Tage sieben und acht #UmsLand

Es gab vermutlich einen  leichteren Weg, vor vielen Mannsattelstunden am Rhein. Der holländische Weg rund um die Schweiz. Er folgt strikt den drei nationalen Radrouten Rhein, Rhône und Jura. Soweit ich es überblicke, wären in den Alpen nur der Oberalppass und der Furkapass zu überwinden. Sonst nichts.

Im Schweizer Passgewirre kann einem schon recht schwindlig werden. Vor allem als Radler läuft man Gefahr, sich in einem Tal zu verirren, auf eine Felswand zuzufahren, schlimmstenfalls auf einer stark befahrenen, engen Passstraße. Dehalb halte ich mich am liebsten an ausgewiesene Fahrradrouten, obschon auch die nicht Garant sind für eitel Radelfahren auf ebener Piste ohne Fernverkehr.

Pässe sind nunmal Nadelöhre. In Landquart traf ich vorgestern die Entscheidung, die Rheinradroute zu verlassen und der lokalen Route 21 Richtung Klosters und Davos zu folgen. Die Radroute führt zwar laut Open Cycle Map nur bis Klosters, ich war aber zuversichtlich, dass es irgenwie weiter geht. Bis Davos, dann ein Pass, der Flüela? Wie auch immer.

Gute Strecke auf ehemaliger Straße, und direkt am Fluss namens Landquart. Spektakuläre Felswände im Gleichklang mit Katarakten im Fluss. Wiesen. Abends vorbei an einem Schützenhaus, wo der Radweg gesperrt war und umgeleitet wurde, damit niemand verletzt wird. Wie oft so in der Schweiz. Es stehen Fahnenmasten vor den Schützenhäusern, die gehisst werden bei Schießbetrieb.

Ich fand einen schönen Zeltplatz ein paar Kilometer hinter der Umleitung, auf Kies, direkt am Fluss, konnte mich waschen. Zum Baden war das Wasser zu kalt.

Tags drauf, gestern, ging es direkt nach dem Packen schon richtig zur Sache 25 Prozent Steigung zum Frühstück. Das Tolle daran: auf 100 Metern Strecke schafft man sich 25 Meter höher. Im Kriechgang. Und überhaupt laufe ich ja auf der Hypothenuse und die 100 Meter gelten für die Gegenkathete zu den 25 Metern, alles klar? Schiebeschwitzmathematik bis Klosters, auch die späteren zehn bis zwölf Prozente kein Amüsement, zumal oft Kies. Das geht selbst Schieben schwer.

Direkt am Bahnhof Klosters Platz angelangt, fackele ich nicht lange – es steht ein Zug nach Scuols am Gleis –, kaufe eine Fahrkarte, der Zug fährt mich zum Inntal, denke ich, ahne ich, bin nicht ganz sicher, frage Menschen, ja, sagen sie, Scuols ist am Inn. Dort ist wieder ein Radweg eingezeichnet, dem ich folgen möchte. Karte gekauft, im Zug sitzend, fällt mir auf, dass es noch Zwischenstationen gibt. Ich hätte gar nicht bis Scuols durchbuchen müssen, kostete 23 Franken nochwas, Lavin die zweite Station nach dem Tunnel hätte gereicht, aber egal. Bei der ersten Station, die noch einen Tick höher im Inntal liegt, hätte es keine Brücke bis zum Radweg gegeben und ich hätte über Lavin oder Zernez auf der Landstraße radeln müssen.
Alles klar?

Passwirrwarr. Ich weiß nun, dass der Flüela von Davos nach Zernez führt und dass der Ofenpass von Zernez nach Irgendwo führt, sowie der Innradweg auf dem Malojapass endet, von wo aus die Route sich noch durch ein paar Schweizer Orte bis zur italienischen Grenze in die Tiefe stürzt.

Das hatte mir ein radelndes Paar aus Scuols erklärt, auch wie es sich mit den beiden Engadins verhält, dem Ober- und dem Unterengadin und überhaupt, sei die Gegend so schön, so abenteuerlich, so kulturell und pittoresk, da lohne sich Langsamkeit, schauen, sich driften lassen.

Tue ich auch, unterhalte mich kurz vor Zernez mit einem Norweger aus Tromsø, der lange in der Schweiz lebte und nun wieder zurück siedelt. Er hat einen dreibeinigen Hund, der den Knochenkrebs überlebte, nun aber eben nur noch drei Beine hat, ein glückliches Tier mit weißem Fell, das in der Wiese herumtollt. Fürs Radeln und Wandern gibt es einen Auflieger am Fahrrad, wo der Hund sich halb auflegen, halb auf den verbliebenen Hinterläufen laufen kann.

