile im leeren Raum zwischen den sozialen Medien. Selbst die Kommentarstränge im eigenen Blog enthalten oft Kleinodien von unschätzbarem Wert. Wir lösen uns quasi im Internet auf. Hier wäre es – aus Sicht meines imaginären Forschers der digitalen Frühgeschichte – wichtig, wenn jeder ernsthafte Künstler eine Art Fingerabdruck hinterlassen würde, damit man seine Spur durch den Djungel der sozialen Medien so gut wie möglich nachvollziehen kann. Ich meine: ich denke doch jetzt und hier an diesem Artikel und schreibe ihn grob nieder, während drüben in Facebook und Twitter die Alarmglocken läuten, ich ab und zu rüberswitche und das, woran ich jetzt denke, fügt sich bewusst oder unbewusst in die dort, woanders, stattfindenden Diskussionen ein.

Vor Kurzem habe ich einen uralten Blogeintrag wieder gefunden, der über diverse Kommentarverstrickungen in die Kommentare eines anderen Blogs führte und es war so eine Art roter Faden zu erkennen, Plattform übergreifend. Ein Teil der Gesamtinformation ist hier in diesem Blog gelagert, ein anderer Teil in Kommentaren, die durch meine großartigen Leserinnen und Leser eine reiche Schatzgrube sind und weitere Teile des Puzzles sind irgendwo in Mails, in Facebook-Posts usw.

Und all das Unsichtbare. In den frühen, reinen HTML-Dokumenten zwischen 2001 und 2005 habe ich manchmal Text direkt im Quelltext versteckt. Habe die Kommentartags dafür missbraucht, nicht gar zu öffentliche Passagen zu notieren. Das neue Medium war ein wunderbarer Spielplatz. Es gab eine Phase, in der ich Texte mit der Vigenere-Methode chiffrierte. Das war nichts Brisantes. Ich hatte nur Spaß am Experimentieren. Das ist es wohl, was uns Künstler ausmacht. dass wir eben nicht nur zielorientiert arbeiten, obwohl wir ganz gewiss ein Ziel vor Augen haben. Dass wir eben nicht primär einen materiellen Zweck verfolgen, obwohl es einem manchmal ganz gut tun würde :-). Und dass wir eben nicht immer einen Sinn hinter einer Sache erkennen lassen wollen, sondern dass wir spielerisch und für Außenstehende unverständlich irgendwelches Zeug machen – warum? – weil es uns Spaß macht, weil wir den Akt des Schaffens über den Grund des Schaffens stellen. Weil wir inszenieren, wirken lassen und uns nicht darum kümmern, ob da noch Fragen offen bleiben … wir selbst stellen uns diese Fragen ja auch nicht. Weshalb sollten wir dann die Disziplin aufbringen, diese ungestellten Fragen anderen zu beantworten?

Quelltextliteratur hin, Vigenerechiffre her, heutzutage erlaubt einem ja das Blogsystem, Artikel als privat oder öffentlich zu markieren und auf dem Server erledigt dann PHP den Rest, zeigt den Lesenden nur das an, was man auch zulässt. Aus unzähligen Datenbanktabellen werden die Seiten dieses Blogs wie ein Flickenteppich von den PHP-Skripten zusammengesetzt. Die Spalte rechts und links dieses Artikels sind Einzelteile, die wiederum aus Einzelteilen zusammengesetzt werden. Der Titel dieses Artikels steht in einer anderen Tabelle, als die Veröffentlichungszeit. Die Kommentare, die da noch kommen, sind wieder woanders gespeichert. Ich nutze die Privatfunktion von WordPress ziemlich oft. Wahrscheinlich auch für diesen Artikel.

Gerade wird mir die Puzzeligkeit allen Webexistierens bewusst. Der Irgendlinkblog ist ja auch nur ein Puzzlestück im großen Ganzen des Internets. Und das ist es vielleicht, womit sich die Institute der digitalen Frühgeschichte, so es sie denn mal geben wird, in ferner Zukunft beschäftigen müssen. Wie hat das alles zusammen gewirkt?, werden sie sich fragen, wie konnte es diese ungeheuerliche Größe entwickeln? Und wie ist es den Individuen, die am Aufbau beteiligt waren, gelungen, ihre Identität zu wahren? Vielleicht ist eine der großen Fragen in dieser imaginären Zukunft, was (individuelle) Identität in dieser Zukunft bedeutet und wie sie sich verändert hat zur Identität, wie wir sie heute kennen. Es zeichnet sich ja schon ab, wie wir unser Ichsein im Web verändern, wie wir in verschiedene Rollen springen, je nachdem, ob wir in einem beruflichen Netzwerk unterwegs sind oder in einem Hobbynetzwerk oder in unserem privaten Blog. Es droht Zersiedelung und die Auflösung unseres Namens, unserer Urheberschaft gar. Wir ergießen uns in einen riesigen Pool kollektiver geistiger Produkte und Charaktere.

