Tag 7 der 2. Etappe (Tag 15) im Rückblick | #UmsLand Bayern

Langes Nachdenken, eine stürmische Nacht, wenig Regen – das alles trug dazu bei, dass Irgendlink sich entschied, nicht noch eine Nacht länger in Bad Feilnbach zu bleiben, sondern weiterzuradeln. Zwar nicht auf der ursprünglich angedachten Route, aber immer noch eher umsLand als mittendurch. Nun ja, DrumsLand, sozusagen, scherzten wir vorhin am Telefon, drinnen im Land Bayern und doch noch irgendwie drumrum.

Heute hat sich Irgendlink klugerweise [und dank des Supports lieber Leser*innen] ein Gästezimmer gegönnt. Mitten in der Innschleife in Wasserburg wurde er fündig.

Was er heute Morgen getwittert hat, will ich euch nicht vorenthalten. Ein Thread:

»Grauß aus Bad Feilnbach am Meer. Zum Frühstück Spiegelei und Graubrot. Der Regen ist radelbar.

So weit bin ich schon, dass ich statt Gruß Grauß schreibe. Unruhige Zeltnacht. Gegen drei leichter Sturm. Ein Thread zu /Bayern und

Der Zeltplatz liegt hinterm Damm des Jenbachs, der fast schnurgerade über Wehre (alle zwanzig dreißig fünfzig Meter) vom Wendelstein herabschießt.
Gestern war die Brühe schon wild und braun, kündete von ihrem abenteuerlichen Weg. Nun fehlen noch etwa 1- 1,5 Meter, bis das Wasser über den Damm reicht.

Ich nehme an, wir werden gewarnt, bevor es kritisch wird und man evakuiert das Camp rechtzeitig. Hab alles Wichtige immer in der Regenjacke und schonmal geschaut, wie ich auf den Balkon der Kaiser Alm klettern kann, falls die Flut kommt.

Die Kaiser Alm ist eine Gaststätte direkt hinterm Zelt auf dem Hochwasserdamm. Massives Blockhaus. Der Balkon sieht gemütlich aus.

Aus Langeweile hab ich die Trangiapfanne in den Regen gestellt und warte bis sie voll ist, leere sie aus, warte bis sie voll ist, leere sie aus …

Eine ähnliche Regen- und Unwettersituation auf Radtouren hatte ich zuletzt auf der North Sea Cycle Route 2012. vielleicht nicht ganz so ununterbrochen? Die Erinnerung schönt ja die Ereignisse.

Jetzt ein Rückensturm, der mich – wie damals vom Crask Inn bis fast nach John O Groats Inn abwärts bläst. Das wäre fein.

Die unheimliche Kongruenz von Schottland und Bayern.«

Das heutige Wegstück (Track) könnt ihr hier → gucken.

Oder hier (ungefähr):

Direkter Link zur Karte

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks siebtem, respektive fünfzehntem Reisetag:

Sogar die Frühstücksspiegeleier ziehen eine Flunsch, als sie unter zausendem Wind und Nieselregen im Zelt zubereitet werden.

Ein halbierter Zier BMW in. Rosenheim bei einem Autohaus.

Skulptur am Rand der Fußängerzone in Rosenheim.

Dekoratives Fahrrad vor einem Burgerrestaurant in Rosenheim

Der Hans im Glück. Auch Rosenheim. Wegen des schlechten Wetters gab es nur einen kurzen Photostop in Rosenheim.

Wasserburg – fast möchte ich es als das Bern Bayerns bezeichnen. Die Arkaden, die reichlich verzierten Bürgerhäuser, die Lage in einer Biegung am Fluss …

Ein Klecks, der durch abblätternde Farbe entstand an einer Hauswand in Wasserburg. Ich weiß noch nicht, was ich damit anstelle. Wir Künstlerinnen können ja alles gebrauchen.

Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg wurde 1719 die Max Emanuel Kapelle errichtet zu Ehren von Maximilian Emanuel II.

