Die Reiter der Vielleichtkaskade

Manchmal erhalte ich vom Owner (Chef) rätselhafte E-Mails, die keinen Text enthalten, sondern die Information ist in aller Knappheit im Betreff untergebracht. Wahrscheinlich ist sein Aszendent doch Steinbock. So aufgeräumt sind nämlich nur Steinböcke.

„Ruf mich mal an, ich hab ’ne Frage“ war die letzte Message.

Rufe ich also heute an, im Hinterstübchen verschiedene Szenarien, die von ganz schrecklich über neutral bis durchweg positiv reichen. Das schrecklichste Szenario ist eigentlich, dass der Owner mir mit dem Weblog auf die Schliche kommt und mich mit den Einträgen in dieses Sudelbuch konfrontiert. Auch von Fremden werde ich nicht gerne darauf angesprochen, weil ich dann das Gefühl habe, die wissen im Prinzip alles über mich, ich aber nichts über sie und weil ich mich nach wenigen Tagen nicht mehr erinnere, was ich einmal geschrieben habe, weiß ich noch nicht mal, was sie wissen.

Grundsätzlich ist dies die einzige negative Komponente des Bloggens, die ich kenne. In der Schwebe zu hängen, sich womöglich selbst zu widersprechen in seinen mündlichen Aussagen, weil man irgendwann mal etwas anders geschrieben hat, als man es im gegenwärtigen Leben darstellt.

Als Steinbock reagiert man auf solche Situationen – man kann sie ja nicht mit Ja oder Nein beantworten und Ruhe ist- am Besten mit Schweigen.

„Dein Blog …“ erschreckte er mich. Was für eine bizarre Situation. Besonders die drei hörbaren Punkte am Ende des Satzfetzens ließen mich erschauern. Im Leben eines jeden Serientäters wird dieser Tag kommen. Da hat man monatelang genasführt und die Fäden gestrickt und sich für ach so klug gehalten, man könne selbst dem intelligentesten Bullen mit IQ-149-plus entkommen und sein schäbiges Spiel bis in alle Ewigkeit weiter treiben. Irgendwann wird man enttarnt.

Das Gespräch lief jedoch erstaunlich entspannt; offenbar ist der Unterhaltungswert meiner Tackerstories größer, als ich annehme und selbst der Owner kann sich eines Schmunzelns nicht erwehren – im Grunde machte er mich auch nur auf eine Sache aufmerksam, die ich schon längst nieder geschrieben hätte, wenn sie nicht so kompliziert wäre. Komplizierte Geschichten bleiben bis zum Sankt Nimmerleinstag in meinem Notizbuch als Skizze, nur ein paar Worte, die niemandem etwas sagen – ich lese nach: Michael Kohlhaas neu schreiben, dahinter zwei Ausrufezeichen und: ach was, kannst sowieso nicht toppen, passt auch nicht ganz. So steht es im braunen Notizbuch. Die Geschichte wäre fürs Blog zu lang, würde aber im Begriffsdelta Ja-Nein-Vielleicht siedeln. Am Ende würde ich enthüllen, dass Vielleicht sich wie ein Virus durch unser aller Leben frisst und keiner etwas dafür kann, weil irgendwann irgendwo jemand diese Vielleichtkaskade ausgelöst hat und seither keine klaren Aussagen mehr möglich sind. Wie wir Figuren in diesem Weblog sind, so sind wir Figuren draußen in der Welt, aber dort tut es weh.

Der Owner verabschiedete sich mit den Worten: „Bin ja mal gespannt, was du über das Telefonat schreibst.“

Tja, lieber Owner, da hast Du mir ja richtig Überstunden beschert, denn eigentlich sollte heute nur die Hosentaschenpilgerstory raus.

2 Antworten auf „Die Reiter der Vielleichtkaskade“

  1. Hm, der Grund, weshalb ich ein blog stillgelegt und ein neues begonnen hab. Ich konnte einfach nicht mehr frei schreiben.

    Hoffe, Dir ergeht es nun nicht auch so…

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