Der Herbstfrühling 2022 #mdrzl #UmsLand/Bayern

Vorgestern? Letzter Tourtag. Insgesamt war ich nur drei Tage auf der Straße. Mieswetter. Kälte, ich hatte es im Artikel zuvor schon erwähnt. Die Gefühle dazu jedoch nicht. Die Jahreszeit fühlte sich an wie Herbst, nicht etwa wie die Frühlinge, wie ich sie von Früher erinnere. Da waren keine Gerüche (außer Dieselrußgestank, wenn mich ein LKW überholte – Dieselrußgestank ist ein mächtiger Gegner!). Keine Gerüche, keine Hoffnung,  nur Desolation Peaks im eigenen Kopf. Dazu die Schmerzen des langen Radfahrens. Normalerweise liegen meine Tagesetappen ja bei etwa 70 bis 100 Kilometer, nicht bei 130 bis 150 . Aber der Herr wollte es ja wissen. Will da einer den Transcontinental-Fahrer spielen!?

Ich kam mir vor wie mit zwei Motoren ausgestattet. Eine Art Hybrid, der unter Wasserstoff und Benzin laufen kann, bloß, dass die beiden Motoren nicht synchron liefen, sondern gegeneinander funkten. Der gemächliche Kunstmotor, also das Triebwerk, das den Künstler in Bewegung antreibt und das eine Art fein abgestimmtes Geflecht aus Vorankommen, Denken, Aufschreiben und per Apps Kunst produzieren ist, dieses Triebwerk lag im steten Clinch mit dem brutalen Transcontinentaler, der auf Teufel komm raus radelt, radelt, radelt, egal wie hungrig, wie Schmerz, wie unangenehm, wie müde – ich erinnere mich, dass ich auf dem Hinweg mit dem Rad zur Liebsten am Rhein-Marne-Kanal beinahe auf dem Fahrrad eingeschlafen wäre. So fühlt sich das also an, wenn man Europa vom Schwarzen Meer bis in die Bretagne durchradelt. Mit Radeln ist dabei wörtlich zu nehmen. Trancontinentaler radel fast nur, gönnen sich ab und zu ein paar Stunden Ruhe und schaffen die 5000 Kilometer in etwa zehn bis vierzehn Tagen. Ständig im Sattel und alles andere ausblenden, Hauptsache, die Beine kurbeln und du kommst irgendwie voran, wach bleichen, Monsieur Irgendlink. Ich bin der Transcontinentaler des kleinen Mannes. Doch zurück zum ersten Reisetag, vorletzten Mittwoch, als ich erst gegen 15 Uhr los radelte und unweigerlich in die Nacht radelte und die war ziemlich kalt und ich ziemlich müde. Ich hatte immer, nein, nicht Angst, Respekt gepaart mit Unruhe, in die Nacht zu radeln. Nun tat ich es bewusst, um mich dem zu stellen. Kanalradweg. Keine Autos. Und auch sonst kaum jemand unterwegs. Die Chance, es zu üben. Auf der anderen Seite des Kanalradwegs meinte ich Lichter zu sehen. Angler vielleicht. Im klammen Licht meines Scheinwerfers musste ich höllisch aufpassen. Und eben die Müdigkeit. Schon nach zwölf Uhr nachts, Sichelmond wie mit dem Stechbeitel geschnitzt. Wenn ich einschliefe, würde ich entweder zur einen Seite eine steile Böschung runter rasen ins begleitende Schilf oder in den Kanal oder einen Angler überfahren. Der Radweg mag auf der Krone des Kanaldeichs nur etwa drei Meter breit sein. Viel Luft, um glimpflich auszurollen ist da nicht.

Der Herbstfrühling 2022. So will ich es nennen. Vielleicht handelt es sich auch nur um eine natürliche Veränderung, die jeder Mensch im Laufe des Lebens durchmacht? Vor einigen Jahren schon hatte ich eine solche Veränderung festgestellt (obschon ich es nicht so recht glauben kann, denn in mir werkelt noch immer der Junge, der ich einst war). Der Verlust dessen, was ich das GEFÜHL nenne. Man kann es sich als eine Art alles egal-Einstellung vorstellen, oder als ein Vertrauen ins ‚Alles wird gut‘. Ich kann es schwer erklären. Bildlich ist es verknüpft mit einer Situation abends unter dem heimischen Nussbaum, Harndrang, einfach in die Wiese pinkeln, Richtung Süden schauen durchs Blattwerk in den dampfend schimmernden Lichtsmoghimmel der Kleinstadt und plötzlich, im Lassen des Wassers ist alles so herrlich egal. Alle Alltagssorgen fallen ab. Niemand kann Dir was. Weiß allerdings nicht, was das mit dem Pinkeln zu tun hat, aber das ist die letzte Erinnerung an das GEFÜHL, die ich habe.