Zernez. Die Wolken jagen mich talaufwärts. Bombastischer Rückenwind. Entgegenkommende Radlerinnen und Radler keuchen im Anblick des Dusters im Tal. Ich hab stets einen Streifen Sonne vor mir, Lücken in den Wolken. Vor Sankt Moritz wirds nochmal steil, aber letztlich führt der Innradweg wie ein ganz normaler Flussradweg bis zur Passhöhe in Maloja bei 1815 Metern Höhe.

Dann nur noch abrollen. Ich kann es nie glauben, wenn ich Pässe übberwunden habe und wieder abwärts fahre, dass ich hinauf geradelt bin. Kann mir bei fünfzig, sechzig Sachen nicht vorstellen, dass man das überhaupt radeln kann.

Etliche Kilometer bis zur italienischen Grenze gibts keinen Radweg und der Verkehr ist auch nach 19 Uhr noch ziemlich stark. Langsam zwar und die Straße ist breit, und abwärts bin ich ohnehin genauso schnell wie der Mahlstrom der Motorisierten.

Gleich nach der Grenze beginnt ein Radweg, gut beschildert, keine Autos, der laut Karte weiter und weiter und weiter führt. Fährt sich bestens, geteeert, nur ab und zu Straßenquerungen, superschön. Eine Tanzgruppe mitten auf dem Weg und kurze Zeit später eine Reifenpanne. Dichter Tag. Ich repariere eher lustlos mit Notfallkit. Statt zu warten, bis die Kautschukmilch sich ins Loch setzt, radele ich weiter, hab nach fünf Kilometern wieder platt, muss also doch noch eine Schwarze-Hände-Session einlegen. Auf einer Bank beim Stadion fange ich an mit der Reparatur. Ein Radler kommt vorbei, stoppt, schaut mich fragend an. Ob er helfen kann? Ich winke ab, krieg ich schon hin. Aber der Junge bleibt und schaut zu, und gibt schließlich Tipps, als die uralte Luftpumpe nicht funktionieren will. Nichts geht. Das Ding ist Schrott. Ich hätte es gar nicht mitnehmen dürfen.

Da ich kein Italienisch kann und der Junge kein Deutsch, reden wir mit Händen und Füßen, irgendwann bedeutet er, ich soll einen Moment warten, setzt sich aufs Rad, kommt nach zehn Minuten wieder mit einer Profiluftpumpe, so eine Standluftpumpe mit Druckanzeige.

Perfekt. Also ob mir ein Engel geschickt worden wäre.

Wieder im Sattel die nächsten Engel. Drei Männer auf einer Wiese rollen Heuballen auf einen Anhänger. Ich muss nur bitten und mir wird gegeben: Darf ich hier zelten?, frage ich und sie sagen ja, winken mich am Zaun vorbei zur Einfahrt der Wiese.

Einzige Wermutstropfen, um kurz vor sieben Uhr morgens lärmt mich ein Motorsensentrupp der Gemeinde aus dem Zelt, sie mähen die 500 Meter Grasstreifen entlang des Radwegs just gegenüber meiner Wiese.

Nun bin ich schon am Comersee. In der Nähe von Colico, dreißig Kilometer in den Beinen. Die Menschen strömen halbnackt ins Strandbad. Surfbretter werden montiert. Motorräder, Autos, Badeschlappengeräusche.

Der Radweg hat Lücken, ist aber noch relativ gut. ich hoff, das bleibt so bis zum Hafen nahe Bologna, ab dem ich die Fähre nehmen möchte. Ich hoffe, das Schiff nimmt mich mit Radel mit. Bis Menaggio.

Rohtext, enttippfehlert von der Homebase

4 Antworten auf „Tage sieben und acht #UmsLand“

  1. Da haben wir uns aber knapp verfehlt. Nur Bologna kannn ich nicht ganz einordnen. Du meinst sicher Bellagio?! 😊
    Nun sind wir in der Nähe von Basel und morgen schon in Hessen.
    Du aber weilst weiter in „paradiesischen“ Gefilden, wenn auch nicht ohne Mühsal und Plagen. Aber diese himmlischen Aussichten!!!!
    Gutes Writerkomnen, äh, Weiterkommen, Uwe

  2. „Raufradeln“. Allein bei dem Wort hab ich Schweißausbrüche.
    Aber du scheinst dich einzugrooven, zwischen Tal und Berg und Pass, das ist schön zu lesen!

    (Ich hinke etwas hinterher mit dem Lesen.)

    1. Ich glaube, ich bin in den letzten Tagen richtig fit geworden. Gestern musste ich mal wieder schieben. In Evian. Das lag aber auch daran, dass ich gegen die Einbahnstraße unterwegs war.

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