Tag 6 in Bildern | #UmsLand/Bayern

Gestern, bei unserm abendlichen Threema-Gespräch, erzählte Irgendlink, dass er, als er vor einigen Tagen auf der Suche nach dem Bug seine Navigationsapp de- und neuinstallierte, seine ganzen gespeicherten Karten verloren habe. Da es am Rechner einfacher als auf dem Handy ist, solche Dinge wiederzufinden, habe ich mich auf die Suche gemacht. Und sie gefunden. Hier klicken zur Kartenskizze, die ganz am Anfang, vor dem ersten Tourstück, entstanden und im allerersten Artikel dieses Blogbuches, das täglich wächst, zu finden ist.

Es folgen wieder ein paar Bilder vom gestrigen Tag. Bilder, die wie gehabt  auf der wachsenden Tracks-Karte verortet sind.

Dekostuhl in der Nähe von Stadlern

Gneisfelsen am Hochfels

Briefkasten in Eslarn. Genau zur richtigen Zeit, damit die Sonne weder Schatten nach links, noch nach rechts wirft.

Einer von unzähligen Hochsitzen. Hier schon im Waldnaab-Gebiet

Die Bestie Mensch – von Breitenried nach Bärnau #UmsLand/Bayern

Unkorrigiert (ich muss mich ein wenig sputen, um nicht in Gewitter zu geraten, die man für den Nachmittag voraus sagte)

Irgendwas war auf den Anhänger zu laden, schwer, von A nach B zu transportieren. Ich meine Betonbrocken. Weshalb ich am wuchernden Feigenbaum einen Ast absägte, um mit dem alten Traktor und dem Anhänger zu Baustelle fahren zu können. Außerdem stand ein lange im Gras stehender, schon sehr von Grünzeug umrankter alter Heizpilz im Weg. Ich zerrte ihn aus dem Gestrüpp. Unter dem Ding hatte sich ein Tigerschnegel eingenistet. Eine ziemlich große, lange, gestreifte Schnecke. Ich bewunderte das Tier eine Weile, ehe ich es auf die Seite setzte, damit ich es mit dem Traktor nicht zerquetsche.

Dass ich das Haus des Tiers zerstört habe und womöglich sein Gelege und vermutlich noch etliche andere winzige Tiere, Spinnen, Ameisen, alles was kreucht und fleucht, heimatlos gemacht oder getötet habe, wird mir erst jetzt, Wochen später bewusst. Zudem der verstümmelte Feigenbaum. Was gibt einem Lebewesen wie mir Mensch das Recht, andere Lebewesen zu opfern, nur, um bequem arbeiten zu können und sich sein klein Häuschen gemütlich einzurichten?

Weil ich es kann. Weil ich nicht tief genug denke. Weil der Anblick einer aufgeräumten, kalten, sauberen, unnatürlichen Fläche Eigentums einfach unbezahlbar fein ist … so lange man nicht über das damit einhergehende Zerstörungswerk in den Welten anderer, eigentlich gleiberechtigt sein sollender Lebewesen herumpfuscht.

Der gestrige Reisetag von Breitenried bei Treffelstein bis nach Bärnau an der Waldnaab offenbarte mir, warum der Radweg, dem ich seit Bayrisch Eisenstein folge, Grünes Dach genannt wird. Die Gegend ist grün, bewaldet zumeist, die Zweige der Bäume sehen aus wie ein Dach und die Schräge der Wege fühlen sich an wie ein Dach. Steil. Abschüssig. Ich keuche. ich ächtze und bin dabei meist allein im Wald, auf recht guten Forstwegen. Die Beschilderung ist atemberaubend gut. Der Radweg Grünes Dach windet sich mit anderen Radwegen wie ein Nervengeflecht, geradezu vagusnervesk durch die Lande und die Steigungen sind erstmals wieder so happig, dass ich schieben muss irgendwo jenseits von Pleystein. Doch zunächst folgt der Radweg einer alten Bahntrasse. Etwa ab dem recht bekannten Grenzübergang Waidhaus radelt man gemütlich auf sandigen alten Bahndämmen über Bahnbrückchen durch das gewellte Land. Viele Feiertagsradeler auf Ebikes unterwegs. Der Weg ist ein echter Wohlfühlradweg, hätte ich in der gegend gar nicht vermutet. Ich freue mich jedoch nur kurz, bis im Hirn alle möglichen Puzzleteile an die richtige Stelle fallen und ich den Ortsnamen Flossenbürg auf einem Verkehrsschild lese. da will ich hin. Da möchte ich mir die KZ-Gedenkstätte ansehen. Flossenbürg als Name ist in meinem Hirn direkt verknüpft mit KZ. An dem Ort, so schön er heute sein mag, klebt eine dreckige Vergangenheit. Ein paar Synapsen weiter ist Eisenbahn verknüpft mit Viehwagen voller Menschen verknüpft mit KZs verknüpft mit mord, Blut, Gewalt, Folter, Niedertracht, Bürokratie, Versagen als Mensch in einer Verwaltungsmaschine, warum hast du dich nicht aufgelehnt, Großvater … der Radweg auf der alten Bahntrasse führte womöglich nach Flossenbürg und es wurden tausende Menschen auf ihm in den Tod verfrachtet. Vielleicht führt er auch woanders hin, versuche ich mich zu beruhigen, aber das tut dem Bild, das sich etabliert hat, keinen Abbruch. Ab jetzt bin ich im Sog des KZs vor achtzig Jahren.

