‚Schlechte Werbung! Jetzt wollt ich mir mal den neuen Zug ansehen …‘, so steigt er die Treppe des ICE herunter. Hinter ihm die Schaffnerin, die so ganz und gar nicht amüsiert schien, ihn zum Verlassen des Zugs auffordern zu müssen. ‚Schlechchte Werrbung!‘ intoniert er erneut unter seinem grauem Moustache. Als ob das hier ein Theaterstück wäre. Er der Hauptdarsteller mit imaginärem, hamletesken Totenschädel weihevoll vor sich. Perfekte Neonröhrenausleuchtung an digitaler Anzeigetafel. Spärliches Publikum: nur ich mit meinem schweren Europenner-Rucksack und eine feine Frau von irgendwo aus der Südsee mit Rollköfferchen. Und die arme Schaffnerin, deren Tag er macht, indem er sie als Statistin in sein Bühnenstück einbaut. Wir blicken dem Bahngleisgossenhamlet hinterher wie er am hunderte Meter langen ICE entlang streicht. Zwanzig Minuten bis zur Abfahrt. Alle Türen sind offen und im Zug werkeln die Putzleute in ihren orangenen Uniformen mit riesigen blauen Säcken. Neben jeder Tür leuchtet rot ein Display ‚Endstation. Nicht einsteigen‘ auf Deutsch und Englisch. Im Epizentrum des Unrats, dem Bordrestaurant, tummeln sie sich – womöglich – wie Elektronen, die ein superschweres radioaktives Element umschwirren. Auf dem Bahnsteig durchwühlt ein heruntergekommener Kerl die Rollcontainer, in die sie die Müllsäcke werfen, nach Essbarem. Der Bahngleishamlet nutzt die volle Länge der ellenlangen Gleisbühne. Sein ‚Schlechchchte Werrrbung‘-Geschnattere verliert sich in der Länge des Zugs und mit jedem Meter werden es mehr CHs und Rs. Der Typ wäre sicher ein guter Laienschauspieler auf klamaukesker Dorfbühne in der Provinz (obschon dieser die nötige Länge fehlt). Hier vor den Türen des ICE namens Ingolstadt wirkt er eher wie ein Panther. Als gäb‘ es tausend ICE-Tür’n, aber hinter tausend ICE-Tür’n keine Welt.
Klasse Momentaufnahmen für mein Kopfkino, äh, für meine Kopfbühne, meine ich natürrrrrlich.