Fahrrad-Tetris

„Das ist das erste und das letze Mal, dass ich das Fahrrad im Zug mitnehme“, sagt ein italienischer Reisender. Nur weil ihm in den letzten zehn Jahren insgesamt fünf Fahrräder an Bahnhöfen geklaut worden sind, hat er es dieses Mal probiert, es im Zug mitzunehmen. Das Abteil füllt sich in Offenburg rasant. Acht bis zehn Radler garniert von Kinderwägen und einer behäbigen Frau in schwerem Rollstuhl. Von Station zu Station mehr Leute, die sich mit Gepäck tetrishaft im Abteil stapeln. Eigentlich wäre genug Platz für alle. Aber die Unbedachtheit, manchmal auch der Egoismus jedes Einzelnen … ganz wie in der großen weiten Welt. Mit dem Jungen neben mir gehe ich einen Pakt ein. Wir opfern unsere beiden Sitze und machen Platz für zwei Räder. Man müsste das Ganze noch viel besser organisieren. In meinem Schädel brennt der kleingeistige Ruf nach einem starken Mann, der hier mal ordentlich aufräumt. Einem weisen, gütigen Schaffner, der uns alle sinnvoll stapelt. Wer als letzter raus muss, dessen Rad kommt nach Hinten. Schon bastele ich an einem Nummernsystem, wobei jeder Bahnhof der Strecke eine Nummer kriegt. Und jedes Rad kriegt auch eine Nummer. Monsieur Kleingeist Süperadministratör.
Die Frau im schweren Rollstuhl verzieht sich drei Haltestellen weit in die Toilette. Als sie raus kommt, ist das Abteil verschachtelt überfüllt. Quengelndes Kind. Die Mutter versucht ihm den Schnuller in den Mund zu stopfen. Wie eine Schmeißfliege schwirrt ihre rote Hand vor dem Kindergesicht. Ein Kerl telefoniert über eine Entbindung. So detailiert, dass, wenn ich die Vorlesung zu Ende gehört habe, ich in der Lage sein werde, eine Zwillingsgeburt zu begleiten. Ich Hebamme der modernen Blogliteratur. Das Mädchen soll Bente getauft werden, ja, Be, E, En,Te, E, buchstabiert der Hobbygynäkologe, ein nordischer Name, der sowohl seiner Frau, als auch ihm gut gefallen habe. Derweil setze ich meine gynäkologischen Erkenntnisse direkt in die Tat um, indem ich einem Jungen helfe, sein Fahrrad von ganz hinten bis zur Tür zu bringen. Eine transporttechnische Steißgeburt. In Freiburg leert sich der Wagen und während der fünf Minuten Aufenthalt kommen andere Radler herein, eine Frau mit Rollstuhl, die resolut einen Sitzplatz einfordert. Gut so. Sie strickt. Kinder drehen durch. Ein Geplärr wie Wahnsinn. Als würde der Zug ausatmen und wieder einatmen. Die Luft anhalten bis zur nächsten Haltestelle, Ausatmen, Einatmen. Ich bin ein Fremdkörper, eine Thrombose, die den Stoffwechsel behindert. Den letzten Atemzug wird die Regionalbahn in Basel tun. Endstation. Da muss ich ein letztes Mal umsteigen. Nun an einigen Haltestellen vorbei mit seltsamen Namen: „Augen“ und „Haltingen“.
Und warum?
Weil am Rhein!