In Pleyenstein zweigt meine Route ab von der Bahnlinie. Ich folge den GDR und den Iron Curtain Fernradwegen, die deckungsgleich verlaufen. Ein Radler, mit dem ich mich unterwegs ein bisschen unterhalte, erzählt mir von dem Campingplatz in Flossenbürg, ein Gasthof gäbs da auch und, nuja, ich beschließe, dort als Tagesziel einzutrudeln und mir am nächsten Tag die Gedenkstätte anzuschauen. Die meisten Menschen meiner Generation hatten ja zu Schulzeiten einen Besuch in einer KZ Gedenkstätte. Ich nicht.

Düstere Gedanken durch den stillen Wald, immer aufwärts, hie und da schiebend, Flossenbürg ist nicht mehr ausgeschildert. Wer will auch schon den namen lesen auf einem touristischen Schild, unke ich, aber mit meiner Wegführung stimmt etwas nicht. Ich bin auf über 800 Metern Höhe, stets dem Hinweis Fernradweg gefolgt. Doch der steht nur für den Iron Curtain, womöglich. Wie auch immer. Bei einem Ort im Wald namens Silberhütte kann ich endlich wieder Richtung Flossenbürg. Wenn ich will. Der Grünes Dach kommt von unten. Ich müsste runter und dann wieder hierher zurück. Kein Radler gibt gerne Höhe Preis. Möge der Caampingplatz und das Gasthaus noch so sehr verlocken. In die andere Richtung sind es nur noch 1,6 Kilometer bis zur Quelle der Waldnaab. So keuche ich über übelste Singletrails, die man normalerweise mit Lust als Mountainbiker fährt, hinauf zum lieblichen Quellchen im Grenzgebiet zwischen Tschechien und Deutschland. Der Singletrail führt ein zwei Kilometer weit voller Wurzeln und Geröll, kaum fahrbar, womöglich ein radverkehrstechnisches Nondominium, ein Gebiet zwischen den Ländern, für das niemand zuständig ist.

Später gehts abwärts, zum Glück. Ich bin nach achtzig Kilometern so erschöpft, dass ich schon bei 2 Prozent Steigung in den ersten Gang muss. Hier oben aber ists mir zu kalt und in meinem Innern wirkt ja noch die Horrorvorstellung von der Bestie Mensch, die ihr Erbe grundsätzlich unvollständig antritt, nur die schwarzen Zahlen als Erbe sieht, nicht aber die roten, die mit dem Blut der Schuld geschrieben wurden. Seien es die  gut sichtbaren Gräuel der Vergangenheit, oder die viel abstrakteren alltäglichen Erbschaften, in denen man geddankenlos antritt und dabei den Tigerschnegel obdachlos macht.

Dieser Artikel ist leider nur ganz grob skizziert. Ich kann die Brücke zwischen dem Tigerschnegel und der Bahnlinie zwar ahnen, aber noch nicht ganz zu Ende schreiben. Muss noch nachdenken. es ist eine Baustelle für das Buch UmsLand, das ich nach der Reise plane. Ich werde den Artikel vermutlich dennoch als Skizze ins Blog stellen. Geschrieben in Platzermühle.

