Komprimierung des Europennerlagers

Wie lange dauert Europennerlager-Zusammenpacken? Sieh auf die Stoppuhr! Exakt 34 Minuten including „The horrible Geschirrspül ohne Wasser Bonustrack“.
Nun an der Kreuzung D132/D47 auf nach Fressain. Noch immer läuft mir die Melodie „Swing low sweet chariot“ nach, weil das Zehnuhr-Glockenspiel in Bouchain so ähnlich klingt. Melodien sind wie akustische Viren, die man sich einfängt am Rande der Straße aus offenen Fenstern oder gepfiffen von „heureusen“ Landwirten, die mit der Digitalkamera den Wuchs ihrer Testsaat dokumentieren.
Nossa!

Spuren – von Menschen für Menschen hinterlassen.

Warcq. Mittagspause. Trotz Sonntag sind fast alle Bäckereien offen. Und so mancher Supermarkt. Mit den anderen Gästen der Pension führe ich morgens am ovalen Tisch in einem stilechten Salon mit Kaminofen, Ohrensesseln, Ölgemälden ein Gespräch. Ein älteres Ehepaar, sie in Sedan geboren, auf Besuch bei der Verwandtschaft. Immer an Allerheiligen und Ostern würden sie die Familie besuchen. Und ich erfahre fetzenweise Lebensgeschichte, wie auch sie fetzenweise von mir erfahren.

Es ist erstaunlich, was man alles im Vorbeigehen von den Anderen da draußen mitkriegt, was man selbst alles am Wegrand hinterlässt im „Passieren“ der Welt: Grüße, Lächeln, Händeschütteln, Schulterklopfen, aber auch Haare, Atem, Hautschupen, Genmaterial, und Stimmungen. Und vermutlich noch viel mehr, von dem ich nichts weiß. Die beiden alten Leute sind herzig. Ihre Enkelin heiratet bald in Bordeaux, das Besitzerpaar der Pension sei leidenschaftliche Antiquitätensammler, was sich im Interieur des einzelstehenden, aber neu gebauten Anwesens nieder schlägt und ihm einen Touch Château verleiht. Mein Gegenüber kommentiert auch die heute bevorstehende Strecke: mit einer schlangenartigen Handbewegung.

Bis jetzt, schon hinter Charleville, ist davon noch nichts zu spüren. Ich sitze vor dem Gemeindehaus von Warcq, in dessen ockerfarbene Mauer eine Messingtafel eingelassen ist: „Oton“ heißt der Begründer (974) des Städtchens, und er wurde im Jahr 980 der erste „Comte de Chiny“.

Wieder so eine Spur, von Menschen für Menschen hinterlassen. In dem zugemauerten der drei Fenster im oberen Stock thront der Graf on Stein gemeißelt, bärtig mit Rüstung und Umhang, seine abgewitterten Augen starren nach Norden.
Bild: km 310.00

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Cowboy und Indianer nach Esch-sur-Alzette tragen

Die Platzwartin vom Campingplatz Dr. Ernst Dadder kredenzt mir zum Abschied zwei dicke Wurstbrote mit Gürkchen und einen Kaffee. Somit nehme ich sie in die Liste der Sponsorinnen der Herzen auf. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Kurz hinter Wallerfangen bin ich heilfroh um die Futterspende. Es geht erstmals steil berghoch Richtung St. Barbara. Die Schutzpatronin des Bergbaus lässt grüßen. Der Himmel trübt sich ein. Im Straßengraben eine tote Meise, ein Sack Pornos, was auf eine generell schlechte Internetverbindung in dieser Gegend schließen lässt.

Auf den folgenden 30 km geht es ständig auf und ab, ich passiere einen Berg namens Sudelberg, passt irgendwie zu den Pornos, lache ich, hinüber ins Niemandsland der Mobilfunknetze, nicht Deutschland, noch Frankreich, aber die Gegend um das Flüsschen Nied ist wunderschön und voller Kleinodien, Höhlen gibt es hier, stillgelegte Bahnstrecken, stand-by-me-Romantik pur und Römerbauten. So ackere ich an der Deutsch-Französischen Grenze Richtung Luxemburg. Ein alter Kerl mit zwei müden Hunden erklärt mir den Weg. Er trägt eine Mütze mit Schweizflagge, die habe ihm mal jemand geschenkt. An der Mosel überquere ich den Moselradweg, rennradfahrerschwanger. Der Radclub aus Thionville oder sonstwo in der Nähe kritzelt mir die Strecke bis Esch-sur-Alzette auf einen Zettel. Esch ist mir durch die länderübergreifende Werbung über Konzerte in der dortigen Rockhall schon fast wie bekannt. Dass ich gegen Ende des Tages auf der Strecke Duddelange-Kayl-Esch noch ca. 3 Zweibrücker Kreuzberge erklimmen muss, bricht mir fast das Genick. Bei km 150 erreiche ich Esch und erklimme schiebend das steile Gaalgebierg. Der Campingplatz ist immer offen, oberhalb des Stadtparks und eines Hotels. Die Stadt ächzt wie eine Maschine. Ist das ein Stahlwerk da unten? Und die Sirenen, die mich beim Hochschieben begleiten erinnern mich an Oslo, dessen Campingplatz auch hoch oben über der Stadt liegt und wo in meiner Erinnerung Tag und Nacht Sirenen heulen und Stahl ächzt. Im Anhören all des Lärms aus Industrie, Autos, zweier Jungs, die mit einem ferngesteuerten Zweitakt-Modellauto spielen, frage ich mich, wie die Welt wohl aussähe, wenn nicht wir, die „Cowboys“, Amerika annektiert hätten, sondern die, die Indianer, Europa.
Sie hätten es vermutlich nicht getan?

