Reise ist Kunst

Ich komme – hoffentlich – wieder in eine Phase des kreativen Arbeitens. Will sagen, ich kann mich wieder mehr dem Blog widmen, nachdem endlich die Vorbereitungen für die Kunstmesse in Mainz ab 16. März und für das Ums Meer Projekt vom Tisch sind. Schon Samstag, als die ersten Pakete mit Bilderrahmen, Bildern, Postkarten, Visitenkarten, eben allem, was das moderne Kunstbübchen so braucht, ins Haus trudeln, wird mir bewusst, wie aufwändig die letzten Wochen waren. Selten bin ich vor zwei Uhr ins Bett gekommen. SoSo hat mich glücklicher Weise massiv unterstützt und ein waschechtes Sponsoring/Spenden/Pressepaket erstellt mit Kontaktlisten und wohlgeformten Texten. Ihre Arbeit trägt schon Früchte, hat sie doch gleich zwei Zeitungsartikel bei den beiden führenden Tageszeitungen der Stadt ausgelöst, die letzte Woche erschienen sind.

Der „Presserummel“ macht mich leider unruhig und das ist geradezu schizophren: munter leutselig in diesem Blog drauflos zu zwitschern, wenn aber die Printmedien berichten, sich so seltsam entblößt vorzukommen. Insbesondere, wenn auch die Blogadresse genannt wird. Vielleicht ist es mein Argwohn, diejenigen, die heutzutage noch Zeitung lesen, könnten das Blog-Gerede womöglich nicht verstehen, falsch verstehen, sich ein Bild von einem eigenartigen Menschen machen? Verflixt, ich bin eigenartig!

Journalist und Künstlerkollege K. war vor zwei Wochen zu Gast für ein Interview. Dabei erzählte er mir von einem Berliner Künstler, der aus Pirmasens stammt und der sich strikt weigert, in der hießigen Presse aufzutauchen, weil er nicht möchte, dass seine Verwandtschaft durch den Bericht womöglich ein falsches Bild von ihm kriegt.

Mir geht es eigentlich genauso. Nur, dass es einfach nicht möglich ist, im Internet groß herumzuposaunen, „ich radele live ums Meer und hänge es an die große Glocke“, und dabei gleichzeitig anonym zu bleiben. Dilemma.

Heute frühmorgens auf dem Weg zum Brotjob, lichten sich die letzten Nebel (das meine ich sinnbildlich), Schleier vor verschwommen abstrakter Zukunft,  und ich greife eine alte Idee wieder auf, die ich zusammen mit meinem Freund QQlka vor einigen Monaten erdacht habe: die Tonaufnahmefunktion auf dem iPhone besser zu nutzen und bei der bevorstehenden Livereise verstärkt auf Sprachbeiträge zu setzen und auf Videos. Wie es funktionieren kann, die große Datenmenge, die dabei entsteht, ins Netz zu bringen, weiß ich allerdings nicht. Aber ich bin ja Pionier.

Während der monotonen Tackerstunden, in denen ich einige Möbel reparierte, kamen immer wieder Gedanken, die ich sofort notierte. So ähnlich funktioniert ja auch die Livereise: der Artist in Motion durchquert die bunte Welt und versucht, die Atmosphäre so gut wie möglich in Text und Bild festzuhalten. Am Abend oder in ruhigen Minuten am Wegrand beginnt die minimalistische, journalistische Arbeit und in kurzen Statements wird das Tagesgeschehen hier in diesem Blog veröffentlicht.

Ganz wie auf dem Jakobsweg. Nur, dass alles anders wird. Gegen Feierabend kommt mir die kühne Idee, das Projekt derart an die große Glocke zu hängen, dass wir die Presse rund ums Meer informieren. Kleinstädte wie Zweibrücken mit eigenen Tageszeitungen, gibt es bestimmt zwanzig dreißig Stück an der Nordsee. Dazu Radiosender, Fernsehen, pi, pa und po. Ob das so spaßig wird? Ständig interviewt werden ist Knechtschaft.