Der Inn erreicht fast die antiken Hochwassermarken. Nur noch ein guter Meter fehlt bis zur untersten. Der Fluß ist trüb, wild und führt reichlich Äste und Holz mit sich.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia

Grenzen und ein Besuch im iBIERc – #UmsLand/Bayern

Jo do schau her, der oide Zausl, sog amoi, seid wiefuin Jahrn rennd der jetz scho da nauf zum Prechtl, trinkt sein Kaffee und starrt ausm Fenster?21. Mai 2029. Heute vor zehn Jahren fing es an mit der Wendelstein-Singualarität. Ein außergewöhnliches Wetterphänomen. Die Einheimischen nennen es den ‚Ewigen Regen‘. Die Jüngeren unter den Einwohnern kennen gar nichts anders als Regen. Sie haben die Sonne nie gesehen. Was zunächst wie ein außergewöhnliches Wetterphänomen wirkte, das vorübergeht, etablierte sich nach Wochen, Monaten und Jahren und nun glaubt eigentlich niemand mehr, dass der Regen je wieder aufhört.

Ein Tief namens Axel hatte sich über den Alpen festgesetzt. Der penetrante Axl, damischer Hund.

Die Situation war kritisch. Der Fremdenverkehr, der für die Region so wichtig war, kam völlig zum Erliegen. Die Touristen blieben aus. Bis, naja, bis der frisch gewählte Bürgermeister, der Jodler-Sepp von den Grünen, auf eine grandiose Idee kam. Du schau amal, mir ham da doch den Dauergast aufm Zeltplatz, den Blogger, den Dingsda, weißt, der mitm Radl rund um Bayern radelt und seit Monaten net mehr vom Fleck kommt wegen dem Wetter. Der is doch bekannt wie a bunti Kuh im Internet. Was meints, wenn ma dem a Zaunerl um sei Zelt bauen würd und dann Eintritt verlangen, dann kimmat die Touristn doch weltweit, oda?

So kam es, dass die kleine Gemeinde Bad Feilnbach unterm Wendelsteinmassiv einer der wenigen Touristenorte in Bayern geblieben ist, während der Rest des Landes im ewigen Regen unterging.

Unermüdlich bloggt der Künstler über seine Radtour um Bayern, die in dem kleinen Dorf wegen der widrigen Umstände ins Stocken kam. Jeden Tag schleppt sich der mittlerweile in die Jahre gekommene Mann die zwei Kilometer zum Ortszentrum lässt sich an seinem Stammplatz am Fenster des Cafés nieder im nach ihm umbenannten ehemaligen Prechtl-Kaufmannsladen, dem International Bavarian Irgendlink Eternity Rain Center (iBIERc). Dort nimmt er eine Schale Kaffee und ein großes Stück Himbeerkuchen zu sich, ganz wie am ersten Tag, an dem er in das Dorf kam.

Mittlerweile folgt ein Millionenpublikum dem als ältester Blogger der Welt im Buch der Rekorde verzeichneten Mann. Eine Webcam ist auf sein Zelt gerichtet. Die Besucherinnen und Besucher werfen manchmal Zettelchen mit Kommentaren über den Zaun.

All das begann auf den Tag genau vor zehn Jahren. Es ist an der Zeit zurückzublicken zu den Anfängen und hier lassen wir den Langzeitblogger doch persönlich zu Wort kommen mit einem seiner ersten Blogbeiträge, die er auf dem Campingplatz in Bad Feilnbach schrieb.
21. Mai 2019

Grenzen! Um sie geht es in diesem Buch. Rein geografische Grenzen, Verwaltungsgrenzen, zeitliche Grenzen (Grenzen des guten Geschmacks – man verzeihe mir diesen gedanklichen Ausrutscher), die Welt ist voller Barrieren und Schranken, Gesetze und Regeln. Nicht alle sind sinnvoll.

