Gegend Entwürfe 2018 – Literatur aus Rheinland-Pfalz

Gestern erfahre ich, dass  das Buch Gegend Entwürfe – Literatur aus Rheinland-Pfalz (mit einem Blogbeitrag von mir)  nun doch gedruckt wurde. Soweit ich mich erinnere, war geplant, dass es 2017 erscheint. Als Blogger bin ich mit einer Geschichte aus dem Irgendlink-Blog darin vertreten.

Herrjeh, lief das alles kreuz und quer und zu einem guten Teil muss ich Facebook, die Ratte, dafür verantwortlich machen, dass ich weder erfahren habe, dass das Buch doch noch wahr wurde, noch eine Kurzbiografie dafür eingereicht habe, noch genau weiß, welche Geschichte von mir denn in dem Buch veröffentlicht wurde.

Nachtrag: natürlich kam alles gut. Das Buch wurde sorgfältig redigiert, die Metatexte der beiden Herausgeber bereichern das kleine Kunstwerk, das zudem sehr solid gedruckt wurde und über ein schönes Layout verfügt. Das Lila Lesebändchen ist als eine Art Schwarzer Gürtel der Literatur das Tüpfelchen auf dem I.

Rheinpfalz-Kulturredakteurin Andrea Dittgen hat das Buch hier besprochen.

In einem weiteren Artikel richtet Andrea Dittgen den Fokus auf den Abschnitt ‚Familiengeschichten‘ der Gegend Entwürfe in dem vorwiegend Zweibrücker Autorinnen und Autoren zu Wort kommen.

Die Gegend Entwürfe 2018 sind ein Spaziergang durch die literarische Szene in Rheinland-Pfalz. Als Blogger war ich eingeladen, einen Beitrag zu leisten. Wie das mit dem Bloggen so ist (und mit der Kommunikation auf Facebook): Ich weiß noch nicht einmal, welcher meiner Blogartikel im Buch erschien.

Mein derzeitiger Literaturliebesstatus: warte auf das Belegexemplar.

Es ist ja auch alles schon so lange her. Die Kommunikation über das Literatur-Projekt fand ausschließlich über Facebook statt. Ich bin Facebook-Legastheniker. Der Herausgeber vermutlich auch. Den Rest des kommunikativen Chaos steuerten die Algorithmen bei. Per Direktnachricht hatte ich dem Herausgeber diese beiden Geschichten vorgeschlagen; er könne sich bedienen nach Herzenslust.

Die Parkbank am nördlichsten Ende von Rheinland-Pfalz

Die Omlette-Situation

Okay. Dann kam Weihnachten 2017 und das Buch war nicht erschienen.

Mein Hirn war auf Waiting For Input geschaltet, sprich, ich wartete, um zu erfahren, welcher der Blogartikel ins Buch kommt, damit ich dem Text den letzten literarischen Schliff geben kann. Als Blogger gehört man ja nicht zum Hochadel der Literatur. Sie kennen das, im Blog geht es zu wie in einer Bildhauerwerkstatt. Aufgeräumt wird immer erst später. Man kreiert Texte auf bestmöglichem Niveau, aber es handelt sich wegen des Literatur-on-the-fly-Gebarens doch stets um Entwürfe, um ungeschliffene Rohliteratur.

So weit so gut. Ich halte fest: Der Herausgeber wollte mich ins Buch haben, ich sagte ja, der Pakt war geschlossen. Die Fähigkeit, das Ganze auf telepathischem Weg zu vollenden, scheiterte. Den Rest hat Facebook verpatzt.

Gestern (November 2018) erhielt ich eine Direktnachricht vom Herausgeber, wohin der Verlag denn das Belegexemplar schicken soll.

Ich scrollte durch die Korrespondenz und entdeckte eine Nachricht vom Januar 2018, in der er nach einer Kurzvita fragte. Peinlich. Die Nachricht habe ich nie gesehen. Oder auch doch? Vielleicht werden auf Facebook Nachrichten und Beiträge nach Gutdünken übermittelt? Ach und es ist ohnehin alles so wischi-waschi, so verwirrend, und überhaupt, es geht ja bei Facebook nicht darum, dass die Teilnehmenden es bequem und übersichtlich haben, die Leute sollen kaufen, Werbung schalten, nix wie drauflos, je orientierungsloser die User sind, desto besser …

Ich bin gespannt auf das Belegexemplar. Der Herausgeber und ich kommunizieren mittlerweile auch per Mail. Also zumindest ich (denn, wie ich der Direktnachrichten-Korrespondenz entnehme, habe ich ihm auch schon früher Mails geschickt) … die Verlagsseite mit der Autorinnenliste liest sich übrigens gut: Rafik Schami, Norman Ohler, Wolfgang Ohler, Monika Rinck … fast dreißig Autorinnen und Autoren versammeln sich mit Texten und Gesprächen in dem 300 Seiten starken Buch.

Apropos Gespräch. Blick über die Schulter: Da steht ein Telefon (das ist das ‚Warum liegt denn da Stroh‘ der Feinen Künste).

