Von Paradies nach Widnau #UmsLand

Pink farbener Heißluftballon vor einer Brücke. Der Ballon liegt noch und winzig steht daneben ein Auto mit Anhänger

Eine Frau mit vier Hunden flaniert durchs Kraterähnliche Areal, gerade habe ich das Zelt abgebaut und das Radel gepackt und mich ein paar Meter herab begeben zu einem der granitenen Steinblöcke, die als Sitzgelegenheiten rings um einige Feuerstellen gelegt wurden. Das Areal mag etwa einen Hektar groß sein, vielleicht auch etwas mehr. Am gestrigen Abend ein Glückstreffer.

Es war schon fast dunkel, ich musste zehn fünfzehn Kilometer weiter radeln als geplant, denn die ausgespähte Zeltwiese auf der Landkarte erwieß sich als Naturschutzgebiet. Jenseits des Bodensees durchquerte ich Österreich, also ein kleines Stückchen, vielleicht drei vier Kilometer am neuen Rhein, welcher ein schnurgerader Schussbach ist, der zwischen hohen Deichen gebändigt wird. Schöne Wiesen, eigentlich gut zum Zelten, aber leider auch gut einsehbar. Da fühle ich mich wild zeltend nicht besonders wohl.

Eine Attraktion am Wegrand bei Lustenau war die Befüllung eines Heißluftballons. Ein kuheuterfarbenes riesiges Monster, an dem sich einige Menschen zu Schaffen machten, zunächst mit Kompressor Luft hinein pumpten, bis der Ballon sich halb aufgerichtet hatte und dann mit dem Gasstrahler Hitze hinterher. Am Ballon hingen vier dekorative Zitzen, ob er wohl tatsächlich ein Euter darstellen sollte? Ich wartete nicht bis zum Start. Es dämmerte schon.

Gestern morgen startete ich unweit von Schaffhausen in einem Gebiet, namens Paradies und Neuparadies, so steht es in der Open Cycle Map, folgte dem Bodenseeradweg letztlich, statt mich auf die alternative Route 82 durchs Hügelland nach Arbon zu begeben. 42 Kilometer bis Kreuzlingen, verirrte mich in Stein am Rhein auf die rechte Flussseite, wie naiv ich war, zu denken, beim nächsten Ort kann ich ja über die Brücke zurück. Die nächste Brücke kommt erst in Konstanz, erklärte mir ein Mann, der vor einer proppenvollen Metzgerei wartete, um sich einen Mittagshappen zu kaufen. Er empfahl Fleischkäsbrötli, also reihte ich mich ein, überlegte, die fünf Kilometer bis Stein zurück zu radeln, erinnerte mich zackiger Steigungsstücke, verwarf den Plan, es gibt doch bestimmt Fähren?

Gibt es. Die nächste Fähre am nächsten Fährhafen in Hemmenhofen würde um 16:05 ablegen. Jetzt erst halb eins. So lange warten? Weiterradeln! Einen Schlenker um den Untersee, zwei Stunden später war ich in Konstanz. Nie so viele Radlerinnen und Radler erlebt wie an diesem Tag auf dem Bodenseeradweg und insbesondere in Konstanz.

Bei Kilometer 60 endlich wieder in der Schweiz in Kreuzlingen. Dem Radweg folgend, welcher ziemlich gut ausgebaut ist, sehr gut beschildert und in den Dörfern entlang des Sees sind Pfeile bei allen Abzweigungen auf die Straße gemalt, aber auch Verbotsschilder bei Stichwegen und Privatstraßen.

Nie so viele Zäune gesehen wie an diesem Tag. Das Seeufer ist wohl das privatbesessenste Seeufer der Welt. Villen und Zäune und Zaunfirmenschilder an den Zäunen, die Werbung für Zaunfirmen machen. Ab und zu ein Strandbad. Ab und zu ein Hafen, ab und zu eine größere Stadt, naja, eigentlich nach Kreuzlingen nur noch Romanshorn, Arbon und Rorschach.

Kunstwerke und Verlassenes und immer wieder weite Blicke über den See. Ab etwa Romanshorn sieht man die Berge deutlich. Zackiges Vorarlberg und auch bis in die Züricher Gegend. Ein Glück, dass der Rhein bis mindestens Chur oder Landquart ein tiefes, flaches Tal gegraben hat.