Das beschützte kleine Kind in dir kann sich frei jeden Panzers nach draußen wagen ins  kalte Universum, das schon hinter der Haut beginnt.

Gefühlsverstümmelung? Ist es das, was ich durchmache. Mein Körper? In den letzten Jahren sind andere Merkwürdigkeiten hinzugekommen, bzw. schaue ich näher hin. Zum Beispiel, dass ich eine Verbindung vom Kopf in den Körper, den Rücken abwärts spüre und dass angenehme oder unangenehme Situationen eine andere Bahn den Rücken hinab nehmen, dass es im Kopf an verschiedenen Stellen ‚kitzelt‘, je nachdem, ob ich in Sorge bin, in Angst, in Freude oder in Lust. Die kürzliche Beschäftigung mit dem Vagusnerv, der eine Verbindung vom Hirn bis ins Gedärm ist und der sich in zahlreichen Verzweigungen durchs Rückenmark in verschiedenste Organe und in die Gliedmaßen zieht, gibt mir ein Bild vom Körper. Eine Art Landkarte. Keine Ahnung, ob sie stimmt. Bilder sind ja immer nur Teile der Wahrheit, Alternativen zueinander und ich bin gar nicht mal so sicher, ob man in diesem Bereich des sich die Welt Vorstellens überhaupt eine absolute, einzigartige Wahrheit finden kann oder ob nur verschiedene Vorstellungen dessen, was ist, miteinander konkurrieren. Durch Raum und Zeit ziehen sich dieser Versionen, hängen von den Bedingungen ab wie etwa, wie weit bist Du Deinen Lebensweg schon gegangen, was hast Du erlebt, was hat Dich geprägt, mal so, mal so und dann bist du, der Frühlingsjunge vor vierzig Jahren, den Mund rot umschmiert von Kirschen, die du im Baum erklettertest, plötzlich der Boomer und der ‚alte Sack‘ der Jetztzeit in einem seltsam vergehend sich anfühlenden Herbstfrühling. Nichts riechen, nichts fühlen, nichts empfinden. Drei weise Affen in der Zielgeraden Richtung Tod?

Doch nicht nur im Innern fühlt es sich an wie Herbst, auch die äußeren Symptome für Herbst erkenne ich heuer: Knappe Zeit. Ein Termin hetzt den anderen. Erntedank und Unabdingbarkeiten. In der Erntezeit, die nun einmal im Herbst ist, haben nicht nur die Bauern alle Hände voll zu tun. Wir Künstler auch. Ausstellungen, Offenes Atelier, Weihnachtsgeschäft. Kaum freie Zeit. So fühlt sich der Künstlerherbst an und nun schleicht sich die Termindichte in meinen Frühling. Ich ringe mit dem Garten, pflanze, hege, werkele. Gestern zwei Fuhren Holz aus dem Wald gezerrt, jeder der kommenden Tage ist schon verplant, nächsten Sonntag geht die Radelgalerie auf den heimischen Herzogplatz und ich muss unbedingt noch Kunst produzieren, die ich zeigen kann. Zack fünf Stunden Arbeit am Bein. Am 21. Mai Ausstellung in Saarbrücken, am 3. Juni Ausstellung in Fitou und eigentlich müsste ich ja zu den Vernissagen, aber es tat sich ein Loch im Terminkalender auf, in dem ich endlich mein Projekt UmsLand/Bayern vollenden könnte. 17. Mai bis 8. Juni … mal schauen. Dann gibt es wieder Liveblogberichte an dieser Stelle.

