Zum Wohle unserer Ausbeuter

Dekonstruktive Annahme: den schmerwanstigen, geschniegelten Ausbeuter, der Zigarre rauchend hinter seinem Schreibtisch sitzt und cholerische Anweisungen ins Telefon brüllt, gibt es eigentlich gar nicht.

Zufällig spielt der Bericht vorhin im Fernsehen ins Tagesgeschehen, gaukelt noch immer in meinem Hirn. Gezeigt wurde eine chinesische T-Shirt-Fabrik, in der die Näherinnen 740 qualitativ hochwertige T-Shirts pro Tag für den europäischen Markt produzieren müssen. Ein T-Shirt-Bügler schwitzt über seinem 300 Grad heißen Bügeleisen für 60 Euro pro Monat und muss alle 40 Sekunden ein Hemd bügeln, zusammenfalten und an die Packer weitrreichen.

Ganz ähnlich geht es in unserer Möbelfabrik zu: Kollege T. und ich müssen pro Tag soundsoviel Partymöbel zusammenbauen. Wir sind nur zu zweit und verdienen ein Vielfaches von dem, was die chinesischen Leidgenossen verdienen.

Es gibt drei Arbeitstische in der Werkstatt. Einen für T., einen für mich und der Mittlere dient als Messie-Ablagetisch, bzw. wenn Hochkonjunktur herrscht, arbeitet daran Hilfstacker A.

Die frisch gebauten Möbel stapeln wir, jeder für sich auf seinem Tisch. „Was sind wir blöd“, sagte ich neulich zu T. „so sieht der Chef genau, wer wie viele Möbel gebaut hat und kann erkennen, wer von uns beiden schneller arbeitet.“ Selten arbeiten wir gleich schnell. Mal liegt der eine vorn, mal der andere und wenn uns langweilig ist, batteln wir uns und arbeiten um die Wette. Das nennt sich dann Akkord, glaube ich. Dennoch geht es human zu in der Produktion. Akkord ist eine freiwillige Kampfleistung, bei der im Prinzip der olympische Gedanke gilt. Zumindest in unserer Blase des Glücks.

Draußen in der Welt, in einer chinesischen Hemdenfabrik etwa, muss Akkord die Hölle sein. Die Mitarbeiter werden gegeneinander ausgespielt, Ökonomie-Darwinismus vom Feinsten. Nur die Besten dürfen weiter als Sklaven arbeiten. Diejenigen, die aus Gebrechlichkeit oder Unlust den Takt nicht halten können, werden aussortiert und ihre Familien müssen hungern. So unterstützt der Öko-Darwinismus auch noch den herkömmlichen Naturdarwinismus, denn die Leute verhungern ja oder werden wegen Diebstahls hingerichtet.

An jenem Tag, als uns klar wurde, wie verräterisch unsere privaten Arbeitstische sind, beschlossen Kollege T. und ich einen solidarischen, geradezu rotfrontösen Pakt: Wir stellen unsere Möbel, sobald sie fertig sind alle auf den einen, mittleren Tisch.

Ade du schnöde Konkurrenzsituation.

Zurück zu den Ausbeutern: Man könnte sagen, derjenige, der von seinen Mitmenschen ein Maximum an Effizienz fordert bei gleichzeitigem Verlust jeglicher Freiheit und Ignoranz persönlicher Tagestiefs (schließlich ist man nicht immer gut drauf und leistet nicht immer gleichschnell gleichviel), derjenige ist ein Ausbeuter. Das Prinzip der Ausbeutung schafft sich die Gesellschaft selbst: wenn ich mich mit T. nicht so gut verstehen würde, würde ich vielleicht auf Biegen und Brechen versuchen konsequent besser zu sein als er und er würde das selbe tun und so würden wir eins ums andere die Messlatte höher legen in diesem sinnlosen Gerangel der Werktätigen … wozu, wozu wozu?

Den Ausbeuter in Person gibt es gar nicht. es gibt nur die hochgradig arbeitsteilige Gesellschaft, die per wirtschaftlicher Evolutionslehre den schmerwanstigen, geschniegelten Ausbeuter, der Zigarre rauchend hinter seinem Schreibtisch sitzt, wachsen lässt. Er ist eine Pflanze, wie jede andere auch; er ist nur eine üble Laune der Ökonomie. Ausbeutung ist ein in die Gesellschaft implementiertes kollektives Bewusstsein.