Mein Lagerplatz, wie gesagt, ein Glücksfall, oder eine Ausgeburt meiner Geduld. Nicht aufgeben, kommt noch was Schönes, nicht aufgeben, dein Nachtlager wird dich schon finden.

Bei dem Gelände handelt es sich offenbar um einen ehemaligen Bahnhof. Eine stillgelegte Schiene führt daran vorbei. Hinter der ewig rauschenden Autobahn liegt das Dorf Widnau.

Ach und ehe ichs vergesse, zwei der vier Hunde heißen Idefix, Theo … die anderen Namen hatte das reichlich tätowierte Frauchen zwar auch gerufen, aber ich hab sie nicht verstanden.

Nachtrag: Während ich Korrektur lese, kommt die Frau mit den vier Hunden zurück und zwar mit fünf Hunden. Als habe sie meine Bloggedanken gelesen, ruft sie die drei anderen Hunde, Anja, Lucy, Lolo.

#UmsLand Schweiz | Liebe Grüße von der Homebase

Der liebe Herr Irgendlink radelt endlich wieder #UmsLand. Diesmal ringsum die Schweiz. Oder mal um und mal durch die Schweiz.

Ob ich denn diesmal keine Homebase-Artikel mache, fragt ihr euch vielleicht? Jein, denn vermutlich wird es bei diesem einen hier bleiben. Schauen wir mal. Inzwischen hat sich nämlich die Technik – oder sagen wir unsere die Kenntnis derselben – weiter entwickelt. Nextcloud bietet ein tolles Werkzeug an, das Tracks und Bilder integrieren kann. Also kann Irgendlink von unterwegs direkt seinen Tagesstrecke einspeisen und – tadaaa! – ihr Leserinnen und Leser da draußen könnt direkt in der Cloud dem Wachsen der aktuellen Tour zuschauen.

Nicht ganz in Echtzeit, aber täglich neu, allabendlich.

Hier lang geht es zur Cloud:

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Ich wünsche euch eine gute Mitfahrt auf Irgendlinks Gepäckträger und grüße euch herzlich
eure Homebase Sofasophia

Inseln – von Brugg nach Paradies #UmsLand

Ein schmutziger Schwan. Ein ruhiger Fluss. Leichter, noch kühlender Wind, bestes Wetter, Stille, zwei frühe Hundegassigängerinnen.

Etwa hundert Meter hinter mir steht ein Biokompostklo, daneben ein Schild, das diesen Streifen Rheinufer als Naturschutzgebiet ausweist. Zelten ist verboten. Und daran hielt ich mich auch, begab mich zurück in den dichten Wald, der, so sagte mir die Vernunft, doch eigentlich auch ein Naturschutzgebiet sein müsste. Einerlei, tu das, was die Schilder sagen und wenn keine Schilder da sind, die etwas sagen, tu was du willst, aber halte die eigene Vernunft im Blick.

Die einzige Zeltmöglichkeit fand ich bei einem kleinen Teich, der auf der Karte mit „Seeroseteich“ verzeichnet ist, Seerose ohne N. Da es schon fast dunkel war, baute ich das Zelt auf, aß meinen Nudelsalat, den ich zuvor im Denner in Eglisau gekauft hatte, trank ein Bier, sinnierte über Insellagen.

Wie es sich wohl anfühlt, Frosch zu sein in diesem Teich, fragte ich mich. Muss es nicht so ähnlich sein wie Mensch auf diesem Planeten? Eine Insel, die man, bzw. Frosch, nicht verlassen kann. Und wenn, dann nur unter größten Anstrengungen zugeneigt der eigenen Neugier, des eigenen Forschungsdrangs, aber gegen die Natur ansich?

Okay, der Vergleich hinkt. Ich schlief ein, wurde nachts nur ab und zu wach wegen des lauten Gequakes, das, keiner erkennbaren Regie gehorchend, mal aufflammte, dann wieder gänzlich erlosch; manchmal quakte ich mit.