Als ich vorhin meinem alten Freund Don Hirtho zum Geburtstag gratuliere, erzählt er mir von einem längst vergessenen Kunstprojekt, bei dem ich ihm offenbar von meiner ersten Zweibrücken-Andorra-Radtour jeden Tag eine Ansichtskarte geschickt habe. Hatte ich völlig vergessen. Ich hatte schon immer einen Hang zu seriell-abstrakten, selbstgebastelten Reisekonstrukten mit künstlerisch-intelektuellem Touch :-)

 

Pausenhofsyndrom

Während der Arbeit rette ich heute früh folgenden Satz ins Notizbuch des iPhones:

Ein großes Problem des Menschen liegt im Impuls, dazugehören zu wollen. Unmöglich die Vorstellung, als Einzelgänger neben einer „Gruppe“ stehen zu müssen. Es kostet viel Kraft, zu etwas gehören zu können, Besitzer von irgendetwas zu sein, eine Gesinnung zu haben, so-und-so sich zu kleiden, zu schminken, auszusehen, diese oder jene Musik zu hören, Gefallen an dem zu finden, was auch anderen gefällt. Aber auch dann, wenn der Mensch bewusst nicht wozu-auch-immer gehören will, muss er eine immense Kraft aufwenden, nicht dazugehören zu müssen. Der erstrebenswerte Zustand ist vermutlich, dass es ihm egal ist, ob er dazugehört, oder nicht.

Überall, wo Menschen sich versammeln und einer Meinung oder geteilter Meinung sind, entstehen Oppositionen, in denen sich die Individuen zusammenschließen, nur, um dieses elende Gefühl, alleine dazustehen, nicht zu ertragen. Beinahe „instinktesk“ bilden sich auf diese Weise Gruppen, Parteien, Vereine, Interessengemeinschaften: die mit den rosa Pullovern, die mit den gelben Gummistiefeln, diejenigen, die diesen Musikgeschmack haben, jene Tierart retten wollen etc. Unikate gibt es nicht.

Die Notiz wäre in den Tiefen des Smartphones versunken, wenn nicht SoSo ähnliche Gedanken gehegt hätte und wir am Abend nicht darüber diskutiert hätten.

 

 

Materie und Antimaterie und wie sie sich morgens 10 vor Acht voneinander scheiden

Die Bluetooth-Tastatur, auf der ich diese Worte schreibe, ist gerade mal 25×12 cm groß, schätze ich. Schwarzes, stylisches Ding. Davor liegt das iPhone. Kaffee auf dem Herd. Abends finde ich eine Mail vom Owner im Postkasten: „Kannst du morgen kommen? Danke. Dein Owner“ Wunderbar knapp. Dummerweise ist es schon 3 Uhr nachts, als ich die Mail lese. Der Künstler-Alltags-Lebensrhythmus ist scherenhaft verzahnt oder entzahnt mit dem Werktätigen-Lebensrhythmus. Wie kann ich nachts um Drei so phantastisch sein, in Erwägung zu ziehen, morgens um Acht auf der Arbeit zu sein? Ich stelle den Wecker auf 7:29, lasse ihn vorsorglich im Wohnzimmer liegen und spekuliere auf natürliches Erwachen. Das natürliche Erwachen ist etwas, was die wenigsten Menschen wirklich zu schätzen wissen. Es ist der Garant für einen ruhigen Lebensfluss.
7:49 erwache ich „natürlich“, nur 20 Minuten, nachdem der Wecker, den ich ja vorsorglich im Wohnzimmer habe liegen lassen, geklingelt hat. Obschon es schwierig ist, sich mit nur 5 Stunden Schlaf aus dem Bett zu quälen, ist es doch um einiges harmonischer, zwanzig Minuten „zu spät“, aber natürlich und sanft geweckt zu werden, als aprupt von einer Maschine. Guter Kauf. Sofort ist der Kopf hellwach und lotet die Möglichkeiten aus, wie es zu schaffen ist, um 11 vor Acht aufzustehen und um Acht schon auf der Arbeit zu sein: garnicht. Vernunft ist ein scharfes Schwert. Ich koche Kaffee, schüre den Ofen an, rufe mir die Gleitzeit-Passage aus dem ohnehin brüchigen Arbeitsvertrag in den Sinn, kombiniere es mit der kurzen Formulierung aus der gestrigen 10 vor 20 Uhr Mail: Kannst du morgen kommen? Messerscharf stelle ich fest, dass es sich doch nur um eine Frage handelt, die ich mit Nein beantworten könnte. Aber der gute Wille siegt. Ich lege den potentiellen Arbeitsbeginn auf Neun, trödele bis10 vor, setze einen zweiten Kaffee auf. Zuerst muss ich noch bloggen. Bin eh schon zu spät, wird mir beim Broteschmieren bewusst. Und die kleine Reisetastatur und das iPhone würden sich doch prima auf dem Küchentisch machen. Arbeitsbeginn auf 10 Uhr verschoben. Der zweite Kaffee. Endlich. Puls ist auch wieder messbar. Boa. Mit nur fünf Stunden Schlaf. Freiwillig würde ich doch nie aufstehen, um nach so kurzer Nachtruhe einen Blogartikel zu schreiben. Und worüber sollte ich dann auch schreiben? Erst jetzt wird mir klar, wie eng der Zusammenhang zwischen Lebenszwängen und den Themen der Alltäglichkeit ist. Ähm.

