Urban Artwalk Falun #AnsKap

Nach dem doch eher ernüchternden Erlebnis des Städtchens Ludvika vor ein paar Tagen, erstaunt die geradezue Oppulenz von Falun.

Die Stadt ist vielleicht so groß wie Zweibrücken, etwa 35.000 Einwohner, aber sie ist viel weitläufiger. Scherzhaft nenne ich Falun ein auf Berlingröße ausgewalztes Zweibrücken. Blattgold des Nordens, hauchdünn.

Es ist mitunter verstörend, das Zentrum einer schwedischen Stadt auszumachen. Etwas übertrieben könnte man sagen, die Stadtmitte ist irgendwo da vorne zwischen den Bäumen.

In der Tat radeln wir etwa acht Kilometer, immer der Radelstrecke ‚Blå‘ (also Blau, und diese Farbe haben auch die Schilder) entlang, den Schildern ‚Centrum‘ folgend. SoSo konnte sich ein Fahrrad leihen.

Durch ein Kasernengelände geht es bis zum Bahnhof und dann hat die Stadt tatsächlich eine Fußgängerzone, einen Hauptplatz neben der Kirche, auf dem früher Enthauptungen und Auspeitschungen – zur Volksbelustigung, so steht es auf einem Schil – stattfanden. Das ist lange her und geht in die Zeit des Hexenwahns zurück.

Die Stadt gefällt uns. Wir lassen uns treiben. Erstmals auf der Reise stelle ich die Hipstamatic Foto-App wieder auf Zufall und wir driften ziellos intuitiv durch die Gassen. Dabei sind etliche bizarre Bilder entstanden.

Auch SoSo berichtet und zeigt Bilder: Willy oder wie man heute jagt

   
                 

Das iDogma auf die Spitze treiben – neue Postkarten und Ideen #AnsKap

Er saß da in seiner Ecke der Couch direkt neben der sündhaft teuren Designerlampe mit Bleiglasschirm. Die Knie übereinander geschlagen, Psychiarterhaltung. Die Hände zu einer Raute geformt, lange bevor Angela Merkels Raute Medienthema wurde. Die Stirn in Falten gelegt. „Ein sehr sensibler Mensch“, sagte er, „vielleicht ein bisschen verrückt? Liebt die Natur.“Obwohl ich erstaunt war, wie genau er meinen Freund, den er nie zuvor gesehen hatte und von dem er nur den Namen kannte, beschrieb, blieb mein Gesicht ausdruckslos. Schließlich wollte ich das Experiment nicht beeinflussen. Nur an Hand des Namens „Kontakt“ zu einem wildfremden aufzunehmen.

Gut zehn Jahre ist das jetzt her, dass Freund Jounalist F. dieses, sagen wir einmal esoterische Experiment machte und ich erinnere mich immer wieder daran, wenn es um Einfühlungsvermögen geht und um Einswerden mit der Welt und um Unerklärliches. Dieser Versuch, zu wildfremden Menschen Kontakt aufzunehmen und sich vorzustellen zu versuchen, wer sie sind, wie sie sind, was sie mögen, was nicht … ganz ehrlich, ich habe das in den Bereich Esoterik und Humbug gestellt, damals, obschon ich erstaunt war, wie gut Journalist F. meinen Freund skizzierte.

Wenn ich dieser Tage an meinem iDogma-Postkartenprojekt arbeite, auf dem Handy gestaltete, unikate Kunstpostkarten, die per App verschickt werden und sich erst beim Empfänger, der Empfängerin als haptitsch erfahrbares Etwas manifestieren, muss ich oft an das damalige Experiment denken.

Die künstlerischen Motive zu gestalten ist ja nur die eine Seite der Medaille. Mit verschiedenen Apps, die teilweise in komplizierten Loops miteinander gemischt werden, entstehen die Motive für die Postkarten. Aber was ist mit den Empfängerinnen und Empfängern, die ich oftmals gar nicht kenne und von denen ich so gut wie nichts weiß? Wird Demunddem Dasunddas gefallen?

In der Tat versuche ich so eine Art Kontakt aufzunehmen zu den Menschen, die die Karten bestellt haben. Esoterisch. Ich weiß, aber manchmal geht es eben nicht ohne Esoterik. Ohne Glaube geht es sowieso nicht. Gut möglich, dass der ein oder andere von Euch da draussen einen halben Tag mit mir mitläuft, rein gedanklich durch eine schwedische Stadt, oder den Wald, bis ich „sein/ihr“ Motiv gefunden habe. Oder dass er neben mir sitzt im Zelt und mir über die Schulter schaut, wie ich ein Originalfoto in diversen Schritten verfremde, so dass bei manchen Bildern kaum noch zu ahnen ist, was es in Wirklichkeit einmal war.