Eine Grundrenovierung inmitten des Lebens

Frühjahrsputz. Und abendliches Grillen. Künstler P. fegt den Außenbereich auf der Südseite des einsamen Gehöfts, schürt Feuer, legt das Grillgut auf. Die lieben Freunde und Freundinnen! Während ich selbstgestochenen Löwenzahn putze, Eier koche, multitaskend einen griechischen Salat baue und eine 40 cm Pfanne mit vegetarischem Grillgut bestücke, wird mir klar, wie reich ich bin. Alleine wegen meiner lieben Freunde. Kein Pfennig in der Tasche und trotzdem so reich.
Wir müssen sowohl geben, als auch annehmen können, schießt es mir in den Sinn, sowohl loslassen, als auch im rechten Moment zupacken. Binsenweisheiten, aber guuut
Nun setzen SoSo und ich unsere beiden zerlegten Leben neu zusammen. Sie wird nächste Woche im Aargau in der Schweiz wieder Fuß fassen, „mit alles“ – Wohnung, Arbeit, pi, pa und po. Und ich starte voraussichtlich Mittwoch auf die 6000 km Reise ums Meer. Der Nordseeküstenradweg. Ganz schön mulmig. So „Nie“, wie ich 2010 Achthundert Kilometer wandernd zurück gelegt habe, habe ich auch 6000 km radelnd geschafft. Verdammt „Nie“. Am schwierigsten fällt mir, mir vorzustellen, mich für satte drei Monate aus meinem friedlich eingependelten Alltag zu entfernen. Spätabends wird mir das Problem endlich bewusst: das Leben ist nicht nur eine Kombination verschiedener Gewohnheiten, es ist eingebunden in das Gewohnheitsgewebe der lieben Mitmenschen und wenn ich meine Gewohnheiten für drei Monate so dramatisch ändere, dass ich faktisch nicht mehr existiere ( weil ich ja unterwegs bin), hat das auch Auswirkungen auf die Gewohnheitsgefüge meiner Liebsten.
Symbolisch könnte ich wohl von einer Totalrenovierung mitten im Leben sprechen.
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Der heilige Gral der Bloggosphäre

W, W, W, W wache ich auf. Der Klassiker unter den Schreibtipps, wenn es darum geht, Nutztexte mit hohem Informationsgehalt zu schreiben. Wer macht wann was wo. Wenn man diese Fragen beantwortet, hat man schon fast einen Zeitungsartikel in der Tasche.
Ich spüre, dass mein bald zehn Jahre währender Ausflug in die Bloggosphäre mit der kommenden Livereise in eine neue Runde geht. Viele neue und auch ein paar alte Schreib-Ideen warten darauf, endlich umgesetzt zu werden. Es kommt mir so vor, als wäre ich von Anbeginn meines Internetschreibens auf der Suche gewesen nach einer Art heiligem Gral. Einer Geheimformel, die fremde BesucherInnen sofort in ihren Bann zieht und und den direkten Einstieg in die gebloggte Lebensgeschichte ermöglicht. Eine Art Brückenschlag zwischen Roman und dem, was ihr gerade hier lest.
Wie oft bin ich gescheitert!
Auch gestern, als ich mir überlegt habe, mach doch mal einen Tag im Twitterstyle. Rette über den Tag verteilt Satzfetzen und Worte, Geräusche, Gerüche, Bilder in den Speicher deines iPhones und stückele abends die Fetzen zu einem Blogartikel in Listenform, etwa so:

  • 8:12 Hallo Welt!
  • 8:18 SoSo prophezeiht: du wirst gleich aufstehen und eine Kanne Kaffee aufsetzen, dich duschen und rasieren. – Du kannst in mir lesen, wie in einem offenen Buch, wie in einem schmutzigen Heftchen, das man im Straßengraben findet.
  • 9:37 Krähe auf Straße. Ich bremse. Was bin ich gut zu Vögeln!
  • 9:50 Versuche SoSo Siri anzutrainieren.
  • Twittern ist total bescheuert
  • Das ist ein Blogolerisches Experiment.
  • Soll noch einer sagen Siri ist nicht lernfähig

SoSo, die als Siri, sprich iPhonefunktion mit Dialogfähigkeit, fungiert, während der Autor Auto fahrend Satzfetzen in den Raum wirft (ob nun Cyberspace, Weltraum oder Autoinnenraum bleibt den Lesenden und deren Phantasie überlassen) sagt hier: Ähm, aber Siri wirds wenigstens nicht schlecht, wenn sie während der Fahrt auf das Display des iPhones schauen muss.

Herrjeh. Dieser konfuse Artikel istja wohl ein Bisschen zu lang. Schon wieder haarscharf am heiligen Gral der Blogliteratur vorbei gelangt.

  • Scheitern am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
  • Ich war soo sauer! Da kommt das so schluckzessive aus ihm raus.(Belauschtes Gespräch, Rheingoldhalle Mainz, Foyer. )

Der Schluckzessive Tweet ist leider der Letzte, den ich am gestrigen Tag ins iPhone Notizbuch retten konnte. Danach schlugen die Wogen der schlecht besuchten Kunstmesse über mir zusammen.
W, W, W, W: Irgendlink um 10 Uhr früh am Küchentisch in Freund QQlkas WG, bloggend, Kaffee trinkend, mit blinzelnden Augen durchs Fenster in den trüben Luftraum über Rheinmain blickend.