Eingelullt von Bowies Starman sitzt Herr Iregndlink in der nächtlichen Künstlerbude. Die Temperaturen haben nun, da es Herbst ist, ein erträgliches Maß angenommen. Geschätzte 15 Grad. Schwärze liegt über dem Land. Wenn Herr Irgendlink die Tür öffnet und lauscht, hört er allenfalls ein paar verirrte Tropfen, die vom Regen des Vortags über das ausladende Dach seiner Künstlerscheune sickern. Soeben handelte Herr Irgendlink im Auftrag des Künstlers, was fast so brilliant klingt wie im Auftrag seiner Majestät. Das Buch 40 Jahre Col – die vergessene Kunstrichtung liegt nun 168 Seiten stark auf der Festplatte. Gut 60 Stunden Scan- und Bildverbesserungsarbeit stecken darin, nicht zu vergessen etwa anderthalb Jahre, die Künstler K. daran gearbeitet hat.
Manchmal wird Herr Irgendlink wehmütig, wenn er an die gar nicht mal ferne Zeit zurückdenkt, als er selbst ein Künstler war. Aber nun, durchwalkt von den Umständen, hat er sich mit dem glücklichen Dasein als Tackerqueen abgefunden. Tagein tagaus in der bizarren Werkstatt kleine kunstlederne Möbel zu fabrizieren gibt seinem Leben eine recht angenehme Wendung. An dieser Stelle soll er noch einmal zu Wort kommen, um den geneigten Lesern die Vorzüge der Werktätigkeit gegen die Nachteile des losen, freien Künstlerdaseins zu erläutern:
„Ich bin eher zufällig in die Sache rein gerutscht,“ konstatiert Irgendlink. „Alles fing letzten Pfingsten an, als ich mich mit ein paar Freunden betrinken wollte und Lammbraten essen. In den Himmel wollte ich starren, Sterne gucken, mir was vorstellen dabei und über die Unendlichkeit, die Imponderabilien und das Leben an sich nachdenken. Wir spielten Boole und da war diese schöne Frau, V., die ich seither nicht mehr gesehen habe. Alles schien nach einem alltäglichen verlausten Künstlerabend. Du spielst den Kreativen, bist es womöglich, bist Teil dessen und jenen, aber so richtig etwas, das bist du nie. Macht auch nix, man hat sich ja im Laufe der Zeit daran gewöhnt … wie auch immer, später sagte einer der Partygäste, „Hey, habt ihr nicht Lust auf nen coolen Job als Berufstacker?“ und zeigte mit dem Finger auf den mittlerweile-Kollegen T. und mich. So kam es, dass ich mich eine Woche später in der Tackerlounge wieder fand … mein Gott, das ist nun schon vier Monate her.“
Und was sind nun die Vorzüge der Werktätigkeit und die Nachteile des Künstlertums, Herr Irgendlink?
„Nuja, von Vorzügen der Werktätigkeit kann man als vernünftiger Mensch eigentlich nicht reden, aber die Nachteile des Künstlertums liegen ganz klar auf der Hand: dein Hirn ist Tag und Nacht am Brennen, permanente Dowerpower – sorry, Dauerpower meine ich – du bist ständig im Dienst, hast nie deine Ruhe. Wie Wölfe am Aas zerren deine Gedanken an dir und du durchschreitest Welten, die sich wohl kein herkömmlicher Mensch vorstellen kann. Der herkömmliche Mensch ist einfach. Er kennt die Regeln. Er akzeptiert sie. Somit erkauft er sich eine gewisse Gelassenheit, die dem Künstler gemeinhin abgeht. Der normale Mensch, so es ihn denn gibt, erfreut sich an den banalen Dingen, die den Künstler nicht interessieren. Einkaufen zum Beispiel. Ich habe es selbst ausprobiert. Funktioniert bei mir nicht als Befreuungsmethode. Einkauf ist Verdruss. Einkauf kann aber auch Lust sein oder zumindest Linderung. Man könnte sagen, der Werktätige schafft sich ein kurzes Glück, indem er Geld verdient und es wieder ausgibt. Ein sehr kurzes Glück. Wir Künstler spielen in einer anderen Liga. Uns bringt diese profane Methode, glücklich zu werden nichts. Wir bauen Luftschlösser, wir leben in Luftschlössern, wir reißen sie wieder ab. Das Geheimnis der Luftschlösser ist, dass sie nichts kosten. Um Luftschlösser zu bauen muss man also kein Geld verdienen.“
Und nun, da Ihr selbst werktätig seid, Eure Hochnäsigkeit, wie fühlt Ihr Euch nun?
