Von Wissen nach Ahrweiler – #UmsLand Tag 8

The Great Wiwi-Massacre. Schauen Sie meinen Splatterfilm, in dem es um einen Radler geht, der auf und ab und auf und ab radelt, Stund um Stund schwitzend und Kettensägen und viele abgestorbene Fichten und Wald und Weite kommen auch darin vor. Die gestrige Etappe auf der Rheinland-Pfalz-Radroute war die schwerste. Knapp sechzig Kilometer von Wissen bis nach Windshagen und weiter nach Linz am Rhein ging es in einem nicht enden wollenden Auf und Ab durch eher mäßig interessante Landschaft und Dörfer.

Höhepunkt und definitiv sehenswert war der Holzturm auf dem Beuler Berg, von dem man eine prima Aussicht in alle Himmelrichtungen hat. Auf dem Turmgeländer sind Panoramazeiger angebracht zu fernen und näheren Zielen. Viel Weite herrscht da oben.

Radlerisch war der Tag super anstrengend. Hier mal ein Kilometer abwärts, dort mal ein zwei Kilometer aufwärts. Eine Hürde nach der anderen, wobei es stets im ersten Gang oder gar schiebend voran ging. Nachmittags nervten zudem zwei Polizeihubschrauber, die die Gegend weitläufig lärmverschmutzten. Der Kilometer-pro-Stunde-Durchschnitt auf den ersten fünfzig-sechzig Kilometern lag kaum über zehn.

Zudem die zehn Kilometer mehr, die der Umleitung um die Nisterbrückenbaustelle geschuldet waren. Auf der Umleitungsstrecke erwartete mich das steilste Stück Radweg, das ich je erlebt hatte. Zum Glück abwärts. So steil, dass ich Angst hatte, die Bremskraft reicht nicht aus. Selbst die alte norwegische Postroute, auf der ich 2012 unterwegs war, hatte keine solche Steigung zu bieten. Im Dörfchen Helmeroth erzählte mir eine Frau, dass manche Menschen die Strecke, die vom Dorfteil Eng ins Nistertal führt nicht einmal mit dem Auto fahren. Aus Höhenangst.

Die Etappe Wissen bis Windshagen, also der harte Kern meines WiWi-Massaker-Films, ist eine prima Nachdenketappe für mich als Künstler. Jahrzehntelang halte ich mich treu an meine Vorhaben, folge den Konzepten, egal, ob sie ansehnlich, verkaufbar oder gar schön sind, ich mache stur das, was mein grober Umriss in meiner Künstlergedankenwelt vorgibt (ich spiele auf die Zehn-Kilometer-Fotografie an, also alle zehn Kilometer ein Foto der bereisten Strecke zu machen; das mache ich auf dieser Reise erstmals nicht, weil ich es ja schon beim Hinweg, auf der Route Ums Land im Jahr 2017, gemacht habe). Nun, wie auch immer, warum also folge ich stur der Grenzlandlinie auf der RLP-Radroute, warum weiche ich nicht in Täler aus, steige in den Zug, gönne mir Erholung?

Warum fotografiere ich Motive, die kaum einen Menschen interessieren, die sich niemand übers Sofa hängen würde, die unbequem sind, vielleicht gar rücksichtslos gegenüber den Betrachtenden (in Ausstellungen).

Im langen Nachdenken bergauf bergab und im hin-und-wiederen Fluchen komme ich zu dem Schluss, dieses Stück der Route könnte man getrost auslassen, aber am Ende meines Denkens habe ich dann doch Windshagen erreicht und schon bald geht es abwärts zum Rhein.

Noch einmal nach Nordrhein-Westfalen. In Bad Honnef sind die Radwegeschilder so miserabel und lieblos angebracht, uralt, kaum lesbar, dass ich umherirre, mehrfach das GPS-Gerät konsultiere, vor einer Kirche wegen Schauens nach Schildern beinahe mit einer Radlerin kollidiere, ging gerade nochmal gut, ihr Entschuldigung hinterherrufe, sie mir üble Worte nachzetert, dabei in den Gegenverkehr gerät und auch beinahe einen Unfall produziert. So stehe ich bedröppelt vor dem Schild, das nicht in diese noch in jene Richtung zeigen will und absolut unklar lässt, wohin denn der Radweg führt, da vollstreckt ein Taxifahrer, der das alles beobachtete, mit harscher Stimme den Rest der Hasstirade: Ich bin ja dafür, dass auch Radler den Führerschein machen müssen, kommentiert er herrisch die Szene. Nicht etwa mich direkt ansprechend, sondern eine junge Frau, und er zetert weiter von dem Buben, der ihm vors Auto geradelt ist mit solch großen Kopfhörern und Gettoblastertornister auf dem Rücken und was weiß ich noch alles.