Ein Gutes hat die Sache auch. Ich habe meine Bücher-Seite aktualisiert

 

Der innere Bisquitkuchen der Seele

Begleiten Sie mich auf einen Spaziergang durch das einsame Gehöft, in dessen hintersten Winkel über dem Hühnerstall unter einem löchrigen, Moos bewachsenen Dach sich meine spartanisch eingerichtete Künstlerbude befindet. Schlagen Sie die Bettdecke auf in der Morgendämmerung, steigen Sie mit mir die Leiter hinab aus dem Hochbett und vier Stufen wieder hinauf in die schäbige Küche, wo sich seit gestern Abend frisch gespültes Geschirr neben der Spüle stapelt bis auf Brusthöhe. Zapfen wir uns gemeinsam ein paar Deziliter Wasser und erhitzen es in einem uralten Wasserkocher, dessen Wackelkontakt wahlweise dafür sorgt, dass das Wasser nur lauwarm wird oder dass es kocht und kocht und kocht, während wir die Bude verlassen, der Katze die Ateliertür öffnen, damit sie fressen kann, durchs Atelier scharwenzeln. Vorbei am Bierkasten, stellen  wir die leeren Flaschen des Abends hinein, rammen die klemmende Stahltür am anderen Ende des Raums auf und laufen auf der Nordseite zwischen der Halle mit den Wohnwagen und dem Lagerschuppen vorbei zum Hühnerstall. Die zehn Hennen kriegen je 35 Gramm Körner und 70 Gramm Legemehl. Dafür hatte ich einmal zwei alte Blechdosen abgewogen und markiert – damals waren es noch vierzehn Hühner und ein Hahn. Es ist also wichtig, die Becher nur zu zehn Fünfzehntel zu füllen.

Der Hühnerstall ist eigentlich ein ehemaliger Schweinestall, an dessen Mittelgang rechts und links noch die alten Tröge flankieren. Es ist immer ein Balanceakt – im wahrsten Wortsinn, mit den beiden Bechern durch die hungrigen Tiere zu balancieren, den halben Meter hinauf auf die Trogkante und auf der anderen Seite wieder hinab bis zu den Hühnernäpfen, die eigentlich keine Näpfe sind, sondern aus Brettern zusammengenagelte längliche – ja, ich würde sagen, ebenfalls Tröge. Zwei Stück. Daneben stehen zwei alte Kochtöpfe, in denen Wasser ist. Vergessen Sie nicht, nachzuschauen, ob noch genug drin ist, sonst müssen die Viecher dursten. Auf dem Rückweg schauen wir in der dunkelsten Ecke des Stalls in den Nestern direkt neben den Schlafstangen, ob schon Eier darin sind. Meist sitzt noch ein Huhn in einem der Nester, seien wir behutsam.

Langsam fährt das Hirn hoch. Also meines. Ich weiß nicht, wie es sich mit Ihrem Hirn verhält. Aber meines ist frühmorgens immer so wunderbar unschuldig, noch umlullt von Träumen – hoffentlich guten Träumen – mein Hirn ist dann in einem friedlichen Zustand und voll und ganz integer. Es denkt noch kaum, nimmt wahr, lässt den Körper automatisch funktionieren, lässt ihm wie einem kleinen, süßen, pelzigen Tier die nötige Ruhe, in Unschuld zu erwachen und sich an dem großen, friedlichen Nichts zu nähren, das die Grundlage für ein ruhiges, unbesorgtes Sein ist. Ein Nichts wie ein Bisquitkuchen, kurz bevor er mit Marmelade beschmiert wird und gerollt wird. Eine schier unendliche Weite feinsten, duftenden Bisquits, auf der schlicht alles möglich ist, alles möglich sein könnte, solange man nicht darüber nachdenkt, was möglich ist und was man gegebenenfalls in der Zeitspanne jetzt bis irgendwann erreichen könnte. Der innere Bisquitkuchen der Seele gilt so lange als unendlich unschuldig, bis man anfängt, ihn mit Marmelade zu beschmieren und ihn zusammen zu rollen. Mit diesen beiden Akten wird er festgeschrieben zu dem was er ist und er erhält seine Bestimmung, die er vorher nicht hatte und mit seiner Bestimmung verliert er alle anderen Bestimmungen, die er hätte haben können. Er entsteht. Entstehen macht Vergehen erst möglich.

Doch zurück zu den Hühnernestern. Ein Ei. Nicht schlecht. Ohne das weiße Huhn anzuschauen, das im Nest daneben sitzt, nähern wir uns langsam und greifen nach dem Ei und schon geht das Gegacker und Gezeter los. Hühner dulden keine Nähe. Die Henne flattert ab. Staub stiept. Ein weiteres Ei kommt zum Vorschein, wir schnappen es. Es ist noch huhnwarm.

Vielleicht ist das der Moment, an dem es beginnt, an dem das Hirn, also meins – kommen Sie mal mit rein und schauen sie sich um, versuchen Sie gemeinsam mit mir herauszufinden, ob das der Moment ist, an dem mein Hirn in seltsamen Denkschleifen damit beginnt, Systeme aufzubauen, die nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln betreffen. Das Hirn denkt, das Heu in den Nestern könnte mal wieder erneuert werden. Das impliziert unweigerlich, dass Hände das alte Heu herausnehmen müssen und neues Heu hinein füllen. Kein Thema. Ganz einfache Sache. Doch wohin mit dem alten Heu und woher das neue Heu? Wir lassen die Nester erst einmal wie sie sind und nehmen die Eier. Im Vorraum des Hühnerstalls steht ein Korb mit frischem Heu. Das alte Heu muss in die entgegengesetzte Richtung zur Südseite des einsamen Gehöfts auf den Komposthaufen. Hierzu müsste man die Südtüre des Stalls öffnen, die Gehegetüre öffnen, zum Komposthaufen neben dem Quittenbaum gehen und das Heu dort hinschütten. Um es überhaupt schütten zu können, müssen wir es vorher in einen Korb füllen, den wir zunächst finden müssen und zu den Nestern bringen müssen. Okay, wir könnten auch einen Schubkarren finden und die Nester insgesamt darauf packen und sie am Komposthaufen … ein Schublarren steht bestimmt bei den Körben irgendwo in der großen Halle des einsamen Gehöfts, wo sich allerlei Gerätschaft, Rasenmäher, Traktoren und Schweißgeräte befinden. Wir lassen das erst einmal bleiben mit dem Nester neu mit Heu bestücken, kommen Sie mit.