Gleich hinterm Zelt hinter dem Hochwasserdamm schießt der Jenbach vorbei. Ziemlich begradigtes Etwas. Als ich vorgestern Abend über den Radweg auf den Campingplatz zuradelte, empfand ich das Gewässer als natürliche Grenze. Musste erst Bach aufwärts radeln für einen knappen Kilometer, einen Steg überqueren und auf der anderen Seite, sinnigerweise heißt sie so, die Bachstraße zurück bis zur Rezeption des Campings.

Nun sitze ich hier im Schneidersitzbüro im Zelt. Kaffee vom Trangia. Seit zwei Tagen regnet es ununterbrochen. Solch eine Wettersituation habe ich glaube ich noch nie erlebt. Vielleicht während der fünf Monate um die Nordsee radelnd? In Nordengland und Schottland? Ich erinnere mich nicht. Die Erinnnerung schönt auch die Ereignisse.

Wer weiß, wie ich in zehn Jahren über diese Wettersituation, das gemeine Tief Axel, denken werde? Jo, da hab ich auf dem Campingplatz den Regen abgewartet und es mir gut gehen lassen im Zelt und im Aufenthaltsraum des Campingplatzes, der wie ein gemütlich eingerichteter Bunker wirkt, weil die Wände des Kellergeschosses aus unbehandeltem Beton sind und die Fenster wie Schlitze nach außen starren.

Gestern bin ich im strömenden Regen in die Stadt spaziert, um etwas zu tun. Denn nur im Zelt hocken oder im Bunker (hey, das passt auch zu Burroughs, die Sache mit dem Bunker, jeder große Schriftsteller sollte einen Bunker haben), also zu Fuß die knapp zwei Kilometer ins Ortszentrum entlang des Jenbachs.

Dort gibt es nicht viel. Rathaus, Einkaufzentrum, Café. Ein paar Erlebnispfade, die im Prospekt ‚Streifzüge durch Bad Feilnach‘ verzeichnet sind: Auf den Spuren von Jeni, der Wassernixe – für Kinder ab drei, Die Wasserdetektive sind unterwegs – für Kinder ab sechs, Auf Gottes Spuren, Wasserreich und Wasserarm – schon sehe ich mich als alten, graubärtigen Zausel wie ein Geist durchs Dorf irren im ewigen Regen, hängengeblieben, in seine Grenzen verwiesen, Dorfblogger for ever … halt halt halt.

Abends bereite ich mir im Aufenthaltsraum, indem es auch Kühlschrank und Herdplatten gibt ein köstliches Mal. Salat und Leberknödel. Leider vergessen, Pfeffersoße zu kaufen. Und Sauerkraut. Und Kartoffelbrei. Also Leberknödel pur bis zum Abwinken.

In der benachbarten Waschküche müht sich ein junges Paar, die Waschanleitung mit dem Google-Übersetzer zu übersetzen. Ich helfe ihnen, diese Sprachgrenze zu überwinden, übersetze ins Englische.

Die beiden kommen aus Israel, sind in Slowenien gestartet mit einem geliehenen Wohnmobil, über Österreich hierher und wollen weiter nach Köln und in die Niederlande mit einem finalen Abstecher nach Venedig, nachdem sie das Wohnmobil in Slowenien zurückgegeben haben.

In einem Europa mit Grenzen wäre das bestimmt eine Tortur, aus solch einem fremden Land kommend. Zig verschiedene Einreisebestimmungen.

Die beiden erzählen mir von Israel und ich könne doch mal rund um Isreal radeln. 36 Grad hätten sie da heuer. Sie wohnen in der Stadt Cäsaria, eine uralte Stadt, zudem eine der kriegsfernsten Städte Israels. Weder die Raketen aus Syrien, noch aus dem Gazastreifen reichen da hin, wenn ich es recht verstehe. Noch so eine Grenze. Grenzen allüberall. Die Grenze der tödlichen Gefahr.