Eigentlich habe ich das Problem der Zersiedelung ja schon vor über zehn Jahren erkannt. Spätestens, als ich meine zweite eigenen Domain angemeldet habe, war klar, dass sich meine Gedanken und Ideen, mein digitales Schaffen fürderhin auf diese beiden Wege verzweigen würden. Nach und nach kamen weitere Domains hinzu. Sie sind alle im Punkt „Meine Seiten“ hier links aufgelistet. Ab ca. 2012 landete ich bei Facebook, Google+, Twitter, Tumblr. Spätestens seit diesem Sommer brechen die Dämme und ich verteile mich wie Brei in den Kanälen. Wobei ich schon versuche, ein bisschen Ordnung zu halten. Fundament allen Schaffens soll immer noch das Irgendlink-Blog sein. Von den Luftgestalten outerweb, den sozialen Dingsdas verweise ich gerne und oft auf dieses Fundament. Aber nicht nur. In den ersten Jahren Twitter etwa nutzte ich die Plattform nur als Linkmüllhalde, in die per Automatismus Blogeinträge aggregiert wurden. Immer, wenn ich hier auf WordPress den Veröffentlichen-Knopf drückte, bimmelte bei Twitter die Glocke und der Artikel wurde verlinkt. Ebenso bei Facebook. Aber damit macht man sich keine Freunde. Damit gewinnt man genau gesagt Null Follower. Nein nein. Man muss da schon in „echt“ interagieren, sich einbringen, sich mit den Menschen, die hinter den Accounts stehen auch befassen. Sie haben es auch nicht verdient, dass man sie zu einer Klick-Herde zusammentreibt und sie zu digitalem Nutzvieh umfunktioniert.

Orientierung für 2015 – Nordkap, der Rhein oder USA?

Schnurgerade ungeteerte Straße durch kahles, flaches Land unter dunkelblauem, leicht bewölktem Himmel. Darauf ein Hund.

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Eine Blogleserinnenbefragung könnte mir helfen, Klarheit für meine Livebloggerexistenz zu erlangen. Wenn die lieben Bloglesenden bitteschön abstimmen würden, wohin die Reise 2015 gehen soll. Zur Wahl stehen neben einem kompliziert finanzierbaren transatlantischen Projekt – mit dem Radel durch die USA – zwei europäische „Hosentaschenprojekte“, die ich, Outdoorleben sei dank, einfach so realisieren kann, ohne groß vor der Crowd buckeln zu müssen und mich um lästige Geldbeschaffung zu kümmern.

Mit dem Fahrrad ans Nordkap

zw-and-tag4-020 Jahre nachdem ich zum allerersten Mal eine Kunststraße gebaut habe, könnte ich auf den eigenen Spuren wieder durch Deutschland, Schweden und Finnland bis zum Nordkap radeln. Das wäre vom Kunstkonzept her äußerst interessant. 1995 habe ich erstmals eine Langstrecke auf Radeltour in eine sogenannte Kunststraße verwandelt, also alle zehn Kilometer angehalten und ein Straßenfoto gemacht. Charmante Schwarz-Weiß-Serie aus 360 Fotos ist dabei entstanden. Ob ich die alten Bildstandorte wohl wieder finden würde? In einem Notizbuch habe ich sämtliche Standorte notiert à la „hinterm Dorf 200 Meter bei einem alten Baum“ usw. Damals gab es ja noch kein GPS und die Digitalkameras waren zyklopische Monster mit grottenschlechter Optik. Eine ähnliche „Reisedoublette“ habe ich übrigens in den Jahren 2000 und 2010 schon einmal gemacht: Zweibrücken-Andorra – hier gibt es auch einige Bilder und Infos zu dem Kunstkonzept. Zweibrücken-Andorra 2 war auch die erste Livereise, die im Blog dargestellt wurde. Weil 2010 die WordPress-App noch in einem miserablen, User unfreundlichen Zustand war, sendete ich die live geschriebene Reisereportage per Mail an SoSo in der Homebase und sie reicherte das Material an mit Hintergrundinfos und postete täglich die Livereise. Heute sind die Kinderkrankheiten behoben. Wir schreiben das Jahr iPhone sechs im Sternzeichen WordPress 4.01. Wie selbstverständlich bearbeite und poste ich Bilder und Texte von wo auch immer auf der Welt in dieses Blog und schalte automatische Durchläufe nach Twitter und Facebook und Co.

