Unkorrigiert (ich muss mich ein wenig sputen, um nicht in Gewitter zu geraten, die man für den Nachmittag voraus sagte)
Irgendwas war auf den Anhänger zu laden, schwer, von A nach B zu transportieren. Ich meine Betonbrocken. Weshalb ich am wuchernden Feigenbaum einen Ast absägte, um mit dem alten Traktor und dem Anhänger zu Baustelle fahren zu können. Außerdem stand ein lange im Gras stehender, schon sehr von Grünzeug umrankter alter Heizpilz im Weg. Ich zerrte ihn aus dem Gestrüpp. Unter dem Ding hatte sich ein Tigerschnegel eingenistet. Eine ziemlich große, lange, gestreifte Schnecke. Ich bewunderte das Tier eine Weile, ehe ich es auf die Seite setzte, damit ich es mit dem Traktor nicht zerquetsche.
Dass ich das Haus des Tiers zerstört habe und womöglich sein Gelege und vermutlich noch etliche andere winzige Tiere, Spinnen, Ameisen, alles was kreucht und fleucht, heimatlos gemacht oder getötet habe, wird mir erst jetzt, Wochen später bewusst. Zudem der verstümmelte Feigenbaum. Was gibt einem Lebewesen wie mir Mensch das Recht, andere Lebewesen zu opfern, nur, um bequem arbeiten zu können und sich sein klein Häuschen gemütlich einzurichten?
Weil ich es kann. Weil ich nicht tief genug denke. Weil der Anblick einer aufgeräumten, kalten, sauberen, unnatürlichen Fläche Eigentums einfach unbezahlbar fein ist … so lange man nicht über das damit einhergehende Zerstörungswerk in den Welten anderer, eigentlich gleiberechtigt sein sollender Lebewesen herumpfuscht.
Der gestrige Reisetag von Breitenried bei Treffelstein bis nach Bärnau an der Waldnaab offenbarte mir, warum der Radweg, dem ich seit Bayrisch Eisenstein folge, Grünes Dach genannt wird. Die Gegend ist grün, bewaldet zumeist, die Zweige der Bäume sehen aus wie ein Dach und die Schräge der Wege fühlen sich an wie ein Dach. Steil. Abschüssig. Ich keuche. ich ächtze und bin dabei meist allein im Wald, auf recht guten Forstwegen. Die Beschilderung ist atemberaubend gut. Der Radweg Grünes Dach windet sich mit anderen Radwegen wie ein Nervengeflecht, geradezu vagusnervesk durch die Lande und die Steigungen sind erstmals wieder so happig, dass ich schieben muss irgendwo jenseits von Pleystein. Doch zunächst folgt der Radweg einer alten Bahntrasse. Etwa ab dem recht bekannten Grenzübergang Waidhaus radelt man gemütlich auf sandigen alten Bahndämmen über Bahnbrückchen durch das gewellte Land. Viele Feiertagsradeler auf Ebikes unterwegs. Der Weg ist ein echter Wohlfühlradweg, hätte ich in der gegend gar nicht vermutet. Ich freue mich jedoch nur kurz, bis im Hirn alle möglichen Puzzleteile an die richtige Stelle fallen und ich den Ortsnamen Flossenbürg auf einem Verkehrsschild lese. da will ich hin. Da möchte ich mir die KZ-Gedenkstätte ansehen. Flossenbürg als Name ist in meinem Hirn direkt verknüpft mit KZ. An dem Ort, so schön er heute sein mag, klebt eine dreckige Vergangenheit. Ein paar Synapsen weiter ist Eisenbahn verknüpft mit Viehwagen voller Menschen verknüpft mit KZs verknüpft mit mord, Blut, Gewalt, Folter, Niedertracht, Bürokratie, Versagen als Mensch in einer Verwaltungsmaschine, warum hast du dich nicht aufgelehnt, Großvater … der Radweg auf der alten Bahntrasse führte womöglich nach Flossenbürg und es wurden tausende Menschen auf ihm in den Tod verfrachtet. Vielleicht führt er auch woanders hin, versuche ich mich zu beruhigen, aber das tut dem Bild, das sich etabliert hat, keinen Abbruch. Ab jetzt bin ich im Sog des KZs vor achtzig Jahren.
In Pleyenstein zweigt meine Route ab von der Bahnlinie. Ich folge den GDR und den Iron Curtain Fernradwegen, die deckungsgleich verlaufen. Ein Radler, mit dem ich mich unterwegs ein bisschen unterhalte, erzählt mir von dem Campingplatz in Flossenbürg, ein Gasthof gäbs da auch und, nuja, ich beschließe, dort als Tagesziel einzutrudeln und mir am nächsten Tag die Gedenkstätte anzuschauen. Die meisten Menschen meiner Generation hatten ja zu Schulzeiten einen Besuch in einer KZ Gedenkstätte. Ich nicht.
Düstere Gedanken durch den stillen Wald, immer aufwärts, hie und da schiebend, Flossenbürg ist nicht mehr ausgeschildert. Wer will auch schon den namen lesen auf einem touristischen Schild, unke ich, aber mit meiner Wegführung stimmt etwas nicht. Ich bin auf über 800 Metern Höhe, stets dem Hinweis Fernradweg gefolgt. Doch der steht nur für den Iron Curtain, womöglich. Wie auch immer. Bei einem Ort im Wald namens Silberhütte kann ich endlich wieder Richtung Flossenbürg. Wenn ich will. Der Grünes Dach kommt von unten. Ich müsste runter und dann wieder hierher zurück. Kein Radler gibt gerne Höhe Preis. Möge der Caampingplatz und das Gasthaus noch so sehr verlocken. In die andere Richtung sind es nur noch 1,6 Kilometer bis zur Quelle der Waldnaab. So keuche ich über übelste Singletrails, die man normalerweise mit Lust als Mountainbiker fährt, hinauf zum lieblichen Quellchen im Grenzgebiet zwischen Tschechien und Deutschland. Der Singletrail führt ein zwei Kilometer weit voller Wurzeln und Geröll, kaum fahrbar, womöglich ein radverkehrstechnisches Nondominium, ein Gebiet zwischen den Ländern, für das niemand zuständig ist.
Später gehts abwärts, zum Glück. Ich bin nach achtzig Kilometern so erschöpft, dass ich schon bei 2 Prozent Steigung in den ersten Gang muss. Hier oben aber ists mir zu kalt und in meinem Innern wirkt ja noch die Horrorvorstellung von der Bestie Mensch, die ihr Erbe grundsätzlich unvollständig antritt, nur die schwarzen Zahlen als Erbe sieht, nicht aber die roten, die mit dem Blut der Schuld geschrieben wurden. Seien es die gut sichtbaren Gräuel der Vergangenheit, oder die viel abstrakteren alltäglichen Erbschaften, in denen man geddankenlos antritt und dabei den Tigerschnegel obdachlos macht.
Dieser Artikel ist leider nur ganz grob skizziert. Ich kann die Brücke zwischen dem Tigerschnegel und der Bahnlinie zwar ahnen, aber noch nicht ganz zu Ende schreiben. Muss noch nachdenken. es ist eine Baustelle für das Buch UmsLand, das ich nach der Reise plane. Ich werde den Artikel vermutlich dennoch als Skizze ins Blog stellen. Geschrieben in Platzermühle.