Die beiden erzählen mir, dass sie es schwer haben, aus Israel in die Nachbarländer zu reisen. Ich als Europäer dürfe wohl einfach so die Grenzen überqueren, aber sie als Israelis können allenfalls nach Jordanien und auf den Sinai.

Wie widernatürlich doch das ist, was der Mensch Grenze nennt, wie willkürlich, kleingeistig, rückschrittlich und dem, was die Menschheit sein könnte, eine große, gute Weltgemeinschaft, zuwider laufend, denke ich auf dem Weg zum Zelt.

22 Uhr. Nachruhe. Grenze rein zeitlich. Über mir der nicht enden wollende Regen. Wenigstens der kennt keine Grenzen. Das Geprassel lullt mich in den Schlaf.

Was, wenn der Regen für immer anhält?

Tag 6 der 2. Etappe (Tag 14) im Rückblick | #UmsLand Bayern

Seit einiger Zeit kann man ja auf Twitter zusammenhängende Texte schreiben, kleine Zuckerstückchen, die miteinander zu einem Thread verbunden werden können. Was dabei herauskommt, wenn Irgendlink Zeit hat, um Threads zu schreiben? Schaut selbst:

Noch mal geschlafen bis halb neun. Dauerregen. Tag sechs der Radtour /Bayern wäre sowieso ein guter Ruhe- oder Schneidersitzbürotag.
Ein Thread.

Wobei ich Glück hab. Bin auf nem schönen und bezahlbaren Camping mit Aufenthaltsraum und Indoorbespaßung (Tischtennis, Kicker, Flipperautomat).

Es ist jedoch sehr anstrengend, gegen sich selbst Tischtennis zu spielen.

Der Regen prasselt seit gestern abend aufs Zeltdach. Alles noch dicht, zum Glück.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie ich /Bayern weiter gestalte: Jetzt weiterradeln, oder in eine regenfreie Gegend radeln. Man sagt, es regne zwischen Riviera und Prag überall.

Oder aufhören, im Zug sitzen, heim. Genug zu tun hätte ich daheim. Oder Regen aussitzen, was Tage dauern könnte.

Wie ich einmal rund um Bayern radelte, in Bad Feilnach hängen blieb und seither in einem unterirdischen Labor für Dauerregenforschung arbeite.

Erst einmal ein bisschen Büroarbeit. Bloggen usw.
In der Campingbücherei liegt ein Thriller ‚The Woman from Cabin 10‘. Für Bespaßung ist auch gesorgt.

Bad Feilnbach liegt übrigens zwischen Bad Aibling und Chiemsee, südwestlich von Rosenheim, also zwischen München und Salzburg.

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Blick ins Europennerzelt: Künster auf hellblauer Isomatte. Schlafsack im hinteren Teil des Zelts zusammengelegt. Lenkertasche mit Forumslader links, Lebensmittelsäcke rechts. Milchflasche, Bierflasche, Wasserflasche.
Ein Thread.

Vorm Zeltausgang jede Menge warme Klamotten zu einer Art Kopfkissen geknüllt. Prospekt ‚Bad Feilnbach‘ mit Wendelstein, zahmem und wildem Kaiser, Schlier- und Tegernsee.

Herz des Zeltensembles ein Trangia Spirituskocher, der auf kleiner Stufe für eine ‚Raumtemperatur‘ von über zwanzig Grad sorgt. Vorsicht ist geboten!

Der Autor dieses Threads hängt am Smartphone und tippt. Das Smartphone hängt an einem Akkupack. Regen aufs Zeltdach. Fahrrad draußen auf der Wiese. Vöglein zwitschern.

Die Rede ist von zwei Quadratmetern Campingzeltfläche. Es gibt auch einen schönen Aufenthaltsraum auf dem Camping Bad Feilnbach. Da wechsele ich später hin. Erst noch ein bisschen Regen auf mein Zeltdach lauschen.

Und ja: Heute ist mein Ruhetag /Bayern. Zumindest was das Radeln betrifft.