Der gestrige Tag war wider Erwarten anstrengend. Ich hätte es wissen können, schließlich war ich die Rheinroute 2016 abwärtsgeradelt und ich erinnerte mich, dass die Etappe Schaffhausen bis Bad Zurzach selbst abwärts radelnd immer wieder Steigungen mit sich brachte. Thur und Töss sind zu überwinden. Die Gegend ist zerklüftet. Zwischen den beiden Flüssen, die nur wenige Kilometer von einander entfernt in den Hochrhein münden, befindet sich ein Hügelmassiv namens „der Irschel“. Die Dörfer heißen oft mit Beinamen „am Irschel“.

Tagsüber gab es zudem Netzwerkprobleme. Meine Schweizer Simkarte wollte und wollte nicht funktionieren. Selbst Telefonie war nicht möglich, weshalb ich in Hohentengen auf deutscher Seite einlief, mich bei der Kirche breit machte, versuchte, das Kommunikationsproblem zu lösen, bzw., Frau SoSo eine Nachricht zu senden, dass ich wohlauf bin und es nur ein technisches Problem gibt. Nichts ging, auch in Hohentengen nicht. Ich kaufte ein, startete einen letzten Versuch, scannte nach Drahtlosnetzwerken ohne Passwort, fand eins, und obschon es nicht meine Art ist, mich in unbekannte, womöglich unsichere Netzwerke einzuloggen, loggte ich mich ein, bestätigte die AGB – einer Technikfirma, war drin, konnte entwarnen.
Und nun? Zurück in die Schweiz erst einmal. Vielleicht hilft ja die Kur in Deutschland, mein Schweizer Netzwerk zu heilen?

Geduld zahlt sich in technischen Dingen oft aus. Nach zehn, zwanzig Kilometern, ohne mich um das Problem zu sorgen, bimmelte plötzlich der Kurznachrichtendienst und da ich die Schweizer Karte eingestellt hatte, konnte es sich folglich nur um die Ankunft einer Botschaft handeln. Tat es. Ich war wieder da. Das Telefon funktionierte auch. ich rief M . aus Winterthur an, ob wir uns treffen. Winterthur ist ab der Mündung der Töss nur 14 Kilometer von der Rheinradroute entfernt, doch M. würde erst am nächsten Tag wieder daheim sein, gegen Mittag. Das hätte mich zu sehr aus dem Radelrhythmus geworfen.

Kennt ihr dieses Gefühl, voran kommen zu wollen, sei es noch so langsam. Da stört dann jedes Verharren, das nicht der eigenen Regeneration dient. Jene Art böses Verharren, das Warten bedeutet.

Wir verabredeten uns also für ein Andermal, M. und ich.

Gegen neun Uhr abends erreichte ich den Rheinfall, passierte eine Drehschranke, lief den kurzen Rundweg links des Wasserfalls bei der Burg Laufen. Der Rheinradweg führt direkt am Wasserfall vorbei. War fast alleine. Noch ein Liebespaar und noch ein Liebespaar. Beim ersten fotografierte sie den Rheinfall, bat ihn, das Bild zu verlassen, beim zweiten fotografierte er sie vor dem Rheinfall. Ich durchlief den Parcours. Den Wasserfall so still und fast menschenleer zu erleben, hätte ich nicht gedacht. Beim letzten mal, 2016, passierte ich die Touristenattraktion nachmittags. Frittenbude, Asian Food, Leckeis, Souvenirs und in der Burg, unweit des Drehkreuzes (ich kann mich nicht erinnern, ob das damals schon existierte), war ein Areal mit Blenden abgeschirmt, hinter denen ein medizinisches Team eine Wiederbelebung machte. Polizei und Hektik, schnell weg.

Ich schreibe diese Zeilen am Rheinufer sitzend gegenüber der deutschen Exlave Büsingen. Wieder so eine Insel, denke ich. Eine künstliche Insel, mit Grenzen von Menschenhand gezogen. Wie sich wohl die Pandemische Grenzschließung auf den Ort Büsingen, der ja faktisch mitten in der Schweiz liegt, ausgewirkt hatten?

Ich befinde mich in der Schweiz. Auf meinem Handybildschirm werden übrrigens Ortsbezeichnungen wie „Paradies“ und „Neuparadies“ angezeigt.

