Hey, denk mal nach, die Hauptwindrichtung führt doch vom Bärlauch zum Kernkraftwerk und nicht umgekehrt!

Das chinesische Insekt ist auch hier, sagt der Mann. Ein sonniger Tag in einem gespenstisch leeren Aargauer Dorf. Eigentlich wollten Frau Soso und ich nach einem Spaziergang entlang der Aare – wie schon so oft – in dem feudalen Café im örtlichen Schloss eine heiße Schokolade trinken und den Sonntagnachmittag genießen. Das Café ist aber zu. Vor der Tür liegen Kisten. Der Briefkasten quillt über.  Es sieht ein bisschen verwahrlost aus oder mindestens, um es brachial schwedisch zu sagen, ‚for ever stengt‘, für immer zu. Wir setzen uns auf Korbsessel in dem parkähnlichen Innenhof und Frau Soso versucht, die Baumart zu bestimmen, die uns überragt. Buchen vielleicht? Oder Eichen, mutmaße ich. Nee, da liegen doch Ahornblätter. Quatsch, das ist Efeu. Frau Soso fragt die App und die sagt, es sind asiatische Platanen, riesige Wesen, die in den letzten zig Jahren hier was-weiß-ich-schon-alles gesehen haben mögen. Das Dorf ist wie verlassen. Wir begegneten auf unserem Spaziergang nur wenigen Menschen. In einem Hinterhof ist ein Weinlokal geöffnet. Halligalli in dunklem Raum voller presswurstähnlichem beseeltem Klientel. Wir beobachten den plaudernden Frohsinn durch offene Türen.

Dann der Mann mit dem Insekt, den ich erst einmal gar nicht verstehe. Hä, wassen für ein Insekt? Ist da etwas Schlimmes, denke ich? Will schon naiv fragen, ob eine Spezies in die Schweiz eingewandert ist, die es den örtlichen Bauern schwer macht und die Weinernte frisst. Jenseits auf der kleinen Insel in der Aare pumpt das Kernkraftwerk ganz unscheinbar und hier an der Glastüre des Besucherzentrums hängt ein Zettel, dass das Zentrum bis auf Weiteres geschlossen bleibt und da dämmert mir, dass der Typ, ein alter, verkautzter Kerl, mit dem Insekt, das Virus meint. Schallend kracht der Groschen endlich. Ich bin geneigt, zu husten. Nur so aus Trotz, archetypisiere den Kerl als konservativ bis rechten Drecksknauser, der ganz gewiss die SVP wählt, aber vielleicht habe ich unrecht. Mögen tue ich ihn auf keinen Fall. Es gibt solche Menschen, leider immer mehr, die man auf den ersten Blick und wegen ihrer Äußerungen kategorisch nicht mag. Er nähert sich uns nicht, treibt sich stattdessen im Park herum, wo es einige physikalische Experimente mit sich drehenden Maschinen gibt, wohl um das Klientel des Besucherzentrums des Kernkraftwerks auf die Führungen einzustimmen. Wer weiß, vielleicht mache ich solch eine Führung auch einmal mit, wenn denn das ‚Insekt‘ endlich wieder weg ist. Eines der schönsten Experimente in dem Park ist eine akustische Installation zweier Parabolschalen, etwa fünfzig Meter voneinander entfernt, gegenläufig ausgerichtet, in die man sich hineinsetzen kann, einer hier, einer dort und sich in normaler Lautstärke unterhalten kann. Frau Soso und ich konzentrieren uns jedoch darauf, im Innenhof des Schlosses, neban des Besucherzentrums auf den Korbstühlen zu lungern und über die asiatischen Platanen nachzudenken und uns die Frühlingssonne auf die Körper brateln zu lassen. Später finden wir in einem lichten Wäldchen jenseits der Kernkraftwerksinsel ein halbhektargroßes Areal mit jungem Bärlauch, ernten unser Abendessen und abends, als wir den Sack voll Bärlauch, den wir ernteten in eine köstliche Lasagne verwandelt hatten, kamen kurz Bedenken, hey, Kernkraftwerk da und Bärlauch hier, in Spuckweite voneinander entfernt und nur das naive Bärlauchsammelbübchen in mir argumentiert, hey, denk mal nach, die Hauptwindrichtung führt doch vom Bärlauch zum Kernkraftwerk und nicht umgekehrt, genieße die Köstlichkeit. Aber so einfach ist es leider nicht.

