Reanimation

Soeben dieses alte Blog wieder entdeckt.

Hallo Welt steht ja schon.

Vielleicht dieses Blog als Undercover-Blog nutzen?

Im richtigen Irgendlink-Blog muss ich des Öfteren eine Suchmaschinendeoptimierung (SEDO) vornehmen, sprich alle bekannten Namen, Tätigkeiten etc verfälschen oder die Artikel mit Vigenére-Technik verschlüsseln bzw. auf eine Veröffentlichung gänzlich verzichten.

Paar kanadische Münzen auf dem Tisch, genannt Kanada-Dollar, sowie ein Shekel und eine United States-Münze mit der Aufschrift One Dime. Keine Ahnung, wieviel das in Euro ist. Vielleicht bin ich reich?

Die Münzen habe ich im Backstageraum beim Aufräumen der Garderoben gefunden. Nebst zwei Speicherkarten a 2 Gigabyte, Nigelnagelneuer Hochleistungsakku, und seltsamen kosmetischen Röhrchen. Nein, da waren keine Drogen drin, wie man dies klischeehaft von Musikern erwarten könnte. Nebst zwei übermüdeten Berliner Klarinettisten samt Instrumenten brachte ich die Gegenstände ins Hotel. Lag sowieso auf dem Nachhauseweg. In der Hotellounge feierten die Hungry Jazzwifes. Ihre Managerin, Milliardärin E. freute sich riesig, dass man ihr die verlorenen Peanuts überreichte. Wir shaketen Hands und wishten uns gegenseitig good Luck.

Den lieben langen Tag englisch parliert. Das ist höllenanstrengend.

Die Arbeit im Backstage gibt einen berauschenden Input. Es ist ein Stück große weite Welt direkt vor der Haustür. Mal gibt man einem Dänen, den sie alle nur den Norweger nennen Feuer und fragt, in der Annahme, er stamme aus Bodö oder Tromsö: „Ich höre Sie sind Norweger?“ – „Nein, ich bin Däne und wohne in Kopenhagen“ enthüllt er. Mal scherzt man mit drei Jazzwifes, weiß nicht mehr über was, und erfreut sich an ihrem kehligen unweiblichen Lachen, den Gesten, dem Augenzwinkern, ein Geschmack von Manhatten lag in der Luft. Beinahe euphorisch feierte sich die Jazzfamilie. Ich belauschte die Berliner, wie sie tratschen wie Menschen wie du und ich: „Hast du gehört, die und die hat jetzt ein Kind“ – „Nee, echt, wer ist der Vater?“ – „Der und der Irgendwas von (R)osenst0lz.“

Eine ganz andere Liga des Tratschs. Tourmanager G. gibt Stories zum Besten … Mann, mann, mann. Er betreut die Jazzwifes und hat alle Hände voll zu tun, sie ins Hotel zu bugsieren. Früh um Sieben müssen sie per Bus nach Stuttgart zum Flughafen gebracht werden. Die Berliner haben es noch viel schlimmer getroffen, sie fliegen nun, da ich dies schreibe ab Airport Hahn nach Rom, wo sie ungefrühstückt um 11 Uhr für das Goetheinstitut oder sonst etwas Offizielles die Republik repräsentieren.

Es ist ein seltsamer Job, den ich ausübe. Zum einen halte ich die Küche permanent auf Trab, denn den Musikern soll es an nichts mangeln. Auch das gesamte Personal, sowie die Crew des örtlichen Rundfunks soll aufs Kulinarischste befriedigt werden. Wenn ein Glas fehlt, wer sagt in der Küche bescheid? Wenn das eigens aus Kanada angereiste Filmteam sich verirrt hat, wer dirigiert es per Handy durch die Wirren der Stadt? Wenn der zwei Meter große Sänger D. nach einer Flasche Wein begehrt, die er am nächsten Tag auf dem Flug nach Zagreb trinken möchte, wer ordert sie?

Als Backstageaufpasser muss man cute sein, Englisch sprechen und für jedes Problem eine Lösung wissen. Ich möchte fast sagen, man sollte Künstler sein, wenn man so etwas tut.

Nun, da alles vorbei ist, an Schlaf trotzdem nicht zu denken, blogge ich diese Zeilen.

Kontakt, über alles

ja, gut, früh zwar zu Hause, aber trotzdem nicht schlafen können, also bloggen. Ofen brummt, Radio läuft. Außenthermometer zeigt 3 Grad, Innen 12. Das ist nicht sehr viel. Kalte Füße. Was für ein verwahrlostes Leben.

Dabei lauert die Festanstellung, irgendwo dort, hinter dem Horizont. Hat zumindest Journalist F. gesagt. Ich rechne mit einer 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass er Recht hat. Dann wäre ich sein Kollege oder so ähnlich, und den Job – hab ich mir gesagt, als ich vorhin über die Autobahn gebraust bin – lasse ich dann nienie wieder los. Wie eine Zecke sauge ich mich fest im Amt. Welchem? Dem Standesamt? Egal.