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Den Forumslader möchte ich auch zeigen. Ich nenne ihn Quasimodo. Ein Freund lötete ihn für mich. Als er fertig war, sagte er, dass es ein Abenteuer war, nach 15 Jahren mal wieder was zu löten. Und die Anleitung habe er kaum gebraucht.

Kabelgewirre mit viel Klebeband und offen sichtbaren elektronischen Bauteilen und grünen Akkus.Kabelgewirre mit viel Klebeband und offen sichtbaren elektronischen Bauteilen und grünen Akkus.

Wir sind noch immer befreundet. Ich habe ein großes Herz. Irgendwie passt diese Höllenmaschine von Forumslader auch zu mir. Ob man damit in ein Flugzeug gelassen würde, ist jedoch unklar.

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Später am Nachmittag bekomme ich dieses Kaffee-und-Tortenbild in die Homebase geschickt. Ha! Da lässt es sich einer aber gut gehen. Recht hat er.

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Wenig überraschend übernachtet Irgendlink nach diesem Ruhetag erneut auf dem Campingplatz in Bad Feilnbach.

Möge es morgen wieder besseres Wetter sein und Irgendlink frisch gestärkt weiterradeln können.

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks sechstem, respektive vierzehntem Reisetag:

Blick Richtung Osten. Seit Tag fünf 23 Uhr regnet es ununterbrochen einen mal mehr mal weniger intensiven Intervallregen.

Die Baustelle steht heute still. Die Leiter wirkt wie der Zugang zu einem avantgardistischen Swimmingpool mit Worker-Atmosphäre.

Auch an den heimischen Künstlershop muss gedacht werden. Wenn man dieses Bild einer Baugrubenstützvorrichtung mit den Apps Decim8, TinyPlanet und Diptic mehrfach loopt, erhält man einen faszinierenden Stern als Motiv für die 365-Daily-Serie.

Der Park ‚Auf Gottes Spuren‘ im ‚Jenbach-Paradies‘ geleitet einen vom Campingplatz ins Ortszentrum Bad Feilnbachs.

Das Ortszentrum Bad Feilnbachs besteht vor allem aus Rathaus und Kaufmannsladen. Der ‚Prechtl‘ hat alles was das Herz begehrt. Ausgehungert, vom Dauerregen zermürbt, wandele ich durch die fein erleuchteten Regale, trostkaufend. Prechtl braut offenbar auch eigenes Bier. Unterm Fiepen der Scannerkassen und dem Rascheln von zu bepackenden Einkaufstüten schreibe ich diese Zeilen im angegliederten Café.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia

Ein Nachdenken so lang und holprig wie das Geschirrspülrumpeln einer Campinggästin in der Campingplatz-Spülküche – #UmsLand Bayern

Oft sind es ja die stillen Menschen, die wahre Perlen sind. Die man leicht übersieht, die im Streugetöse der lauten untergehen. Zack, ist man an ihnen vorbei gerauscht, ohne ihre Geschichte zu erfahren. Nicht so Jeremy, der in einem winzigen Einmannzelt auch auf der Zeltwiese des Walchensee-Campings übernachtet hatte. Zunächst hatte man geglaubt, das Zelt sei verwaist, die Person, die es aufgebaut hatte, ist in den Bergen unterwegs, übernachtet womöglich in einer Hütte. Aber nein, morgens steht Jeremy plötzlich neben mir. Wir kommen ins Gespräch. Übers Radfahren, das Unterwegssein. Er kommt aus Hamburg und ist für ein Familienfest in der Gegend. Als frisch gebackener Segelmacher präsentiert er mir sein Gesellenstück auf dem Handy: Ein Fahrradzelt, das das Fahrrad als festen Bestandteil der Zeltkonstruktion einbaut. Klasse Idee. Insbesondere Menschen, die mit teuren Fahrrädern unterwegs sind könnten daran Gefallen haben. Nie mehr Angst, dass jemand beim Nachtlager das Radel einfach mitnimmt, denn man müsste dann das gesamte Zeltlager inklusiv seines Besitzers klauen.

