Fühl dich wohl – zu unbestimmter Zeit an unbestimmtem Ort

Er hat nie das Licht der Sonnn-ne geseeeehn … sie nannten ihn Elll-Irgend.

Ouh shallala.

Fetzen Sonne im Westen. Auf der Landstraße donnern tonnenschwere Traktoren. Voyage au bout de la Récolte von Louis Ferdinand Celirgend.

Obschon die Arbeit im Atelier eine fruchtbare und leichte ist, gerate ich durch den stundenlangen Dateiupload mit der langsamen Netzanbindung in Stress. Jedes Megabyte ist eine Qual – versehentlich lade ich falsche Bildformate in zweistelliger MB-Dimension auf den Server des Fotoanbieters, vermisse dort schmerzlich die Funktion, die Bilder vollformatig auf ein Blatt abziehen zu lassen, wechsele ins Bildbearbeitungsprogramm, passe die Formate auf dem heimischen Rechner an, laaade siiie eeernooooit gaaaaanz laaaangsam – so langsam, dass ich genug Zeit habe diesen kleinen Artiekl zu kritzeln, dessen Moral ungefähr lautet: wenn du mit dem Fahrrad oder sonstwie laaangsaaam unterwegs bist, solltest du es nie nie nie eilig haben, sondern lieber die Umgebung genießen, überhaupt Alles solltest du genießen im Leben, denn nur so macht es auch wirklich Spaß. Du solltest keinesfalls versuchen, zu einem bestimmeten Zeitpunkt ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Vielmehr sei es dein Ziel, zu unbestimmter Zeit dich an unbestimmtem Ort wohl zu fühlen.

Soweit die Theorie.

Ein Blick in die Praxis verlautet, dass die Bilddateien so gegen 19:30 auf dem Server sind.

Directors-Cut des Daseins

Früh übt sich, wer ein Langschläfer werden will. Wieder stehe ich um sechs Uhr senkrecht im Bett – der Trailer für den Kopfkino-Splatterfilm dudelt, ich bin der Doktor Van Helsing und der Norman Bates der feinen Künste.

Aber dieses Mal drehe ich mich um, schlafe wieder ein. Wie hab ich das gemacht? Wie kann man im spannendsten Film seine Ruhe finden? Indem man das Drehbuch ändert. Für die Eingangstür des Ateliers hatte ich mir genau überlegt, wie sie aussehen soll, sowohl Innen als auch Außen, wie ich eigentlich stets (siehe Visionen-Artikel zuvor) eine exakte Abbildung meines Ateliers und meiner näheren Zukunft im Kopf habe. Man nennt das vielleicht Ansprüche an sich selbst. Die hat jeder. Der eine träumt vom Urlaub, der andere will abnehmen und sieht sich schon schlank und rank, der nächste hat einen roten schnellen Flitzer in seiner Kopfgarage stehen – meist sind es materielle Wünsche, die sich in den Szenen des Kopfkinos breit machen.

„Da ich selbst der Regisseur bin dieses Schmachtfetzens der feinen Künste“, denke ich einschlafend, kann ich auch die Szenen umstellen, wegschneiden, nach Belieben verändern. Der Directorscut des eigenen Lebensfilms. Wichtig ist, gerade wenn man eine Konzeptkunstausstellung plant, dass man am Ende einen guten Kompromiss zwischen den eigenen Ansprüchen und denen der Kopfcinematiker erlangt. Ich bin der Wim Wenders des Kopfkinos, Ouh Yeah.

Die uralte, hässliche Eingangstür des Ateliers aus massivem, schussfestem Stahl hat mein Vater einst, als die Reggaerockers noch in meinem Atelier probten mit Hand bekritzelt: Wenn Sie den Raum verlassen Licht aus! Nicht sehr höflich. Die Reggaerockers hatten des Öfteren vergessen, die 11 Watt-Lampe vor der Haustür auszuschalten – und da mein Vater keinen Atelierschlüssel hat, musste es die ganze Nacht brennen.

„Wäre ultracool“, denk ich seit Wochen, „wenn ich aus meiner Verboten-Serie die schönsten Bilder ausbelichte und die Tür damit pflastere. Ha. Was für eine witzige Begrüßung“, bade ich mich in der Brillianz meiner eigenen Idee. Und diejenigen, die dann trotz der vielen Verbote durch die Tür kommen, erwartet neben all der Kunst, die an den Wänden hängt, auf der Innenseite der Tür eine Sammlung meiner „Ich war hier“-Serie. Die Szene ist dem Directors-Cut heute Morgen zum Opfer gefallen. Ich habe nicht die Zeit, die nötigen Bildbearbeitungen zu machen.

