Die glorreichen sieben W der Blogliteratur

Paar Tage her, dass ich im Mietauto vor mich hinspinne, neben mir die SoSo, und ich erzähle ihr, nun, da der Endspurt beginnt, sollte ich meine Blogtechnik ändern. Bloß nicht, schreit sie, doch, ich will die drei großen Ws beachten, ich will journalistischer werden, jeder Blogeintrag soll von nun an so klingen, als wäre er ein Zeitungsartikel, ich will denen da draußen zeigen, dass ich auch anders kann, dass ich kompatibel bin.

Entgeistert schaut mich die SoSo an, während ich das Kleinfahrzeug über die ewig hohe A23-Brücke, die den Nordostseekanal quert, steuere. Flachland soweit das Auge reicht. Ich habe ein euphorisches Gefühl, den kompletten Überblick zu haben, nicht nur auf das Land, Ditthmarschen im Süden, Schleswig und Holstein und all das, sondern auch auf mich selbst und mein Reiseprojekt. Die sieben glorreichen Ws, titele ich insgeheim, die will ich beachten von nun an, so dass jede stinknormale Tageszeitung sich der Blogtexte bedienen kann und sie eins zu eins druckt, ohne auch nur den Hauch der Idee, dass sich unter der feinen sieben-W-igen Oberfläche ein verdorbener Sinnsuchender verbirgt … so phantasiere ich auf der Höhe der Nordostseebrücke. Die SoSo schüttelt nur den Kopf, gibt schließlich auf, mir einzubläuen, dass doch gerade diese losen Seelentexte, die vom echten, gelebten, unredigierten Reiseleben handeln, es ausmachen, dass gerade das das Unterscheidungsmerkmal ist und dass gerade deswegen die wenigen immer mehr werdenden des Irgendlinkblogs statt morgens nüchtern Zeitung zu lesen, das Blog aufschlagen. Ein Klecks Marmelade auf dem hochauflösenden Monitor einer seltsamen Parallelwelt.

Eine Woche ist das jetzt her, dass wir dort im Auto saßen, fast 1000 Kilometer entfernt. Per Mietauto, Zug und Radel habe ich vor ein paar Tagen den Wiedereinstieg in mein Europennerleben gefunden. Entwurzelt kam ich mir vor am ersten und zweiten Tag. Ein Kastrat der Moderne, ein Kunstbübchen, das man zu lange im Kreis gedreht hat, so dass es erst einmal orientierungslos umhertorkelt, ehe es in irgendeine x-beliebige Richtung losradelt …

Aber nun bin ich wieder mitten in der Tour, mitten im Reiseflow. Die Kunstmaschine in mir rattert wieder. Ich stoppe alle zehn Kilometer und mache mein Kunststraßenfoto und nehme auch so alles mit, was sich zu fotografieren lohnt. Die glorreichen sieben W, gaukelt es mir dabei im Kopf. Ha! Was hast du dir nur gedacht, als du das gesagt hast, lieber Europenner, Kunstbub, Irgendlink, Knildnegri, Lind Kernig? Das, was sie einem auf der Journalistenschule immer predigen, der Kern eines jeden Artikels: Wer hat Wann Was Wieso Wo Wie Wemacht! Die Glorreichen Sieben, lächele ich verschmitzt und kurbele unter mäßigem Westwind durch das flache Land.

Meine Angst, die mich schon von Anbeginn der Reise durchzuckt, kommt mit einem Mal hoch, die Angst, einen Tag im Nichts zu verbringen und kein einziges nennenswertes Erlebnis zu haben, über das man berichten könnte und somit am Abend mit literarisch leeren Taschen dazustehen und denen da draußen, den wenigen Sinnsuchenden, die das lesen, nichts bieten zu können. Ich passiere ein seltsames Deichbaudenkmal mit grünem Dach, das aussieht wie ein altes ägyptisches Prunkbauwerk und komme an einem Hof vorbei bei Knotenpunkt 1 des nordwestfriesischen Radwegenetzes. Ein umgewidmeter Hof, in dem sich nun ein Musuem für Deichbauutensilien befindet und eine riesige Halle voller Meeresfundstücke. Und darüber schreibe mal im Journalistenstil! Ob das lesenswert ist? Viel gibt es nicht auf den gestrigen achtzig Kilometern durchs Flachland, über das sich ein Zeitungsartikel stricken ließe. Ich brauche die innere Quelle, wird mir bewusst, um diese Blogartikel zu schreiben. Ich will gar nicht normal. Ich will mich gehen lassen, nur noch bei dieser einen Tour. Vielleicht gewöhne ich mir den „echten“ journalistischen Stil mit all seinen einengenden Daumenschrauben, der begrenzten Wortzahl, der Duden-konformen Schreibweise, dem gezähmten Schreibstil ja für die nächste Reise an. Hier nicht! Ich will diese wilde, freie Tour so zu Ende bringen, wie sie begonnen hat. Pfeif doch auf die Kompatibilität zum Massenmarkt.

Das Hofmuseum läuft mir da gerade gut rein. Wer besucht schon ein Museum, in dem es alte Bojen, Holzstücke, Strandgut zu sehen gibt. Das Meeresmüllmuseum bietet als Hauptattraktion einen alten Silo, den man besteigen kann, dreißig Meter hohes Teil, das nun zum Aussichtsturm geworden ist. Der Eintritt kostet 2,50 Euro, die ich mir aber verkneife, nachdem ich für 4,85 Euro eine winzige Tasse Kaffee getrunken habe und ein flaches Stück Mürbeteigkuchen mit rosa Sahne darauf. (Der hohe Preis lässt nichts gutes ahnen für die Attraktionen des Museums – wenn du für 4,85 Euro zu wenig Kaffee und Kuchen kriegst, kriegst du auch für 2,50 Euro zu wenig Museum und Aussichtsturm – im Vergleich dazu sind 0 Euro für hastig dahin geschnodderte Blogtexte doch ein Schnäppchen, oder?).