„Prächtig. Ich fülle Konten mit Geld. Dem herkömmlichen Menschen mag das wie ein Traum vorkommen. Für mich ist ein Konto mit Geld momentan aber nur ein finanztechnischer Verwaltungsakt, über den ich eigentlich nicht gewillt bin nachzudenken. Ich brauche das Geld gar nicht. Kauf bringt mir keine Befriedigung. Sparen keine Sicherheit. Die Werktätigkeit hat aber einen großen Vorteil: Die Gedankenmühle steht endlich still. Wie herrlich. Nie wieder denken. Mein Owner, der Eventmanger, zerbricht sich den Kopf um organisatorische Dinge. Und ich, ich muss einfach nur den Tacker in die Hand nehmen und diese Ledermöbel zusammen schustern. Jenseits des Tackerns breitet sich ein Problem-anderer-Leute-Feld von unfassbarer Größe aus. Obendrein habe ich, bedingt durch meine geringe künstlerische Herkunft, die materielle Not gewöhnt, einen Vorteil gegenüber anderen Werktätigen: wenn die Firma in die Knie geht und ich arbeitslos werde, falle ich auf die Füße. Das einzige, was ich verliere, ist, dass ich das Gehirn wieder einschalten muss um die Gedankenmühle erneut anzutreiben.“
Also: leben jenseits der Selbstbestimmtheit? Ist es das, was sie wollen?
„Ne, das was mir gerade passiert.“
WAS waren noch mal die Vorteile auf einen Blick???
;o) Schöne Grüße sendet Kati – wie immer ebenfalls bei der Arbeit …
immer der nase nach.
Doch was tut Herr Werktätig, wenn sein Hirn nicht vertummt – äh – verstummt unter der glückseligmachenden Monotonie der Arbeit? Wenn doch ein wenig Geist übriggeblieben ist, und dieses Wenige in dem nun üppigen Raum seines Hirns von Wandung zu Wandung rast, abprallt und in ewig gleichem und ewig neuem Takt Gedanken produziert?
Abstellen geht nicht, ausleben erst recht nicht? Hat ihn die Muse doch noch nicht geküsst. Oder doch?
Kati, Herr Irgendlink hat sich wohl ein bisschen verrannt und weiß nun nicht mehr wo oben, unten, rechts links – Vorteil der Werktätigkeit ist ein geregeltes Leben mit theoretisch festen Arbeitszeiten. Herr Irgendlink bellt leider in einem Rudel Veranstaltungstechniker, die das Böse W.-Wort nicht kennen (W wie Wochenende).
Herr Beine, exakt!
Bernd, Herr Irgendlinks Werktätigkeit ist so skurril, dass sich die Gedanken von selbst abarbeiten, was nicht zuletzt an den verrückten Kollegen liegt. Wie sagte doch sein Owner, „Hier arbeiten nur Spinner.“, öffnete spät freitags ein Süßbier und prostete seinen Tackerqueens zu. Und die Muse? Ist sie nicht das W.-Wort des Freischaffenden?
Ach so … obwohl – beruhigend finde ich das nicht!
Aber recht hat er: Ich mag die festen Arbeitszeiten, das feste Gehalt, das ein paar Sicherheiten bietet, und den Urlaub, den man sicher hat.
Ich hoffe, Herr irgendlink geht auf dem Weg nicht verloren … Das fände ich sehr, sehr schade!
Liebe Grüße, Kati
Er ist schon verloren. Herr Irgendlink ist der Bootstrap-Bill der Lohntackerei. Einzige Hoffnung: die Tackerfirma macht pleite.
Ui … :(
Hum, das Ui bräche Herrn Irgendlink sicher das Herz. Admin wird sich – notdürftig – mindestens um das Bloggeschäft kümmern. Versprochen. Vielleicht ist es so: klammheimlich tut Herr Irgendlink es Frau Kati nach, experimentiert, versucht seinen Stil zu verbessern (was ihm gewiss nicht so gut gelingt, wie der hochgeschätzten Frau K.). Herr Irgendlink will weg vom ich. Das hat seine Reize. Lassen wir ihn doch zu Wort kommen: „Danke Kati, für deine Sorge. Ich experimentiere ein wenig mit dem Weblog und habe mir einiges vorgenommen. Arbeiten für Fremde muss ich zur Nöche. Es tut mir gut, die Künstlerei ein bisschen herunter zu fahren. Ich glaube, ich war zu nah dran, um gut sehen zu können und das Bild meines eigenen Lebens zu genießen. Nun ist es gut so wie es ist. Und eines schönen Tages, wenn der Owner in den Ruin gegangen ist, kehre ich zurück. Und wenn er nicht in den Ruin geht, dann kündige ich und mache endlich die große Livereise. Bestimmt. PS: es ist echt wahr, ich arbeite nicht wegen des Geldes. Einen großen Beweis habe ich angetreten in diesem Selbstversuch – Geld ist nicht wichtig. Das glaubt mir nur niemand.“