Irgendlinks schwerster Fall

Wenn es ans Ausbaldowern von Kunstreiseprojekten geht, bin ich wie ein Kampfhund, beiße mich fest, kann nicht mehr loslassen. Jo Nesbø hat in seinem Roman „Der Erlöser“ eine eindrucksvolle Szene geschrieben, in der sein Held, Harry Hole einen Drogensüchtigen in einem Containerhafen sucht. Dabei muss der Kommisar in ein, von Hunden bewachtes Gelände eindringen, wird erwischt von einem unheimlichen Vieh, einem „Schwarzen Irgendwas“, der dafür bekannt sei, dass er sich so fest in seine Beute verbeißt, dass er noch nicht einmal loslässt, wenn man ihm den Kopf abschlägt. „Irgendwas“ steht für den Namen der Hunderasse. Ich hab ihn vergessen. Aber „Schwarzer“ kam darin vor, und in meiner Phantasie hat das Vieh einen schlanken Körper und einen Kopf, der nur aus Maul besteht.

Bin ich wirklich so verbissen, wenn es um die Kunst geht? Projektversessen war ich schon immer. Diesertage geht es heiß her im Hintergrund der Irgendlink-Webseite. Designumstrukturierung, Statistik, potentielle Werbeplätze habe ich eingebaut. Die Größe des Projekts verlangt das.

Heute stapfen  wir durch die Kälte, die SoSo und ich, wobei mich manchmal wie ein Blitz die Idee überkommt, ich könnte an der Runde „Ums Meer“ scheitern. Dann wird mir ganz flau. In der Nähe von Charleroi etwa – kaum 300 km westlich von Zweibrücken – könnte ich mich einsam und verlassen fühlen, das Wetter könnte mies sein, die Gegend  wäre hässlich und die Menschen gemein und alle Widrigkeiten, die das Reiseleben zu bieten hat, könnten wie ein Kübel Mist über mir ausgeschüttet sich anfühlen und ich könnte die Lust verspüren, direkt umzukehren und mich daheim hinter den Ofen zu setzen und ein gutes Buch zu lesen. Wollen. Verdammt! So wird es auch kommen. Es wird diese absoluten Hänger-Tage geben auf der Reise, an denen ich sofort-zu-Hause-sein-will. Und es wird die Tage geben, an denen ich an dem großen Projekt jämmerlich zweifeln werde.

Hatte ich je von meiner kürzesten Langstrecken Radtour erzählt? Sie führte im November 1990 nach Gibraltar. In dem kleinen Dorf in der Nordpfalz, in dem ich bei Minusgraden und dichtem Nebel startete, verhöhnte mich eine alte Frau auf dem Weg zum Metzger, Spinner, zischte sie quer über die Hauptstraße und packte ihren Enkel fest bei der Hand. Ich schaffte es bis nach Johanniskreuz im Pfälzer Wald. Wo sich, dank der Höhe, der Nebel lichtete. Im Queichtal bei Annweiler wieder dichte, nervenzermürbende Suppe, so dass ich kurzer Hand in einer Telefonzelle zu Hause anrief und mich abholen ließ. Die kürzeste Langstrecken Radtour meines Lebens. Abends freute ich mich vor der Glotze an einer Folge von „The Unknown Stuntman“. Zwei Monate später radelte ich während des ersten Golfkriegs bis nach Valencia.

Es beunruhigt mich, das kommende Projekt derart an die große Glocke zu hängen. Ich suche nach einem Weg, mir meine unbedarfte Freiheit (die ja immer da ist, so wie Luft) und die arglose Unbeschwertheit zu verinnerlichen. Schon merkwürdig, dass man ständig am Wegesuchen ist im Leben. Und dass im Nachhinein alles so einfach war und die Lösung so offensichtlich gewesen sein wird.