Auf solch arrogant autoritäre verbale Attacken reagiere ich leider erst einmal mit einer Art Schockstarre und sage gar nichts, radele weiter und erst hinterher fallen mir die guten Konter ein: dass das mit dem Führerschein ausgerechnet ein Mensch sagt, der sein Taxi mitten auf dem Gehweg geparkt hat.

In Linz, zehn Kilometer rheinabwärts, ist die Sache vergessen.

Zurück über den Rhein ins linksrheinische Rheinland-Pfalz per Fähre. Feierabendhektik. Und schließlich auf dem Ahrtalradweg ausrollen.

In Bad Neuenahr-Ahrweiler kann ich auch endlich das Schlingern des Hinterrads diagnostizieren. Der Reifen hat seitlich einen Riss und beult sich schon ein wenig aus. Das hält nicht mehr lange. Zum Glück kann ich in einem bis 21 Uhr offenen Edeka noch einen Ersatzreifen kaufen. Schwer zu sagen, ob ich nicht irgendwann mit geplatztem Reifen liegen bleibe und kilometerweit schieben muss.

Zurück zum Thema auf Biegen und Brechen an etwas festzuhalten (seis die beschilderte Radroute kleinfein nachzuradeln, sei es sein selbst erdachtes Konzept durchzuhalten). Ja und nein, wir mir klar. Es kann nicht immer bequem zugehen im Leben und das große, runde Ding, an dem wir alle, jede:r für sich, herumleben und darauf hinarbeiten, egal was es für wen auch ist, wird immer erst sichtbar, wenn man es zu Ende gebracht hat.

Zurückblickend ist irgendwann wohl ein neutraler Blick in die Zukunft möglich. So geht es mir jedenfalls auf dieser Reise im Rückblick auf die Zehn-Kilometer-Fotografie.