Tag 6 der 3. Etappe (Tag 27) im Rückblick | #UmsLand/Bayern

Wie schrieb Irgendlink heute Morgen auf Mastodon? »Stille! Nahezu absolute Stille, also die Art Stille, die nicht von Menschen gebrochen wird. Nur die Flugroute dröhnt ab und zu. Aus Tier’scher Sicht muss ich sagen, wir hätten das den Menschen nie erlauben dürfen.
Für die Akten: Das ist der „unmenschlichste“ Lagerplatz, den ich seit 2016 erlebt habe. /Bayern nahe Nur in Lappland und jenseits der Sierra Nevada in Andalusien erlebte ich ähnliche Stille.«

Später, auf Twitter, dann allerdings so: »Aus dem Wald, aus der Stille kommend, von der du noch bis vor Kurzem annahmst, das sei Normalität, holt dich der breiige Lärm Gummis auf Teer der Bundesstraße neben dem zurück. DAS ist Normalität, du Mensch.
/Bayern«

Unterwegs hat er heute wenig geschrieben. Jenseits von Bärnau hat er nun einen Lagerplatz gefunden, wo er heute sein müdes Haupt hinlegen wird. Hoffentlich ist das heute wieder so ein ruhiger Platz wie gestern.

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Auf Mastodon und Twitter trötet und twittert Irgendlink seine Reise direkt und unmittelbar. Lest dort über seinen heutigen Tag – und über alle kommenden.
https://fimidi.com/@irgendlink
https://twitter.com/irgendlink

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Hier die nur sehr ungefähr geradelte Strecke bei Guugl

Den heutigen Track im Gesamtkontext seht ihr hier (Ausschnitt).

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Das ganze Projekt auf einen Blick (Opencycle-Karte) gibt es hier zu sehen:
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Tag 5 in Bildern | #UmsLand/Bayern

Vorhin habe ich die UmsLand-Bayern-Karte mit neuen Bildern bestückt. Klickt einfach auf die Stecknadeln, um die Bilder an ihren Originalstandorten betrachten zu können, klein oder groß – ganz wie ihr mögt.

Das hier ist ein Screenshot der Karte. Beim Draufklicken kommt ihr direkt dorthin …

Screenshot der Karte mit der gefahrenen Strecke
Hier gibt es die Bilder aber auch noch im klassischen Blogformat.

Stege führen durchs Arracher Moor

Kirche in Bad Kötzing

Der Weiße Regen

Hauswand in Mitlach

Der Regen ohne Eigenschaften :-) Hier hab ich gerade gedöst. Das Wasser stinkt bissel. Viele Kanuten klappern mit den Paddeln.

Stadttor in Cham

Vermauerte Tür in Cham

Rostiges, altes Dekorad vor zweifarbiger Wand mit Cham-Tafel

Unterwegs viel Weite in geschwungener Mischlandschaft aus Wald, Wiesen und Gerstenfeldern.

Drachenturm in Treffelstein

Der höchste Dan der Verwieung – von Lam nach Treffelstein #UmsLand/Bayern

Die ‚VerWIEung‘ der Welt mit zunehmendem Lebenslauf steht mir im Sinn am Morgen nach dem Gewitter in Lam. Die Nacht war WIE eine Nacht vor vielen Jahren auf einem Zeltplatz auf Norddeich, erinnere ich mich. Freund Ray und ich durften unsere Zelte in einem Festzelt aufbauen. Ich weiß zwar nicht, ob auch in der damaligen Situation, die sich ein bisschen ähnelte mit der jetzigen, auch Regen runter ging, die Kongruenz Zelt in Zelt war jedenfalls da.

Frau SoSo und ich scherzen oft, Gegenden durchquerend, da siehts ja aus wie im Berner Oberland. Ein running Gag, zweifellos. Es ist nunmal so, dass die zunehmende Lebenserfahrung abnehmend Neues mit sich bringt, dass sich Situationen wiederholen, man sich an Ähnliches erinnert, dass einem Menschen begegnen, die anderen Menschen ähneln, die man mal kannte, dass ein Gericht dieses Namens in der Gegend einem Gericht anderen Namens in jener Gegend in der Rezeptur verdammt ähnlich ist und so weiter und so fort.