Ums Land Schweiz #UmsLand

Reiserad vor zwei Hinweisschildern, die nach links den Col de la Schlucht ausweisen, nach rechts Cernay und Thann. Man schaut in eine weite Ebene, offenbar von einem sehr hohen Berg aus. Rechts steht ein Mülleimer aus Beton.

Oder lieber das Sofa? Schon stehen neue Orte auf meinem Zettel, schon skizziere ich ein genaueres Bild der Schweiz, suche nach Radrouten durch Graubünden: Landquart, Klosters, Davos (da wo’s steil wird :-) ), Sankt Moritz. Mir unbekannte Passstraßen, Flusstäler, elend hohe Berge ringsum und schließlich die italienische Grenze. Alleine das Schauen auf der Karte macht mir schon Herzrasen.
Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich mehr plane als ausführe. Viel mehr. Dass ich fast nur noch in Plänen und Luftgebäuden aufgehe und kaum noch etwas in die Tat umsetze und mit jedem neuen Plan kommt mehr Angst, mehr Unruhe, reift ein komplexes System aus Verunsicherung in mir.
Und wie sollte es auch anders sein? Wir leben in ungewissen Zeiten. Ungewisser als auch schon. Umgeben, geradezu eingelullt von schlechten Nachrichten, Klima, Krieg, Militärübungen ungeahnten Ausmaßes, Rankwerk für Ungewissheiten allüberall. Fürs einfach nur Kleinmenschsein bleibt kaum noch Kraft. Alles saugt, zerrt, versucht Dich auf die eine oder andere Seite zu bringen, eines unüberschaubaren Bildes, zu dem du dir eine Meinung bilden sollst, ohne überhaupt irgendwelche Tatsachen zu verstehen. Es gibt nur noch Expertenrat. Den Glauben, die Behauptung, die vorgibt, sakrosankt zu sein.
Leicht begreifbare Dinge wie etwa: In zweiundzwanzig Kilometern zweigt Radweg A von Radweg B ab und führt über Pass C ins Flusstal des D, vernebeln, verschleiern, spielen überhaupt keine Rolle im großen Spiel der Weltenränkeschmiede. Als trüge man gezwungener Maßen eine ewige Weitsichtbrile, die einem vorgaukelt, man habe eine Zukunft im Blick, könne etwas bewegen, habe die Chance, teilzuhaben. Nichts hat man.
Ein paar Tage Vergangenheit auf Reisen liegen hinter mir. Etwa 450 Kilometer in den Knochen, die mich von der Pfalz in den Aargau führten. Zunächst radelte ich nördlich und westlich der Vogesen entlang von Kanälen, Blies abwärts, Saar aufwärts, quer durchs westvogesische Hügelland, querte das Departement Meurthe et Moselle, streifte die Vogesen, begab mich direkt hinein, folgte der Route des Crètes, die westlich des Vogesenkamms als ehemalige Militärstraße gebaut wurde.
Einst führte die Narbe mitten durch unsere Gegend. Nun herrscht Friede, Freude Bergtourismus. Die Route des Crètes per Fahrrad? Hmm, ja. Vor 10 Uhr früh und nach 17 Uhr abends ist es recht erträglich. Dazwischen Motorradtourismus, Wohnmobile, PKWs, teils recht knapp überholend und ungeduldig. Gefährlich war es trotzdem nicht. Kriegt man etwas geschenkt auf der Route des Crètes? Nein. Sie führt von Vogesenpass zu Vogesenpass und erzeugt quer zu den Pässen ein eigenes System künstlicher Pässe. Beim Col du Bonnehomme stoße ich nach einstündiger Schiebstrecke über die ehemalige Route de Colmar auf die berühmte Gratstraße. Etwa 900 Meter hoch. Erwartete ich ab dort Flachland? Nein. Ich folge dem Auf und ab und lerne schnell, dass ich zu jedem der west-östlich verlaufenden Pässe in den Vogesen von den künstlichen Pässen, die die Gratstraße erzeugt, wieder absteigen muss. Col de la Schlucht, Col de Cavaillère, glaube ich, ne, der war vor la Schlucht, aber einerlei, erst etwa zehn Kilometer südlich von la Schlucht wird die Gratstraße etwas milder. Beim