Zur Karte des 2018 begonnenen Kunst- und Reiseprojekts geht es hier lang ->

 

In einer Jammerstunde rings um Bitche bloß nicht die einfühlerige Schnecke zertreten #mdrzl

Landstraßengedonner. Nieselregen. Grau hebt sich der Tag. Mein Übernachtungsplatz unter einem Betonpavillon etwas außerhalb von Niederbronn-les-Bains ist zweifellos einer der seltsameren. Die Landstraße ist gerade einmal  dreißig Meter entfernt. Dank Ohrstöpseln und weil nachts kaum ein Auto oder LKW fährt, habe ich gut geschlafen, aber um sieben Uhr perversfrüh rollt der Verkehr wie eh und je. Auf vier Betonsäulen ruht ein rundes Dach aus Beton. Beim Einschlafen im fahlen Streulicht der Stadt stellte ich mir vor, ich liege unter einem UFO. Grotesker weise kongruiert das Rund des UFO-Dachs mit dem bewaldeten Berg jenseits der Landstraße. Zwischen den beiden Rundungen ein Streifen bleiern bewölkten Himmels.

Habe ich gut geschlafen? Ich glaube ja. Ich fühle mich ausgeruht. Die Oberschenkel fühlen sich nur mäßig maträtiert an durch die 125 Tageskilometer. Es ist kalt. Saukalt. Niesel kitzelt mich an der Nase. Ich habe unter der Hängematte geschlafen, die zwischen den Betonsäulen hängt. Es war mir zu mühsam, in die insgesamt drei Schlafsäcke zu kriechen und dann auch noch in die schaukelnde Matte. Der eigentliche Schlafsack wird ergänzt durch ein Inlay, das verspricht, drei Grad kälter zu ermöglichen, sowie einen Biwacksack, der den Nieselregen abhält. Ja, ich schlief gut.

Vor meinen Augen kriecht eine Schnecke die Treppe hinab in die Mitte des Pavillons. Vermutlich war das mal ein Brunnen. Anders kann ich mir die vielen Löcher und Öffnungen und Befestigungen und die Scheinwerfer, die in den Boden eingelassen sind, um etwas was einst Bedeutung hatte, nun aber nicht mehr existiert, ins rechte Licht zu rücken – anders kann ich mir die vielen Überbleibsel nicht erklären.

Die Schnecke hat nur einen Fühler und ein zartgraues Haus. Schlankes Vieh. Eine Weile beobachte ich, wie sie die Stufen hinab kriecht zum Mosaikfußboden, einen Bogen auf mich zu macht, sich aber dann wieder Richtung Zentrum des Areals wendet. Derweil frühstücke ich, schreibe klammen Fingers einen Blogartikel und als ich auf ‚Veröffentlichen‘ geklickt habe, packe ich alles zusammen, stets bedacht, die Schnecke nicht zu zertreten. Das wäre schlimm, hatte ich mir zuvor eingeschärft, pass auf die Schnecke auf. Doch die ist längst verschwunden. Verflixt schnell die Viecher, oder eben beharrlich. Ausdauernd. Wie wir Langstreckenradler.

Ich könnte die Landstraße nehmen und in drei Kilometern zur parallel verlaufenden kleinen Ortsstraße wechseln, das würde mir drei Kilometer Strecke sparen, die ich zurück radeln müsste, um Landstraße, Bach und ehemalige Bahnlinie zu über oder unterqueren. Verlockend. Aber aufs Dichtgeüberhole auf dem Schreiasphalt bin ich gar nicht scharf und überhaupt, L’Escargot, c’est moi. Beharrlichkeit und ein gut Stück Leidensfähigkeit. Kein eitel Lullifulliradeln wird das heute. Disziplin ist angesagt und Durchhalten. Erstaunlich, wie so ein Hirn mit Willen so etwas schmerzempfindliches, von seiner Natur her Träges wie einen Körper antreiben kann. Auf ins nächste Dorf namens Phillipsbourg, wo ich in einer Boulangerie einen Kaffee nehme. Bemaskt rein, drinnen alle ohne Maske, egal, Kaffee bestellt. Jemand hustet. Apnoe-Kaffeetrinken, derweil weitere Leute reinkommen und ich ziehe mir die Brühe elend schnell rein, weil ich mit so vielen Atmenden und plaudernden Leuten nicht so lange in einem Raum sein will. Noch einer kommt rein. Mit Maske, schaut sich unsicher um in der Runde und nimmt dann die Maske ab. Welch bizarre Logik, als ob der Freiherr von Knigge empfohlen hätte, aus Höflichkeit die Maske abzulegen wider die eigene Vernunft.

