Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte, die Frau SoSo und ich vor einigen Tagen (im August 2014) angestiftet haben. Ich gab ihr drei Stichworte und das Genre „Horror“ und sie schrieb daraufhin den oben verlinkten ersten Teil. Mich fordernd, die Stichworte Espresso, Lofoten und Tippfehler in einem nächsten Kapitel zu verwenden.
Kapitel 2 – Sommer 1990
Gibt es etwas bescheuerteres, als nördlich des Polarkreises mit einem gelben Cabrio über die Landstraße zu jagen? Sie waren zu fünft. Die Mauer war im letzten Jahr gefallen und mit dem Fall des antiimperialistischen Schutzwalls hatte es neben vielen ganz normalen Menschen auch diejenigen in die DDR getrieben, vor denen man sie in der FDJ leider nie gewarnt hatte: Verkäufer, Vertreter für Staubsauger, Satellitenanlagen, Espressomaschinen, Landkäufer, Spekulanten und allen voran Autohändler. So gelangte ein frisch lackierter, nach Neuwagen riechender, glänzender, blitzesauberer VW-Golf-Cabrio in Egons Besitz. Die Egon. Ihren Spitznamen hatte sie an der Feier zum vierzigjährigen Bestehen der DDR erhalten, weil sie Egon Krenz die Hand drücken durfte. Dass das Schnäppchen für nur 9990 DM Baujahr 1979 war und seine besten Tage schon hinter sich hatte, bemerkte die Egon erst, als sie an der schwedisch-norwegischen Grenze darauf angesprochen wurde. Wie mutig sie seien, mit einer solchen Klapperkiste rauf zu den Lofoten … und das Kunststoffdach, ob das wohl dem Wetter standhalten würde. Was hatten sie gelacht, die Sonne im Rücken am Rande des skandinavischen Hochdruckgebiets, das sie seit zwei Wochen von Warnemünde bis hierher begleitet hatte. Kurz nach der norwegischen Grenze trübte der Himmel ein und als sie die Brücke über den Saltstraumen hinaufschossen, fielen die ersten Regentropfen. Wo ist der Scheibenwischer?, rief Leif nach hinten, während Frank vom Beifahrersitz aus alle Hebel neben dem Lenkrad ausprobierte. Die Egon zuckte mit den Schultern, den habe ich nie gebraucht. Die Brücke war eng. Die Druckwelle eines Lasters rüttelte am Wagen. Aber Leif trat beharrlich auf’s Gas und hielt die Tachonadel bei konstant hundert. Mach‘ langsam, schrie die Egon, wie sollen wir bei der Geschwindigkeit das Dach drüberziehen. Mit den beiden finnischen Trampern mühte sie sich an dem alten Kunststoffetzen. Leif blieb stur, drehte die Musik lauter, der Wagen röhrte. Binnen Sekunden der Gleichzeitigkeit geschah folgendes: Platzregen, ein weiterer LKW, das Dach von einer Böe abgerissen, Blaulicht von irgendwo, Come On Baby Light My Fire im Radio, KEIN Scheibenwischer, Schluss mit Wehendes-Haar. Dann schob sich in Zeitlupe dieses Wohnmobil direkt auf sie zu. Viel zu spät zum Bremsen, Lenkradrumreißen, Vor-Angst-in-die-Hose-machen oder gar Beten. Die Egon schloss die Augen und als sie sie wieder öffnete, stand der Wagen, Leif, kreidebleich, klammerte zitternd die Hände ans Lenkrad. Dadidüdeldü-dadidüdeldü-dadidüdeldü-dümm, hauchten die letzten Takte der Doors aus dem Radio. Das Wohnmobil war verschwunden. Klatschnass saßen sie in dem Cabriolet und starrten auf das Loch im Brückengeländer. Ein Polizeiauto stoppte hinter ihnen. Es mochten Minuten vergangen sein. You can not stop here for sightseeing hörte die Egon den Polizist sagen. Sie war ausgestiegen und starrte hinunter ins trudelnde Auge des Saltstraumens. The Caravan … stotterte die Egon. It’s there, zeigte sie in die Fluten. Der Polizist ging zu dem Loch im Geländer. Sorry, Lady, we have to repair it. There was an accident a few days ago. Nobody was injured. A truck passed here and hit the fence. But we had an accident with a caravan and it disapeared here, keuchte die Egon. Der Polizist lächelte: A caravan? We did not see any caravan and we passed the bridge directly behind you … by the way, you might have been a little bit fast. And: WHERE IS YOUR ROOF?
Mein Gott, wieviele Jahre ist das jetzt her, dachte Leif. Immer, wenn er in existenzielle Situationen kam, lebensbedrohlich, besorgniserregend, beängstigend, kam ihm die Sache auf der Saltstraumenbrücke in den Sinn. Obschon über die Jahre die Erinnerung nach und nach verblasste, blieb das Bild von dem Wohnmobil eine unheimliche Konstante. Wie ein nicht tilgbarer Tippfehler zog es sich durchs Buch seines Lebens. Wie das Wohnmobil auf sie zuraste und die Brücke zum Tunnel geriet, die Zeit zur Ewigkeit machte. Mit den Jahren verblasste alle Erinnerung an jenen Tag und übrig geblieben war nur das Wohnmobil, das womöglich nie existiert hatte. Eine zum Monument gemeiselte Schrecksekunde. Nun fand er sich wieder in einer ähnlichen grotesken Situation. Aus dem Nichts und ohne zu wissen, wie das überhaupt möglich ist vom Büro in diesen Kerker. Von der Arbeit an der A20 Brücke, die ihm wegen der Sandgründung alle Ingenieurskünste, die er sich je angeeignet hatte, abverlangte, in ein dunkles Loch, von dem er weder wusste, wer es gebaut hatte, noch, wer der Kerkermeister war. Eine Fesselung ist nur eine andere Form der Statik, erinnerte er sich. Alles Leben ist Statik. Es besteht aus Querstreben und Längsstreben, aus Zug-, Druck- und Scherkräften und wenn man über die Kräfte bescheid wusste und wie sie einander aufheben, so konnte man fast jedes Problem lösen. Das Rohr, an dem seine Hand festgebunden war, war einbebettet in das Kräftegefüge des Kerkers, das er mit Bordmitteln wohl nicht berechnen konnte, aber die andere Hand, die, die am Gürtel festgezurrt war, die konnte er berechnen. Nicht nur das, sie war auch beweglich.
Die nächsten Stichworte sind Staubsauger, Hackklotz und verflixt
Frau Blau möchte wohl gerne das dritte Kapitel schreiben, habe ich mir sagen lassen.
Die Geschichte ist offen.
Personnage:
Er (Leif)
Putzfrau
Die Egon
Zwei finnische Tramper
Frank
Norwegischer Polizist
Zeitlinie:
Jetzt und 1990
Kapitel:
wie genial ist das denn?
das wird ja ein richtiger thriller … yesss!