Abzweig zur Burg (oder ist es ein Berg, oder beides?) Hohneck sitze ich die Mittagshektik aus, liege auf einer Holzbank vor einer geschlossenen Auberge. Ein Trupp Soldaten trifft nach hartem Marsch bei einem uralten Omnibus ein, der beim Parkplatz vor der Herberge auf sie wartet. Sie rauchen, sie plaudern, ich lausche, ich warte. Ja, doch, die Route des Crètes lohnt sich per Fahrrad. Aber nicht in der Hochzeit, in der Hinzchen und Kunzchen ihre Nachmittagsausflüge motorisiert, „ei wie ist das fein, dahin zu brausen“, absolvieren.
Man möge mir diesen Ausreißer in die vergangenen Tage verzeihen. Es handelt sich um ein „Was bisher geschah“. Im Grunde sind die vergangenen vier Radeltage schon Teil meiner Umradelung der Schweiz. Eine Art Prolog und mit den Vogesen auch ein kleiner Vorgeschmack auf die bevorstehenden Pässe.
Ich erreichte die Schweiz beim Dreiländereck in Hunigue, Weil am Rhein, Basel und begab mich direkt auf den Rheinradweg. Die nationale Fahrrdroute Nummer zwei der Schweiz. Nicht ganz einfach, nur auf Basis der Beschilderung mich durch Basel zu wursteln, vorbei an Muttenz, hindurch durch Pratteln, ein Streifzug vorbei an den römischen Ausgrabungen in Kaiseraugst.
Es war heiß, so heiß! Wann war das? Letzten Donnerstag. Nun seit ein paar Tagen bei Frau SoSo, ihren Geburtstag gefeiert, nette Menschen getroffen, und unterschwellig immer wieder mit meinem Vorhaben gehadert. Eigentlich könnte ich auch wieder nach Hause fahren, denke ich oft. Heimisches Sofa. Heimischer Garten. Stille im Kokon.
Mein Plan, via Finnland ans Nordkap zu radeln scheiterte krachend. Das sollte ich an dieser Stelle erwähnen. Ich wurde gebraucht. Und zwar sehr. Als amtsrichterlich bestellter Betreuer von Freund Journalist F. war es eine nervenaufreibende Zeit, drei vier Wochen zuvor, ihn durch die Ethikkommission des kosmodämonischen Krankenhauses zu bringen, ihm einen würdevollen Tod zu ermöglichen. Er ging friedlich am 27. Mai, drei Tage, nachdem meine Fähre nach Finnland ablegte. Durch Finnland ans Nordkap ist „die beste gescheiterte Reise“, die ich je gemacht habe, schrieb ich in mein Notizbuch.
Ich bin natürlich sehr traurig. Viele andere Menschen trauern auch um Journalist F. Zu Lebzeiten wunderbar vernetzt und am Ende doch fast mutterseelenalleine.
Ich stellte fest – während der rekonvalezendierenden vier Tage radelnd in die ganz andere Richtung (nach Süden, statt nach Norden) – die Begleitung hatte mich über die Maßen beansprucht. Oft merkt man erst hinterher, wie gefährlich eine die eigene Gesundheit beeinträchtigende Ausnahmesituation im Alltag ist. Hörsturz, Herzschmerzen, Schlaflosigkeit, zum Glück wieder besser. Nichts von all dem ist geblieben. Die Ohren funktionieren wie eh und je, das Herz tuckert im steten Rhythmus … nur diese allgemeine Lebensunruhe begleitet mich noch. Ich nehme sie mal mit, rheinaufwärts, wenn ich morgen weiter radele.
Aktueller Standort im Aargau ist die Kleinstadt Brugg. Mein Plan ist, ins schweizerische Städtchen Koblenz an der Aaremündung zurück zu radeln und der Radroute Nummer zwei zu folgen, die in Andermatt in die Radroute Nummer eins, die Rhôneradroute, übergaht und schließlich ab Nyon am Genfersee durchs Jura zurück nach Basel. Das sei ein in den Niederlanden beliebter Klassiker rund um die Schweiz, erzählten mir einmal zwei Radler aus Utrecht. Es gebe sogar einen Reiseführer zu der Strecke. Mal schauen, ob ich den Graubünden-Schlenker noch einbaue.
Oder doch lieber heimisches Sofa und Garten?