In Phillipsbourg endet der kleine Bypass an ruhigen Sträßchen und Waldwegen, die parallel zur Straße führen und man muss entweder im Vielverkehr auf der Landstraße die etwa zwanzig Kilometer nach Bitche radeln, oder links oder rechts Nebenstraßen durch Täler und über Hügel. Ich entscheide mich für rechts (westlich), denn die Strecke kenne ich noch nicht. Via Sturzelbronn und später vorbei am Camp Militaire de Bitche, einer riesigen, unheimlichen Truppenübungsanlage mitten im Wald. Die Strecke ist wunderschön bis das Camp beginnt. In Sturzelbronn eine Kompanie Soldaten, die Rucksäcke neben ein Wegkreuz gestellt, wartend, ich sage Bon Jour. Arme Teufel. Die müssen schwitzen und den Körper knechten. Ich darf schwitzen und den Körper knechten.

Kein gutes Wetter an diesem Tag. Ich friere. Hände und Füße schlafen ein. Ich verfluche das Radfahren. Ich gebe das Radfahren auf, schwöre ich mir, stoisch kurbelnd in den fraktalartigen mit zahlreichen Aufs und Abs gespickten Windungen rings um das Militärcamp. Wie soll ich derart jämmerlich je noch einmal ans Nordkap radeln, heule ich vor mich hin. Selbst das Projekt /Bayern fortzusetzen, scheint mir in dieser Jammerstunde rings um Bitche fast unmöglich. Sofa, das ist es was ich will. Sofa und Ofen und an die Decke starren und mir vorstellen, ich schlafe unter einem Ufo und wenn ich von meinem imaginären Sofa aufstehe, muss ich darauf achten, die einfühlerige Schnecke nicht zu zertreten. Vorbei am Etang de Haspelschied, der zur Hälfte im militärischen Sperrgebiet liegt. Alles tut weh. Ich habe Hunger. Sobald ich anhalte, friere ich. Hab den dummen Anfängerfehler gemacht, morgens nicht das feuchte Fahr-T-Shirt anzuziehen, sondern das einzige verbliebene trockene. Somit kann ich mich zum Pausieren nicht trocken umziehen.

Herrje. Ein Paradetag ist dieser gestrige letzte Reisetag, eine Blaupause für spätere Gutrederei nach dem Sprech, siehste, haste ja doch gut überstanden. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob das zum Beispiel in einem norwegischen Fjord so ähnlich glimpflich ist. Bin ich so lange nicht gereist, dass ich es erst wieder lernen muss?

Letzter Anstieg nach Hause eine zwanzig Prozent Steigung. Ich erlaube mir, zu schieben, oft stehen zu bleiben, durchzuatmen und als die Steigung wieder flacher ist sitze ich wieder im Sattel und feixe, ich könnte ja einfach am heimischen Sofa vorbei fahren. Nordkap nur noch 3600 Kilometer entfernt …

(Dritter und letzter Tag der Rückreise ‚Mit dem Rad zur Liebsten‘ Aargau-Pfalz).

Tourhistory: Seit 2016 lege ich die etwa 350 Kilometer einmal im Jahr mit dem Rad zurück, statt per Zug oder per Auto. 2021 fiel die Tour aus. Die vergangene Tour 2022 radelte ich auf dem Hinweg nur das Stück Zweibrücken-Offenburg und Basel-Frick (190 Kilometer) und bewältigte etwa 150 Kilometer per Zug. Für die Akten: Zugticket Offenburg Basel kostete 13,90. Fahrradticket wird nach neun Uhr früh nicht benötigt. Die Regionalbahn fährt sich prima per Rad, da man am Beginn der Linie einsteigt und am Endhaltepunkt aussteigt (spart Gerangel beim Fahrradstellplatz). In der Schweiz durchquerte ich den Bözbergtunnel von Frick nach Brugg per Zug. 14 Franken – Fahrradticket wäre wohl nötig gewesen, wurde aber nicht kontrolliert.

Statistik: Rückweg etwa 21 Stunden im Sattel. Mein innerer Selbstüberschätzer unkt, das könnte man auch mal in einem Rutsch fahren, wie so ein Transcontinentalracer.