Unser Kaffeewasser kocht bestimmt schon. Auf der Nordseite kommen wir am alten Traktor vorbei. Ein schöner, grüner Deutz, der leider kein Tüv mehr hat. Die Motorhaube steht offen. Ein Batterieladegerät hängt an. Da es nach über 24 Stunden noch immer nicht grün leuchtet, können wir davon ausgehen, dass die Batterie kaputt ist. Eigentlich ist die ganze Elektrik im Arsch. Das Hirn gibt schon seit Monaten Anweisungen, dass der Körper sich wie auch immer einmal um den Traktor kümmert. Immer, wenn wir an dem Traktor vorbei kommen, setzt eine Art Mahnreflex ein, der dem Gehirn ja auch nicht gut tut. Wertvolle Rechenzeit geht dabei drauf, wenn man wieder und wieder etwas anmahnen muss, statt es einfach zu erledigen. Doch so einfach ist das nicht mit dem Traktor. Im Prinzip ist es wie mit dem erneuern der Nester. Ein Rattenschwanz an Dingen hängt an der einzelnen Tat, Traktor reparieren. Viele Türen müssen geöffnet werden.

Ein elektrischer Defekt, der wie ein Hühnernest funktioniert. Dafür muss man viel nachdenken und davor scheut man sich. Also besser die Denkenergie ins Mahnen stecken. Das sind immer nur ein paar Sekunden, wenn der Traktor ins Sichtfeld kommt. Um ihn zu reparieren muss man Stunden am Stück nachdenken und obendrein auch noch handeln. Fehler finden, Bauteile bestellen, Schrauben lösen … schnell weg, das vergessen wir besser. Vielleicht den Schubkarren oder einen Korb? Ach ne, das Kaffeewasser erst einmal. Katze frisst. Ateliertür einen Spalt offen lassen, damit sie anschließend raus kann.

Wir schaffen es bis in die Wohnung. Eier in den Kühlschrank. Endlich ein Kaffee. Irgendwie haben wir es geschafft, ohne Größeres zu schaffen, Katze und Hühner zu füttern, zwei Eier zu retten und Kaffee zu kochen und sitzen nun in den beiden Sesseln in der Künstlerbude unterm löchrigen Dach mit dem vielen Moos darauf. Mhmmm Kaffee. Blick zum Fenster. Könnte geputzt werden. Blick zum Dach. Müsste erneuert werden. Gut, dass es nicht regnet und apropos, der Winter naht und man müsste die Regenrinne so umbauen, dass das Wasser nicht mehr in die Regenfässer fließt, sondern über ein fünf Meter langes Rohr direkt in den Garten geleitet wird. Außerdem müsste das Wasser abgelassen werden aus den Fässern und, seit Jahren denken wir darüber nach, alle Fässer einmal gründlich zu reinigen und die komplizierte Schlauchkonstruktion, mit der sie verbunden sind zu erneuern. Sind Sie noch bei mir? Gell, es ist ganz schön verwirrend, in so einem fremden Hirn zu stöbern?!

Der Kaffee tut gut. Unser Blick fällt auf die drei Poster dreier Reisen, die nebeneinander über dem Bürotisch hängen. Der Bürotisch ist genial vor Regen geschützt. Falls es denn mal wieder so stark regnet, dass es durchs marode Künstlerbudendach tröpfelt, denn überm Bürotisch ist auch ein Teil Hochbett. Das Wasser würde also zuerst ins Bett und dann auf den Computer und die Poster. Das Bett rettet die Kunst. Der Preis ist doch vertretbar, oder sollen wir das Dach reparieren?

Schon seit Sommer sollte eigentlich ein viertes Poster an der Wand hängen, das halb fertig designt im Computer gaukelt. Sieht ziemlich gut aus, aber ich bin noch nicht ganz zufrieden. Sie wären auch nicht ganz zufrieden, wenn Sie ich wären, vermute ich. Irgendwas müssen wir daran noch ändern, kommen Sie, wir schalten mal den Computer ein und klemmen uns hinter die Sache. Derweil gackern die Hühner im Stall unter uns. Wieder ein Ei im schmutzigen Nest. Während das Betriebssystem lädt, könnten wir doch die Körbe, damit wir die Nester, aber dann müssten wir am Traktor vorbei, der ja kaputt, ach herrjeh, was nicht alles kaputt ist, steht nicht irgendwo bei den Schubkarren und Körben auch das Schweißgerät, mit dem wir das Blechteil des großen Balkenmähers schweißen könnten, damit entweder Sie oder ich später, wenn wir mit der Computerarbeit fertig sind, das hohe Gras unter den Quittenbäumen mähen könnten …

Das System ist geladen. Was wollten wir? Erst einmal Mails checken und bis das Mailprogramm geladen ist, den Browser öffnen und da er nicht richtig beendet wurde am gestrigen Abend – waren Sie das, der den Computer einfach so ausgeschaltet hat, oder ich – öffnen sich alle Fenster vom Abend, Twitter gucken, Facebook. Achgott und da ist noch die Bestellung beim Elektronikladen, die wir noch nicht weggeschickt haben, weil wir erst einmal das Bankkonto anschauen müssen in einem anderen Browserfenster.

Die Mails sind da. Jemand will was zu einem bestimmten Zeitpunkt und da fällt uns siedend heiß ein, dass wir eine Sache verbummelt haben und deshalb einen Umweg machen mussten und warten mussten bis Bedingung A und B erfüllt sind, damit wir uns an C aktiv ranmachen können und dem, der per Mail etwas will, endlich zur Seite stehen können. Alles kein großer Akt, aber so filigran zerzieselt wie ein Fraktal. In Twitter gibt es diverse interessante Nachrichten, kommen Sie, wir lesen erst einmal diesen verlinkten Zeitungsartikel über die Regierungsbildung in Bayern. Diese Freien Wähler sind Ihnen doch auch suspekt, oder? So eine Art CSU, nur anders, ach, lassen wir das, der Artikel ist hinter einer Bezahlschranke. So ärgerlich. Sollen wir uns beschweren bei dem Twitterer, dass er solche Artikel überhaupt verlinkt?

Die Bestellung kann raus, auf dem Bankkonto ist genug Geld.

Wir schauen mal im Ordner mit dem Poster, was wir noch ändern können … Obschon, das Hirn ist mittlerweile derart durcheinander, dass es zu kreativen Dingen überhaupt nicht mehr fähig ist. Blitze zucken. Was für ein Donnerwetter. Alles, was wir jetzt anpacken und was Feingefühl benötigt, wird zur groben Masse – wenn es ein Bisquitkuchen wäre, würden wir einen hässlichen, übel schmeckenden Kuchen zusammenrollen, der keinerlei Gehalt hat und sogleich in seine Einzelteile zerbröseln würde.

Irgendwo ist noch ein Browserfenster offen mit einem Blogartikel, den wir begonnen haben lange bevor alles aus dem Ruder lief hier bei unserem Spaziergang durch mein Leben, durchs einsame Gehöft, vorbei an all den Dauerbaustellen. Ein kleines Wunder von Blogartikel. DIESER hier. Ein Glück, dass alles, worüber in diesem Blogartikel berichtet wird noch nicht geschehen ist. Ich finde, wir sollten ihn publizieren. Was meinen Sie?

Und dann setzen wir uns einen Kaffee auf, füttern die Katze und die Hühner und machen einen Spaziergang durchs einsame Gehöft.

Siebzehn Eichen und das Saarland

Vielleicht verhält es sich mit Scheitern und Erfolg wie die Kontraktion einer Raupe, sinniere ich gerade. Hände stecken in schwarzer Erde. Ich habe die siebzehn Eichen aus dem Kühlschrank geholt, die ich vor gut vierzig Tagen in einer Tüte voller Sägemehl eingelegt hatte. Ganz wie es die Beschreibung aus dem Web empfahl: unverletzte Eicheln einpacken in Sägemehl oder Erde und sie zwecks Simulation von Winterkälte im Kühlschrank reifen lassen. Sodann die Früchte vereinzeln in kleine Töpfe und immer schön gießen – in vierzig fünfzig Jahren hast du dann veritable Bäume, wo auch immer du sie hin gepflanzt hast.

Gut so. Das war die Zeit im September, in der die Sache mit dem Hambacher Forst noch ziemlich kritisch aussah und man die Baumhäuser räumte und die Fledermäuse vergrämte. Nicht gut sah das aus für den kleinen Wald in Nordrhein-Westfalen und für seine Bewohnerinnen und Bewohner. Da musste doch was machen, dachte ich. Zur Demo gehen, dich in den Sozialen Medien engagieren. Derweil prasselten die Früchte der kleinen Eiche neben der Künstlerbude aufs herbstwarme Blechdach. So laut und massenhaft wie nie zuvor. Eine Internetsuche zeigte, dass Eichen ohnehin erst nach einigen Dekaden Früchte abwerfen und da die Künstlerbude nunmehr etwa sechzig Jahre auf dem freien Land steht und der Windschutz erst Jahre nach Erbauen gepflanzt wurde, kommt das hin.

Ich sammelte Eicheln und keimte einen Teil davon. Einen anderen Teil verwandelte ich in einem aufwändigen Verfahren mit Wässerung und Rösten in Pulver, das als Kaffee gar nicht mal so übel schmeckt. Wenn man davon absieht, dass man pro Tasse Kaffee geschätzt etwa eine viertel Stunde Arbeit damit hat, könnte man einsteigen ins Geschäft mit dem Eichelnkaffee. Er schmeckt ein bisschen wie Malzkaffee.

Die schwarze Raupe, die mich zum Nachdenken über das Scheitern und den Erfolg anregte, kroch irgendwann vor Wochen quer über einen Teerweg – ich glaube, während meines Projekts, Bayern zu umradeln – und ich hatte sie längst wieder vergessen, bis ich vor zwei Wochen das Saarland umradelte und über Erfolg und Scheitern nachdachte.

Normalerweise könnte man ja ganz einfach sagen, Erfolg gleich gut, Scheitern gleich schlecht. Aus-die-Maus.

Ich hatte in jener Woche die Wahl, am Bayern-Projekt weiter zu radeln und die Strecke Lindau bis Königssee in Angriff zu nehmen auf dem über zweitausend Kilometer umspannenden UmsLand-Projekt, oder etwas ganz anderes zu machen. Gemütsmäßig war ich ziemlich angegriffen. Selbstwertgefühl im Keller und so war klar, ein Erfolgserlebnis muss her. Ich weiß nicht, ob es nachvollziehbar ist, dass, wenn man das Ziel hat, ein Land zu umradeln, es sich nicht gut anfühlt, wenn man dies in Etappen machen muss und immer wieder unterbrechen muss, um nach Monaten endlich die Runde zu beenden. Rein sportlich gesehen, ist es wahrscheinlich nicht so schlimm, dieses Gefühl. Aber da ich unterwegs schreibe und Kunst schaffe, ist jede Unterbrechung des ruhigen Reiseflusses ein Störfaktor. So erinnerte ich mich also des Saarlands, das, wie man so schön sagt, eine Größe etwa so groß wie das Saarland hat :-) (man verzeihe mir den Scherz). Das Saarland lässt sich in fünf Tagen bequem umradeln. Es sind nur 350 Kilometer. Der Radweg führt stets dicht an der Grenze und führt auch manchmal in die Nachbar-Regionen, Rheinland-Pfalz und Lothringen. An der Mosel verläuft der große Saarland-Radweg direkt an der Grenze zu Luxemburg. Der Radweg ist bestens beschildert. Man kann sich kaum verirren und braucht auch nicht zwingend eine Karte.

Reisen glättet das Hirn, hobelt die Sorgen weg, fokussiert den Blick, macht gleichmütig, stellte ich fest. Anfangs noch Streuungen von Alltag, was ziemlich ablenkte vom Denken, ging ab Tag zwei der Reise alles von selbst. Ich hatte nicht einmal vor, das volle Programm zu fahren und wie bei anderen Arbeitseinsätzen unterwegs zu schreiben und zu bloggen und zu fotografieren. Nun bin ich froh, dass ich es doch getan habe und in den fünf Tagen je einen Blogartikel und einige Tweets abgesetzt habe. Auch die Fotoserie kann sich sehen lassen. Vielleicht reicht es sogar, ein schickes Poster zu generieren. Doch das war nicht mein Ziel.

Ziel war es, das Land zu umradeln und mir so ein Erfolgserlebnis zu gönnen. Ich hab mehr erreicht, als ein Erfolgserlebnis einzufahren. Ich habe etwas erkannt: dass Erfolg und Scheitern nur Gefühle sind, trügerisch, und dass es einen vom Eigentlichen ablenkt, wenn man sich daran orientiert.

Die kleine schwarze Raupe, wie sie sich zusammenzieht, auf die Hinterbeine stellt, eine Wucht nach vorne gibt, auf den Vorderbeinen landet – was, wenn sie zwei Hirne hätte, eins hinten, das sich über die Mühen des Stemmens ärgert und eins vorne, das sich mit jeder Wucht, mit der der Körper wie durch Wunderkräfte vorwärts pulsiert, erregt freut über den Erfolg.

Hanebüchen? Okay, der Gedanke ist nicht ganz reif. Dranbleiben, Herr Irgendlink, am Raupenbild. Irgendwann ist es perfekt.

2012 hatte ich schon einmal versucht, das Saarland zum umradeln. Ich hatte das vergessen. Erst als ich die Einträge der Tour vor zwei Wochen nachschaute, entdeckte ich diesen Tourversuch. Gescheitert.

Man muss immer darauf gefasst sein, dass Größeres so groß ist, dass es unsichtbar wird. Dass die eigene Kraft, sich etwas vorzustellen zunächst nicht ausreicht, um genügend Antriebskräfte hervorzubringen, weiterzumachen und an diesem Größeren im Blindflug zu arbeiten, also ohne sich gleich einen Erfolg davon zu versprechen. Wie Früchte, die langsam wachsen. Wie Eichen. Wie schwarze Raupen, die einen Teerweg überqueren.

Als ich letztes Wochenende meine gesammelten UmsLand-Projekte in einer Grafik vereinte, wurde mir der Ansatz klar, was ich da begonnen habe. Ich montierte die GPX-Tracks, die ich mit dem GPS aufgezeichnet hatte mit einem Programm namens Viking in einer Karte. Rheinland-Pfalz, das südlich davon gelegene Tourismuskonstrukt Paminaland und das Stück Bayern. Dann kam die Überraschung, als ich das Saarland einfügte, also nicht die Grenzen, sondern die grenznahe bereiste Strecke. Erstaunt blickte ich auf ein neues Land, das zwischen meinen Routen im Entstehen ist, die Lücke zwischen den Eigentlichkeiten. Das Unsichtbare, an das niemand gedacht hate. Ein berauschender Moment wie ein Weltraumforscher, der ein Aha-Erlebnis zwischen zwei Nebeln hat und irgendwas mit Zeit und Raum faselt, aber es noch nicht so ganz versteht. Ich bin dem Geheimnis der Grenze auf der Spur.

Klar, braucht man das Balsam manchmal, um sein Ego zu beruhigen, das Balsam, im Glanz des Erfolgs zu stehen und etwas vorweisen zu können. Es würde sich jedoch viel besser arbeiten lassen, wenn man einfach nur arbeiten könnte an seinen Dingen und Projekten, ohne sich darum zu scheren, ob es honoriert wird.

Wie die siebzehn Eichen, die ich in meinem Kühlschrank großgezogen habe. Die Früchte sind aufgeplatzt. Fast alle recken einen winzigen Keim. Ich habe sie nun in Töpfe gesetzt, ganz wie es die Internetseite, auf der ich die Anzucht von Eichen recherchierte, empfiehlt.

Vielleicht gibt es in fünfzig Jahren schöne Bäume irgendwo. Ich werde das nicht erleben, aber mir ist klar geworden, dass ich gewirkt haben werde.

 

Good Bye Yellow Pig Road | #UmsLand/Saar

Underfoot-Aufnahme vom Fahrradhelm aus, der als Stativ diente und auf dem Radweg lag. Ein Mann mit Radlerkleidung im Schneidersitz rechts neben seinem Fahrrad. Viel Teer im Vordergrund und blauer Himmel, dazwischen ein schmaler Streifen Grün als Horizont.linie

Warmer Ofen. Wind zischt. Herbst kommt. Daheim nun.
Ein Parforce-Ritt, die gestrige Radeletappe aus dem tiefsten Warndt via Saarbrücken in den Bliesgau und nach Homburg. Oder, wenn man es in Kilometern ausdrücken möchte, etwa achtzig. Das ist nicht die Welt. Normale Radreisende ‚machen‘ mehr als hundert, manche über zweihundert und die echten Transcontinentalfreaks machen zum Frühstück die gesamte ellenlange 350 Kilometertour rund ums Saarland, ohne auch nur einmal abzusteigen.
Ich kann allen Tempobereichen etwas abgewinnen, muss ich sagen. Als ich diesen Sommer das Transkontinental-Radrennen von Gerhardsbergen bei Brüssel bis ins griechische Meteora auf dem Computerbildschirm verfolgt hatte, habe ich richtig Lust gekriegt, da auch mitzufahren.

Tu‘ das nicht, Herr Irgendlink, sei klug. Bleib langsam. Gehe deinen Weg. Finde deinen Takt.

Gestern war schon fast zu schnell. Man muss sich den menschlichen Körper und das Gemütskonstrukt, das damit einher geht vorstellen wie eine Waagnadel, über der eine Balancestange hängt und die sich genau mittig einpendeln sollte. Wie eben Waagen so sind, so sollte es auch mit dem Gemüt funktionieren. Beim Radfahren spüre ich es am ehesten, wenn es nicht so recht klappt mit dem sich einpendeln. Dann hetzt man selbst gebastelten konfusen Zielen hinterher und steckt sich Weg- und Zeitmarken und dann wird man unglücklich inmitten des Glücks, das einen umgibt. Wenn man es zulässt.

Die Nacht in Großrosseln unter einer kleine Eiche mit weit ausladenden, kaum 1,6 Meter über dem Boden stehenden Ästen war eiskalt. Die Wiese ringsum trug Raureif. Es ist erstaunlich, wie minim, aber doch wirksam das bisschen Schutz von Bäumen ist. Unterm Baum gab es noch keinen Reif. Diese Nuance von Temperaturunterschied habe ich erstmals auf dieser Radeltour erkannt. Ein zwei Grad wärmer ist es unter den Bäumen und das Zelt wird nicht taufeucht. Punkt Sonnenaufgang kommt die Europennermaschine in Gang, ich packe alles zusammen. Frühstück war gut mit geröstetem, schäbigem Billigst-Baguette aus dem Backautomaten, Pulverkaffee und dazu ein paar Strich von dem Honig mit Kürbiskernen, den ich in einem Wohnwagen-Verkaufsstand an der Radwegeumleitungsstrecke in Höchen, am ersten Reisetag gekauft habe. Es kommt mir vor, als sei das Wochen her. So eine selbstorganisierte Radelreise hobelt alle Zeiten dahin und die Sorgen ohnehin. Ich bin weichgeklopft, okay, ein bisschen druchfroren an diesem Morgen, aber der Trangia, mitten im Zelt erzeugt recht schnell Schwitzhüttenatmosphäre. Die ersten Kilometer führen mich durchs sonntagsstille Großrosseln und über die französische Grenze nach Petite Rosselle – also Kleinrosseln. Immer wieder muss ich an die Sache mit dem Zauberkasten denken, den ich als Kind zu Weihnachten geschenkt bekam. Auf deutsch hieß es ‚Der große Zauberkünstler‘ (oder so ähnlich) und auf französisch, was ebenso auf der Schachtel aufgedruckt war, stand da ‚Le petit (ich glaube Magicien)‘. Mein bilingualer Freund Steph machte mich drauf aufmerksam, dass das genau das Gegenteil ist. Jaja. Frankreich, Deutschland, deine Missverständnisse, deine Herzlichkeiten.