Ich erinnere mich, dass es eiskalt war im „Erlöser“. Dass ich mir vorgestellt habe, wie schlimm es sein muss bei der Kälte mit einem Hund am Bein (sprichwörtlich) draußen zu sein. Eine winterliches Oslo hat Nesbø gezeichnet, und zudem ein knallhartes Drogenmillieu, so dass mir ehrlich gesagt die Lust vergangen ist, noch einmal mit dem Fahrrad durch Oslo zu radeln – es liegt auch nicht explizit am Nordseeradweg. Dennoch, wenn es das Oslo aus meiner Erinnerung wäre und Jo Nesbø in seiner Krimireihe die guten Erinnerungen nicht „überschrieben“ hätte, es wäre einen Abstecher wert. Hole löst den Fall. Er ist nämlich auch einer, der sich festbeißt. Alle Fälle hat er gelöst, von Mal zu Mal ein bisschen malträtierter.

Am Horizont eine Lücke Licht

Das Jahr fürs Feine neigt sich dem Ende. Die Zeit wird knapp. Nur die Erkenntnis, dass die Einteilung der Zeit durch die Menschen eigentlich eine willkürliche Angelegenheit ist und dass es schädlich ist, auf Zeitpunkte hinzuarbeiten, hält mich zurück in Panik zu kollabieren. Wenn ich tatsächlich am 31. Dezember mit den finalen Aufräumarbeiten auf dem einsamen Gehöft und in meinem Leben fertig sein wollte, müsste ich das Jahr um sechs Wochen verlängern.
Auf dem Weg zur Arbeit besinne ich mich heute morgen einer alten, selbst erfundenen Technik: zuerst die Dinge bis ins feinste Detail groß zu denken, um eine Art Straßenkarte zu haben, nach der ich arbeiten kann, und dann nach Abkürzungen zu suchen. Jede meiner Ausstellungen funktioniert nach dem Prinzip. Ich plane, als hätte ich alles Geld, alle Zeit und alle Ideen der Welt aber handele in vernünftigem, den beschränkten Ressourcen angepasstem Rahmen.
Trotzdem rinnt die Zeit und tickt die Uhr tickitick tickitick tickitick tack tack.
Kurz vor der Schlucht des Vergessens, die ich alltäglich durchquere auf meinem Weg zur Arbeit, erstelle ich eine Prioritätenliste, um die wichtigen Erledigkeiten von den unwichtigen Erledigkeiten zu unterscheiden, komme dabei zu dem Schluss, dass das, was am wichtigsten ist wegen widriger Umstände ganz nach unten auf der Liste gerutscht ist: ICH steht als letzter Posten darauf. Und davor kommen Loungemöbel, die Homepages für eine Galerie, einen Künstler, eine Busgesellschaft. Aber Geld ist doch auch wichtig, schreit etwas in mir. Hallt wie Echo in der Schlucht des Vergessens.
Manchmal wünsche ich mir, ein friedlicher Loungemöbelbauer zu sein, der nur diese eine Funktion ausübt und ansonsten das Leben genießt. Ein Mensch mit Feierabend ohne Flausen im Kopf. Als Künstler ist man 24 Stunden am Tag im Dienst. Vielleicht ist das noch nicht einmal übertrieben, denn oft nimmt man die alltäglichen Kreativdinge und den Hick-Hack der Selbständigkeit mit in die Träume. Sich hin und her wälzend, ohne sich morgens zu erinnern, was man im Traum abgearbeitet hat.
Mit einer Prioritätenliste, auf der zuoberst 37 schneeweiße Loungemöbel für einen Tabakkonzern stehen, steuere ich auf die Zielgerade zur Werkstatt. Die Straße führt nach Süden. Hochnebel hängt über der Stadt und am Horizont versucht sich die Sonne durchzukämpfen. Fast wie früher, als ich durchs Rhonetal Richtung Marseille radelte: ein heller Streifen hängt im Süden. Ein Weg Richtung Licht. Es macht Mut, sich daran zu erinnern und den Geschmack eines dampfenden Alpenflusses bei plus drei Grad zu vermuten, wie er in der Nähe von Valence beinahe schon in die Rhone mündet.

Ein Traumfetzen der letzten Nächte zeigt moimême in düsterer Szene auf einem Segelboot auf einem Ozean. Dämmerung und Sturm. Ich glaube, das Boot war im Begriff zu sinken, als ich erwachte und mir sagte, das ist eine erstrebenswerte Szene für die eigene Zukunft, auf die man hinarbeiten könnte. Selten stelle ich mir vor, wie mein Leben enden könnte. Die Idee im Pazifik zu versinken gefällt mir. Ich sollte einen Segelkurs belegen.

Ich spähe nach einer Abkürzung.