Trödelei und Vermeidung, die zweifelhaften Tugenden des Langstreckenradelns #mdrzl

Gestern ein hölzerner Pavillon, heute einer aus Beton. Es ist nicht schön, in der kalten, nackten, von Nieselregen umwobenen Betonfläche aufzuwachen. Alles fröstelt. Die Finger sind klamm. Ich habe schon gefrühstückt, auf der Radlerhose sitzend, um sie vor dem Anziehen ein bisschen aufzuwärmen, es gab Baguette, Käse, Schinken, Wasser – ha, Wasser und Brot zum Frühstück. Der Pavillon war mal ein Prachtbau, vermute ich. Mosaikboden, ein Loch in der Mitte, aus der etwas herausgerissen wurde, ene Skulptur?. Außerdem sind ringsum Scheinwerfer in den Boden eingelassen, die das Ding wohl einst beleuchteten. Vier Stufen führen hinab zum Mosaik, auf dem ich die letzte Nacht schlief. Die Landstraße ist nah. Da kann auch der kleine, etwas weniger gepflegte Park nicht darüber hinweg tünchen, der den Pavillon umgibt.

Abends hatte ich überlegt, in der Hängematte zu übernachten, die genau zwischen die Betonsäulen passte, aber da hätten die Scheinwerfer der vorbeifahrenden LKW mich stänig beflutet. Die Mulde darunter jedoch war stets im Schatten. Vermutlich war das mal ein schöner Brunnen. Vielleicht stand in dem derben Loch zur Mitte einmal eine Wasserspeiende Putte?

Der Glanz der nahen Bäderstadt Niederbronn-les-Bains verblasst wohl von den Rändern her. Obschon es gestern spät – es war wohl so gegen halb elf, als ich hier ankam und zuvor die Stadt durchquerte – recht aufgeräumt wirkte. Casino, Hotels, Duft von Essen aus den Ablüften der Retaurants, fein gekleidete Menschen, ein Park, in dem ich mich verirrte und sogar die Baukrane der Baustellen sind reichlich geschmückt mit LEDs und Lichteffekten. Kann ja nicht sein, dass in unserem Badstädtchen nackte, derbe, verrostete Baukrane stehen, oder? Da buchen wir doch bei der Baustelleneinrichtung schön noch das Paket ‚Fein aufgeäumte Kurstadt‘ mit.

Dass ich hier gelandet bin, verdanke ich alles nur einer Vemeidung. Vermeidung und Trödelei waren die beiden Joker des gestrigen Tages. Zunächst schlief ich in der Hängematte ein, die ich mittags nahe Krafft direkt am Kanalradweg aufgezäumt hatte. So ein Glück. Nicht nur wegen des Schlafs. Nördlich, da wo mein Ziel lag, rumpelte es über die Maßen. Ein heftiges Gewitter entweder in Straßburg oder eher noch etwas nördlicher, resümierte ich im baumelnden Halbschlaf. Und in der Tat, nachdem ich die Europametropole durchqquert hatte, kamen mir am Rhein-Marne-Kanal alle Radlerinnen und Radler in Regenklamotten oder klatsch durchnässt entgegen und nahe Vendenheim, ziemlich genau in der Gegend um den Bücherschrank, in dem ich auf dem Hinweg übernachtet hatte, lag zentimeterhoch Hagel und auf einmal war es eiskalt. Als habe sich eine Kälteglocke über die Gegend gelegt. Ich streifte die Handschuhe über. Selbst im Bücherschrank waren der Boden und die kleine, einsvierzig lange Sitzbank, auf der ich geschlafen hatte, nass.

Trödelei, welch Tugend, du hast mich vor dem Unwetter bewahrt, bzw. mich davor bewahrt, arglos hineinzufahren in den wohl nicht sehr großen Kältespot.

Der zweiten ‚Tugend‘ des gestrigen Tages, verdanke ich die Streckenführung über Brumath und Haguenau. Vom Kanalradweg ist diese Route ausgeschildert und ich dachte mir, vielleicht kann ich die Fünfhüpfberge vermeiden, die mich ab Schwindratzheim erwarten. Vermeidung! Fünf recht zackige aufs und abs, bis es im Tal der Zinsel ab Zinswiller wieder gemütlich radelbar ist.
Nunja. Die Radroute nach Haaguenau ist nur bis Brumath eine Radroute, danach folgt der Radweg der D 263 und die ist dummerweise mit Schreiasphalt belegt. So dass jedes Auto, jeder LKW und Omnibus einen mit etwa 90 dB Lautstärke überholt. Ein Stück von nur etwa fünf Kilometen zwar, über Kriegsheim bis Niederschaeffolsheim, aber das genügt. Es ist der spichwörtliche Tropfen Öl, der die unendlich große Menge Wassers verseuchen kann.

