Eine Lektion in Sachen Europennerei

„Ich werde euch allen eine Lektion in Sachen Europennerdasein beibringen,“ posaunte ich fröhlich am Nachmittag. Kollege T., Vorarbeiter A. und ich hielten ein Schwätzchen. Es gab nicht viel zu tun. T. und ich hatten den letzten Großauftrag soeben abgeschlossen. In der Firma machte sich eine eigenartige Flaute breit. Alle bewegten sich ungemein relaxed, aber nicht wirklich glücklich. Fahle Sonne stand im Wettkampf mit eiskalten Schneewolken. Ein Graupelschauer ging nieder. Man redete von Aprilwetter. Die Gemüter kochen hoch derzeit, denn es herrscht Ungewissheit. Wie ein Tsunami frisst die Wirtschaftskrise nun auch den letzten Wirtschaftssektor, welcher bisher noch als Bollwerk galt: Die Partymöbelbranche, welche als die bizarrste Ausblüte der Werbebranche gilt. „Wir brauchen uns überhaupt keine Sorgen zu machen. Wir sind die Werbebranche und die Werbebranche ist absolut krisensicher, ähnlich wie die Totengräber“, hatte noch vor zwei Monaten Kollege J. mich beschwichtigt.

Die Ökonomie frisst ihre eigenen Kinder.

Nun ist der erste Tag seit fast einem Jahr, an dem keine Arbeit mehr da ist. T. und ich nutzten die Gelegenheit, längst überfällige Reinigungsarbeiten am Arbeitsplatz vorzunehmen. Sogar die Fenster der Partymöbelwerkstatt haben wir geputzt. Wir haben Laub gefegt, den Fußboden und Staub gewischt, ausgesaugt, geschrubbt, ach wie sehr wir auf den Knien waren, heute am letzten Tag des Großauftrags.

„Jawohl, eine Lektion in Sachen Europenner, werde ich euch geben,“ sagte ich zu A. und T. „Kommt mit. Wir pilgern per Rad von hier aus bis nach Santiago de Compostella. Nicht nur all unsere Sünden werden uns dann erlassen, nein, ich zeige euch, wie man sich aus Mülleimern ernährt, wie man unter Brücken schläft und wie man etwas besseres findet, als Brücken, um darunter zu schlafen.“ Vorarbeiter A. grinste. Er hält mich für einen Spinner. „Ich mache euch fit für die Zukunft,“ prahlte ich. Da war A. plötzlich gar nicht mehr zum Grinsen zu Mute, denn Zukunft ist ein Reizwort. Damit darf man heutzutage eigentlich niemandem mehr kommen, denn Zukunft ist ein schwarzes Etwas, ähnlich wie Kohle, aber unbrennbar und bei weitem nicht so wertvoll. Sagen die Deprimierten.

Sicher gehört das Lachen und die Selbstironie in dieser harten Branche unbedingt dazu. Fakt ist jedoch, dass Kollege T. und ich erstmals seit einem Jahr ein paar Tage Urlaub haben. Zwangsverordnet. Klar, dass einen so etwas beunruhigt. Wenn man als Radler stundenlang einen steilen Gebirgspass erklommen hat und den Gipfel erreicht, geht die Kraft, die man aufwendet, erstmal ins Leere. Im günstigen Fall ist es ein sehr malerischer Gebirgspass, der allerdings unheimlich wirkt, weil man plötzlich registriert, dass man sich an einer Stelle befindet, an der es nicht mehr höher geht. In die Tiefe starrend, kann es einem dann bange werden. Genauso ist es, wenn du monatelang schuftest und sonst nichts mehr anderes kennst, so wie ich, so wie T. und so wie A. Wenn dann plötzlich die Kräfte wegfallen, gegen die du dich fleißig gestemmt hast, so kommst du ins Wanken.

Ich weiß nicht, wie der nächste Morgen aussieht. Wie sich das anfühlt: nicht aufstehen zu müssen, kein Weckerklingelnohrhasendingsda. Am Besten, ich würde die ganze Nacht hindurch schreiben, und endlich mal das Schreibprojekt ans Laufen bringen, an dem ich gerade rumkaue.

Hey: die Lektion in Europennerei, nachmittags, das war allerdings auch großes Kino. Ich habe die Sache mit den Mülleimern und den verkommenen Absteigen durchaus ernst gemeint. Kollege T. wusste das. In A.s Augen meine ich, einen Funken Entsetzen wahrgenomen zu haben.

Eine Antwort auf „Eine Lektion in Sachen Europennerei“

  1. Hallöle!

    Hast du zuviel Buchstabensuppe gegessen, oder hab ich mich verlesen?

    von wegen „Weckerklingelnohrhasendingsda“

    Wecker versteh ich ja noch,
    klingeln auch noch
    ohr? hasen? das check ich nicht ganz
    Haste denn einen nabaz:tag-Hasen von Violet der dich weckt?

    Vielleicht ist dein Wecker fröhlich darüber, wenn er nicht klingeln muss. Meiner wärs jedenfalls.

    Ich weiß nicht, wie du das deinem Wecker ansehen könntest, aber ich sehs meinem Wecker schon an, wenn er nicht klingeln musste.

    Nicht etwa, weil er lächelt… aber weil er noch heile ist, wenn ich die Augen aufmach…

    Grüßli von Sunny =)

    PS: Wenn ich schlaf, räum ich mal gern versehens mein Nachtkästchen ab… hin und wieder find ich meinen Wecker dann ein bisschen angeschlagen vorn bei der Wohnungstür liegend…

    PPS: Was die Wirtschaftskrise und den Betrieb anbelangt, bei dem du arbeitest, da drück ich dir und deinen Kollegen die Daumen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: