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Wie ich einen Palast betrat und aus einer schäbigen Hütte hervor kroch
Bilderrahmen. Ich brauche Bilderrahmen. Schöne, wertige Alurahmen mit echtem Glas. Wenn ich Glück habe, verkaufen sie sie mit passendem Passepartout und ich habe keine Arbeit. Einfach Bild rein, zuklipsen, fertig. Nicht zu teuer sollten sie sein, aber der Preis spielt keine Rolle, wenn die Qualität stimmt. Ich kenne die Rahmen mit den klangvollen schwedischen Namen von früher. Es war ein Fest, vor zehn, fünfzehn Jahren in den Laden zu gehen, den Einkaufswagen vollzupacken mit durchaus wertigen Bilderrahmen. Echtes Holz oder Alu und echtes Glas. Sauber geputzt, entgratet. So mache ich mich auf eines morgens zur Ausstellung, die ich aufbauen will, mit einem Schwenk vorbei am Rahmendealer. Dauert nicht lange. Ein…
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Bahngleisgossenhamlet
‚Schlechte Werbung! Jetzt wollt ich mir mal den neuen Zug ansehen …‘, so steigt er die Treppe des ICE herunter. Hinter ihm die Schaffnerin, die so ganz und gar nicht amüsiert schien, ihn zum Verlassen des Zugs auffordern zu müssen. ‚Schlechchte Werrbung!‘ intoniert er erneut unter seinem grauem Moustache. Als ob das hier ein Theaterstück wäre. Er der Hauptdarsteller mit imaginärem, hamletesken Totenschädel weihevoll vor sich. Perfekte Neonröhrenausleuchtung an digitaler Anzeigetafel. Spärliches Publikum: nur ich mit meinem schweren Europenner-Rucksack und eine feine Frau von irgendwo aus der Südsee mit Rollköfferchen. Und die arme Schaffnerin, deren Tag er macht, indem er sie als Statistin in sein Bühnenstück einbaut. Wir blicken dem…
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Höhe 226,325 – der Rotz läuft
Spuckt mich der junge Morgen am Zweibrücker Bahnhof aus. ZW-HBF, titele ich eine Geschichte. Gesprochen ‚Zwuhubf‘ mit ganz grausam verstümmelten Us. Viertel Stunde zu früh. Auf Gleis zwei brummt der Diesel eines Triebwagens. Fast verwaister Bahnsteig. Ein schlacksiger Typ mit orangener Warnweste schließt die Aushängekästen auf und tauscht die Fahrpläne. Er hat einen Karton bei sich, in dem die gelben Poster gerollt Seite an Seite stehen. Die Ampel für meinen Zug steht schon auf grün. Gutes Zeichen. Keine Verspätung, hoffentlich. Dennoch muss ich die Minuten totschlagen. Schwerer Reiserucksack auf dem Rücken. Die Fahrt aus der Pfalz zur Hauptlinie bei Karlsruhe dauert länger als die restliche Strecke mit dem ICE. Der…
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Lieferwagenumdrehmaschine
Zwei Apfelbäume. Zwei andere Bäume mit für Menschen nicht essbaren Früchten. Eine auf Halbwüchsigkeit gestutzte Ligusterhecke. Drei Autos der Nachbarn vorm Gärtchen. Blau, silber-grün, weiß. Das Mietshaus gegenüber ist seicht-blau. Grauer Himmel deckelt das Bild. Die Dachrinne zur Rechten, zum Greifen nah, Wasser plätschert im Kupferrohr. Zwischen dem Mietshaus und dem, vor dem ich sitze, weitet sich die Welt, führt über ein ‚beidseits Parken verboten‘-Schild und die Mülltonnen auf fernere Häuser, die sich am Horizont im Nieselgrau verlieren. Fichte, Bettlaken, Schnick-Schnack, drei zur Unkenntlichkeit winterverpackte Koniferen. Neben dem Kreisverkehr lugt ein Dorfbrunnen. Ein Lieferwagen schleicht durchs Bild, verschwindet hinterm Haus, kehrt ‚umgedreht‘ zurück. Noch ein Lieferwagen, der ebenso umgedreht zurückkehrt.…
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Vom virtuellen Kampf Bestie gegen Bestie
70 mal 365 mal 20, optimistisch geschätzt, wenn ich nur noch radeln würde und die Welt erkunden und darüber schreiben und mein Leben ändern, utopisch, ich weiß, aber mit der Vorstellung, auf den Sattel zu steigen, sich treiben zu lassen und seinem ‚Kerngeschäft‘, reisend zu bloggen nachzugehen, darf man ja mal spielen. Okay 70 Kilometer am Tag ist auch schon Phantasie. Man wird älter und müder und bequemer und man wird grundsätzlich aufgehalten. Im Fahrradsattel, unterwegs. Vielleicht nur 50 pro Tag? Es gibt ja so viel zu sehen unterwegs. Das Wunder Welt als Antagonist der Bestie Mensch. Ich muss mich sputen in meinem Bestreben, absolute Langsamkeit zu erfahren. Absolute Langsamkeit…