„Die Willkür des Reviermarkierens der Stärkeren auf Kosten der Schwächeren und Ahnungslosen.“ Und so weiter. Das war ein recht brisanter Artikel, den ich da heute morgen begonnen habe. Und wie es mit brisanten Artikeln so ist, wird es irgendwann so kompliziert, dass man aufhören muss. Und immerhin, die Straße ruft ja und der Wetterbericht sagt Regen voraus ab Mittag und da wäre es doch doof, wertvolle Trockenstunden mit Schreiben zu ‚verschwenden‘.
Irgendwie habe ich ohnehin das Gefühl, mich vom eigentlichen Thema meiner Reise, dem Buch, das von Bayern handelt, mehr und mehr zu entfernen.
Wenn dies ein Labyrinth wäre, so hätte ich vielleicht einmal fast die Mitte erreicht, nur, um mich in vielen Windungen, ganz ‚chartreesk‘ wieder von der Mitte zu entfernen. Momentan befinde ich mich im äußeren Umlauf meines Bayernlabyrinths.
Die gestrige Strecke, immerhin knapp sechzig Kilometer, war, der durchzechten Nacht geschuldet, nicht so leicht, wie sie hätte sein können. Mittags schlief ich auf einer Parkbank ein, kurz nachdem ich die Isar erreicht hatte.
Ein Ziel, auf das ich mich sehr gefreut hatte, waren die Isar-Pyramiden, Steinschichtungen am Isarstrand in der Nähe von Lengries und Bad Tölz. Als ich den Punkt erreichte, den ich in der Karte verzeichnet hatte, bot sich mir aber ein enttäuschendes Bild. Statt wie erwartet zig kleine und größere Steintürmchen zu finden, gab es gerade einmal zwei halb zerfallene Etwasse, garniert mit Silvrettabergen im Hintergrund und einem reißenden Fluss. Entweder, ich hatte den Punkt falsch markiert – eine Passantin sagte mir, die Pyramiden befänden sich jenseits von Lengries, flussaufwärts – oder das Kleinod ist über die Jahre zerfallen. Fast wie die echten Pyramiden. Die Hochkulturen kommen. Die Hochkulturen gehen. Auch wir sind eine – globale – Hochkultur. Wir müssen bald gehen, vermute ich.
Nerviges Tal. Straßenlärm. Gasgriffvergleiche der Motorradfahrer, die sich akustisch einbrennen.
Bei einer Feuerwehr, deren Trupp gerade von einem Einsatz zurück kommt, frage ich, haben Sie Wasser? Das macht deren Tag. – Wir? Wasser? Haha, der war gut. Ich kann unterm Schlauchturm an einem Wasserhahn die Flaschen füllen.
Weiter nach Bad Tölz. Spätsamstägliches Einkaufen. Futter für den Sonntag. Brot vergessen, dafür aber Nüsse, Bananen und Milch.
So verlasse ich gegen 18 Uhr das quirlige Städtchen mit der breiten, steil ansteigenden Fußgängerzone. Die Wirte der Straßencafés kurbeln die riesigen Schirme über der Bestuhlung mit Akkuschraubern zusammen.
Raus aufs Land durch ein Wiesenidyll auf unbefestigten Feldwegen, vorbei an Scheuern und Hochsitzen und alten Bäumen, unter denen Parkbänke stehen.
Unterhalb von Marienstein baue ich das Zelt auf einem Holzlagerplatz am Waldrand auf. Praktisch sind die Holzstapel für die Ablage von Dingen. Nebenan murmelt ein Bach. Ein guter Ort – im Vergleich zu Campingplätzen, auf denen man eigentlich als normaler Zeltender heutzutage nicht mehr zelten kann. Alles ist so eng geworden. Parzelliert. Grenzen gezogen bis zum Gehtnichtmehr und wo die Grenzen sind stehen diejenigen, die den gesunden Menschenverstand abgeschaltet haben schon in den Startlöchern, um diese künstlichen Trennlinien zu wahren.
Genau davon handelt der Artikel, den ich begonnen habe.
Wahrscheinlich kommt er als Supplement in mein Bayernbuch. Denn eins sei gesagt, auch wenn ich mich labyrinthisch vom Kern entferne und Auflüge in die eigene Phantasie mache und Euch dabei mitnehme, gemeinsam werden wir auch immer wieder zum Kern der Geschichte zurückkehren, ihn touchieren, und wieder weg, und wieder näher und irgendwann erreichen wir dann unser Ziel.