Das iDogma, jene einfache Formel, die mir zu Beginn meiner „Smartphonekarriere“ zugeflogen ist: Versuche alle Schritte im künstlerischen Prozess im Smartphone auszuführen, so dass das Kunstwerk erst dann ein physisch anfassbares Kunstwerk ist, wenn es mit der Post beim Sammler ankommt.

Man kann die Sache auf die Spitze treiben. Theoretisch ließen sich riesige Bilder auf dem Smartphone unterwegs, draussen, direkt während des Entstehens kreieren und per Ferndruck ausbelichten. Ich bin überzeugt, dass das irgendwann wahr wird. Dass es womöglich schon jemand getan hat, der einen renommierten Namen in der Kunstszene hat?

Mit den Mitteln kommen die Ideen.

Mit der Arbeit an den Einzelheiten der Ideen, den Tentakeln der feinen Künste, die die Qualle in einem in die Welt streckt, reift das Konzept, kommen neue Ideen. Es ist, als würde es nie ein Ende nehmen.

Verflixt, tut es ja auch nie …

Die Postkartenserie, die seit Beginn der Reise auf den Weg in viele Länder ist, und an der sich sehr viele von Euch beteiligten, ist nun auf über sechzig Karten angewachsen.

Ich danke allen, die sich bisher daran beteiligt haben.

Die folgenden 25 Motive gingen in den letzten Wochen auf Reise – allesamt unikate Postkarten. Hebt sie gut auf. Vielleicht kommt irgendwann ein Kurator, eine Kuratorin auf Euch zu, um sie für eine Kunstausstellung im (noch zu gründenden) Museum für Digitale Frühgeschichte zu leihen. Oder Ihr könnt sie versteigern. Sauberer als Elvis Unterhosen oder Michael Jacksons Mundschutz sind sie ohnehin. 

                                                 

Die graue Karte mit dem Steg, die scheinbar zwei Mal vorkommt, ist ein Panorama, das an ein Paar in Fernbeziehung gesendet wurde. Die letzte Karte in der Liste ging an Marc Kuhn, den Begründer der Col-Art. Beide sind seit Jahren international unterwegs und malen Gemeinsam-Bilder, sowohl mit Profis, als auch mit Laien.  Vielleicht ist diese Karte ja ein Prototyp für ein Col-Mail-Art-Projekt?

Eine der Karten wurde als Auftragsarbeit nach Vorgaben gestaltet.

Unter den ersten dreißig Postkarten ist auch eine mit Text nach Vorgabe.

Postkartenbestellwollende können entweder über den Paypalknopf eine Karte bestellen, oder Kontakt per Mail zur Homebase aufnehmen.

Der Urmeter des Schwedenreisens #AnsKap

Frau SoSo erzählt mir irgendwas von 69 Kilometern, die es „sind“ von Ludvika bis nach Falun. Google habe das gesagt und sie zeigt mir stolz die Strecke auf dem winzigen Smartphonebildschirm. Ein kleiner, blauer Wurm, der sich zwischen zwei blauen Flecken windet. Die Flecken sind der Runnsee bei Falun und der Våsmansee, an dem Ludvika liegt. Dazwischen ist grünes Nichts.

Auf der GPS-Kit-App mit Open Cycle Map als Basiskarte sieht man die Radwege eingezeichnet als rote und blaue Linien, die alles andere tun, als der von Google vorgeschlagenen 69 Kilometer langen Strecke zu folgen.

Dennoch manifestiert sich diese Distanz in meinem Kopf. Zunächst gehts durch Ludvika am Våsman entlang nach Nordwesten. Auf einer alten Bahnstrecke durchschneidet der Weg Granit und Wälder, überbrückt Tümpel und Rinnsäler. Theoretisch könnte ich der Trasse folgen bis zum Ende des Sees und mich dort auf den Sverigeleden schwingen, der sich durch perfekte Beschilderung als Allheilmittel ruhigen Langstreckenradelns etabliert hat. Aber der Umweg ist mir denn doch zu groß.

Eine Abkürzung über Nebenstraßen scheint tauglich. Schnell stecke ich einige Punkte ab, um sie später anpeilen zu können.

Ich liebe es, ohne Kartengefummel und ohne ständiges aufs Handy schauen einfach so nach Schildern zu radeln. Und das hat bisher auch prima geklappt. Aber manchmal muss man eigene Wege gehen (sage dies mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen und im Hinterkopf der Gedanke, immer geht man eigene Wege, auch dann, wenn man anderen Wegen folgt, denn der Weg wird durch seine Begehung zum eigenen Weg).