Herzlich ging es jedenfalls zu in der Bäckerei, in der sich Menschen von diesseits und jenseits der Grenze begegneten, Baguette oder Bappigsüßes bestellend. Eine Weile lauschte ich in dem angegliederten Café dem Mix aus Mundart, Deutsch und Französisch und bewunderte die vielen Torten, die im Schaufenster aufgestellt waren. Eine Fußballtorte, eine Spiderman-Torte, eine kitschige – ja, was ist das – Schneewittchentorte und die Bäckerin zeigte mir auf dem Smartphone eine Torte mit Kirche darauf, die sie gerade gestern als Auftrag hatten backen lassen. Ist das die aus Lauterbach, fragte ich, nein, irgendeine, sagte sie. Sie sprach Mundart. Kurzum, es ist für mich das ‚Große Tortenmuseum von Petite Rosselle‘. Also le grand dans la petite … na, Ihr wisst schon.
Ein guter letzter Reisetag. Das Wetter hat doch tatsächlich mit brilliantestem Sonnenschein durchgehalten bis zu meinem Tourende. Von den beiden Rosseln ging es nach Völklingen an der Saar. Kulturerbestadt. Ziemlich verkommenes Saarufer, an dem das Partyvolk seine Pizzaschachteln hinterlassen hat, massenhaft Glas und alles irgendwie klebrig wirkte, verspuckt und missachtet. Ein Wasserwart nahm Proben aus dem Fluss. Naja, trinken kann man es nicht, es wäre badbar, wenn nicht schon zu kalt und die Proben sind eigentlich wegen der Fische, sagte er. Im Hintergrund blecken die Türme des alten Stahlwerks, das nun Kulturort geworden ist.
Leichtes Spiel. Bis Homburg habe ich nur noch Flachland an Saar und Blies vor mir. Saarbrücken, die kleinste Großstadt der Welt des Saarlands ist opulent, was die Photogenität angeht. Hier könnte ich Tage verbringen und knipsen. Eine hunderte Meter lange Wand mit Graffities etwa, die immer wieder neu und hochoffiziell bespielt wird, verrät mir eine Frau mit silbernem Haar. Ein bemerkenswertes Projekt. Die Kunst kann sich tatsächlich sehen lassen. Manche der Künstlerinnen und Künstler korrespondieren auch mit den natürlichen Gegebenheiten neben der Mauer, mit Laternen, Pegelmarken und dem was da wächst. Es hat durchaus seinen Reiz. Die Frau mit dem silbernen Haar, die auch per Fahrrad unterwegs ist, begegnet mir immer wieder und das letzte Stück bis Sarreguemines radeln wir gemeinsam. Da packt sie aus, dass sie einmal alle Brücken an der Saar in der Gegend fotografiert hat. Aus verschiedenen Blickwinkeln bei verschiedenen Lichtverhältnissen und sie weist mir den Weg schließlich bei der Schleuse in Sarreguemines, da über die Brücke, dann links und vorbei am Sportplatz und immer weiter, schöne Strecke und ich sage, ich tu immer das, was die Radwegschilder mir sagen und sie lächelt und fährt weiter ihres Weges zu einem regionalen Markt vorm Casino der Stadt und in der Tat ist viel passiert, seit ich vor gut zehn Jahren diesen Weg schon einmal radelte und der Blies folgte. Damals war er nicht sehr schön, verlief auf der Landstraße. Schwitz, keuch und irgendwie steil, so erinnere ich mich, doch das hat sich geändert.

Es gibt einen Bahntrassenweg etwas abseits, oberhalb, den ich auch bei meiner Reise ums Paminalands nutzte, aber ich wollte ja dem großen Saarlandrundweg folgen, und ja, das französische Stück, nah an der Blies hat sich gemausert mit eigens gebauten Radwegen neben der Straße. Weder schwitz, noch stöhn, noch keuch. Dennoch: der Bahntrassenweg ist sicher die bessere Wahl, wenn man die Betonholperpfade rings um Habskirchen meiden möchte. Aber die grenznahe Tour auf der Yellow Pig Road hat auch ihren Reiz. Man muss das Spiel mitspielen, wenn man in den Genuss des großen Ganzen kommen möchte.
Etwa dreißig vierzig Kilometer sind es von Sarreguemines durch den Bliesgau nach Homburg und ich muss mächtig reintreten an diesem gestrigen Sonntag. Gegenwind. Und viele Sonntagsspaziernde erschweren die Tour. Ich fahre Zick-Zack und meine selbsterfundene Mundklingel, ‚DingDong‘ rufend, kommt gut an (nur die beiden Radler aus Fernost, denen ich vor Homburg begegne, gucken etwas komisch – ich weiß nicht, was Dingdong in ihrer Sprache heißt). Dennoch gelingt es, ruhig auszurollen und als ich die Talstraße in Homburg erreiche, ist es etwa halb sechs und auf dem Gesamt-Kilometerzähler stehen fast auf den Meter genau 380 Kilometer. Nur knapp dreißig Kilometer mehr, als das Tourismusportal im Web für die große Saarlandroute offiziell veranschlagt. Und die sind weitestgehend meinem Abstecher zur Saarschleife an Tag drei der Tour geschuldet.
Fazit: Der große Saarlandradweg lässt sich allein mit den aufgestellten Schildern navigieren. Eine Karte, zum Beispiel auf dem Handy, ist nützlich aber muss nicht. Die Radwegbeschaffenheit hält von feinstem Teer über übelsten Wald- und Feldweg alles bereit und mit einem 28 Zoll Standard-Tourenrad und Gepäck kann man die Reise prima bewältigen.

Ach und der Blogtitel? Er spielt mit dem Titel des melancholischen Elton John Albums ‚Good Bye Yellow Brick Road‘ – ich konnte mir das Wortspiel nicht verkneifen.