Diesseits und jenseits des Grüezigrabens

Badewanne hinter Absperrband - Grüezigraben
Badewanne hinter Absperrband - Grüezigraben
Sieht so der Grüezigraben aus?

Wenn man als Deutscher eines mit der Schweiz unweigerlich verknüpft, so ist es wohl die Grußform Grüezi oder Grüeziwohl. Viele Deutsche glauben, automatisch perfekt Schwiizerdütsch zu können, weil sie dieses Wort verstehen, bzw., weil ihnen die lustigen, langsamen Satiren des Komikers Emil einst als Schwiizerdütsch vorgegaukelt wurden. Dies ist jedoch kein Aufsatz über die Schweizer Sprache. Vielmehr möchte ich am Beispiel des Grüezi auf die großen Zwiespälte hinweisen, die in der Schweiz herrschen, und die man als Außenstehender so nicht wahrnimmt.

Vermutlich wissen Sie, dass in der Schweiz mehrere Sprachen gesprochen werden? Dass die beiden meist gesprochenen Sprachen Deutsch, respektive Schwitzerdütsch und Französisch sind? Dass die französischen Schweizer von den Deutschweizern Welschschweizer genannt werden? Dass zwischen der dütschsprachigen Schweiz und der französischsprachigen Schweiz der sogenannte Röstigraben verläuft? Eine schnurgerade Linie, die vom Jura bis ins Wallis eine exakte Trennung der beiden Sprachbereiche ist. Befinden Sie sich diesseits des Röstigrabens, werden sie auf Deutsch angeredet, jenseits, heißt es Bonjour.

Weniger bekannt sein dürfte der Grüezigraben. Er verläuft genau auf der Grenze zwischen der Stadt Brugg und dem Dorf Windisch. Die beiden Siedlungen haben einen gemeinsamen Bahnhof. Der Schienenverlauf bildet die Grenze. In der Mitte der Bahnhofsunterführung verläuft der Grüezigraben. SoSo, bekanntermaßen native Schweizerin, hatte mir einst erklärt, dass man sich auf dem Land noch grüßt, in der Stadt jedoch nicht. So kommt es, dass man in Windisch stets freundlich grüßt und gegrüßt wird, während man drüben in Brugg einfach so aneinander vorbei geht. Wenn man sich von Windischer Seite dem Grüezigraben nähert, schlägt einem die Gefühlskälte der Stadt förmlich entgegen. „Was passiert eigentlich, wenn sich zwei Menschen mitten auf der Grenze begegnen?“ fragte ich naseweiß die SoSo, „also einer ist im Dorf und würde naturgemäß grüßen und der andere in der Stadt würde dies nicht tun, ein Schritt weit dazwischen der Grüezigraben? Ist derjenige auf der Dorfseite dann abgeklärt genug, zu ertragen, nicht gegengegrüßt zu werden, wegen des Grüezigraben-Phänomens? Noch schlimmer, was passiert, wenn sie just im Begriff sind den Graben zu überschreiten? Bricht dann derjenige aus dem Dorf mitten im Grüe() ab?“ „Es kommt sehr selten vor,“ klärt mich SoSo auf, „aber wenn es geschieht, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass derjenige, der aus der Stadt kommt just beim Aufsetzen des Fußes auf Dorfboden das fehlende ()zi ausspricht.“

Zugegebener Maßen ein Sonderfall. Schlimmer sind die zunehmenden Grenzübergriffe, von denen allseits berichtet wird. Zusammengerottete Jugendgrußbanden, die über die Stadtgrenze kommen und die Menschen dort grüßen. Und auf der Dorfseite spürt man die Kälte, die sich im Grenzgebiet ausbreitet, wenn – versehentlich oder absichtlich – ein – gedankenversunkener oder böswilliger – Mensch herüberkommt und den Gruß nicht erbringt.

Der Röstigraben bringt übrigens ein ähnliches Phänomen für alljene, que si elles lui parlent, ensemble dépasser.