Zweibrücken-Andorra, die Dritte

Ich muss verrückt sein, damit zu liebäugeln, Anfang März das Reiserad zu satteln und quer durch Frankreich zu radeln, vom ‚Großen Osten‘ des sechseckigen Landes einmal mitten durch bis in die Pyrenäen, mehr noch, dort auch noch hinauf auf den über 2400 Meter Hohen Pass namens Porte d’Envalira und weiter, weiter, weiter in einer geradezu abartigen Rutsche auf der unheimlich stinkenden, dieselrußgesättigten Passstraße bis nach La Vella, Andorras Hauptstadt.
Gerade habe ich mir verschiedene Webcams angesehen, um herauszufinden, ob der 1500 Meter hohe Mont Lozère, der auf der Strecke liegt, Schnee hat und wie die Hauptstraße zwischen Ax-les-Thermes und Andorra ausschaut. Bilder sagen weniger als tausend Temperaturanzeigen an den vielen Wetterstationen, die zwischen den Webcams auf der Karte gelistet sind. Kurzum, noch ist es recht winterlich und ein garstiges Lüftchen überweht Frankreich von Südwest nach Nordost.
2020 ist es wieder so weit. Ich habe die Reise schon in den Jahren 2000 und 2010 als Kunstprojekt realisiert. Dass ich die Tour auf fast identischer Strecke nach zehn Jahren wiederholt habe, bedingt irgendwie, dass ich es nun, noch einmal zehn Jahre später, wieder tue. Was für ein Kreuz die Konzeptuelle Blogreisekunst doch ist.
Warum die Reise schon im Vorfrühling beginnen? Ich möchte zur Gartensaison wieder auf dem einsamen Gehöft sein. So ein Künstlergarten bestellt sich ja nicht alleine.
Außerdem benötige ich später im Jahr noch etwas ‚Luft‘, um das Bayernprojekt, das 2018 begann, zu beenden.

Wie eine verrottende vier Meter hohe Sonnenblume, die dem ersten Herbstwind zum Opfer gefallen ist | #UmsLand

Vielleicht ist es eine Täuschung. Vielleicht nicht. In der Erinnerung liegt das Neuste meist klar und deutlich ganz oben wie eine verrottende vier Meter hohe Sonnenblume, die dem ersten Herbstwind zum Opfer gefallen ist und die man, in Stücke gehackt, auf dem Komposthaufen entsorgt hat.

Nach über zwei Jahren habe ich nun endlich mein erstes UmsLand-Projekt beendet. Die gestrige Etappe war definitiv die schönste. UmsLand ist der Hashtag in den sozialen Medien, ursprünglich kreiert für die Umradelung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz auf der Rheinland-Pfalz-Radroute. Eben besagter Erstling. Seither gab es weitere ‚UmsLands‘, die ich sogar teils ‚in einem Rutsch‘ vollenden konnte.

Begonnen im Frühling 2017, musste ich die Reise unterbrechen und bin seitdem nicht mehr dazu gekommen die restlichen Kilometer, nur zwei drei Reisetage, zu erkunden. Bis letzten Samstag. Von Ludwigshafen bis zur französischen Grenze südlich von Wörth und entlang der Grenze bis zurück nach Zweibrücken klaffte dieses schmerzliche Loch in der Radelstrecke. Einige weitere UmsLand-Projekte folgten, erfolgreich, rund ums Saarland, das ähnlich wie Rheinland-Pfalz einen ausgeklügelten, grenznahen Radweg ausgeschildert hat. Vermutlich sind diese beiden Bundesländer im Südwesten der Republik die einzigen, die solch einen Radweg kennen. Rund um Bayern, das ich seit letztem Jahr bloggend und fotografierend und radelnd erkunde, gibt es keinen solchen Weg. Aber ich konnte auf Basis der Strecken des Bayernnetzes eine eigene Runde designen, der ich nun folge. Mit dem Paminaland habe ich letztes Jahr im eigens angelegten Paminablog ein weiteres UmsLand-Projekt erfolgreich beendet.

Doch zurück nach Rheinland-Pfalz und seiner 1040 Kilometer langen Rundtour auf verschiedenen Themenradwegen. Der gestrige letzte Abschnitt führte in etwa vom Rhein entlang der französischen Grenze bis zurück nach Zweibrücken, wo alles vor zweieinhalb Jahren begann. Ziemlich genau 100 Kilometer folgte ich dem gelben Radelsymbol, das die Runde auszeichnet durch den Bienwald in den Pfälzer Wald und den Wasgau durch stille Täler und verschlafene Orte. Meist auf gut ausgebauten Forstwegen, oft geteert, vorbei an alten Burgen und durch wie aus dem Fels gehauene Ortschaften, deren Häuser meist aus dem roten Sandstein gemauert sind, den es in der Gegend zu Hauf gibt. Die schönste Strecke!, dachte ich unterwegs. Jawohl, definitiv die schönste Strecke. Selbst die Bahntrassenradwege in der Eifel können da nicht mithalten. Natur pur, garniert mit diversen Abenteuermöglichkeiten. Hier mal eine Burg besichtigen, dort die Biosphäre zwischen Dahn und Fischbach, der ein eigener Rund-Radweg gewidmet ist und der am Biosphärenhaus mit Baumwipfelpfad in Fischbach bei Dahn gipfelt. Stille. Fernab der Straße. Hier ein Kleinod, zum Beispiel ein Stundenstein, der als Wegmarkierung außerhalb Rumbachs auf einer Anhöhe steht und der der Messung alter Postrouten diente. Hochsitze en Masse (ich gebe zu, das ist speziell, ich fotografiere liebend gerne Hochsitze; ich sammele sie geradezu).

Und Apropos sammeln, dieses Jahr ist ein grandioses Pilzjahr. Riesige Schirmpilze abseits des Weges begegneten mir und in den Dörfern war ich erpicht, bei jeder Gelegenheit irgendwo einzukehren, einen Kaffee zu trinken und ein Stück Himbeerkuchen zu verspeisen. Es gibt nicht allzu viele Einkehrmöglichkeiten auf der 100 Kilometer langen Strecke. Eigentlich nur in Fischbach und Eppenbrunn und gegen Ende, in Hornbach.

Eine Abwandlung der Radroute erlaubte ich mir auch und ich kann Nachfolgenden nur dringend empfehlen, darüber nachzudenken, ob sie stur den gut platzierten Wegweisern des großen Rheinland-Pfalz-Radwegs folgen, oder doch lieber meine Alternative wählen. Als Ortskundiger weiß ich um die Beschaffenheit des Radwegs zwischen Großsteinhausen bis Bottenbach und nach Vinnigen: Es gibt ihn nicht! Die Route führt auf garstiger Höhe auf einer Landstraße, auf der nicht gerade zimperlich gefahren wird. Nicht schön das. Obschon ich gut verstehe, dass man besagte Dörfer gerne in die Route einband. Die Alternative südlich durch Frankreich und durch das Dorf Walschbronn ist viel schöner. Man muss auch nicht auf über vierhundert Meter Höhe hinauf kraxeln, sondern man folgt Waldwegen durch die Täler. Einziger Wermutstropfen: Die Wege sind eben Waldwege und entsprechend matschig. Im Blogbeitrag zuvor ist die Reiseroute als Track einzusehen. Gegen Ende des Tracks (links, ich radelte ja im Uhrzeigersinn um Rheinland-Pfalz) findet Ihr die besagte Alternative zwischen Eppenbrunn und etwa Riedelberg.

Gegen Abend erreichte ich Hornbach und von dort aus sind es nur noch 11

Reiserade mit Gepäck vor weißen Barockbauten
Finale im Regen, zweieinhalb Jahre nach Start der Radreise rund um Rheinland-Pfalz. Herzogplatz und Rathaus Zweibrücken. Start und Ziel der Rundreise.

Kilometer bis zum Zweibrücker Herzogplatz, an dem die Runde 2017 begann. Über einen schönen Bahntrassenweg rollt man rein ins Städtchen und ich muss sagen, gar nicht so übel schneidet meine Heimatstadt ab ins Sachen Stadtdurchquerung im Vergleich zu anderen Stadtdurchquerungen, die ich absolvierte. Wobei ich natürlich die Strecke kannte und mich somit gar nicht verirren konnte, wie dies Fremde vielleicht tun.

Mein kurzes Fazit zur Rheinland-Pfalz-Radroute: Ein wirklich gut gemachter Fernradweg, der natürlich verbessert werden kann. Insbesondere im Westerwald und in den großen Städten am Rhein. Die Zeit, die man benötigt, etwa 10 bis 15 Tage, ist knapp. Es gibt viel zu sehen am Rande der Strecke und man könnte hie und da eine Pause einlegen. Sportlich ambitionierte Radlerinnen und Radler, die mit dem Begriff Transcontinental Race etwas anzufangen wissen, könnten die Strecke jedoch auch in drei bis vier Tagen bewältigen.

Ich verabschiede mich nun an dieser Stelle aus dieser Tour und harre weiterer UmsLand-Projekte (aktuell und noch nicht beendet (es fehlen 1000 Kilometer) zum Beispiel mein Projekt rund um Bayern (oben schon verlinkt). Danke fürs virtuelle Mitradeln.

UmsLand II Tag 3 – die Strecke

Der letzte Abschnitt des 2017 begonnenen Projekts per Fahrrad auf der Rheinland-Pfalz-Radroute. Einer der schönsten Abschnitte durch den Bienwald und das Dahner Felsenland. Die Runde ist hiermit vollendet. Gegen 18 Uhr stand ich mitsamt Reiseradel auf dem Zweibrücker Herzogplatz, wo die Blogreise im März 2017 startete. Damals radelte und bloggte ich 13 Tage lang im Uhrzeigersinn über Hunsrück, Eifel, Westerwald und Rheintal bis Ludwigshafen. Ohne Anreise ab Zweibrücken radelte ich heute und gestern die beiden letzten Etappen.
Fazit in Kürze: Fünfzehn Tage sind eigentlich recht knapp bemessen. Es gibt so vieles zu sehen entlang der Route, das den einen oder anderen Tag Verharren erforderte. Spomntan fallen mir für die beiden vergangenen Etappen zum Beispiel folgende Schlenderziele ein: Technikmuseum Speyer, sowie Dom und pi pa po, Straßenmuseum Germersheim und Festung, Wegelnburg und Burg Fleckenstein …

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Am großen Fluß durch große Städte | #UmsLand II

Tag vierzehn. Der Techniktest läuft gerade ziemlich schief. Die externe Tastatur hat sich auf englisches Layout verstellt. Das Tablet will nicht roamen. Im Grenzgebiet zu Frankreich befinde ich mich also im deutschen Steinzeitnetz ohne taugliche Tasten im Krieg zwischen IOS und Android, die einander nicht verstehen, die ich nicht verstehe.

Was wäre es doch so einfach, wie früher, vor dem Jahr 2000 einfach nur per Hand in Kladden zu schreiben! Dazu eine analoge Spiegelreflexkamera, eine Packtasche voller schwarz-weiß-Filme …

Finde dich mit der hohen Technik ab, die dich umgibt, würde Jack Kerouac wohl schreiben.

Drei Uhr nachts. Die Turmuhr schlägt. Das letzte Dorf, an das ich mich erinnere hieß Scheibenhard. Grenzdorf. Etwa 20 Kilometer abseits des Rheins, wieder ‚landeinwärts‘. Auf dem kleinen Picnicplatz am Radweg zwischen Lauterbourg und Wissembourg war ich schon 2016 einmal Übernachtungsgast. Während der Flussnotenreise.

Die gestrige Strecke führte in entgegengesetzte Richtung hierher. Grob von Ludwigshafen über Speyer, Germersheim und Wörth, fast immer am Hochwaserdeich entlang auf geteerten, autolosen Wegen. Nicht besonders abwechslungsreich, aber dafür rasant. Viele Radler unterwegs. Viele Ebikes. Sonne satt. Ein Sommertag im Herbst. Gegen 15 Uhr schlafe ich auf einer Bank sitzend ein und werde erst wach, als der Kopf kippt.

Die Tour ist hektisch, fast wie 2017, als ich nach Tag dreizehn die Tour unterbrach. Wieder keine Zeit, wieder stampft die Lokomotive und es gibt keinen Weg, sie abzubremsen, um einmal einen Song von Jethro Tull zu bemühen. Dienstag sollte ich wieder daheim sein, erfahre ich unterwegs, so dass klar ist, dass ich die Gegend um Lauterbourg anpeile. Von da entlang der Grenze ist es bequem an einem Tag zu schaffen zurück in die Westpfalz. Noch einmal unterbrechen will ich jedenfalls nicht.

Eigentlich habe ich viele Bekannte am Weg, in der Gegend, die ich besuchen könnte. Aber keine Zeit.

Die Etappe? Eher ereignisloses Flussradeln auf ruhigen Wegen garniert mit hektischen Ballungsgebietsdurchquerungen. Besonders übel Speyer, wo der Radweg entlang der stark von LKW befahrenen Hauptstraße führt. Ludwigshafen umfahren durch den Maudacher Bruch war fast perfekt, müsste man nicht am Ende noch durchs dörfliche Rheingönheim irren.

Germersheim im Wortsinn passabel und Wörth katastrophal mit einer extremen Gefahrstelle im Fernradweg.

Noch ein Wort zum Artikel. Er wäre sicher ganz anders geworden, wenn nicht die Technikprobleme aufgetaucht wären. Aber dafür sind diese kurzen Tests am offenen Herzen des Unterwegs-Blogprojekts auch da, das Zusammenspiel von Hard- und Software ausbaldowern und Lösungen finden.

Vielleicht sollte ich tatsächlich zu Papier und Bleistift zurückkehren und den ganzen fruchtlosen Online-Direktreisemist lassen?

Morgen Tag fünfzehn der Rheinland-Pfalz Umradelung. Zweieinhalb Jahre nach Beginn dieses ersten der UmsLand-Projekte schließt sich der Kreis. Es stand nie unter einem guten Stern.

Bildtexte und -beschreibungen folgen.