Tausche also Fünfhüpfberge gegen Kriegsheimer Schreistraße.

Fazit vielleicht: den lupenreinen, schmerzlosen, lullifullie-wohlfühl-Radweg quer durch Europa wirst du wohl nie finden, Monsieur Irgendlink.

Nun da ich dies schreibe, klammen Fingers im Betonpavillon, muss ich wieder entscheiden: drei Kilometer im Gemetzel der Landstraße, um auf den kleinen Bypass auf der anderen Seite des Tälchens auf die Ortsstraße zu gelangen, oder anderthalb Kilometer zurück nach Niederbronn, um dort unter der Landtraße hindurch auf die Ortsstraße zu kommen. Einen direkten Weg ohne Schmerz gibt es wohl nicht.

Never mind the ‚Fünfhüpfberge‘ #mdrzl

Südwind. Kühl. Etwas ungemütlich. Ein Picknick-Pavillon an einem ruhig fließenden Fluss. Auf der anderen Seite des Flusses das Dorf Kunheim. Landstraße mit Stoßverkehr, ähnlich ungemütlich wie der sanfte Südwind.
Ich zwinge mich dennoch, zu schreiben. Das gehört dazu. Schließlich bin ich auf dieser Kurztour in die Schweiz und zurück auch ausgerückt, um meinen Worflow zu überprüfen und auch, um zu schauen, wie eingerostet ich schon bin. Der Workflow des reisenden, radelnden, schreibenden irgendwas mit Kunst Machenden, kurz des modernen Appspressionisten, besteht daraus, sich Richtung Tourziel zu bewegen, Dinge zu erleben, Gedanken zu verfeinern und über das Erlebte zu schreiben. Mobil. Per Handy ans Internet angebunden, per Apps die Daten verarbeitend und sortierend.

So sieht es hier aus. Zur Mitte des Pavillions steht ein feiner Picknicktisch, auf dem ich die paar Lebensmittel ausgebreitet habe, die mir von gestern geblieben sind. Dazwischen eine Minitastatur, das Handy, Notizapp geöffnet. Jeder Tipp auf die Tasten ein Treffer, Gedanken fließen lassen, ein Vogel ‚uhut‘, ab und zu Autos. Überlaute Mopeds, ein Jogger im gelben Hemd und zwischen den Frühstückssachen Brillenetui, Taschentücher, ich will nicht zu sehr ins Detail gehen.

Der gestrige Tag war hart. Zehn Uhr gings in Brugg los. Die Liebste Frau SoSo begleitete mich einige Kilometer den Bözberg hinauf und wieder hinunter zum Bahnhof Effingen, wo wir uns verabschiedeten. Durchs Fricktal nach Bad Säckingen abwärts, lief prima auf Radwegen und in Deutschland dann auf die Rheinradroute. Wehr Brennet im Klosterhof traf ich einen anderen Reiseradler. Kurz zuvor hatte ich eine Karotte in Nutella getunkt und an dem bis zum Schaft braunen, phalliscchen Objekt genagt, brach in schallendes Lachen aus bei dem Gedanken an die entsetzten Blicke allfälliger Passantinnen und Passanten, doch ich blieb unbeobachtet.

Dietmar aus Thüringen. Schon Wochen unterwegs und so verplauderten wir den Weg bis Basel, was auch das Drängen ein bisschen aus meiner Reise nahm. Die Zeit verging wie im Flug. Selfies zum Abschied und wer weiß, vielleicht sieht man sich mal wieder.