Neu aussehender, schwarzgeteerter Radweg, der mittig von vorne nach hinten durch einen Nadelbaumwald führt.
Waldradweg oder Radwaldweg?
Weißes Rad auf Steinsockel auf Wiese, mit wuchernden Topfpflanzen dekoriert. Im Hintergrund links ein weißes Wohnhaus mit dunkelbraunem Fachwerk, rechts im Bild ein weißes Auto. Darüber trüb-blasser Blauhimmel.
Das wuchernde Rad
In der Bildmitte ein unbelaubter karger Baum. Untere Bildhälfte Wiese, obere Bildhälfte wolkiger Blauhimmel, am Horizont Bäume als Silhouetten.
Baum auf Wiese
Filigraner, hölzerner Aussichtsturm mit Wendeltreppe unter wolkigem Blauhimmel, umgeben von Wald. Im Vordergrund das Reiserad.
Turm auf dem Beuler Berg
Aussicht vom Turm aus in das Wildenburgische Land, das laut der Anzeige auf dem Panoramazeiger im Vordergrund 35km entfernt ist. Der metallene Panoramazeiger ist im Vordergrund scharf gestellt, der Hintergrund, bestehend aus Wiesen, Streuobstbäume, eine Siedlung und im Hintergrund Wald, ist unscharf.
Auf dem Turm
Eine Art Bagger in rot, der zwei Arme hat, allerdings ohne Schaufeln, dafür mit Kabinen. Im Vordergrund ein Stapel Backsteine, im Hintergrund ein flaches Betongebäude, vermutlich ein Parkhaus im Bau. Darüber wolkiger Blauhimmel.
Zweiarmiger Bandit
Kantiger Felsbrocken am Wegrand auf Waldboden, im Hintergrund Wald. Auf zwei Seiten des Steins zeigen Wegweiserschilder die Richtung an.
Wegweisender Felsbrocken
Gerodetes Waldstück, einzelne Bäume am Rand und vorne, im Hintergrund mittig ein Hügel, davor die Silhouette eines einzelnen Nadelbaumes. Rechts ein Stück Wald, darüber wolkenvergangener Blauhimmel.
Dystopia
Kubisches graues Gebäude mit Graffiti, die das Porträt eines älteren Anzugsträgers zeigen, darum herum blaue Glühbirnen und eine Kabel mit orangem Steckteil. Links ein großes graues Gebäude, im Hintergrund graue Gebäude. Im Vordergrund quer ein Stück Straße.
Graffiti
Der Tunneleingang zum Theater im Tunnel unter der Erpeler Ley ist ein hoher, aus dunklem Stein gebauter, symetrischer Bau. Beidseitig turmähnlich, in der Mitte ein Bogen, der Eingang selbst zugemauert, doch in der Mitte des Rundbogen ist eine graue Türöffnung zu sehen. in der Bildmitte, vor der grauen Tür das Reiserad. Rechts eine Europafahne auf Fahnenstange, links die Deutschlandfahne. Alles umgeben von Bäumen, im Vordergrund der Radweg.
’Theater im Tunnel’ in Remagen
Fährschiff, mit Autos beladen, beim Anlegen. Die Schranke öffnet sich, die ersten Autos haben bereits das Licht angemcht. Vorne ein Landeplatz aus großen Betonlplatten. Rechts im Bild zwei Menschen von hinten. Über der Szene gewittrige Wolken.
Die Rheinfähre bei Linz
Im Mittelpunkt des Bildes ein großes, schlossartiges Gebäude mit Türmchen, das Gymnasium Calvarienberg. Sihouettenhaft, da im Gegenlicht fotografiert. Links ins Bild ragendes Bäume, von vorn nach hinten die Straße mit wenigen Menschen. Der Himmel ist düster und wolkenvergangen.
In Bad Neuenahr-Ahrweiler, Blick aufs Gymnasium Calvarienberg

Eifelsucht – von Heulöchern, Flutkatastrophen und ewigen Fettflecken – #UmsLand Tag 9

Wenn du wüsstest, woher die Straße kommt, wohin sie geht, neben der du dein Zelt aufgebaut hast, würdest du vielleicht gar nicht hier übernachten. Vielleicht ist es eine stark frequentierte Pendlerstrecke und ab fünf Uhr morgens herrscht reger Verkehr, aber die Straße erweckte abends jenseits der Hauptstoßzeiten nur den Anschein, eine verlassene alte Straße zu sein?

Wenn du die Wetterapp einschaltest und dir den stündlichen Wetterbericht anschaust, wärst du vielleicht geneigt, um halb sechs morgens das Zelt abzubauen, weil für sechs Uhr eine 70 prozentige Regenwahrscheinlichkeit vorausgesagt ist. Es gibt nichts Besseres, als ein trocken verstautes Zelt.

Wenn du wüsstest, ob es den Eifel-Zoo, auf dessen Parkplatz dein Zelt steht, noch gibt, und am nächsten Morgen massenhaft Gäste hier parken …

… der Parkplatz sieht verwaist aus, wie lange nicht genutzt. Ein ehemaliges Bahngelände, durchweg geschottert, überwachsen von Gras und Moos, aber die wenigen Heringe, die nötig waren, um das Zelt aufzurichten, ließen sich mit einiger Mühe in den Boden rammen. Bloß kein Sturm nachts. Wenn man bloß eine Prognose hätte …

Am Morgen schalte ich die Wetterapp ein, erstmals seit Tagen. Das Frösteln im Schlafsack ist doch nicht normal und ich will wissen, wieviele Grad die Wetterstation Pronsfeld meldet. 5:42 früh. Keine Spur von Dämmerung. Neun Grad. Die App sagt nicht nur die Temperatur, sondern auch, dass es von sechs bis acht Uhr regnen könnte. Ich bin versucht, in Hektik zu verfallen, das Nachtlager, hoffentlich noch vor Regenbeginn, in die Packtaschen zu verstauen, weiterzuradeln, einen trockenen Platz, eine Hütte, ein frühmorgens offenes Café zu finden.