Auf unser aller Wohl.

2 Antworten auf „Zum Wohle unserer Ausbeuter“

  1. Hallo irgendlink!
    Wiedermal ein gelungener Artikel…

    Und ich stimme dir zu. Der Ausbeuter ist im Grunde nur ein weiteres Phänomen unserer wett-kämpferischen Gesellschaft, diese Sorte Menschen haben wir selbst gezüchtet und wuchern lassen.

    Ich finde es gut, was du und deine Kollegen, also was ihr gemacht habt, dass ihr das Konkurrenzdenken ausgeschaltet habt. Respekt!

    Ich stelle mir oft vor, wie die Welt sein könnte, wenn wir nicht so in diesem Wettkampfs-Teufelskreis wären. Leider hat ein Philosoph im PM Magazin mal geschrieben, dass es sehr schwer bis gänzlich unmöglich sein dürfte, eine Gesellschaft aus diesem Teufelskreis hinaus zu führen.

    Ich glaube, ein Problem sind die politischen Führer, die wollen das alles so bleibt, wie es ist. Irgendwie sind die auch solche selbst gezüchteten Ausbeuter, die wir jetzt nicht mehr loswerden. Andererseits ist sicherlich auch die Mentalität aller Menschen ein Problem, naja gut, wenn die nicht so wäre, wie sie ist, dann gäbe es diese Ausbeutung und diesen Wettkampf wahrscheinlich gar nicht.

    Ob wir es jemals schaffen werden, aus diesem Teufelskreis auszubrechen?
    Ich finds jedenfalls schön, sich die Welt auszumalen, wie sie sein könnte, wenn wir es schaffen würden.
    Auch wenn das zuweilen ne ziemlich starke Sehnsucht nach dieser WunschWelt auslöst und mich dazu bringt, ein bisschen vor der Realität zu flüchten, in meine Fantasie, mich vor der Realität zu verschließen, damit die kalten, grauen Tatsachen mir nicht wie schwere Steine auf des Herz drücken.

    Was wirklich schade ist, dass viele Menschen diesen Wunsch nach einer wettbewerbs-losen Welt nicht haben. Ihnen scheint es noch nicht aufzufallen, dass Macht, Geld und Güter nur ein vergeblicher Versuch sind, das seelische Loch zu stopfen, die Leere zu Füllen, worauf noch weitere Versuche unternommen werden. Und für Geld sollte man ja bekanntlich arbeiten, entweder man will es so oder man muss es tun. Worauf man wahrscheinlich wieder automatisch zum Sklaven der Ausbeuter wird.

    Wenn du einen Frosch in einem Topf mit heißen Wasser gibst, dann wird er rausspringen.
    Aber wenn du einen Frosch in einen Topf mit Wasser gibst und es langsam erhitzt, dann wird er nicht rausspringen, er wird gestorben sein, bevor ihm der Temperaturunterschied aufgefallen ist, weil sie so langsam stieg.

    Wenn ein Mensch in seiner Arbeit ist und der Druck wird von heute auf morgen rasant erhöht, dann wird er kündigen.
    Aber wenn ein Mensch in seiner Arbeit ist und der Leistungsdruck steigt langsam an, dann wird er nicht kündigen, er wird ausgebrannt sein, bevor ihm der Unterschied aufgefallen ist, weil der Druck so langsam stieg.

    Und so richten wir uns zu Grunde und haben dennoch nichts erreicht, haben nur Versuche unternommen und sind gescheitert.

    Und anstatt nach den eigentlichen Ursachen zu forschen tun wir das, was du in deinem Mittelstreifenslalom Artikel so treffend geschrieben hast, wir bekämpfen nur die Symtome, die andere Symtome hervorrufen und da fängt die Sache von neuem an… Willkommen im Teufelskreis der Vernichtung.

    Hoppala, das ist jetzt ziemlich viel geworden. Aber es ist ja auch ein sehr wichtiges Thema (da funktionieren meine Bremsen anscheinend schlecht). Ich hoffe, du verzeihst mir meinen Wortschwall ;-)
    GLG, Sunny

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