Geschichten
Kurzgeschichten, fertige Texte, Journalistisches.
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Zweibrücken Totart
Das Pano zeigt die erste Szene zu einem Krimi. Aus dem Gebäude mitte-rechts wird frisch geschieden Frau Müller aus dem 2013er Saarlandtatort Melinda heraustreten, während ganz am rechten Rand vor dem Denkmal eine Touristenführerin die Sehenswürdigkeiten der Stadt erklärt. Was die Touristenführerin nicht sieht: auf dem Sockel hinter ihr, auf dem sonst kupferoxidiert Bismarck steht, steht grün angemalt die tiefgefrorene Leiche der Staatsanwältin aus dem Saarbrücken-Tatort. Noch während die Touristenführerin über Bismarck und die Entstehung des Deutschen Reichs erzählt, taut die Leiche auf und fällt vom Sockel. Der Zweibrücker Kommissar Zirkelschmied, der die Ermittlungen im Mordfall leitet, wird verwickelt in ein undurchdringliches Netz aus Intrigen. Offenbar wurde die gesamte Crew…
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Irgendwann zuletzt vor zwanzig Jahren
Der alte W., den ich nicht gut kannte, wohnte im letzten Haus rechts in der steilsten Straße des Dorfes, ganz hoch oben, so dass man es sich zwei Mal überlegte, ob man zum Spielen bei seinen Kindern vorbei schaute. Nur der Tennisplatz lag weiter oben, in einem alten Steinbruch. Auch wenn ich den alten W. seit über zwanzig Jahren nicht gesehen habe, bestürzte mich sein Tod. Auf dem Klo war er zusammengebrochen – zack, das Herz – seine Frau fand ihn morgens schon fast kalt. Am selben Tag, letzte Woche, starb auch H., den ich besser gekannt hatte, als den alten W. H. war noch kürzlich bei meinen Eltern zu…
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Modell zur Erklärung der Entstehung von Kräften anhand zweier Guesthäuser in Sunderland
Bis 12 Uhr Ortszeit trödele ich im B&B Areldee herum. Erster Stock, Zwischengeschoss, Hinterhof. Der Ausblick zur See ist mir nicht wichtig. Die Hinterhöfe, auf die ich blicke, haben etwas Trostloses. Wind zaust an den Bäumen, leichter Regen. Der prognostizierte Sturm kommt gegen Nachmittag. Ob ich das Zimmer überhaupt verlassen soll? Schreiben, telefonieren, schlafen. Mit dem Wasserkocher, der in jedem B&B und in jedem Hotelzimmer in England zu stehen scheint, koche ich Kaffee. Es steht immer ein Teller voller Teebeutel, Instantkaffee, bisschen Gebäck bereit. Wie hart muss es einen Engländer treffen, wenn er bei uns Kontinentern in einem Hotel nur ein Päckchen Gummibärchen auf dem Kopfkissen findet? Allein mit der…
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Zwei Mädchen ohne “Rollen”
Dann, sonntagsfrüh pustete ich Dunst in eisige Kälte. Langsam lichteten sich die Träume der Nacht. Ich befand mich in der Ten Katestraat, unweit einer „Islamitischen“ Metzgerei, Schächtung und Blut. Cousin J. seilte die Habseligkeiten ab, Kisten voller Bücher, Tüten mit Wäsche, Matratze, Fahrräder, dann den Computer, und ich verstaute das Zeug im Auto. Die Welt wurde bunt, als die Sonne in die Straße einschwenkte und jeglicher Schatten verschwand. Derweil sauste mir ein Sack voller Sperrmüll entgegen. „Wassen das? Coole Tastatur, kanns‘ doch nicht wegschmeißen,“ rief ich. „Die ist kaputt,“ sagte mein Cousin. Als er nach unten kam, puhlte er die Rollen-Taste heraus, überreichte sie mir. „Da, ein Glücksbringer.“ Ich war…
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Und was ist mit den Unterhosen, die zwischen den Pobacken verschwinden?
Bizarrer eiskalter Morgen. Kokolores musste früh raus, weshalb wir einen schnellen Kaffee nahmen, den Hund und eine halbe Wohnungseinrichtung im Auto verstauten und uns beide in dicke Winterklamotten packten, denn die sibirische Kälte hat heute Nacht die Pfalz erreicht. Ein eiskalter Wind drückte von Osten. Sterne funkelten. Zwischen Tür und Angel fragte Kokolores: „Sag mal, rutscht dir die Mütze auch immer ins Gesicht?“ Ich sagte: „Ja …“, rieb mir grübelnd das Kinn, doch Kokolores hatte schon eine Erklärung parat: „Vielleicht wäre sie lieber ein Schal?“ Solche Kommentare erheitern meinen Tag. Auf der Suche nach der Jacke spann ich an einer Allgemeinen Formel zur Unglückseligkeit der westlich zivilisierten Winterkleidung. In meiner…