Zu viel Wissen oder auch nur Ahnung oder Dünkel oder Vermutung schadet der Gestaltung von Gegenwart. Bzw., schaden ist zu negativ, sagen wir besser, es hat Einfluss auf die Gestaltung des Moments.

6:23 Uhr. Der mutmaßliche Regen ist bisher ausgeblieben. Auf der fernen Landstraße saust der Pendlerverkehr. Die kleine Straße beim Eifel-Zoo ist noch relativ ruhig. Ein frühes Mofa oder Moped knattert auf dem Radweg. Der Parkplatz liegt still. Das Zelt steht noch. Halb kniend, halb hockend schreibe ich diese Zeilen mit mobiler Tastatur am Handy.

Der gestrige Tag? Ein glatter Durchmarsch! Wie ist die Eifel? Flach! Von Ahweiler dem Ahr-Radweg aufwärts folgend vorbei an Blankenheim bis Hillesheim, spürt man kaum, dass man hinauf klettert in ein Mittelgebirge. Zudem ein Idyll von Radweg fern der Straße, meist auf Bahntrassen, nur etwa vier Kilometer zwischen Schuld und Fuchshofen führen auf der Landstraße.

Auf Tafeln am Wegrand lernt man viel über die Gegend, die Dörfer, die Geschichte. Immer wieder präsent das Hochwasser von 1910, das sämtliche Brücken am Fluss zerstört hat, außer der Steinbrücke in Schuld Rech. Die wurde nämlich von einem Heiligen Soundso zu Nepomuk (Name muss ich später recherchieren*) beschützt. Tragischer traf das Hochwasser eine Bauarbeitersiedlung in Antweiler. Hundertvierzig hoffnungsvolle Menschen, die den Lebensunterhalt für ihre Familien auf der Bahnbaustelle der Linie nach Jünkerath bestritten, riss das Unwetter in den Tod. Ihnen verdanke ich den wunderbaren Radweg, Brücken und Tunnel!

Der Radweg führt vorbei an einer Stützmauer, in deren Alkoven sich eine beachtliche geologische Sammlung von Steinen aus der Eifel, Rheinland-Pfalz, Deutschland und der ganzen Welt befindet. Die Steine sind einbetoniert und schauen mit den Köpfen aus dem Fundament. Schilder geben Auskunft über Namen und Herkunft. Es gibt Sitzgelegenheiten. Hier könnte man sogar prima übernachten.

Eine Infotafel erzählt eine Begebenheit von 1945. Ein Versorgungszug der Wehrmacht war an dieser Stelle gestrandet, weil die Rückzügler die Eisenbahnbrücke in Fuchshofen gesprengt hatten. Ein regelrechter Zugstau von Jünkerath herab muss sich gebiltet haben. Die Menschen aus den umliegenden Orten plünderten den Zug, nachdem der bewachende Offizier beim Heranrücken der Amerikaner das Weite gesucht hatte. Butter, Mehl, Suppenwürfel, Köstlichkeiten wie zu Vorkriegszeiten und endlich konnte man wieder traditionell backen und hochwertige Leckereien herstellen, statt auf Behelfe und Improvisationen zurückzugreifen. Es wurde wohl auch viel gehaust, die Lebensmittel, die man nicht tragen konnte, herausgezerrt, zertrampelt und in die Ahr geworfen und der Fettfleck von tonnenweise Butter war angeblich noch fünf Jahre später zu sehen. Der Zeitzeugenbericht stammt von einem dreizehnjährigen Jungen. Vielleicht Josef Beuys?

Durch eine Bahnunterführung nahe Birgel, genannt das Heuloch, gelangt man auf eine Art Hochfläche. Wiesen, noch immer. Nach viel Gezeter, Rechtsstreit und Enteignungen, wurde an dieser Stelle ein kilometerlanger Eisenbahndamm, durch das flache Land gebaut, gut zehn, zwanzig Meter hoch und den Bauern zur Gnade wenigstens das Heuloch gegeben, damit sie nicht über die Bahntrasse fahren müssen.

Ab dem Heuloch führt der Radweg durchs Kylltal bis Stadtkyll und aufwärts bis fast nach Prüm doch noch über ein paar Aufs und Abs, die bei weitem nicht die Schrecken der Westerwald- Aufs und Abs erreichen.

