Jakobswegfälscher

Irgendlink gesteht: „Ich wollte den Jakobsweg fälschen. Allein der Mangel an Zeit hat mir das Handwerk gelegt“

Vor einiger Zeit, als der Partymöbelkonzern noch brummte, hatte ich die naive Idee, nimmst im Frühjahr sechs Wochen Urlaub und läufst rüber nach Santiago. Kollge T. verhöhnte mich: „Das klappt nie. Der Owner wird den Urlaubsantrag nicht genehmigen. Wetten? Kasten Franziskaner Weizenbier und Lammsteaks zum Grillen.“ Arglos nahm ich die Wette an und verlor. In der Folge reifte in mir ein verdorbener Plan: „Wenn du es nicht selbst erleben kannst, dann denke es dir aus und schreibe ein Buch darüber“. Das diskutierte ich mit T. und so verbrachten wir die kurzen Pausen mit ausgiebigen Diskussionen, was man alles schreiben könne und wie man Speck an das Buch bringt, damit es auch richtig Spaß macht, es zu lesen. Wenn es schon erfunden ist, dann kann es ruhig ein bisschen verrückt werden, so dass man die Dinge, die beschrieben werden, gerade noch glauben kann. Im Grunde seines Herzens aber wird der Leser immer Zweifeln: ist das wirklich wahr? „Genau wie Karl May. Der war auch nie in Amerika und im Orient. Alle seine Geschichten sind erstunken und erlogen“, sagte T., „aber deshalb sind sie noch lange nicht schlecht. Denk mal nach, was wir heute für Recherchemöglichkeiten haben. Wir können, Internet sei Dank, einfach alles fälschen.“

Tagein tagaus fabulierten wir an der Geschichte. „Die Struktur ist ja einfach“, sagte ich, „ich knöpfe mir den Reiseführer vor, verinnerliche die Wegbeschreibungen, und flechte noch das aktuelle Wetter vor Ort ein. Dann mache ich mir eine Liste mit Geschichten, die an dem ‚realen‘ Weg festgetackert werden.“

So entsatnd in unseren Köpfen ein seltsames Buch, das niemals geschrieben wurde. Zum Intro hatte ich mir eine fiktive Internetfreundin namens Yam ‚l Rak zugelegt, „das heißt Karl May auf rückwärts“, erklärte ich T., die ich in einem esoterischen Internetforum kennengelernt haben würde und die demnächst den Jakobsweg laufen würde. Ich hatte sogar ein grobes Profil für sie angelegt, dass sie einen algerischen Vater habe und eine deutsche Mutter und in Paris lebe, von wo sie Ende Februar mit dem Zug nach Saint Jean Pied de Port fahren würde. Sie auf dem Camino Frances treffen zu wollen und in der realen Welt kennen zu lernen, würde den äußeren Spannungsbogen des Buches bilden. Natürlich würde ich sie immer wieder verpassen und unterwegs nur geheime, nebulöse Botschaften von ihr erhalten. Einem Phantom hinterher jagen würde ich, wie die Leser des Buches letztlich einem Phantom hinterher jagen würden, weil sie ja glauben, es wäre echt und alles sei live und selbst erlebt. Aber am Ende, in Finisterre, würden alle in den wilden Atlantik starren und feststellen, das Leben ist nur Schein, nichts und niemand ist echt und es bleibt einem nur ein Weg, etwas, was man sehr liebt und oft benutzt hat, zu verbrennen. Das Buch sollte so enden wie Knut Hamsuns Mysterien, allerdings auf Irgendlink-Weise.

„Wäre ja vielleicht witiźig, wenn du in dem Buch genau am 1. April in Santiago einlaufen würdest und den Lesern einen bitterbösen Aprilscherz unterjubeln würdest“, sagte T.

„Ich glaube, das kann ich nicht. Ich kann nicht lügen, wenn ich weiß, dass ich lüge. Versehentlich lügen, das geht. Aber bewusst jemandem etwas Falsches sagen. Nee!“

Trotzdem recherchierte ich Ende Januar für das Buch, beschäftigte mich mit Zeit und Zeitarten, mit Äon, Chronos und Kairos, denn das Buch sollte fundamentale philosophische Kitzeleien enthalten, garniert mit bizarren Typen, die man nicht aller Tage trifft. Gepaart mit der puren Struktur, die sich aus der nüchternen Beschreibung des Reiseführers ergibt, entstand in meiner Phantasie eine Ansammlung kurzer Geschichten, Tagesetappen. Eine fand ich besonders toll: da würde ich einen Sozialphobiker treffen, der die Begegnung mit Menschen hasst und dennoch auf dem total überlaufenen Weg pilgert. Ich wollte die Szene ansiedeln auf einer weiten Ebene mit Mohnfeldern, die ich, der Erleber all dessen, von einer Anhöhe beobachte. Der Sozialphobiker würde die Ebene überqueren, eingekeilt von Wandergruppen aus Italien und Peru. Er trüge ein gelbes Regencape und von hinten näherten sich die rot-weiß-grünen Italiener lautstark, während vor ihm die Peruaner Rast machten. In meiner Geschichte hätte er keine Chance zu entkommen und würde zwischen den beiden Pilgergruppen mitsamt seiner Angst zermalmt werden.

Solche Buchschreibspinnereien sind mir Ende Januar durch den Kopf gegangen. Warum ich es nicht einfach runter geschrieben habe? Weil Schreiben eine extrem harte Arbeit ist und ich mir hätte mindestens fünf Stunden pro Tag aus den Rippen leiern müssen. Das macht man nicht für ein Projekt, für das man nicht mit Sicherheit bezahlt wird.

Bloggen ist da eine ganz andere Geschichte. Das ist zwar auch Schreibarbeit. Aber es ist Unterhaltung. Wenn ich blogge, konzentriere ich mich nicht ständig. Mal höre ich zwischendurch auf, surfe ein wenig, lese woanders, kommentiere, kommuniziere, recherchiere, schnüffele – pure Serendipidität. Ich bin dann nicht allein. Beim Buchschreiben ist man unweigerlich allein. Durstig, traurig und ängstlich. Buchschreiben ist kein Spaß. Wenn ich je ein Buch schreibe, so ist es nur der Extrakt, den man aus diesem Blog generiert.

Nun ist die Wahrheit raus. Endlich wird mir leichter. Ich habe geplant, den Jakobsweg zu fälschen.

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