Den Rhein erforschen – Protokolle am Fluss

20130721-101930.jpgAls  weiteres europäisches Projekt, das mit wenig Mitteln finanzierbar ist, schicke ich die Protokolle am Fluss ins Rennen. In einem Artikel aus dem Jahr 2009 schrieb ich.

“Ich möchte ein Buch über den Rhein schreiben. Protokolle am Fluss soll es heißen. Ich will über Schiffe berichten, Fahrradfahrer und Menschen, die mit ihren Hunden gassie gehen. Ich will den Fluss von der Quelle bis zur Mündung bereisen und ihm in jeder Minute so nah sein wie nur möglich, damit ich nichts verpasse”

Dies würde wahrscheinlich die „literarischste“ der drei vorgeschlagenen Reisen. Rheinromantik 2.0 sozusagen. Die Idee aus den 1990er Jahren kam mir kürzlich wieder in den Sinn, als ich mich auf den Posten als Burgenblogger beworben hatte.

Liveblog USA

Kunststraßen - alle 10 Meilen ein Bild
Kunststraßen – alle 10 Meilen ein Bild

Es gibt wohl kaum ein Land, in dem ich noch nie war, zu dem ich mehr Bilder im Kopf habe, als die USA. Ich will nicht von Vorurteilen reden, sondern vielmehr von diesen zwangsläufig sich einstellenden schwammigen Etwassen von Bildern, die man sich auf Grund der Berichterstattung in den Medien selbst macht. Die USA ist für mich – Achtung, überspitzt darstellender Modus ein – ein Land voller Kriminalität, Rassenunruhen, multinationaler Konzerne, für die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr sind, als Konsumnutzvieh, aber auch ein Land, indem es jeder schaffen kann. Mein USA-Bild ist eine Mischung aus Berichterstattung, den Simpsons, South Park und  Hollywood. Ich glaube, das geht vielen hier in Europa so, die das Land nicht selbst erlebt haben – überspitzt darstellender Modus aus.

Auch meine wenigen amerikanischen Freunde, ein musizierender Vietnamveteran und Fotograf, zwei schräge experimentelle Musiker, eine Firewoman aus Oregon, die ich auf dem Jakobsweg kennengelernt hatte und eine Auswanderin, die alle eigentlich ganz normale Menschen sind, können dieses Medienbild nicht entkräften. Kurzum, ich müsste selbst dahin, um zu sehen, wie es um das 300 Millionen Volk jenseits des Atlantiks bestellt ist. Neben einer „Standard-Kunststraße“ – alle 10 Meilen ein Foto der bereisten Strecke – würde ich auf der drei bis viermonatigen Radtour live bloggend direkt aus dem Volk, jenseits des medialen Livestreams berichten. Hier gibt es eine erste Projektskizze mit Landkarte.

WinWinWin Situation 2015

Für mich sind alle drei Projekte gleichwertig (wenn ich genug Zeit und Geld hätte, würde ich sie einfach alle drei machen). Fast schon möchte ich sagen, 2015 liegt eine WinWinWin Situation vor: Klappt die USA nicht, weil es nicht finanzierbar ist, werde ich am Rhein oder in Lappland viel Spaß haben.

Ich freue mich über Vorschläge per Kommentar, was man sonst noch so alles machen könnte, live bloggend in der Welt. Eine grobe Skizze, was schon alles gedacht wurde zu dem Thema, steht übrigens in meiner Roadmap.

Irgendlink wird Strickblogger, nein, Blogstricker

Was haben eigentlich Bloggen und Stricken gemeinsam, wenn man nicht gerade ein Strickblog führt und darin über das Stricken berichtet?

Die Exkursion in die Burgenbloggerei habt mir kürzlich die Ähnlichkeiten gezeigt. Ich beschäftigte mich intensiver mit Schlagworten und Kategorien und wie man die Inhalte des Blogs schmackhaft in den sozialen Medien platziert. Einhergehend mit Aufräumarbeiten und einer Neustrukturierung des seit vielen Jahren in Betrieb stehenden Irgendlink-Blogs kam ich nicht umhin, Analogien zum Stricken zu finden. Ein Gewebe aus verschiedenen Fäden durchzieht das Blog. Bloß sind sie ein bisschen ungeordnet. Wenn man sie entwirren würde und technisch versiert verknüpfen, wie etwa einen Norwegerpulli, könnte eine große Sache daraus werden. Im Backend kann ich die Funde beobachten, auf die täglich fremde Menschen stoßen und so ins Irgendlink-Blog gelangen. Ein Jakobsweg im Winter-Artikel zum Beispiel. Und ein Fahrradsurvival-Artikel, der die Geheimnisse des französischen Ventils lüftet. Das sind Fäden, die es weiterzuspinnen gilt. Potentielle Kategorien. Schlagwortwolken.