Ab Prüm, das gespickt ist mit lebensgroßen Skulpturen von zum Beispiel Karl dem Großen und Pippin dem Jüngeren, führt wieder Bahntrassenradweg durch die weitläufigen Wiesen entlang der Prüm sanft abwärts, vermutlich bis über Arzfeld hinaus.

Gestern, gegen Dunkelheit, baute ich das Zelt auf dem Eifel-Zoo-Parkplatz auf, zu müde, um einen kleinen Anstieg zu überwinden und, nunja, der Platz schien ruhig und gut und leer und im nahen Fluss schöpfte ich Wasser und band den Duschsack an einen Baum, wusch mich, aß und schlief, als ob es kein Gestern und kein Morgen gäbe.

Es regnet nicht.

*EDIT: Johannes (von) Nepomuk oder Johannes von Pomu (Wiki-Artikel)
Über die verschonte Brücke kann man hier lesen: (wikipedia.org)

In der linken Bildhälfte die aus der Dämmerung eines Hügel hochragende Silhouette eines Strommasts, der genau einen Stromdraht quer durch die obere Bildhälfte führt. Unten im Schatten ein schräger Hügel quer durchs Bild, darüber Blauhimmel. Über dem Hügel Bodennebel.
Morgenstimmung
Das Reiserad steht mittig auf einem Radweg, der in der Bildmitte in einen gut beleuchteten Tunnel führt. Rechts und links und über dem Tunnel ist es grün: Wiese, Sträucher, Bäume, Efeu.
Tunneleinfahrt
Im Vordergrund ein weißes, altes Herrenrad, nach rechts zeigend, in dessen Gepäckträgerkorb rot und pink blühende Blumen wachsen. Das Rad steht zwischen zwei Straßen auf einem Kiesplatz. Im Hintergrund eine Erklärtafel mit vielen abgebildeten Vögel und noch weiter hinten ein einzelnes Haus, Wiesen und Wald.
Ein blühendes Rad mal wieder
Schwarzer Oldtimer auf kopfsteingepflastertem Dorfplatz. Rechts im Hintergrund die Stühle eines Straßencafés, links im Hintergrund ein Ladengeschäft mit davor stehenden Fahrrädern.
Oldtimer
Mann sitzt im Schneidersitz links neben seinem Reiserad auf der Straße. Von unten vorne aufgenommen, so dass vorne viel Straße zu sehen ist. Darüber blauer Himmel mit wenig Wolken. Links und rechts je ein Weidezaun und Wiesen.
Der Künstler, seine Straße, sein Himmel und sein Rad

Von Pronsfeld nach Oberzerf – #UmsLand Tag 10

Phantastische Kulisse. Schwarz wie ein Scherenschnitt beendet ein Streifen Nadelwald in der gestrigen Abenddämmerung den festen Teil des Planeten, steht gezackt vor verschiedenen gelblich grauen Tupfern aus Dunst und Schichtwolken. Ich selbst befinde mich als kleiner Fleck mit knallroter Packtasche inmitten eines welligen, gelblich beigen Hochlands. Der Abend saugt alle Farben auf und das Grün der Wiesen ist schon ergraut. Ich bin im Hochwald, wenn ich mich nicht irre, ich muss das noch recherchieren, auf jeden Fall aber kratze ich am südwestlichen Fuß des Hunsrücks. Konnte nicht widerstehen, ab dem Saartal bei Saarburg über das Dörfchen Irsch noch hier heraufzukurbeln, ähm, besser gesagt, die letzten zwei Kilometer schob ich, so steil stürzt sich die Rheinland-Pfalz-Radroute zwischen Oberzerf und Irsch hinunter ins Saartal.

Nun habe ich die Eifel doch tatsächlich in zweieinhalb Tagen durchradelt, ohne großes Leid und Muskelschmerz. Gedankt sei es der geschickten Führung der Radroute meist über Bahntrassen oder Flussradwege, etwa 250 Kilometer, von denen gefühlt mindestens 70% auf alten Bahntrassen verläuft.