Das Quietschen am Radel war da schon präsent und auch mein tief verinnertlichtes Wissen, wenn etwas am Radel klappert oder quietscht, suche die Ursache und zwar sofort. Tat ich natürlich nicht, wollte ja voran kommen. Bei der Dreiländerbrücke rüber nach Huningue  und schon in der Petite Camargue, ein Naturidyll am ehemaligen Kanal, Sandwege. Das dimmte das Quietschen, aber sollteste mal was machen, sagte ich mir, doch da überholte mich Mathieu aus Mulhouse, Novartis-Angestellter auf dem Heimweg. Mit dem Rad zur Arbeit trifft mit dem Rad zur Liebsten. Gut zehn Kilometer plaudern wir. Er spricht gut Deutsch. Dass er morgens 1:42 Stunden gebraucht hatte für die gut vierzig Kilometer, erzählte er mir. Mit dem Zug dauere es im Winter über eine Stunde und eben, das ist ja allgemein bekannt, dass man so schön entspannt nach Hause kommt, wenn man radelt. Portion Sport schon intus. Es gebe eine Dreiländer-Radroute von 210 Kilometern Länge, erzählt mir Mathieu und dass Novartis, zwar in der Shweiz, einen Mitarbeiterparkplatz habe, der in Frankreich liegt, den man aber nur von der Scchweiz aus erreiche. Wir hangeln uns über das Enklaventhema nach Büsingen und all die kleinen Schweiz-Zotzen, die nach Deutschland ragen und die Deutschland-Polypen, die in der Schweiz wachsen bis hin zum Haus zwischen Belgien und Deutschland, durch das die Grenze angeblich verläuft. Lustige und weniger lustige Grenzabsurditäten, wie etwa beim Brand eines Novartis-Gebäudes vor einigen Jahren, das auch auf französischem Gebiet liegt und bei dem erst einmal ausdiskutiert werden musste, ob die französische, die Schweizer oder die Betriebsfeuerwehr zuständig ist. Mathieu lacht verschmitzt, das ist natürlich eine moderne Legende über Bürokratismus. Hoffentlich.

Endlich Zeit, dem Quietschen nachzuforschen: Gepäckträger-Bruch steht unmittelbar bevor. Kaum Hilfsmittel, keine Hülsen, Schlauchschellen, nichts an Bord. Im Straßengraben halte ich Ausschau nach Draht und Blech, bis mir die Sache zu heikel wird und ich absattele und mal schaue, was ich mit Bordmitteln tun kann. Schließlich muss das Ding ja nur noch 200 Kilometer weit am vollendeten Bruch gehindert werden. Zwei Kabelbinder, welch Segen und die Reifenheber als Schienen lösen das Problem. Hoffentlich. Das Quietschen ist jedenfalls weg und es hört sich auch nicht schlimm an auf den letzten Kilometern hier her zu meinem Pavillion, die über ein von Wurzeln aufgefaltetes Radwegasphaltgebilde holpern. Spät ists. Zehn Uhr durchquere ich Neuf Brisach. Marckolsheim ist ausgeschildert, zwanzig Kilometer, schaffe ich noch. Ich könnte mir auch gut vorstellen, bis weit in die Nacht zu fahren. Der Tacho zeigt nix mehr, weil unbeleuchtet. letzte Werte, die ich im Dämmerlicht lesen konnte, waren um die 100 Tageskilometer und knapp sechs Stunden Fahrtzeit. Einer Nachtfahrt stünde tatsächlich nicht viel im Weg. Es ist nicht so kalt und der Kanalweg führt bis nach Straßburg hinein.

Aber dann ist da dieser Pavillion. Pfosten genau richtig im Abstand, um die Hängematte aufzuhängen. Der Lageraufbau ist holprig. Ich bin aus der Übung. Muss in allen Taschen wühlen. Nicht auszudenken, wenn es hätte schnell gehen müssen bei etwa Regen oder anderen widrigen Umständen. Nun stehen knapp 140 Kilometer auf dem Tacho und gut acht Stunden Fahrtzeit. Mit viel Selbstüberwindung könnte ich die 160 Kilometer bis nach Hause heute noch schaffen. Aber erst einmal warm radeln. In den Nordvogesen lauern zudem die ‚Fünfhüpfberge‘. So nenne ich das faltige Gebiet zwischen dem Rhein-Marne-Kanal und dem Bach Zinsel. Ein elendes auf und ab. Darf gar nicht daran denken.