Die Gegend um Lam erinnert zunächst an den Schwarzwald, später finde ich mich auf kargen Höhen wieder, die der heimischen Sickinger Höhe ähneln, ein bisscchen Cevennen hier, ein bisschen ‚Weites Grünes Land‘ da. Das ist der Werbeslogan des Donnersbergkreises in der Pfalz.

Was Deutschland oder Europa betrifft, habe ich wohl einen hohen Grad der VerWIEung erreicht, was aber der Lebensfreude und der Freude am Radeln keinen Abbruch tut. Zum Glück. Einziger Wermutstropfen ist, dass das Gefühl des ersten Mals nahezu abhanden gekommen ist. Das ist nämlich ein ganz besonderes Gefühl, das sich zwischen einer gewissen Unruhe ob des gerade stattfindenden Unbekannten (wird die Situation gut oder schlecht) und dem, den inneren Abenteurer herausfordernden, Gefühl, gerade etwas nie Dagewesenes zu erleben, ansiedelt.

Tendenziell radele ich den gestrigen Tag abwärts, folge dem Weißen Regen bis zu seiner Mündung in den Regen – ich nenne ihn den Regen ohne Eigenschaften, frei nach Musil, alle anderen Regen sind schwarz, groß und weiß.

Auf dem Regen reger Kanubetrieb. Paddelklatschgeräusche und das hohle Rumpeln der Bootskörper, während ich nahe Mitlach eine Mittagspause im Kies liegend mache und vor mich hin döse. Der Fluss stinkt. Schöne Steinensembles zieren das Gewässer. Gut ausgebauter Flussradweg und ziemlich gute Beschilderung. Ich folge stets dem Radweg Grünes Dach, dessen Symbol stilisierten Fichtenzweigen ähnelt, die wie ein Dach ausschauen.

Ein Manko gibts immer. Gegenwind. Den ganzen Tag lang bei meist strahlender Sonne, weshalb der Zentimeter Haut, der zwischen der kürzeren neuen Radelhose und der alten frei liegt, unbemerkt verbrennt. Ich friere und schwitze zugleich. Eine seltsame Wetterlage, bei der man nie genau weiß, was man anziehen soll. Das Dauerrauschen des Winds in den Ohren stört mich mehr, als das langsame Vorankommen.

Es ist faszinierend, wie das eigene Befinden, durch Kleinigkeiten beeinflusst, größere Läufe verändert. Demut hilft mir, an dem Tag dennoch gut voranzukommen. In Cham drei Pubertierende, die gröhlend über eine der vielen Brücken laufen. Eigentlich müsste ich auch da lang, um in der Stadt eine Einkaufsmöglichkeit zu finden. Samstag Nachmittag. Das Bubengegröhle ist einer jener winzigen Stachel, die den Lauf ändern, mich veranlasst, stupid den Radwegschildern zu folgen rings um die Stadt, statt mittendurch. Draußen nur Brückchen. Keine Lädchen. Eine merkwürdige Stadt. So viele Brücken im flachen Land aus Wiesen und einem chaotischen Gewusel aus Gewässern. Ein Fluss heißt glaube ich Cham, wie die Stadt, alle anderen sind wohl Regens verschiedener Eigenschaften.

Durch die Hintertür, ein rotes Stadttor, komme ich doch noch ins Städtchen, schaue, treibe, fotografiere, finde einen noch offenen Laden, kaufe ein. Den Buben begegne ich auch wieder. Sie haben sich beruhigt. Ich habe mich beruhigt.

Raus aus der Stadt wie irgendwo im Elsass auf die Nacht zuradeln wie irgendwo am Niederrhein und nicht zu wissen, wohin mit sich, dem Zelt wie schon so oft. Der Einkauf war so klug, so wichtig. Kilometerweit hinter Cham keine Läden mehr in Sicht, noch nicht einmal Automaten oder Hofkühlschränke.

Ich friere, stelle ich bei sinkender Sonne fest. Der Wind hat mich ausgelaugt. Hinter Treffelstein baue ich das Zelt auf einer Wiese auf, ganz schamlos neben einer alten Scheune.

Über 90 Kilometer stehen auf dem Tacho, die ich dem heimischen Stadtradeln gutschreibe.