Vom Saargau in den Warndt | #UmsLand/Saar

Nochmal 90 Höhenmeter. Verteilt auf eine Distanz von drei Kilometern. Schottriger Waldweg. Zwei Mountainbiker preschen mir entgegen. Gerade habe ich Lauterbach durchquert mit seiner wuchtigen Kirche, deren Turm derzeit eingerüstet ist. Dennoch ein Prachtstück. Den Saargau habe ich wohl hinter mir. Es war nicht leicht, frühmorgens den Namen der Gegend herauszukriegen. In Fürweiler fragte ich einen Mann, wie heißt die Gegend und er antwortete Fürweiler. Also präzisierte ich die Frage, nein, die Gegend, also alles hier und machte dazu eine kreisende Handbewegung. Achso, Rehlingen-Irgendwasgenuscheltesburg. Er meinte die Verbandsgemeinde Rehlingen-Siersburg. Ich gab auf. Ich erinnere mich, dass ich vor zehn Jahren in dieser Gegend zwei wunderbare Geocaches gefunden habe. Einer befand sich in einem ehemaligen Eisenbahntunnel. Die Gegend ist unerwartet bergig. Immer wieder kündigen Schilder die Steigungen des Radwegs an. Nachdem ich es anfangs demotivierend fand, weiß ich die Hinweise mittlerweile durchaus zu schätzen. Bis sechzig Höhenmeter tut nicht weh, wenn die Distanz größer 800 Meter ist.90 ist lästig. Drei Kilometer Waldweg sind unangenehm. Bald bin ich in Karlsbrunn im Warndt. Der (oder heißt es das) Warndt war ehemals Jagdgebiet der Adeligen. Schon Karl der Große habe hier gejagt, erzählte mir morgens der Mann, der mir dann doch noch den Namen der Gegend um Fürweiler verraten konnte. Ein riesiges Waldgebiet und ich solle besser nicht nach Großrosseln radeln, was mein Tagesziel ist, sondern in Karlsbrunn bleiben. Großrosseln sei, wie viele Orte, die mit Kohle und Industrie zu tun hatten, etwas heruntergekommen. Dass er seit der Hundertjahrfeier der örtlichen Gaststätte im Ort wihne, erzählte er mir auch, und dass die Gaststätte nach dem Fest dicht gemacht habe. Voilà, zwei Äpfel. Gibt ja nichts wo man einkaufen könnte.

In der Tat. Erst in Überherrn finde ich einen Edeka und versorge mich mit dem Nötigsten, so dass es für Sonntag reicht.

Doch zurück zu meiner Steigung, also vorwärts in meiner Tour zu jenem Waldweg, der von Lauterbach hinauf führt in den Warndtwald rings um Karlsbrunn. So kurbele ich also diesen Waldweg hinauf und steuere auf den vorläufig südlichsten Punkt auf meiner Radreise ums Saarland zu. Ein Forsttraktor überholt mich, wippt auf fetten Ballonreifen und bläst Dieselruß und Staub in die Luft.

Nach drei Kilometern stehe ich endlich oben. Hier. Fast ganz im Süden. Und zwar an äußerst spektakulärer Szene. Bei einem Aussichtspunkt ragt eine Rampe über einen Abgrund. Der Ort liegt genau auf der französischen Grenze. Blick in ein gigantisches Loch, in dem zwei Seen die viele Hektar große (offenbar Tagebau) Wunde zu renaturieren versuchen. Weit entfernte Kühltürme im Dunst. Zwei Studentinnen reden über Klausuren und auf einer Parkbank am Waldrand sitzen vier Jugendliche mit Gitarre, singen auf Französisch. Karlsbrunn liegt ein bisschen weiter unten im Tal nördlich der Abbruchkante. Es gibt einen Wildpark dort und was soll ich sagen, die zahmen Wildschweine in einem der Gehege sehen tatsächlich ein bisschen aus wie die Umrisslinie des Saarlands. Wie meine gelbe Wutz, der ich seit vier Tagen folge.

Die Lagerplatzsuche bereitet ein Problem. Einerseits würde ich gerne noch ein bisschen radeln, damit die Strecke des letzten Reisetags nicht zu lang wird. Es ist auch erst 16 Uhr. Andererseits wird es wohl kaum möglich sein, auf der Strecke Großrosseln-Völklingen-Saarbrücken, also den nächsten vierzig Kilometern einen gemütlichen Platz zu finden. Zwischen Völklingen und Saarbrücken verläuft der Radweg teilweise unter der Autobahn. Und schon in den Tälern des Warndt hört man die Autobahn summen, die quietschenden Reifen samstagabendgestylter Jungbullen auf dem Weg ins Amüsement, einen laut hupenden Hochzeitskorso. Bloß nicht über Großrosseln hinausradeln, Herr Irgendlink, bloß nicht!

Noch vor Großrosseln zelten? Oder in die Dunkelheit radeln und erst zwischen Saarbrücken und Saargemünd einen Platz zu suchen? Sei doch vernünftig, Mann!

Der Weg ab Karlsbrunn ist ein wunderbares Idyll. Dichter Wald, oft Birke. Fast komme ich mir vor wie in Skandinavien. Niedergehendes Farn in allen Rot- und Brauntönen bis hin zu fast elfenbeinenem Seichtgelb.

Ein weiterer Anstieg, x Meter auf y Kilometer bremst mich vor Großrosseln aus, nimmt mir gleichsam die Entscheidung ab und kurz vor dem Städtchen finde ich einen guten Platz unter einer Eiche. Mit Parkbank, auf der ich Abendessen kochend bis zur Dämmerung warte. Außer einer Hundegassigängerin begegnet mir ohnehin niemand.