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Die Schranke öffnet sich nur, wenn die Nummer erkannt wird. Aber sie haben ja kein Autokennzeichen am Fahrrad, sie müssten das Radel an der Schranke vorbei schieben. Ohne unser Nummernerkennungssystem geht die Schranke nicht auf.

In der Tat befinden sich diesseits und jenseits der beiden Ein- und Ausfahrten des Campingplatzes Kaiser in Bad Feilnbach zwei Überwachungskameras als optisches Frontend eines Überwachungssystems, das die Guten von den Bösen unterscheidet.

Mir kommt jener schwedische Campingplatz in den Sinn, dessen Ausfahrtsschranke sich nur hob, wenn man per Hauch einen Alkoholtest absolviert hatte und keinerlei Alkohol festgestellt wurde. Faszinierend, was sich Menschen alles ausdenken, um Grenzen und Barrieren zu errichten. Erstaunlich, welche Mechanismen es alles gibt, um vollautomatisch zu entscheiden, du da, du bist legal und du da, du kommst hier nicht rein. Oder raus.

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Das Campingplatztrauma vom Walchensee sitzt noch in den Knochen, so dass ich gestern argwöhnisch den Campingplatz in Bad Feilnbach umrunde, um erst einmal ein Gefühl zu kriegen, ob er eher zur Kategorie ’unzeltbar, für Wohnmobile gestrickt’ gehört, oder ob man ein kleines, taugliches Reservat eingerichtet hat, in dem die – man verzeihe den Vergleich – ’Indigenen’ unter den Campern, die Urcamper, die noch mit Zelt unterwegs sind, auch einen Frieden finden.

Sprich, ausreichend große Zeltwiese, möglichst unparzelliert, nicht umringt von Wagenburgen wie etwa das winzige Areal am Heiterwangersee.

Andererseits habe ich keine rechte Wahl. Über den Bergen hängen mächtige Gewitterwolken. Irgendwo rumpelt es schon. Es geht gegen Spätnachmittag. Gerade habe ich die extremere Gegend der Berge um Tegernsee, Schliersee, Bayrisch Zell verlassen und befinde mich auf einer herrlichen ’Rutsche’ abwärts mit weitem Blick ins Voralpenland. Auch aus dem Flachland nähern sich fette Wolken. Das ist typisch bayerisch, dieses Phänomen, sich in einer Blase warmen Gutwetters zu wähnen und gleichzeitig sind die Unwetter nur ein Haarbreit entfernt, denke ich. Kindheitserinnerungen werden wach. Wie plötzlich das Wetter in der Voralpengegend umschlagen kann. Wie lange sich das Schlechtwetter festsetzen kann. Wochenlang. Erinnerungen an Ferienwohnungsferien, in denen man fast nie vor die Tür ging und in der Bude herumgammelte und Lustige Taschenbücher im Akkord las.

Manchmal, ja, manchmal möcht ich die Zeit dahin zurückdrehen.

Wie anders würde das Leben verlaufen? Ein winziger Impuls kann alles ändern. Winzige Impulse stellen immer die Weichen. Auch heute. Auch jetzt. Soll ich Camping, soll ich weiter bis zum Inn? Noch kurz vor der Rezeption sind beide Möglichkeiten gleich wahr. Bleibe ich eine oder zwei Nächte – jemand hatte unterwegs wetterprognostiziert, dienstags sei der regnerischere Tag und man rechne mit 30 Litern Regen … erst einmal abwarten. Zack, Impuls, weiter zum Inn gecancelt. Die Vernunft siegt manchmal über den dreisten Hasardeur in mir, der zu viel riskiert. Bei Dauerregen ist es trotz bester Regenkleidung einfach besser, irgendwo untergebracht zu sein, wo es eine Infrastruktur gibt. Der Camping hat wirklich alles, was man als radelnder Camper braucht. Sogar einen Aufenthaltsraum. Küche. Spielhölle. Schwimmbad.