Bloggen von unterwegs – ein Ringen mit dem Workflow #mdrzl

Kaum ist man mal ein paar Wochen oder Monate weg, ändern sich die Bedingungen in der digitalen Welt. Wie lange ist das jetzt her, dass ich von unterwegs über das Radreisen oder das Reisen schlechthin bloggte? Ernsthaft und über mehrere Tage? 2021 tat ich nichts. 2020 umradelte ich (ich erinnere mich kaum) Rheinland-Pfalz. 2019 gabs den zweiten Abschnitt von /Bayern. Dazwischen gingen die Softwareversionen und kamen und WordPress, mein bevorzugtes Blog-System entwickelte sich rasant, was auch zu massiven Veränderungen im Backend führte und letztlich stehe ich nun da wie ein Anfänger, muss mich neu einfinden in die Technik. Zudem bin ich kürzlich von Twitter als Kurznachrichtendienst, (das kleine Futter zwischendurch für die verehrten Gepäckträgerreisenden), umgestiegen zu Mastodon. Dort fand ich bei Freund Hagen ein nettes Plätzchen auf einem netten kleinen Server irgendwo in einem der vielen Spiralarme des sogenannten Fediverse: @irgendlink@fimidi.com heißt der Account. Ist wie Twitter, nur anders :-). Und weil fimidi sich so schön macht als Name, habe ich kurzerhand vorgestern den Namen als bescheidenen kleinen Unterteil des sogenannten Fedi- oder Metaverse geprägt. Alles klar? Vermutlich nicht, und das ist auch nicht so schlimm.
Denn im Grunde sind die Abläufe wie eh und je gleich geblieben, wie schon seit Anbeginn der Zeit, in der Menschen begannen, über das zu plaudern, was sie antreibt, darüber zu schreiben und andere daran teilnehmen zu lassen. Nur die dahinter stehenden Accounts, die Technik und die ‚Nennt-das-Kind-doch-beim-Namens‘, die haben sich ein bisschen verändert.
Momentan sitze ich im Schneidersitz auf Frau SoSos Sofa und tippe diesen Text, der vor allem die Funktion hat, mal wieder auszutesten, ob ich auf dem Handy noch tippen kann. Bzw. auf dieser gakeligen, faltbaren Minitastatur, die per Bluetooth gekoppelt ist, und eben, wie die Kanäle funktionieren mit dem Veröffentlichen. Also vom Prinzip her: Text ins Blog hochladen und veröffentlichen und in der Blogsoftware auf dem Server laufen magische Mechanismen, die man nicht verstehen muss, die aber dafür sorgen, dass sofort auf Twitter und in Facebook und im eine Notiz hinterlassen wird, der Herr Irgendlink hat wieder einen Artikel geschrieben …
Zudem befinde ich mich in einer Reisesituation (wir haben eine REISESITUATION). Radelte kürzlich von Zweibrücken in den Aargau, verbrachte eine eiskalte Nacht zusammengekauert in einem Bücherschrank am Rhein-Marne-Kanal nahe Strasbourg und ja, ich fuhr auch ein bisschen Zug. Das Ganze als erstes kleines Reisekunstprojekt im unter dem Hashtag (mit dem Rad zur Liebsten), doch das nur als Geplänkel und ich befinde mich ja gerade noch in einer Phase des Technik wieder Erlernens und auch des Radreisen wieder Erlernens und des Schreiben von unterwegs wieder Erlernens.
Ich glaube, es geht um den Workflow. So wichtig beim reisend Schreiben.
Morgen gehts zurück in die Pfalz. Noch sagt mein Mut, diesmal radelste die 300 Kilometer komplett. Es soll nicht mehr so kalt werden. Ich erinnere mich an einige Kaschemmen und Hütten und Schlupflöcher unterwegs, wo ich übernachten könnte. Mal schauen. Zur Not habe ich keine Scham, in den Zug zu steigen (obschon das mit Reiserad nicht spaßig ist).
Im Fimidiverse werde ich den Workflow ‚Kurznachrichten von unterwegs‘ austesten (also während der Pausen ab und zu eine kleine Statusmeldung zum Fortschreiten der Reise posten): @irgendlink@fimidi.com heißt der Account. Ich glaube, man muss da selbst keinen Account haben). Gepäckträgermitreisende der Vergangenheit kennen das ja von Twitter. Blogtexte wie dieser sollten übrigens auf https://fimidi.com/@irgendlink im Fediverse zu finden sein. Auf Facebook (Atelier Rinck) und Twitter (@irgendlink) bleibt alles beim Alten. Hoffentlich.