Frühmorgens via Arzfeld und Neuerburg teils durch Tunnel, teils über Brücken bis ins Enztal. Dort ging es ein bisschen zur Sache und beim Wechsel ins Prümtal muss man sogar ein Stück Landstraße bewältigen. Ab dort quasi Durchmarsch bis zur Sauer, auf Bahntrassenweg bis nach Wasserbillig an der Mosel, Konz, Saar – et voilà.

Nach zehn Tagen auf der Rheinland-Pfalz-Radroute kann ich sagen, das Ding lässt sich mit ein wenig Aufmerksamkeit prima nur nach Radwegebeschilderung fahren. Nur selten sind die Schider an schlechten Positionen angebracht oder verdreht oder fehlen. Meist sind es Unaufmerksamkeit und Baustellen, die zu Verirrungen führen, manchmal verirrt man sich, weil ein LKW vor dem Schild steht. Etwa fünfzig Prozent der Menschen, die ich unterwegs traf, wissen, dass es die Rheinland-Pfalz-Radroute gibt und was sie ist und dass sie direkt vor ihrer Haustür vorbeiführt. Man sollte dieses Ding von Radweg groß bejubeln und lobpreisen, auf dass es im ganzen Land Bekanntheit erlangt (sagt einer, der sich heute den Hunsrück hinaufquälen muss :-))

Doch genug technisches Zeug. Die Reise geht für mich ziemlich tief. Rein gefühlsmäßig. Vor drei Jahren, als ich sie schon einmal in die andere Richtung machte, lag mein Vater im Sterben und ich erinnere mich noch genau, wie er mir kraftlos vor der Haustür zuwinkte und lächelte und ich mit dem Gedanken losfuhr, ob ich ihn lebend wiedersehen würde. Mein Gott, sind doch nur vierzehn Tage, ha, aber gegen Lebensende hat nunmal jeder Tag eine besondere Bedeutung. Mathematisch lässt sich das in einer queren, nicht wissenschaftlichen Formel sogar berechnen, indem man die Restlebenszeit als absolutes Maß setzt und sie durch die Anzahl der Tage teilt und diese wiederum ins Verhältnis setzt zu früheren Restlebenszeiten, die man einmal zu erwarten hatte. Es wird immer weniger, immer schneller, immer enger und irgendwann, zack.

Solche Gedanken, während man dahinfliegt auf drei Meter breitem Teer über Brücken durch Tunnel und durch Wälder, hier einem griesgrämigen Kerl entgegenlächelt und dieses Glück, ach, wenn sich plötzlich sein trüber, vielleicht von Sorgen umspülter Blick aufhellt und er zurücklächelt und blieben beiden stehen, würden sie vielleicht wie Irre in ein hysterisches, grundloses Gelächter ausbrechen. Das ist die Magie des Menschseins. Und der Hund des geläuterten Griesgrams wedelt freudig mit dem Schwanz. Alle sind glücklich und driften dahin auf ihren Lebenswegen.

Oder die morgenmüde, nicht sehr gut gelaunte Verkäuferin in einer Bäckerei, der man mit Kontra-Schlechte-Laune begegnen könnte und beider Tag würde langsam Richtung Hölle driften, oder aber man schlägt die andere Richtung ein, gutwortend lächelnd, milde und ein kleines Trinkgeld. Zack.

Funktioniert natürlich nicht immer, aber wer wäre ich, würde ich es nicht immer wieder versuchen und wer wären die anderen, würden sie es nicht auch manchmal bei mir versuchen und mich aus meiner warum auch immeren schlechten Laune herausholen.

Vorbei an Luxemburg. Immer wieder Grenzübergänge. Viele Autos mit Luxemburger Kennzeichen. Fremde Zunge allerorts. Die Pandemie kommt mir in den Sinn. Zehn Tage nichts mitgekriegt. Ist Luxemburg noch Risikogebiet? Welche Regeln gelten wo? Die Welt völlig uninformiert betrachtend rolle ich dahin und muss mich auf meine schlichten Beobachtungen am echten, pulsierenden Objekt verlassen: In den Läden ziehen die Menschen Mund-Nasenschutz an, draußen eher nicht. Die Grenzübergänge werden nicht überwacht. Alles in Ordnung? Fallzahlen? Oder was auch immer für Zahlen? Keine Ahnung.