Zusammenfassend kann ich sagen: Denke immer das größtmögliche und schäme dich nicht dafür. Gehe erst dann, wenn das Bild in deinem Innern zur vollen Geltung kommt, Kompromisse ein, um dein Ziel wenigstens Teilweise erreichen zu können. Denn der Faktor, der deine Visionen begrenzt ist nicht die Phantasie und nicht das Geld, sondern immer die Zeit.

Erste Experimente mit der Ich war hier Serie im Sommer 2009

Die 2 mal 3 Meter große Tafel, auf die dein Inneres projiziert wird

Ein klasse Tag. Mit aller Gemütsruhe verleihe ich dem unaufgeräumten Atelier den letzten Schliff, bereite eine der drei Hauptwände vor für ein 2×3 Meter großes Bild, das zwar noch in meinem Kopf ist, aber morgen, wenn die Grundierung trocken ist schon Gestalt annehmen wird.

Konzeptkünstler R. geht mir mit Rat und Tat zur Hand. Da wir die weiße Farbe schon offen haben, streiche ich die Wände neu. Das Problem meines Ateliers ist nämlich – wie in jedem guten Horrorfilm – dass die Flecken, die man weiß übertüncht, schon nach kurzer Zeit wieder vorscheinen. Es liegt wohl an dem negativen Karma, das sich vor vierzig Jahren in dem Raum festsetzte. Damals war es nämlich ein Rinderstall – das Blut armer Kreaturen, die gemästet den Tod auf der Schlachtbank erwarteten, trieft von den Wänden.

Konzeptkünstler R. tadelte mich, weil ich zum Streichen keine Plastikfolie unterlegte und somit der eine oder andere Farbkleks auf dem Boden landete. „Weißt du“, beschwichtige ich ihn, „in meinem Kopf ist der marode Pflastersteinboden schon längst mit 10 cm Estrich und Marmorfliesen belegt. Das macht keinen Sinn, den vor Farbe zu schützen, wenn da ‚wieso Marmor drauf soll.“

„Mhmö“, sagte Konzeptkünstler R., „das heißt also, rein gedanklich bist du in diesem Raum schon 15 Jahre in der Zukunft, richtig? Du siehst schon die Marmorfliesen und die Goldbrokattapete, lumpige 30.000 Euro, ha, wenn du dich anstrengst, hast du das in 15 Jahren ertackert. Mag sein, dass die Kleckse für dich okay sind. Aber deine Gäste, die werden den visionären Marmorboden nicht sehen. Ist eigentlich genau wie mit der Kunst. In den Kopfwelten Weniger schlummert sie und Mancheinem gelingt es nie, sie sichtbar zu machen.“

„Jajaja“, nörgele ich, „hast ja Recht, feg‘ doch bitte vor der Eingangstür, anstatt mich zu nerven:“

Da antwortete der Konzeptkünstler: „Wozu soll ich vor der Tür fegen? Ist die in deinen Visionen nicht längst zugemauert und zehn Meter weiter hast du einen Weg aus Robinienholzfließen gelegt, der direkt auf eine Sensorgesteuerte Glastür zuführt?“

Da hat er irgendwo Recht, der werte Künstlerkollege. Mit den Visionen in unseren Köpfen produzieren wir Künstler Missverständnisse, Ungläubigkeit, Verzweiflung. Wir, die wir das Große in uns tragen. Spontan musste ich an meinen Ex-Chef R. im Amt ohne Wiederkehr denken. Auf seine spezielle Beamtenart war er unheimlich kreativ. Was uns Mitarbeitern nicht immer in Entzücken versetzte. Er war der unverstandenste Amtmann aller Zeiten. An Hand seines Beispiels rückschließe ich, dass diese unsichtbaren Ideen von der Welt und wie sie schön sein könnte, nicht nur in unseren Künstlerköpfen existiert, sondern in jedem Menschenkopf, in deinem und deinem und deinem.

Machbarkeitsstudie der feinen Künste

Der Versuch, mal bis zehn Uhr zu schlafen scheiterte kläglich. Punkt halb Sieben stehe ich senkrecht im Bett. Kopfkino, würde das werte Blogkollegin Sofasophia nennen. Sie spielen From Tack Till Dawn, Quentin Irgendlino in einer bescheidenen Nebenrolle, Oscar in weiter Ferne. Wenn ich ein ganz normaler Arbeiter wäre, so wie es mein Äußeres der Umwelt perfekt simuliert, hätte ich vielleicht keine Probleme. Als Chimäre der Kunst stehe ich mit einem Bein in der einfachen Welt der Produktivität, mit dem anderen in einer Etepetete-Glimmer-Glammerszene, so wie gestern, als ich um 14 Uhr über die Autobahn jagte ins Nachbarstädchen P., um als schöngeschniegelter Juror mit anderen Experten die jugendlichen Gewinner eines Kunstpreises auszuloben. Ein interessantes Erlebnis, das mein Herz jubeln machte. Irgendwie, sagte ich mir, gehörste ja doch auch hierhin, in diese Glitzerszene, Speerspitze der Kultur. Absurd, dass du auch gleichzeitig einer ganz normalen Werktätigkeit nachgehst, du solltest Abhandlungen schreiben, Laudatien halten, Beraterhonorare kassieren. Meine Augen glänzten feucht vom weichen Geld, das in der Pupille blitzte.