An meinem Holzplatz, am Waldrand unterhalb von Marienstein, wo ich gestern gezeltet hatte, hätte ich nur das Zelt. Schlammschlacht. Vielleicht ein Lagerfeuer, kein anderweitiges Dach überm Kopf. Vermutlich würde man dort ruckzuck einen Zeltkoller kriegen, aufbrechen in die Nässe und dann am Abend ein klatschnasses Zelt wieder aufbauen, sich warmbibbern.

Nicht dass ich das nicht auch schon erlebt hätte. In England und Schottland etwa und auch in Lappland.

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Nun ist die Entscheidung für den Ruhetag gefallen. Es hat tatsächlich heute noch nicht nicht geregnet. Der Rezeptionist sagte, gegen sechs Uhr habe es beinahe danach ausgesehen, als risse der Himmel auf, aber eben auch nur beinahe. Nun hat es sich endgültig eingeregnet. Ich lümmelte lange im Zelt, erledigte ein paar technische Probleme mit dem Mobilfunkanbieter, checkte Mails, beantwortete Kommentare, twitterte ein bisschen. Wie der Regen, so plätscherte auch die Zeit und schon war Nachmittag. Nun habe ich mich im Aufenthaltsraum des Campings zum Schreiben niedergelassen. Unbeheiztes Ding. Vierzehn Grad vielleicht. Die Rezeption gab zu verstehen, dass der Raum nicht geheizt wird, weil die Gäste oft Tür und Fenster offen ließen und es sei ja Mai. Punktabzug.

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Die Etappe Marienstein via Tegernsee und Schliersee hat es übrigens in sich. Bisher die anstrengendste Tour. Morgens mäandrierte ich die steile Straße zum Golfplatz Margarethenhof hinauf, kaum schneller als eine ältere Frau, die sich auf ihre Wanderstöcke stützte. Hinab zum Tegernsee und ab dort kam es richtig hart auf dem Radweg Tegernsee-Schliersee durch den Wald. Etwa ab der Rodelbahn Oedberg führt das Radwegidyll happig über schmale Pfade und Waldwege, manchmal so steil, dass man nicht fahren kann.

Das Stück entlang des Schliersees war sonntagsbedingt auch eine Herausforderung. Bei noch bestem Sonnenschein waren hunderte Radler, Spaziergänger, Hundegassies unterwegs und ich musste regelrecht Slalom fahren.

Spießrutenlauf unterm Wendelstein. Das ist DER Berg der Gegend. Ein gut 1800 Meter hoher Koloss als Vorhut fürs Hochgebirge.

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Entscheidungen. Nicht leicht, aber immerhin alles ist möglich. Es sieht nicht nach Wetterbesserung aus und ich bin ziemlich nahe an Daheim. Was ich sagen will: Wenn ich irgendwo in Lappland wäre oder in Schottland oder sonstwo nicht gerade einen Hüpfer vom heimischen Sofa entfernt, könnte das Wetter so lange schlecht sein wie es will. Ich würde garantiert nicht abbrechen. Aber hier und jetzt ist die Versuchung doch groß. In Bad Aibling ist der nächste Bahnhof. Halbe Stunde entfernt und mit drei- bis fünfmal Umsteigen wäre ich daheim in der Pfalz.

Ich muss nachdenken. Ein langes, langsames Nachdenken. Ein Nachdenken so lang und holprig wie das Geschirrspülrumpeln einer Campinggästin in der Campingplatz-Spülküche. Und vielleicht noch länger nachdenken, ein paar Kilometer zu Fuß durch den Regen bis ins Dorf, wo ich ein Stück Käse kaufen werde, eine Semmel und noch ein paar Köstlichkeiten, vielleicht.

Das Titelbild zeigt einen Blick auf die spiegelnde Oberfläche des Walchensees vorgestern. Ich wollte Euch das surreale, grünliche Wolkenidyll am grauen Ufer schon lange gezeigt haben.