Waldwege. Das sind Waldwege, wie man sie im Pfälzer Wald oder im Schwarzwald hat, was der Herr Irgendlink da abgesteckt hat. Knapp 2,5 Meter breite Etwase, in der Mitte ein Streifen Grün, rechts und links nur Bäume. Ab und zu schimmert ein See durchs Dickicht. Ich radele durch eine enge, grüne Schlucht und bin heilfroh, dass ich mir die Abzweigepunkte auf dem GPS markiert habe. Hier dann links, der Höhenlinie folgen, zick-zack, Geradeaus und an der nächsten Abzweigung wieder rechts. Ist das die da? Ne? GPS rauskramen, nachschauen, ne, ich muss noch eine Fingerbreite weiterradeln. Huch, der Weg endet.

  
Tatsächlich hat meine Wunschabkürzungsroute in der Mitte ein Loch von etwa einem halben Kilometer, das ich bei der Grobansicht übersehen habe. Aber es führt ein zackiger Wanderweg über Stock und Stein. Ich muss schieben. Klettern. Früher hätte es mir in so einer Situation vielleicht die Kehle eingeschnürt. Allein im Wald. Diese Stille. Miserabler Handy-Empfang. Kein Internet. Einmal falsch auftreten, umknicken und dann liegst du da.

Der Pfad ist steil. Die Straße auf der anderen Seite dieses Wurmlochs, GPS sei dank, sichtlich nicht sehr weit.

Auf unserer Reise 1995 hätten wir diesen Weg nur durch Verirren finden können. Wir navigierten mit einer geschenkten Straßenkarte der Tankstellenkette OK, nicht sehr detailiert, aber tauglich. Fragten uns durch. Bloß hier? Hier gibt es niemanden, den man an einer Kreuzung fragen könnte, ob da oder da lang. Endlich wieder – nennen wir es Straße. Sie führt vorbei an einem See namens Krabbsjön. Der Sverigeleden ist irgendwo da im Norden. Es geht auf und ab. Ein Regenschauer jagt mich. Dann, plötzlich wieder Teer. Eine Hauptstraße gar für wenige Kilometer, bis es wieder ins Outback geht. Irgendwo steht ein Schild: Ludvika 35 Kilometer. Der Tacho zeigt schon fast 60. Ich bin dennoch froh, nicht über den kurzen Weg auf der Hauptstraße geradelt zu sein. Weitere zehn Kilometer später sehe ich wieder ein Schild: Ludvika 39 Kilometer. Standhaft bleiben, Irgendlink, stell dir einfach vor, LKW überholen dich knapp und ihr Winddruck beutelt dich hin und her, dann biste froh, hier zu sein. Es folgen Schotterpisten, Aufs und Abs, riesige Löcher zwischen winzigen Weilern, für die es nicht einmal genug Birken und Fichten gibt, um sie zu stopfen. Regenschauer immer wieder.

Ich frage mich, ob diese Strecke als Durchschnittsstrecke durchgeht, ob sie repräsentativ genug Schotterpisten, Steigungen und Gefälle hat und Regen und Gegenwind und all die Widrigkeiten, um als – sozusagen – Urmeter des Schwedenreisens zu gelten. Dann nämlich könnte ich den Zeitpunkt genau berechnen, an dem ich das Nordkap erreiche. Von Ludvika ist die Distanz nämlich verbrieft über den Sverigeleden berechenbar. Es gibt in dieser Breite nicht mehr allzuviele Alternativen, über die man radeln könnte. Noch 2300 Kilometer etwa sind es bis zum Kap (Genauer gesagt 2262,5, wenn man über Alta radelt und 2302,5 wenn man die Strecke durch Finnland über Karesuando radelt).

Exakt 2300,6 km stehen auch auf dem Tacho, als ich endlich bei dem Häuschen außerhalb Faluns einrolle, das Frau SoSo für eine Woche gemietet hat. Als hätte sie es geahnt, hat sie den Mittelpunkt der Reise ausfindig gemacht. Wenn das mal keine Intuition ist.

Dreiundzwanzig Gestern titele ich insgeheim für diesen Blogeintrag. Aber eigentlich klingt auch das mit dem Urmeter ganz gut.

Zerlegt, vermischt, rearrangiert #AnsKap

Die Mitte. Der Punkt, an dem man von Anfang und Ende am Weitesten entfernt ist und der, wenn man sich weit hineindenkt in das Prinzip der Unendlichkeit, eigentlich gar nicht existiert.
Der utopischste Ort im Universum ist die Mitte.