Ein paar Kilometer vom Museum entfernt steht ein einsamer, schiefer Kirchturm – dummerweise merke ich mir das Dorf nicht, sonst könnte ich nun professionell journalistisch darüber schreiben und nebenbei noch ein paar er-wikipediate Zeilen zu der Geschichte des Turms anhängen. So aber sitze ich gegen 19 Uhr auf einer Bank und beobachte das Ding. Die Wolken dahinter. Wind rauscht im Weizen, ein Fänger schleicht durch den Roggen und zwei üppige Mädchen joggen auf der Landstraße für ein gutes Gewissen. Die Gegend macht mir die Lagerplatzsuche nicht einfach. Ich brauche ein windgeschütztes Plätzchen. Da aber der einzige höhere Bewuchs hierzulande dazu dient, den Wind von Höfen oder der Straße abzuhalten, gibt es logischerweise nur Zeltplätze direkt auf der Straße (die andere Seite der Hecken und Bäumchen ist logischerweise diejenige, die dem Wind zugewandt ist, und auf der Straßenseite kann man kein Zelt aufbauen). Zehn zwanzig Kilometer weit halte ich Ausschau und stehe plötzlich vor einem kleinen Farmcamping kurz vor Harlingen. Direkt gegenüber der ersten Industrie mit monströsen viereckigen Kästen, keine Ahnung, was die darin treiben. Kein einziger Gast am Platz und ich klingele am Haus, zahle drei Euro für die Übernachtung. Mein Zelt steht nun direkt unter einem Windkraftwerk, Traumfänger der Moderne. Das Rattern stört mich kaum, und das Surren des Generators klingt mit ein bisschen Phantasie wie ein Wasserfall. Ich träume wild und viel, habe jedoch alles wieder vergessen, außer meiner halbschlafenen Vermutung mit dem Traumfänger. Der Platz ist ganz nach meinem Geschmack, was gleichzeitig bedeutet, dass er ganz und gar nicht nach dem Geschmack einer breiten Masse ist. Das erklärt den Gastmangel. Das Badhaus ist in einem Container, ungeputzt. Warmwasser gibt es – vor der Tür zur Damentoilette hängt eine Spinnwebe. Ich bücke darunter hindurch, hänge meine Zusatzakkus an die Steckdosen. In der Herrentoilette ist nur das Urinal in einem brauchbaren Zustand.

Die Wetterkarte auf dem Fon kündigt für nachher eine 90 prozentige Regenwahrscheinlichkeit an bis ca. 15 Uhr. Am Horizont in Windrichtung sehe ich schon die dunklen Wolken. Die wollen ernst machen.

(sanft redigiert und gepostet von Sofasophia)

7 Antworten auf „Die glorreichen sieben W der Blogliteratur“

  1. :-) dieser text ist einfach rund! und ich werde unmittelbar zu dir auf die flachen holländischen straßen katapultiert. ins museum, unter die windmühle …
    möge die regenwolke bald nordwärts ziehen!
    gut radel!

  2. Lass bloß die siebens Ws, wenn wir Zeitungsberichte lesen wollen können wir das überall. Deine Texte sind klasse so wie sie sind.

    Und wenn die Wolken ernst machen, ist es wohl mal wieder an der Zeit für einen August. ;-)

    Liebe Grüße ins Flachland, Szintilla

    1. Szintilla, das hab ich noch gar nicht gebloggt: in der Ferienwohnung in Itzehoe, war doch glatt einer so dumm, seine Clownsvisitenkarte ins Gästebuch zu kleben. Er hieß Rudolfo. Seine Schuhe haben wir …

  3. „Pfeif doch auf die Kompatibilität zum Massenmarkt.“ ja bitte lieber Herr Irgendlink… pfeifen Sie und bitte laut.

    die 7 W´S… ich sage nur wemacht und da hat Frau Blau gelacht, nun winkt sie dir fröhlich zu, der Himmel ist blau, möge er es auch bei dir sein!

  4. Oh herrjeh, wenn ich das nächstemal nach Dithmarschen komme, werde ich nach den gekreuzten Schuhe am Wegrand Ausschau halten. Wenn sie mir begegnen mache ich davon (Kunststraßen)- Fotos. *mbg*

    Fröhliche Grüße an den Übergößen-Schuhsammler, Szintilla

  5. Irgendlink-Texten im FAZ- oder BLÖD-Stil?! Nein, danke. Der großen, flachen Masse ists genug. Was ich hier finde, ist zwar manchmal sperrig, aber es ragt aus dem Plattitüden-Tiefland empor als Solitär wie dieser Felsbrocken Helgoland bei totaler Flaute aus der Nordsee.

  6. Hallo Jürgen,

    es hat mir keine Ruhe gelassen: Dieses dumpfe Gefühl, daß Du das mit dem journalistisch, zeitungsartig Schreiben schonmal als Thema hattest. In Deinen Texten hab ich gesucht – und da war es nicht.

    Aber ich habs wiedergefunden: Im Geo-Interview (http://www.geo.de/_components/GEO/reisen/reise-podcast/#song489) bei Minute 8:47 wird die Frage gestellt, was man auf irgendlinkde zu sehen bekommt. Dort erklärst Du schon, daß Dir das Abarbeiten der vier großen Ws nicht liegt ;-)

    (Wurde das Interview an Tag 16, also am Freitag, den 13.4. geführt? Ich habe geerade nochmal einige am 13. hochgeladene Artikel gelesen. Mann, was waren wir damals™ jung! ;-) ))

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