Bei den Blog-Aufräumarbeiten, mit denen ich in diesem Frühling begonnen hatte, kam ich an den Rand der Verzweiflung: wie kann man ein Blog mit mehreren tausend Beiträgen neu verschlagworten und kategorisieren, ohne es komplett von A bis Z durchzulesen? In einer vernünftigen Zeitspanne wohl kaum. Also versuchte ich mich meiner Fäden zu erinnern und benutzte die interne Suchfunktion, um Artikel aufzuspüren, die eine eigene Kategorie bekommen sollten. Zum Beispiel die bald entstehende Kategorie Liveschreiben (steht übrigens weit oben auf meiner Liste zu produzierender eBooks), die 2012 als lose Folge von Artikeln begonnen wurde und sich bis heute durch das Blog zieht. Ein roter Faden.

Mühsam, ihn zu entwirren.

Demjenigen, der vor einer ähnlichen Herausforderung steht, sein Langzeitblog neu zu strukturieren, kann ich nur eins raten: Blogge so weiter wie bisher, aber gewöhne dir an, schon im laufenden Betrieb deine Artikel zu verschlagworten und zu kategorisieren. Betitele jedes hochgeladene Bild, fülle auch die Felder Beschreibung, Alternativ-Text und Bildbeschriftung aus (gilt für WordPressblogs). Was zählt ist die Gegenwart. Hier spielt die Musik. Hier kannst du durch diszipliniertes Arbeiten Ordnung-en-passant schaffen. Die Vergangenheit ist etwas für die Nachwelt, für diejenigen, die sich dereinst für deine Kunst, dein Blog, deine sonstigen Hinterlassenschaften interessieren (oder, und das ist die Regel, einfach alles in die Tonne treten, was du jemals geschaffen hast). Trotzdem, wenn du magst, kannst du der Nachwelt helfen, indem du anfängst aufzuräumen, aber vergiss nicht das Jetzt. In diesem Jetzt lebst du. Dieses Jetzt ist das Fundament deiner Zukunft. Hier musst du glücklich sein!

Jetzt muss ich den Artikel kategorisieren: Hmmm? WordPress? Webwissen? Blog aufräumen? Onlinepublishing? Ich könnte ihn auch in der blogeigenen Knoddelkiste belassen … privat ist er allemal, zunächst … aaach, ich springe über meinen Schatten, mache ihn öffentlich. Vielleicht nutzt es ja jemandem?

Rheinromantik 2.0 – Kratzen am Mythos Burgenblogger

Die fliehenden Stunden des Lebens - Sonnenuhr
Die fliehenden Stunden des Lebens – Sonnenuhr

Jetzt, jetzt und nochmal jetzt! Das ist das Credo des modernen Bloggens, hart am Wind der unmittelbaren Gegenwart, kaum erlebt und schon im Netz. Die mögliche Zeitempfindung auf einen einzigen Punkt konzentrieren und versuchen, sich der Gegenwart so weit wie möglich zu nähern. Aber gibt es das Jetzt überhaupt? Unser Hirn verhindert das angeblich (aber es kommt verdammt nah ran). Es mischt Erinnerungen und Hoffnungen zu einem berauschenden Gebräu, das uns nur vorgaukelt, wir leben im Jetzt, obwohl wir stets in unserem Erleben und Empfinden einen Sekundenbruchteil dem Jetzt hinterherhinken. Haben wir womöglich gar keinen Einfluss auf unser Handeln? Schalten wir eine Stelle weiter in die virtuelle Welt, in der wir ja auch eine Unmittelbarkeitsvermutung hegen, so geht die Gaukelei weiter und es mischen sich noch weitere Substanzen hinzu in dieser höchst modernen Form der Alchemie. Wahrheit und Unwahrheit, die in den Kommentarsträngen der sozialen Medien aufeinander knallen, wie Krieg auf Basis von Gerüchten, Geglaubtem und arglos als wahr Angenommenem. Der moderne Blogger im Allgemeinen und der Livereisende im Besonderen ist Teil eines Verwirrspiels, schlüpft, gewollt oder nicht, in die Rolle eines lebenden Avatars, einer Abenteuerfigur, die für Couchpotatoes oder Überarbeitete und Gelangweilte erlebt, filmt, berichtet und sie ein gut Stück mitleben lässt in seinem – es steht ja im Internet, es ist wahr – kleinen, subjektiv zusammengeschusterten Leben. Das Dasein als lebender Avatar, als selbst ernannter Held subjektiv erlebten Alltags, bietet ein unglaubliches Potential. Nicht nur, dass man der Sehnsucht nach dem Jetzt hart auf den Fersen ist, man ist auch dem Produkt, das man schafft, sehr nahe. Und das in einer Zeit, von der man sagt, dass der produzierende Mensch sich immer weiter von seiner Arbeit entfremdet.

