Merkwürdige Dinge tragen sich zu. Ich bin Bauarbeiter, mitte fünfzig und habe mit meiner Kreditkarte irgendwo an der Mosel so dumm rumgeschusselt, dass der Schnapsverkäufer, dem ich vor Kurzem für über 200 Euro Schnaps abgekauft habe, keine Buchung erhält. Aber zum Glück hat der Schnapshändler ja meinen Namen, sagt der Kundenberater von der Raiffeisenbank irgendwo an der Mosel. Der Schnapsverkäufer und ich hätten uns angeregt über meine Heimatstadt unterhalten, weshalb er, der Raiffeisenbanker kurzerhand zum Telefonbuch gegriffen habe, um alle Männer meines Namens in der Stadt anzurufen, damit man das Zahlungsproblem anderweitig lösen könne.
Ich arbeite aber nicht auf dem Bau. Ich habe gar keine Kreditkarte. Ich bin auch nicht mitte fünfzig. Ich hasse Schnaps. Wenn dies ein Hitchcock-Film wäre, könnte ich mit einer gruseligen Verschwörung rechnen, mit Gedächtnisverlust und damit, dass fortan sehr viele merkwürdige Dinge in meinem Leben passieren.
Ich lege die Sache zu den Akten. Alle Verwandten meines Namens in der Stadt haben den selben Anruf erhalten. Und der Raiffeisenbanker, der uns angerufen hat, existiert tatsächlich (was nicht zwangsläufig bedeutet, dass er es war, der uns angerufen hat).
Seit Tagen liegt oberhalb des einsamen Gehöfts auf dem Acker ein Plastikkorb. Und ein Karton steht unweit davon. Als bekennende Krimifans scherzten SoSo und ich, in dem Karton ist bestimmt ein Kopf. Ein schöner Leichenfundort wäre das, wenn man mal einen Krimi schreiben wollte. Mit dem Plastikkorb hat es tatsächlich etwas Gruseliges auf sich. Ein paar Meter daneben liegt ein totes Tier. Man erkennt nur noch das Fell. Vielleicht ein Kaninchen, vom Regen zersetzt. Das Molekül Sherlock Holmes in mir kombiniert messerscharf: Transportkorb, Karnickel -> totes oder im Sterben liegendes Tier wurde entsorgt. Nun traut man sich gar nicht mehr, in den Karton zu gucken. Aber wie es die Witterung will, das Ding zerfällt und zum Vorschein kommt ein Kaffee-Service.
Ich bin im Film! Ich weiß es nur noch nicht.
Heute die nächste hitchcockeske Begebenheit. In der Garage liegt ein Paket, das ich nicht bestellt habe. Vielleicht ist Anthrax drin oder ein Finger? Vorsicht Glas steht drauf. Habe ich eine Kunstwerk-Bestellung vergessen? Mit einem mulmigen Gefühl öffne ich das Päckchen und stelle mich schon auf den Klassiker ein, den man bei Bombenentschärfungen unbedingt vor Augen haben sollte. Batterie und Drähte an Zeitschaltuhr. Die Kneifzange, um den roten ODER den blauen Draht zu durchtrennen liegt bereit. Ich werde warten, bis die imaginäre Zeitschaltur, die ich durchs Öffnen des Pakets aktiviere, auf drei Sekunden steht. So ist das immer im Film. Schweiß auf der Stirn. Das Päckchen wiegt recht schwer. Da könnte gut und gerne ein halbes Kilo Dynamit drin sein. Oder Anthrax oder ein Finger oder ein Kopf.
Ein Lieferschein liegt obendrauf und listet den Inhalt: eine Thermoskanne. Thermoskannen sind ideale Behältnisse für Sprengfallen. Oder Anthrax. Aber es fehlen die Drähte und die Uhr. Auf der Vorderseite der Kanne sind nackte Zehenspitzen aufgedruckt und der Spruch Just Do It Deborah. Das Ding scheint fabrikneu. Außer dem Lieferschein, der Kanne und einem Päckchen Gummibärchen ist nichts drin in dem Paket. Kein persönlicher Brief von einem Freund, der aufklären würde, lieber hungerleidender Künstler, ich lese dein Blog so gerne und will dir hiermit eine Freude machen. Nichts.
Ich habe die Kanne noch nicht aufgeschraubt. Die Option Anthrax, Sprengstoff oder Leichenteil ist also noch offen. Bevor ich mich daran wage, glaube ich an das Gute im Menschen und schreibe noch schnell diese Geschichte.
Ich gehe davon aus, dass mir jemand anonym etwas geschenkt hat, wofür ich mich mit dieser Geschichte herzlich bedanken möchte. Ich werde die Thermoskanne auf meiner nächsten Radeltour mitnehmen und mich jeden Tag darüber freuen. Dankeeee.