Nach der Jury bat der Vositzende des Nachbarkunstvereins im Nachbarstädtchen P. in eine riesige verlassene Fabrik, die man den dortigen Künstlern kostenlos überlassen hatte, und in der gerade eine Skulpturenausstellung aufgebaut wurde. Ein Ort, an dem man auf nur einer Etage zwei Tackerwerkstätten unterbringen könnte. Das Gebäude fußt auf rotem Fels, und es ist mindestens vier Stockwerke hoch. Durch den Innenhof und die riesigen Fenster wird es geradezu zerschossen von Licht. Ein Traum für die Kunst.

Auf dem kurzen Rückweg zum Auto stellte ich fest, dass die Stadt P. – welcher man nachsagt, dass dort die meisten Millionäre Deutschlands wohnen, sowie auch die höchste Krebsrate herrscht – auch über die höchste Verbotsschild-Dichte verfügt. Mit dem Mobiltelefon knipste ich mich von Einfahrt zu Einfahrt, von Ecke zu Ecke. Für wenige Stunden – die einzigen in dieser Woche – konnte sich der Künstler in mir mal wieder frei bewegen.

Jetzt zwei Tage frei. Hatte gestern davon geträumt, nichts zu tun. Eine Radeltour vielleicht, ein paar Geocaches heben, zu leben wie ein ganz normaler Mensch und nicht wie eine Chimäre der Künste. Eine Machbarkeitsstudie der Kunst gaukelt in meinem Kopf: ich habe Ansprüche, Ideen, und es sind noch zwei wichtige, größere Kunstwerke zu fertigen für das offene Atelier in zwei Wochen. Warum glauben Menschen immer, sie haben eine Chance?

Bilder: 1.- Fassade in P., 2. Parkplatzprotektionismus (in meiner langen Karriere als Sammler von Verbotsschilderfotos ist mir so etwas noch nicht untergekommen), 3. Kunstfabrik innen, 4. Kunstfabrik Blick in den Innenhof, 5. :-)

Auszeit zur Unzeit

Erstens: mich mal wieder melden.

Gestern packte der Owner seinen neuen Tablet-PC aus, von Apple. Den Firmenhahnenkampf hat er somit endgültig gewonnen (siehe hierzu den demnächst folgenden Artikel „Klingeltonrivalenkämpfe“). Auf meine Frage, wie lange der Akku hält, ob man ihn mit einem Fahrraddynamo oder Solarzelle laden könne und ob das Teil outdoortauglich ist, wusste er keine Antwort.

Just hatten wir die Florida-Produktion fertig gepackt und heute Morgen wurden die Möbel für Orlando in einem zwölf Meter langen Container versiegelt. Ganze sechs Wochen werden sie auf See schaukeln und, god bless us, Mr. Zollman aus Amerika wird sie hoffentlich durchwinken.

Durchwirkte Zeiten. Wochenends in Bern (hin, zurück und nur ein paar viel zu wenige Stunden dort) auf dem Bundesplatz mit Sofasophia und 10.000 anderen Menschen ein ergreifendes Konzert DER Schweizer Band Patent Ochsner in Zusammenarbneit mit dem Berner Synfonieorchester. Sicher ein Highlight dieses Jahres.

Nebenbei habe ich noch eine neue Geschichte erfunden – Auszeit – habe sie Sofasophia erzählt und ein paar Notizen dazu gemacht. Etwas, was ich sehr gerne in einem dreihundert Seiten dicken Buch lesen würde, es aber um Himmels Willen niemals selbst schreiben würde. Ich komme zu dem Schluss, dass ich fürs Kunst- und Literaturschaffen einfach zu faul bin. Stattdessen lieber rumlungere. Ein Phäake wie er im Buch steht.

Eigentlich sollte der Artikel ja ein excellent ausgearbeiteter Blogartikel werden, der beschreibt, wie der Owner mit zwei iPhones am Ohr und einem iPad auf dem Schoß das Irgendlinkblog liest und sich beschwert, dass es nix Neues zu lesen gibt; richtig schön ausarbeiten und mit Verben, Adverben und Subadverben wollte ich den Artikel schmücken; als Pointe sollte Irgendlink, der Held, Owner, dem Antihelden sagen: „Wie soll ich denn Blogartikel schreiben, wenn ich immer hier in der Lohntackerbude rumhänge und Container für die Dependenzen in den USA mit Möbeln befülle“.