Zurück aus Paris

Just im Moment die Speicherkarten auf den PC entleert und die Bildergebnisse gesichtet: diverse Straßennamenschilder der französischen Hauptstadt, Trash, ein Fetzen Notre Dame, dann wieder Szenen aus der Erotten-Ausstellung. Ein proppenvolles Omadis, das ist eine Kneipe im 18. Arrondissement mit angeschlossener Galerie. Am Vernissagenabend wurde das Achtelfinale des Africancup auf sämtlichen Fernsehern des Bezirks übertragen, was die Kneipen füllte. Menschentrauben wuchsen auf den Trottoirs. Die Fans von Kamerun und Elfenbeinküste drückten sich die Nasen platt auf der Suche nach einem freien Blick auf einen der Kneipenfernseher draußen wie drinnen. Wild parkende Autos, um die sich schon gleich Polizisten scharten, begierig, parksündende Fans anzuzeigen.

Drei vier Tage in der Stadt, montags gearbeitet, indem ich mich von Notre Dame rund um die Insel fotografierte in Richtung Eiffelturm. Spitz ragte er im Dunst. Unerreichbar, denn Stadtspaziergänge sind viel anstrengender, als zum Beispiel durch den Pfälzer Wald zu wandern. Der Verkehr fordert deine ganze Aufmerksamkeit. Lärm zermürbt. Mit stierem Rundumblick ein besonderes Augenmerk auf Hundescheiße gerichtet, die Übelkeit am Beginn der Tuilleries bekämpfend.

Soweit so gut erstmal.

Vom Winter – alles beim Alten

Das Gefühl für Winter hat sich eingestellt. Dieses Jahr wird mir der ewige Kreis der Jahreszeiten besonders deutlich bewusst. Man könnte sagen, ich habe eine Ahnung von der Welt. Vielleicht liegt es am vierzigsten Geburtstag?

Sie waren immer so, die Winter: im Herbst war man besorgt wegen der bevorstehenden Kaltmonate. An Weihnachten hoffte man auf Schnee, Ende Januar stöhnte man über die bizarre Kälte und sprach von Jahrhundertwintern, Russenkälte, sibirischen Zuständen, bis die ersten Krokusse ihre sturen Köpfe durch die Erde bohrten.

Es gab auch Ausnahmen. Die waren nicht weniger bemerkenswert. 10 Grad Plus Mitte Januar gaben Anlass für Diskussionen, das Land wird zur Wüste, die Welt geht unter. Wir sind schuld mit unserem elenden Kohlendioxid und so weiter und so fort.

Wie auch immer. Mal wieder früh wach. Senkrecht steigt der Rauch meines Holzofens in den Himmel. Sterne funkeln. Ofen brummen.

Geekfaktor 3

Trübe Nebelsuppe. Eiseskälte. Den lieben langen Tag im Netz – genau gerechnet bin ich seit über 24 Stunden im Netz, was bedeutet, dass der PC erstmals die ganze Nacht gebrummt hat.

Die Server-Community mit Cousin J. ist ein Crashkurs, sagen wir sowas Ähnliches wie ein Querfeldeinmarsch in garstigem Land. Eine gewisse Romantik und der erhöhte Geek-Faktor lassen sich allerdings nicht abstreiten. Frühmorgens diverse Köder ausgelegt, indem ich einige Ex-Job-Geber angerufen habe, nur mal so, um mich wieder ins Gespräch zu bringen. Denn das Jahr 2006 endet momentan im September. Warum ist am Ende des Geldes noch soviel Jahr auf dem Konto?

Ist ne gute Zeit. Es tut sich ziemlich viel. Die Ausstellung in Paris läuft endlich. Weiß nicht seit wievielen Tagen schon. Am Samstag ist so eine Art Vernissage. Fahre ich natürlich hin. Gezeigt wird Erotten, die Erotik des Straßengrabens, welche auf diesen Postkarten zu sehen ist. Gibt natürlich noch mehr Bilder.

Die Galerie L‘ Omadis ist ein bisschen speziell: unten Kneipe, durch die man über eine exorbitant steile Treppe in den Ausstellungsraum gelangt. Jene exorbitant steile Treppe führt in die andere Richtung, also hinunter in den Keller, zu einem jener typischen französichen Klos: zwei Tritte und ein Loch unter drohend waghalsigem Wasserkasten. Die Kneipe also im Zentrum. Das Viertel ist sehr afrikanisch. Dort pulst das Leben. Sacre Coeur und das ehemalige Künstlerviertel Montmartre sind nur ein paar Schritte entfernt.

Zurück nach Zweibrücken. Im Spreizschritt durchwandere ich diese Welt, so dass ich kaum weiß wo mir der Kopf steht. Auf der einen Seite ist die Kunst. Auf der anderen Seite die Jobsuche. Dazwischen baumelt das Webwissen. Ist schon ein seltsam gewachsenes Leben. Aber zufrieden.

Zwei Mädchen ohne “Rollen”

Dann, sonntagsfrüh pustete ich Dunst in eisige Kälte. Langsam lichteten sich die Träume der Nacht. Ich befand mich in der Ten Katestraat, unweit einer „Islamitischen“ Metzgerei, Schächtung und Blut. Cousin J. seilte die Habseligkeiten ab, Kisten voller Bücher, Tüten mit Wäsche, Matratze, Fahrräder, dann den Computer, und ich verstaute das Zeug im Auto.

Die Welt wurde bunt, als die Sonne in die Straße einschwenkte und jeglicher Schatten verschwand. Derweil sauste mir ein Sack voller Sperrmüll entgegen. „Wassen das? Coole Tastatur, kanns‘ doch nicht wegschmeißen,“ rief ich. „Die ist kaputt,“ sagte mein Cousin. Als er nach unten kam, puhlte er die Rollen-Taste heraus, überreichte sie mir. „Da, ein Glücksbringer.“ Ich war gerührt.

Kaum hatte er den Müllsack um die Ecke gebracht, tauchten zwei Mädchen auf und trugen diverse Gegenstände aus dem Sortiment bei sich. Unter anderem die Tastatur ohne Rollen, sowie ein noch funktionstüchtiges 286er Notebook mit 9 Zoll-Display. Dummerweise hatten sie das Netzteil vergessen.

Rollen-Taste

Was war eher da, die Möbel oder das Haus?

Es begab sich, dass ich erschrak, samstagsabends, als ich die steile Treppe durchs stockdunkle Treppenhaus hinauf kletterte in die Cousins-Wohnung. Er stieg mit Stirnlampe vor, sagte: „Manchmal, wenn die Sehnsucht nach dem Pfälzer Wald mich packt, laufe ich die Treppe ganz weit innen.“ Tastend prüfte ich die Stufen: „Sie sind wie eine Dreier Tour im Dahner Felsenland, nicht?“

Angekommen in der Wohnung versetzten mich die vielen Möbel in Angst. Das alles durchs Treppenhaus? Doch der Cousin führte mich direkt ins Schlafzimmer, wo sich Kisten und Tüten stapelten, das Bett kaum noch auszumachen war. „Die Möbel nicht, die gehören dem Vermieter.“ – „Und die Glotze?“ – „Auch nicht.“ Alles Schwere schien dem Vermieter zu gehören, respektive, schien sich schon seit ewigen Zeiten, vielleicht sogar seit dem Bau in der Bude zu befinden. Auch ein Phänomen: was war eher da, die Möbel oder das Haus?