Tag 5 der 2. Etappe (Tag 13) im Rückblick | #UmsLand Bayern

Ein Tag im Leben des Bayern-Umradlers Irgendlink. Aber auf Twitter:

»Auf gehts nach Gmund am Tegernsee. Offene Bäckerei finden. Blogartikel ist auch in der Mache. Erst einmal das mechanische Hirn warmkurbeln.«

»Der Abstand zum Mittelpunkt Bayerns nahe Kipfenberg bei Ingolstadt beträgt 134,4 km. Ich radele dann mal weiter auf der über 2000 km langen Tour.«

»Einfach schiebenswürdig, die Straße von Marienstein aufwärts zum Lanserhof und Golfarreal Margarethenhof.«

»Das Surren der Ebikemotoren, das knacken unter Last geschalteter Ketten. Ebikeneid.«

»Sanfte SUVs surren sonoren Motors – ach und jetzt ruinierste den Stabreim. Des einen SUV-Neid, des anderen SUV-Scham.«

»Der Atem, aufwärtskurbelnd reicht immer nur für ein Ser zu Entgegenkommenden. Der nächste kriegt dann das Vus ab.«

»Eine Laus im Knäuel aus Grüß Gott, Servus, Wiederschaun, Tschüss und Hallo.«

»Dimanche est un autre. (Rimbaud, nachdem er als Wochentag dissoziierte.)«

»Kommentiertes Schlafen. Auf einer Parkbank am Radweg: Der macht Siesta. Und kurze Zeit spàter: Der is scho weit gereist. Der is müad.«

»Die heutige Etappe #UmsLand/Bayern fühlt sich so an, als würde ich permanent den Nordkaptunnel hoch und runter radeln.«

»Oder um einen Saarlandvergleich zu bemühen: Das Höhenprofil des großen Saarlandrundwegs habe ich auf den knapp 250 Kilometern seit Gestratz sicher schon mehrfach absolviert #UmsLand/Bayern vs. #UmsLand/Saar.«

»Ein Zuckerbrot- und Peitschen-Radweg ist das, dieser Bodensee-Königssee-Radweg.«

»Es ist das der heftigste Fernradweg, den ich bisher erlebt habe. Alpen eben.«

Heute übernachtet Irgendlink auf dem Campingplatz in Bad Feilnbach. »Scheint schön ruhig. Hoffentlich.« Da drück ich doch gleich mal die Daumen, damit es so bleibt!

Das heutige Wegstück (Track) könnt ihr hier → gucken.

Oder hier (ungefähr):

Direkter Link zur Karte

[Zum Tourplan geht es hier lang.]

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Hier nun ein paar Bilder von Irgendlinks fünftem, respektive dreizehntem Reisetag:

Motiv auf einem Brauereilaster für eine Tegernseer Brauerei. Es erinnert ein bisschen an den ‚Dicken Mann‘ (Tuborg-Werbung, glaube ich).

Ausflugsschiff auf dem Schliersee. Halb München sei sonntags hier, erzählt mir ein radelndes Paar aus Hausham. In der Tat ist es ein kleiner Spießrutenlauf, die zwei Kilometer Radweg entlang der Bahnlinie südlich des Schliersees zu bewältigen.

Ein Radel als Deko vor einer Gaststätte nahe Fischhausen.

Ein äußerst seltsames Gerät steht bei einem Weiler am Radweg. Ist es ein selbst gebasteltes Luftkissenfahrzeug, dem die Staudruckschürze fehlt, oder eher ein Betonverdichter, mit dem man frisch gegossene Betonwege einebnet. Niemand in der Nähe, den man hätte fragen können.

Schon etwa hundert Orte und viele kleine Weiler liegen hinter mir. Nach Möglichkeit habe ich die Ortsschilder fotografiert. Hier eine Auswahl. Die weißen Schilder sind aus Österreich.

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Herzlich aus der Homebase
Eure Sofasophia