Künstler in Bewegung sollten in Bewegung sein

Verflixt! Mein Rucksack ist mit einem Kontaktgift eingeschmiert. Wenn man das 60 Liter große Wandertäschlein anfasst, verspürt man die unstillbare Lust, ihn nach Santiago zu tragen. Frühmorgens packe ich allmögliches Zeug, Computer, Klamotten, Buch, Verderbliches aus dem Kühlschrank, ein Ecken Brot. Eben all die Dinge, die der zeitgenössische Künstler in Bewegung benötigt, um ein paar Tage bei seiner schweizer Freundin zu überleben. Da das Auto in längst überfälliger Reparatur ist, testet Monsieur le Reisekünstler die Regionalbahn auf Tauglichkeit. Including Fahrradmutnahme. Sechs Stunden Fahrzeit sind gutes Mittelmaß. Die schnellste Verbindung würde 4:20 Stunden dauern und 77 € kosten und man könnte kein Rad mitnehmen. Im Auto würde die Strecke bei 33ct Kilometerpauschale knapp 100 € kosten. Der gewählte Bummelzug kostet 42 € (ohne Fahrrad).
Zurück zum Rucksack. Erinnerungen an 2010 werden wach. Im Zug via Paris nach Saint Jean Pied de Port in den Pyrenäen. Dann 35 Tage bis Santiago (zu finden unter Jakobsweg2.0).
Rucksack mit Kontaktgift … tse. Das klingt fast so abstrus, wie Freund Journalist F.s Behauptung, das neue iPhone sei mit einer süchtig machenden Substanz bestrichen, die jedem, der es anfasst ein Verlangen nach dem neuesten Modell eintrichtert … tse.
Schreiberisch bin ich ein wenig aus der Übung, spüre aber schon, wie dieser unheimliche Schaffensdrang sich aufdrängt, als müsse der „Künstler in Bewegung“ in Bewegung sein, um etwas künstlerisch zu bewegen.

Der orangene Koffer gehört dem Mann im gelben Anorak

Schnappschüsse von Gleis Nimmerlein. Im Zweibrücker Bahnhof lungern übernächtigte Kerle auf den Gitterbänken. Pfütze unterm Sitz. Pisse oder Bier? Kalter Rauch. Schnapsgeruch. Drei Girlies, kaum dreizehn, unterhalten sich über die Zubereitung von Whiskeymischungen. Fachfraulich stolz mit rosa Röckchen, Täschchen, Handychen …
Gleis eins ist ein Glastrümmerfeld. Spucke, Kippen, Kaugummis, Scherben. Der Zug ist nahezu pünktlich. Ein Pufferzug, der dank Begegnungsverkehr an manchen Bahnhöfen warten muss. So holt er jede Verspätung wieder auf. Mit im Zug Markus, Norddeutscher Schwager einer Zweibrückerin. Er hat auch das Foto im vorigen Artikel gemacht. Wir schwätzen dies und jenes. Unsere Missionen. Er auf Autokauf in Stuttgart. 1500 € für einen 1993er BMW.
Die einzige Zugtoilette ist defekt. Abgesperrt. Zwei Kinder mit schmerzverzerrtem Gesicht klemmen die Beine. In Annweiler fünf Minuten Aufenthalt. Ich und Radel und Rucksack raus. Baum finden. Blase leeren. Tut gut. Rechtzeitig zurück im Zug.
Landau. Karlsruhe. Dort wirds voll. Radel zwischen Tür und Angel. Kaum Sitzplätze. Verdrossene Stille. Das Mädchen gegenüber fährt schwarz. Die Schaffnerin ist gnädig, gibt ihr die Chance zum Nachlösen. Wohl wegen des Kinderwagens, aus dem ein hungriges Maul sperrt. Das Mädchen behauptet, sie habe kein Geld zum Nachlösen. Also Personalausweis. Volles Programm. Bis Basel hätte ich gar keine Fahrradkarte gebraucht, erklärt die Schaffnerin. Als das Mädchen mit dem Kinderwagen aussteigt, gibt sich der Junge neben mir als ihr Freund zu erkennen. Legt seinen dicken Geldbeutel ins Netz unter dem Kinderwagen. Schweigend steigen sie aus. Ein Rastamann mit orangenen Klamotten sitzt neben orangenem Koffer. Als er aussteigt, bleibt der Koffer stehen. Er gehört also widersinniger Weise dem sonnenbrillenträger mit der gelben Outdoorjacke.

