Urbaner Kunstspaziergang Sarreguemines

Pervers teures Benzin. An der billigsten Tankstelle der Stadt zahle ich für den Liter Super 1,68 Euro, sodass ich schon aus Protest nicht volltanke. Unterwegs auf der Autobahn sinniere ich, dass ich einfach noch nicht reif bin für den hohen Preis. Wie Viele. Letztlich, bin ich sicher, werden wir das bezahlen, was Die wollen. Schreibs groß: SIE. Die geheimnisvoll verschworene Ölliga, die Banken, die Illuminaten, das Böse, die Kapitalisten, Terroristen, Exorzisten, Wirtschaftsliberalisten – nenn es wie du willst, wir finden uns ruck zuck auf der B423 wieder Richtung Sarregueminnes, kaum 40 km Fahrtstrecke. Ein ganz normaler Sonntagsausflug. Das Benzin, immerhin 15,37 Euro habe ich vertankt, sollte doch so weit reichen?

In Sarregueminnes überkommt mich ein unangenehmes Gefühl der Fremde, (ähnlich, wie ich es vor drei Jahren beim Menonitenfriedhof Dorst empfunden habe). Ein Gefühl von Nie-wieder-daheim-sein. Ein Gefühl wie obdachlos. Wir überqueren die Saar und es schnürt sich mir die Kehle zu bei dem Gedanken an die bevorstehende Nordseeumrundung. Ich muss mit ähnlichen Wetterbedingungen wie heute rechnen. Sarregueminnes ist sonntagsstill. Ein Motorradfahrer lässt den schräg nach oben röhrenden Auspuff seiner hochgezüchteten 750er Irgendwas knattern. Unterm Helm wirkt er bedrohlich, als hätte er gerade eine Bank überfallen. Der vereinzelte französische Singsang, wenn Sonntagsspaziergehende an uns vorbei laufen und sich unterhalten, tut sein Übriges. Verdammt, sobald ich die warme, gemütliche Künstlerbude verlasse, bin ich fremd, umgeben von Rockern und sich profilieren wollenden 14-Jährigen, von krankhaft alkoholkranken, abgehalfterten Mittvierzigern, von geschiedenen, frustrierten Damen, von Rentnern, die aufgegeben haben und aus purer Verzweiflung die Enten am Fluss füttern – kurz: von Fremden, die ich nicht verstehe.

SoSo und ich scannen die Stadt und fotografieren die verlassensten Ecken. Die Saar wirft wunderbare Spiegelungen, Zinkrohre an einer Baustelle, die wohl einmal die Lüftung für den Neubau eines Altersheims werden sollen, beruhigen mich ein wenig. ‚Klar, bist du fremd‘, denke ich, ‚vielleicht bist du sogar fremd, wenn du zu Hause eine Weile nicht in der Speisekammer warst und dann eintrittst und dich wunderst, huch, was ist denn das, wer hat denn das viele Tomatenmark gekauft?‘ Fremd ist alles, was nicht in dem engen Zeitfenster der eigenen Gewöhnung liegt. Gewöhnung. Man kann sich an den Zustand des Unterwegsseins gewöhnen, und zwar schnell, und dann ist man in Bewegung und doch jeden Tag woanders daheim. Das längliche Wohnzimmer des Europenners. Das graue Band, das niemals endet. Die Straße als Heim. Vor einem Herrenmodeladen steht ein zerzauster Kerl mit abgewetzten Kleidern und zwei Plastiktüten. Unsere Blicke begegnen sich, ich wende mich schnell ab, wir verkriechen uns in eine Seitenstraße, fotografierend, in einer Boulangerie Eclairs und Croissants kaufend, sündhaft teures, zuckersüßes Zeug, das der alte Zausel sich niemals leisten würde. Aus meinem Geldbeutel krame ich die letzten Münzen, falls wir ihm noch einmal begegnen sollten. Weiter durch die schöne, fremde Stadt an der Saar. In jedem zweiten Schaufenster hängen Bilder von Häusern, die zum Verkauf stehen. Wieder sehe ich den Abgrund vor mir, den ich schon gestern in Zweibrücken vor mir gesehen hatte. Haar weht im imaginären Klippenwind. Ich am Rande der gutbürgerlichen Gesellschaft. Der Europenner. Bestückt mit Geld und Hightech, durchwandert er seine Welt, ruhelos auf der Suche nach Glück und Frieden. Wie jeder Mensch. Wie der alte Zausel mit den Plastiktüten vor dem Herrenmodegeschäft? Vielleicht ist er ich in zwanzig Jahren? Dass es plötzlich so viele Läden gibt, in denen Immobilien angepriesen werden? Hinter jedem feinen Häuschen, das auf den Fotos prangt, steckt ein Bankrott, eine menschliche Tragödie. Eine böse Bank, die sich das Geld von Ihren Schuldnern zu holen versucht. Ich muss an Griechenland denken. An den Club of Rome. Daran, dass alles den Bach runter gehen könnte in den nächsten 50 jahren. Mit der gesamten Weltgesellschaft. Nur weil diese Scheiß-Systeme nicht ewig wachsen können. Nur, weil die Rücken derer, auf denen der Wohlstand in der westlich zivilisierten Welt basiert, langsam knapp werden. Mist.

Wunderbare Stadtansichten entstehen bei unserem Urban Artwalk Sarreguemines. Am Bahnhof, welcher sich industriell bizarr und grün aus dem architektonischen Gewimmel schält, begegnen wir wieder dem Zausel. Meinem verwahrlosten Ich der Zukunft. Und diskutieren, ob es demütigend ist, unbotmäßig, frech, einfach zu ihm rüber zu gehen, und ihm Geld zu geben. „Ein Euro würde sowieso nix nützen“, sage ich. „Nichts würde nichts nützen“, sagt die SoSo. Es macht eigentlich gar keinen Sinn zu geben. Es wird immer zu wenig sein. Schon sitzen wir im Auto, als ich mich aufrappele, hinüber laufe quer durch den Parkl vorm Justizpalast und den Mann anspreche. Angst. Das ist es, was er hat und erst, als ich ihm einen Fünf Euro schein hinhalte, versteht er. Er spricht kein Französisch, kaum Deutsch und ich wundere mich, wie er, fast am Ende seines Lebens hier in dieser Gegend stranden konnte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert