The Great Wiwi-Massacre. Schauen Sie meinen Splatterfilm, in dem es um einen Radler geht, der auf und ab und auf und ab radelt, Stund um Stund schwitzend und Kettensägen und viele abgestorbene Fichten und Wald und Weite kommen auch darin vor. Die gestrige Etappe auf der Rheinland-Pfalz-Radroute war die schwerste. Knapp sechzig Kilometer von Wissen bis nach Windshagen und weiter nach Linz am Rhein ging es in einem nicht enden wollenden Auf und Ab durch eher mäßig interessante Landschaft und Dörfer.
Höhepunkt und definitiv sehenswert war der Holzturm auf dem Beuler Berg, von dem man eine prima Aussicht in alle Himmelrichtungen hat. Auf dem Turmgeländer sind Panoramazeiger angebracht zu fernen und näheren Zielen. Viel Weite herrscht da oben.
Radlerisch war der Tag super anstrengend. Hier mal ein Kilometer abwärts, dort mal ein zwei Kilometer aufwärts. Eine Hürde nach der anderen, wobei es stets im ersten Gang oder gar schiebend voran ging. Nachmittags nervten zudem zwei Polizeihubschrauber, die die Gegend weitläufig lärmverschmutzten. Der Kilometer-pro-Stunde-Durchschnitt auf den ersten fünfzig-sechzig Kilometern lag kaum über zehn.
Zudem die zehn Kilometer mehr, die der Umleitung um die Nisterbrückenbaustelle geschuldet waren. Auf der Umleitungsstrecke erwartete mich das steilste Stück Radweg, das ich je erlebt hatte. Zum Glück abwärts. So steil, dass ich Angst hatte, die Bremskraft reicht nicht aus. Selbst die alte norwegische Postroute, auf der ich 2012 unterwegs war, hatte keine solche Steigung zu bieten. Im Dörfchen Helmeroth erzählte mir eine Frau, dass manche Menschen die Strecke, die vom Dorfteil Eng ins Nistertal führt nicht einmal mit dem Auto fahren. Aus Höhenangst.
Die Etappe Wissen bis Windshagen, also der harte Kern meines WiWi-Massaker-Films, ist eine prima Nachdenketappe für mich als Künstler. Jahrzehntelang halte ich mich treu an meine Vorhaben, folge den Konzepten, egal, ob sie ansehnlich, verkaufbar oder gar schön sind, ich mache stur das, was mein grober Umriss in meiner Künstlergedankenwelt vorgibt (ich spiele auf die Zehn-Kilometer-Fotografie an, also alle zehn Kilometer ein Foto der bereisten Strecke zu machen; das mache ich auf dieser Reise erstmals nicht, weil ich es ja schon beim Hinweg, auf der Route Ums Land im Jahr 2017, gemacht habe). Nun, wie auch immer, warum also folge ich stur der Grenzlandlinie auf der RLP-Radroute, warum weiche ich nicht in Täler aus, steige in den Zug, gönne mir Erholung?
Warum fotografiere ich Motive, die kaum einen Menschen interessieren, die sich niemand übers Sofa hängen würde, die unbequem sind, vielleicht gar rücksichtslos gegenüber den Betrachtenden (in Ausstellungen).
Im langen Nachdenken bergauf bergab und im hin-und-wiederen Fluchen komme ich zu dem Schluss, dieses Stück der Route könnte man getrost auslassen, aber am Ende meines Denkens habe ich dann doch Windshagen erreicht und schon bald geht es abwärts zum Rhein.
Noch einmal nach Nordrhein-Westfalen. In Bad Honnef sind die Radwegeschilder so miserabel und lieblos angebracht, uralt, kaum lesbar, dass ich umherirre, mehrfach das GPS-Gerät konsultiere, vor einer Kirche wegen Schauens nach Schildern beinahe mit einer Radlerin kollidiere, ging gerade nochmal gut, ihr Entschuldigung hinterherrufe, sie mir üble Worte nachzetert, dabei in den Gegenverkehr gerät und auch beinahe einen Unfall produziert. So stehe ich bedröppelt vor dem Schild, das nicht in diese noch in jene Richtung zeigen will und absolut unklar lässt, wohin denn der Radweg führt, da vollstreckt ein Taxifahrer, der das alles beobachtete, mit harscher Stimme den Rest der Hasstirade: Ich bin ja dafür, dass auch Radler den Führerschein machen müssen, kommentiert er herrisch die Szene. Nicht etwa mich direkt ansprechend, sondern eine junge Frau, und er zetert weiter von dem Buben, der ihm vors Auto geradelt ist mit solch großen Kopfhörern und Gettoblastertornister auf dem Rücken und was weiß ich noch alles.
Auf solch arrogant autoritäre verbale Attacken reagiere ich leider erst einmal mit einer Art Schockstarre und sage gar nichts, radele weiter und erst hinterher fallen mir die guten Konter ein: dass das mit dem Führerschein ausgerechnet ein Mensch sagt, der sein Taxi mitten auf dem Gehweg geparkt hat.
In Linz, zehn Kilometer rheinabwärts, ist die Sache vergessen.
Zurück über den Rhein ins linksrheinische Rheinland-Pfalz per Fähre. Feierabendhektik. Und schließlich auf dem Ahrtalradweg ausrollen.
In Bad Neuenahr-Ahrweiler kann ich auch endlich das Schlingern des Hinterrads diagnostizieren. Der Reifen hat seitlich einen Riss und beult sich schon ein wenig aus. Das hält nicht mehr lange. Zum Glück kann ich in einem bis 21 Uhr offenen Edeka noch einen Ersatzreifen kaufen. Schwer zu sagen, ob ich nicht irgendwann mit geplatztem Reifen liegen bleibe und kilometerweit schieben muss.
Zurück zum Thema auf Biegen und Brechen an etwas festzuhalten (seis die beschilderte Radroute kleinfein nachzuradeln, sei es sein selbst erdachtes Konzept durchzuhalten). Ja und nein, wir mir klar. Es kann nicht immer bequem zugehen im Leben und das große, runde Ding, an dem wir alle, jede:r für sich, herumleben und darauf hinarbeiten, egal was es für wen auch ist, wird immer erst sichtbar, wenn man es zu Ende gebracht hat.
Zurückblickend ist irgendwann wohl ein neutraler Blick in die Zukunft möglich. So geht es mir jedenfalls auf dieser Reise im Rückblick auf die Zehn-Kilometer-Fotografie.