Das Genre Weblog lebt vom Alltag. Schon im Jahr 2001 wusste ich das. Über Jahre titelte ich alle meine Blogartikel grundsätzlich mit „Alltag, der Soundsovielte Soundsovielte 2tausendX“. Die guten alten Alltagstexte, die ich zu Beginn des Jahrtausends in die Tasten hackte und per händisch verlinkten, einzelnen Html-Seiten ins Netz stellte, sind die urtümlichen Quelltexte dessen, was aus mir im Lauf der Zeit geworden ist: Blogpionier, spätberufener Internetprophet, stumpfe Speerspitze des Geotaggings, sowie – mit den revolutionären Ideen der letzten Tage im Gepäck, von denen noch zu reden sein wird – vielleicht ein Forscher auf den brandheißen Spuren der modernen Netz-Kunst. In jedem Fall hart am Wind der Zeit. Hey hey Lincki, hey Lincki hey, zieh fest das Segel aahahan.
Zehn Jahre sind ins Land gegangen, in denen es keine Phase wie diese gab; in der ich so lange das Blog habe schleifen lassen, soviel Nichts über so viele Tage und Monate ausgebreitet habe. Dass es mir schon beinahe selbst weh tut. Die Lohntackerei ist nicht schuld an der Schreibflaute. Es ist die verflixte Kombination aus Brotjob und Kunst, die ab Anfang August zur vollkommenen Überlastung geführt hatte, so dass ich seither nur kleine Notfall-Artikel geschrieben habe, gerne zwar mit Bildern, denn Bilder, meine Lieben, damit kann ich Euch überschütten.
Dass trotzdem ich nun zurück kehre ins Blog, gestärkt und mit neuen Ideen, schreibe ich einzig und allein dem Wunder des Lebens zu. Dinge, die passieren wollen, passieren. Blogeinträge, die geschrieben werden wollen, werden von Bloggern geschrieben, die sie schreiben wollen. Kurz: von mir :-).
Vorgestern habe ich einen Rucksack gekauft in einem völlig überfüllten Rucksackladen in Homburg an der Saar. Verschämt antwortete ich auf die Frage, wofür ich den Rucksack denn brauche: „Tagestouren im Pfälzer Wald und so.“ Ich wich dem Blick des Verkäufers aus und bat ihn, 9 Kilo in den Sack zu packen, ihn mir auf den Rücken zu winden. Dann stolzierte ich im Laden umher, betrachtete die Taschenmesser. Besonderen Gefallen erregten die roten Opinel-Messer in einer kleinen Vitrine. Derweil verwuchs der blaue Bergans-65-Liter-Rucksack so fest mit meinem Rücken, dass es fast weh tat, ihn wieder abzuziehen. Der Verkäufer kompromittierte meine in Anführungszeichen „Tagestouren im Pfälzer Wald“ mit der Empfehlung, ich solle doch den kleineren Bergans mit 40 Litern mal probieren, weil man ja den 65er nur braucht, um die Welt zu umrunden oder wenigstens den Jakobsweg … ich winkte ab, aber zum Schein probierte ich den 40er Sack noch aus, nur 129 Euro, unschlagbar billig, ich gebe es zu, aber vor dem großen Spiegel im Laden rebellierte mein Rücken und ich fragte um einen Rabatt für den 65er, der mir sofort gewährt wurde. Kauf!
Eine halbe Stunde später besuchte ich Journalist F. in der Klinik, was nicht sehr erfreulich ist. Es rüttelt mich stets wach, wenn ich auch nur im Entferntesten mit der Klinik in Berührung komme – sei auf der Hut, der große böse Tod lauert hinter jeder Ecke – besuchte ich also Journalist F., dem es wirklich nicht bestens geht, der aber sein Schicksal wunderbar meistert und das macht ihn zu einem der großen Menschen. Wir schwadronierten über dies und das, die Nieren und all das Leid und dass wir ja beide schon mindestens ein Mal dem Tod von der Schippe springen mussten, bis ich ihm an diesem Abend, vorgestern war das, als Erstem offenbarte: „ich lauf‘ runter nach Santiago, Jakobsweg und so, hab eben einen 65 Liter Rucksack gekauft, liegt da im Auto (mit dem Kinn zeigte ich hinüber zur silbergrauen Künstlerkutsche, die vor der Nierenambulanz frech im Parkverbot stand). Jawoll“, füge ich hinzu, „und weißt du was, ich mach#s life und online. So wie im Sommer mit Sofasophia, als wir durch Skandinavien reisten und jeden Tag einen Blogartikel in unsere Blogs stellten. Genau das mache ich mit dem Camino Frances“. Euphorisch schaute ich in den Himmel. Der Journalist blies einen Wolke blauen Dunstes in den Nebel, die sich sofort mit der kalten Winterluft vermählte. „Das wird kalt, eklig, nass, ungemütlich.“ konstatierte er, „ich wünsche Dir viel Glück.“ Diese Worte, meine Freunde, kommen einer Umarmung gleich.