Schon Schlegel hatte es prophezeiht: der Burgenblogger dokumentiert sich selbst

Bloggen ist eine sich selbst dokumentierende Kunstform. Durch die Vielfalt der zur Verfügung stehenden elektronischen Mittel (Video, Foto, Sound, Text) entsteht ein unmittelbarer und durchaus miterlebbarer Bericht. Vielleicht ist es so ähnlich wie einst Friedrich Schlegel mutmaßte, ein Produkt, das dazu dient, das Produzierende darzustellen. Anfang des 19. Jahrhunderts bereiste der Schriftsteller das Mittelrheintal. Er gilt als bedeutender Vertreter der Rheinromantik. Kaum vorzustellen, dass die sechzig bis siebzig Kilometer lange Engstelle zwischen Bingen und Koblenz einmal ein beschauliches, stilles Stück Gegend war, das Tausende von Sehnsüchtlern anlockte. Rau und wild. Auf der Suche nach Abenteuer, Ruhe und gleichzeitig auf der Flucht vor der einsetzenden Industrialisierung, wandten sich die Rheinromantiker der Natur und der Vergangenheit zu. Das verwunschene, damals kaum erschlossene Mittelrheintal, dem sich zudem die Niebelungensage gut andichten ließ, war der ideale Ort dazu. Der Romantiker vor 200 Jahren, wurde durch eine abenteuerliche Fahrt auf einem schwer schiffbaren Abschnitt des großen europäischen Stroms belohnt. Burgen, Stille und viel Grün inklusive.

Das Mittelrheintal, Brücke „zwischen zwei Romantiken“

Und heute? Der moderne Mensch will vor allem eins: Von A nach B. So schnell wie möglich. Und noch eins: Südfrüchte, Fahrräder, Autos und Energie und somit will er auch, dass diese Waren transportiert werden. Noch immer ist das Schiff das Verkehrsmittel Nummer eins, wenn es darum geht große, schwere Lasten zu transportieren. Tag und Nacht im Einsatz, ist es nicht einmal ein so langsames Transportmittel, wie man vermutet. Ihm zur Seite kreischt die Bahn und unisono im Chor jault Gummi auf breiten, wohlasphaltierten Bundesstraßen. Schluss mit ruhig. Als Nadelöhr zwischen Nord und Süd hat der Mittelrhein ein schweres Los. So schnell wie möglich will man hindurch; und verweilen, so wie früher, will kaum einer mehr. Wenn man näher hinschaut, ist das aber auch der Trend der Zeit weltweit. Die Hatz von A nach B, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit.

Rheinromantik 2.0 – die Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln

Auf die kürzlich ausgeschriebene Stelle als Burgenblogger (die Bewerbungsfrist endet am 14. September) haben sich mittlerweile schon mehr als 300 Bloggerinnen und Blogger beworben. Kurzerhand aufgesetzte Twitter und Facebookaccounts spriesen wie Pilze aus den sozialen Medien. Videofreaks, Twittericonen und alle möglichen Derivate von Webexistenzen rangeln um den ruhigen Posten auf Burg Sooneck im Welterbe Mittelrheintal. Der Sturm vieler vor der Ruhe eines Einzelnen. Irgendwie ist das signifikant für die Schizophrenie unseres Seins.

Ich fürchte, die Rheinromantik 2.0 hat mit der Rheinromantik vor 200 Jahren nicht mehr viel gemein, wie auch die Welt selbst sich gewandelt hat. Schneller, schneller, schneller und mehr, mehr, mehr sind die Zauberformeln, nach denen wir heute leben. Wir müssen uns beeilen, rangeln, müssen bestehen im täglichen Konkurrenzkampf um Jobs, Materielles und Begehrliches.