Quer durch’s Land

Irgendlink macht den Quer durch’s Land Test – mit Bahn und Fahrrad von Zweibrücken bis Bad Säckingen.
Aktuell rollt die Regionalbahn Richtung Karlsruhe, wo es zum dritten Mal „Umsteigen“ heißt. Sechs Stunden dauert die knapp dreihundert km lange Tour. Fünf mal umsteigen. Um Punkt 9:27:42 spuckte der Automat in Zweibrücken das 42€ Ticket aus. Plus fünf € fürs Radel. Am Automat blinkten Warnlichter, im Großraum Stuttgart sei mit Zugausfall und Verspätung zu rechnen. Eine Horrorfahrt im völlig überladenen Regionalexpress zwiscgen Karlsruhe und Offenburg kommt mir in den Sinn …

Mit Fahrrad am Bahnhof Zweibrücken

Nordseeradweg 2012 Dankesposter – Versendung verzögert sich

Fast auf den Tag ist es nun ein halbes Jahr her, dass sich Künstler Irgendlink – moi même – auf die über 6000 km lange Radstrecke um die Nordsee, den Nordseeradweg (North Sea Cycle Route / NSCR), seines Zeichens den längsten Radweg der Welt, begeben hat. Aus einem anfangs auf sehr wackeligen Beinen stehenden Kunstreiseprojekt hat sich innerhalb von vier Monaten ein appspressionistisches Kunstprojekt entwickelt, an dem täglich mehr als tausend Bloglesende mitfieberten.

Ihnen allen – Euch allen – möchte ich herzlich danken. Die Geschichte „Ums Meer 2012“ ist seit zwei Monaten zu Ende geschrieben. Ein Stück gelebte Gegenwart, das man noch immer verfolgen kann in den Archiven des Irgendlink-Blogs. Viele Lesende und Mitfiebernde haben das Projekt mit teils enthusiastischen Kommentaren, Anregungen und Diskussionen unterstützt und einige haben sogar den Spendenknopf in diesem Blog betätigt und mit kleinen und größeren Geldbeträgen das Livereiseprojekt auf dem Nordseeküstenradweg erst möglich gemacht.

Ich hatte ein Poster versprochen für diejenigen, die mich unterstützen – den, zwar wenigen, größeren SpenderInnen steht ein echtes Kunstwerk auf Aludibond zu.

Zwei Monate wollte ich mir dafür geben, die knapp 10.000 Fotos, die ich auf der Radtour um die Nordsee gemacht habe, aufzuarbeiten und in hochwertige Kunstwerke zu verwandeln. Die Zeit ist um. Gute und schlechte Nachrichten: Poster fertig, Versendung erst im November.

Auf dem Nordseeradweg 2012 – ein Stück gelebte Gegenwart, live im Irgendlink-Blog – am Ende steht Kunst

Letzten Samstag habe ich einen Probeabzug des Posters erhalten – ich bin mit dem Ergebnis höchst zufrieden. Gelungen ist ein serielles Kunstwerk mit 76 Einzelbildern, die ich zwischen April und Juli 2012 auf dem Nordseeradweg gemacht habe. In Frankreich, England, Schottland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland, Holland, Belgien, ja, auf dem Weg zum Meer sogar in Luxemburg. Ein kleines, privates, europäisches Künstlergroßprojekt. Täglich lieferte ich, mit Unterstützung der Homebase alias Sofasophia, einen Reisebericht von teils philosophischer Tiefe (Kommentator Emil hat den Begriff „Velosophie“ geprägt). Sicherlich wird Euch das eine oder andere Motiv bekannt vorkommen, wurde es doch in meinen täglichen Liveblogberichten hier auf diesen Seiten schon gezeigt.

Leider werde ich das Poster erst Mitte November zusenden können. Auch der Versand der Aludibond-Kunstwerke wird bis dahin warten müssen.

An dieser Stelle eine Vorschau auf das Poster, Größe 40×60 cm, signiert, limitiert auf 42 Stück, ca. 20 Exemplare sind käuflich zu erwerben.

Nordseeradweg 2012 offizielles Dankesposter
Nordseeradweg 2012 offizielles Dankesposter, limitiert auf 42 Stück