Fast wie mit dem Wetter, über das ich im gestrigen Artikel schrieb: ohne Prognose und ohne Information ist trotzdem Wetter.

In Saarburg wirds schließlich hektisch. In der zwischen Felsen unter Burgen und Tunneln und Kirchen sich erstreckenden Altstadt auf der linken Seite der Saar stürzt sich ein Wasserfall über wilde Katarakte in die Tiefe. Zahlreiche Restaurants, Touristenmassen, alle Sprachen der Welt, hunderte Radlende, Fotoexzesse, so viel Trubel und Enge, dass manche und ich sogar auf der Straße den Mund-Nasen-Schutz tragen.

In Saarburg kaufe ich ein Brot und ein paar Lebensmittel, folge schließlich den Radroutenschildern …

Auf den Wiesen unterhalb des Dorfs Irsch hätte ich gerne gezeltet, weite Kurzgraswiesen, aber wegen Wassermangels musste ich zum Friedhof in Irsch, um die Trinkflaschen zu füllen. Und da in der Tour kein Zurück vorgesehen ist, schuftete ich mich auch noch die zwei Kilometer barbarische Steigung hinauf aufs Plateau bei Oberzerf.

Ha! Kein Zurück. Vorgesehen. In der Tour. Schreibt er. Nuja. aber möglich.

Nicht so im Lebensweg.

Bilder von Tag 10 #UmsLand

Bilder von gestern:

Fünf mit den Olympia-Farben bemalte Autoreifen frontal aufeinander gelegt, unten drei (schwarz, rot gelb), oben zwei (grün und blau). Im Hintergrund eine kleine Erklärtafel. Drumherum Gebüsch, Hecke, Bäume, hinten ein Haus und bleicher Himmel.
Fast olympiareife Reifen
Viereckiger Brunnen mit abgerundeten Ecken auf Kupfer mit Figuren. Im Hintergrund auf dem roten Kopfsteinpflasterplatz eine weitere Skultpur. Im Hintergrund die Fassaden von mehrstöckigen Stadthäusern in Hellblau und Rosa.
Brunnen in Neuerburg
Großes, abschüssiges Geröllfeld mit großen, kantigen Steinen. Am Horizont vereinzelte Bäumchen als feine Silhouetten. In regelmäßigem Abstand sind auf dem Geröllfeld quer zum Hang Gitter gelegt, vermutlich um das Abrutschen der Steine zu verhindern.
Geröllfeld
In der Bildmitte eine zubetonierte Türöffnung inmitten einer rosa gestrichenen Hausfassde. Auf dem rot gepflasteren Vorplatz stehen rechts und links der Tür total fünf verdorrte Kübelpflanzen. Am Hauseck hängt die Hausnummer 24.
Du kommst hier nicht rein!
Umgeben von Häusern rechts und links, steht ein aus grob behauenen Steinen gebauter Turm, der sehr alt aussieht. Im Hintergrund ein nach hinten oben strebender Abhang, darüber bleicher Himmel. Der Turm besteht aus drei von Absätzen unterbrochenen Ebenen, Fundament, Mittelstück und Dach, das nach oben hin in einer Spitze mündet.
Ein Turm, eine Säule, eine Gedenkstätte?
Blick auf die Mosel durch ein mit Vorhängeschlössern behangenes Geländergitter. Im Hintergrund eine Hügelkett, darüber trüber Himmel.
Für immer dein
Aussicht von einem Turm aus auf eine Altstadt, die durch einen Fluss geteilt wird. Im Hintergrund, am Horizont eine Hügelkette und darüber graublauer Himmel
Auch in Saarburg gibt es Für-immer-Dein-Schlösser
Ein klassischer Hochsitz, der wirklich sehr hoch ist und eine sehr steile Leiter hat. Umgeben von Bäumen.
Wieder einmal ein Hochsitz
Das Nachtlager auf einer frischgemähten Wiese. Im Hintergrund einzelne Streuobstbäume, im Hintergrund Weide- und Ackerland, am Horizont eine Hügelkette, darüber wolkiger Blauhimmel.
Das Nachtlager

Zur Erinnerung: Die Ums-Land II-Karte wird laufend aktualisiert. Hier gehts lang.