Die Welt ist schon kurios. Ich meine, was bin ich? Ein Künstler, klar. Aber das bedeutet ja nichts.

Aber ich kommuniziere auch. Und die Kommunikation bringt es so mit sich, dass man diesen und jenen kennen lernt, und von Diesen und Jenen ist vielleicht Selbiger wichtig, und wenn man mal mit ihm gelacht hat und auf diese Weise eine zwanglos kommunikative Ebene hergestellt hat, ihr wisst schon, dann ergeben sich plötzlich ganz neue Perspektiven und dann fallen auch alle Mankos, unter denen man so leidet wie durch Zauberei und man wird ernannt.

Zu was? Vielleicht zu einem Museumsdirektor? Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Nur eines: Die Zukunft des Menschen, also, meine, und auch Deine, Deine und Deine besteht hochgradig aus Kommunikation.

Kommunikation ist alles.

Noch immer sehe ich die ungläubigen Augen der Künstlerin W., als wir vor einem Jahr smalltalkten und ich sagte, „ich werde dem örtlichen Kunstverein beitreten.“

„Warum?“ fragte sie, „der Kunstverein ist es nicht wert, ihm beizutreten.“

„Weil ich dazu gehören will, ja, ich will endlich einmal irgendwo dazu gehören.“

Nun habe ich es wahr gemacht, paar Monate her, und bin tatsächlich beigetreten. Einher ging die Kommunikation mit allen möglichen Leuten, mit denen ich sonst nie in Kontakt gekommen wäre – jeder dieser Kontakte ist ein Ast am großen Baum, den man sich entlang hangeln kann, wenn man will.

Gute Nackt, Hungry Jazzwifes

Ein kleines Wunder, schon um halb Eins zu Hause. Normalerweise wäre ich jetzt damit beschäftigt, 40 bis 60 wild gewordene Jazzer zu bändigen, das exzellente Büffet zu bewachen, Fans einer Gesichtskontrolle zu unterziehen, Sonderwünsche wie Champagner oder hundertjährige Chinesische Eier wahr zu machen, sowie die Küche auf Trab zu halten. Aber heute: wie durch ein Wunder waren gegen halb Zwölf alle Musiker verschwunden, der Backstageraum gähnend leer.

Gelangweilt mit Journalist F. und dem Amtsmann R. Feierabend gefeiert. Man redete über das Amt ansich, und dass es doch toll ist, in einem Kulturamt zu arbeiten. Amtsmann R. erzählte einen Alptraum, aus dem er schweißgebadet aufgewacht ist. In jenem Alptraum hatte man ihn auf das Standesamt versetzt und er war, beamtet auf Lebenszeit, damit betraut, Menschen unter die Erde zu bringen, rein verwaltungstechnisch, oder sie ins Leben zu beurkunden, sie zu trauen, zu scheiden Rechte zu verbriefen, und das, sagte er, sei doch wirklich das Schlimmste Elend, mit dem man als Mensch konfrontiert werden könne.

Einen solch relaxten Abend habe ich auf dem Jazzfestival in meiner dreijährigen Karriere noch nicht erlebt. Einzig ein Intermezzo mit der Morgen auftretenden 16-köpfigen Frauenkombo D., die schon heute angereist war, bereitete ein wenig Stress. Ihr Tourmanager G. hatte sie dem fast ausschließlich männlichen Techniker- und Backstageteam als „willig, spitz, und rattenscharf“ angekündigt. Dementsprechend einfach waren die Vorstellungen, die er in unseren Köpfen installiert hatte.

Die Frauenkombo D. fiel unverkleidet, ungeschminkt, laut schnatternd im Backstageraum ein. Unter dem Vorwand, den weltberühmten Schweden (siehe gestriger Beitrag) mit der roten Trompete zu Füßen liegen zu wollen, krallten sie sich widersprüchlicher Weise am Büffet fest, tranken Bier, rülpsten. Übergewichtig waren sie obendrein, aber das soll ja gut sein für die Resonanz. Ich führte Gespräche mit waschechten New Yorkerinnen, Bostonerinnen fragten „Guten Tag is that right?“ – „What do you mean?“ – „Good Night?“ – „That means Gute Nacht,“ sagte ich. „Gute Nackt“, antworteten sie.

Sie freuten sich wie Kinder über die wunderbar blauen Gauloises Zigaretten, die es bei ihnen zu Hause nicht gibt, und dass man im Auto mit einer offenen Flasche Bier fahren darf, sogar schneller als Fiftyfive Miles, yeah.

Sie verbreiteten ein Heidenchaos.

Tourmanager G. hatte alle Hände voll zu tun, sie ins Hotel zurück zu lotsen.

Den weltberühmten Schweden sahen sie zwar, aber nicht spielend auf der Bühne wie geplant, sondern ein Helles schlürfend, der bescheidene Mann am anderen Ende des Backstage. Ich liebte ihn deswegen.