Ungefähr auf halber Strecke zwischen Zweibrücken und Nordkap liegt mein heutiges Tagesziel. Falun. 2300 Kilometer sind es ab dort bis ans Kap, wenn ich bis Pajala dem Sverigeleden folge und ab dort auf einer von zwei möglichen, etwa gleichlangen Routen etwa 500 Kilometer weiter radele. Ungefähr 2200 Kilometer stehen auch auf dem Fahrradtacho.

Ich bin nie den geraden Weg gefahren, habe nie Abkürzungen genommen. Um der lieben Nerven willen. Abkürzungen bedeuten für den Radler fast immer Hauptverkehrsstraßen, Lärm, Dieselrußgestank und auch Gefahr.

Fünf Wochen fast nur auf Radwegen, in Deutschland sogar meist auf eigenen Radlerpisten entlang der Flüsse, in Schweden auf so ruhigen Autostraßen, dass man sie in Deutschland wohl wegen Unrentabilität nie gebaut hätte.

Das ist anders, als 1995, dieses ruhige Radeln ohne Vorankommenswunsch.

Wahrscheinlich wäre das 1995 schon möglich gewesen. Den Sverigeleden gab es damals auch schon. Im alten Tagebuch konnte ich Einträge finden, die belegen, dass wir ihm im Norden teilweise folgten. Wir wussten nur nicht, was die grünen Schilder bedeuten, wohin der Weg führt. Internet zum einfach mal fragen gab es ja nicht.

Die Mitte der Reise.

Mit Decim& zerlegt und neu arrangiert. ein Haus in Ludvika
Nachdenklichkeit.Der Geist kommt fast zum Stillstand. Ich zerlege mich selbst. Das fühlt sich seltsam an. Es hat ein bisschen was von die-Macht-abgeben. Die Macht über dieses Konstrukt, wie man die – wie man seine – Welt sieht und erlebt. Fast wie die digital zerhackten Bilder, die man mit der App Decim8 erzeugen kann: ein Originalbild wird per Zufallsgenerator in Stücke gelegt und willkürlich wieder zusammengesetzt. Es entsteht etwas völlig Anderes, wenn man das Spiel weit genug treibt.
Ob man das mit sich selbst und mit dem – seinem – Welt-Erleben auch so machen kann? Denkmuster zersetzen und rekonfigurieren. Gefühlsmuster gar. Handlungsmuster.

Das Leben, eine Kombination willkürlich erzeugter Muster?

Da kommt mir Zeltplatznachbar Thorsten gerade recht. Seit Mai wandert er durch Schweden. Rucksack und Zelt. Skizziert eben beim Gespräch beim Frühstück etwas über Ebooks, die er gerade liest. Über den Duschtouristen, der kürzlich ganz früh, mit vor dem Waschhaus geparktem Auto und moderat leisem Radio alle Zeltleute wachspielte, und über das Dalai Lama-Buch vom eigentlich nicht vorhandenen Ich, hangelten wir uns zu Überlegungen, warum wir uns überhaupt über irgendwas ärgern oder freuen, wenn es uns als Ich doch nur in einem willkürlich, über Jahre der Gewohnheit zusammengeschusterten Muster gibt, das wir für unser Ich halten.

Seit Tagen schon beschäftigt mich das Ich-Thema auf ganz anderer Ebene, bzw. auf der gleichen, wie eben beschrieben, nur weiß ich es vielleicht nicht? Wer bin ich, radelnd zum Nordkap? Wer ist dieser Irgendlink, den ich schuf und in wie weit ist Irgendlink ich und ich Irgendlink? Wo ist die Grenze? Wo die Schnittmenge? Wer sind die, die diese Texte lesen und die sich für sich halten, und mich für mich und wenn ich mir nun die Umgebung anschaue, hier auf dem Campingplatz, zwanzig Meter weiter packt Thorsten sein Zelt, wird er nicht erst dadurch ‚er‘, dass ich seine ‚Einzelteile‘ so zusammensetze, wie es mir beliebt? Und SoSo, direkt neben mir, im Schneidersitz auf der Isomatte, sie hat sich ein anderes Muster von ihm gebaut, eins, das ihrem Denk- und Fühlgefüge gehorcht.

Die gesamte Situation hier, Mensch sitzt bei Kaffee auf Zeltplatz in Schweden auf einer Isomatte und tippt seine Gedanken in die winzige Smartphonetastatur ist ja schon ein Bild, das vielfach zerlegt werden könnte und neu zusammengesetzt.

Wenn es wenigstens eine absolute Mitte gäbe, nach der zu suchen es sich lohnte.