Da-fahren-wir-halt-durch-Mentalität. Geduckt der Kopf. Beine pumpen auf und ab. Stoßweiser Atem. Es wird schon wieder besser denken. Es kann nicht ewig so. Dafür ist die Natur einfach nicht Mensch genug.Im Gegensatz zum Menschen, kennt die Natur viele Richtungen, sie kennt Zunehmen sowohl, als auch Abnehmen. Sie kennt Nachhaltigkeit, Geburt, Tod, Ableben, Verwirken, Gedeihen.
Der Mensch in seiner Kollektivität kennt immer nur die eine Richtung. Besser, mehr, schneller, weiter, reicher, wohliger. Und er tut sich verdammt schwer, wenn ihm die Natur ein Schnippchen schlägt und so ist wie sie ist und ihn sich unterwirft.
Dass er ein Teil der Natur ist?
Ignoriert er beflissentlich. Er kann ja nur siegen, besser werden, effizienter, aufgeräumter, schneller, unnatürlicher, alles beherrschend. Denkt er.
Es regnet. Das Dorf ist noch 1,7 Kilometer entfernt. In dem Dorf ist vermutlich ein Supermarkt. Gegenüber ist womöglich ein Cafe, in dem sie ab neun Uhr Frühstück kredenzen. Ich stelle mir das gut vor – unter einer riesigen Eiche überlegend, ob es besser ist, zu warten und dem Dunkel da vorne eine Chance zu geben, sich aufzulösen.
Es regnet so stark, dass die Scheibenwischer der wenigen Autos, die uns überholen oder entgegen kommen, nicht mehr auf Intervall stehen, sondern im Dauerbetrieb das Wasser verdrängen. Der Menschenkopf zimmert sogleich eine ewige Wolkenwand, simuliert ein Niewieder-aufhören und der ungefrühstückte Magen schreit still nach Leckereien, Kaffeeee, zuckersüße Donuts, Schinkenbrote. Verdauungstechnische Allmachtsphantasien manifestieren sich im Hirn unter dieser Eiche. Ray sagt, wir sollten warten, bis das weniger wird, bis es ein radelbarer Regen wird.
Es ist unser letzter gemeinsamer Radeltag. Örebro ist unser Ziel. Der Wetterbericht hat Dauerregen vorausgesagt, aber als wir erwachten, regnete es gar nicht. Trotz aller Dunkelwolken auf dem Minibildschirm des iPhones und trotz aller sehr hoher Regenwahrscheinlichkeiten – lass uns die Zelte zusammenpacken, solange es noch trocken ist, schlägt Ray vor Lass uns später unter einer Eiche frühstücken, lass uns radeln, solange es noch nicht regnet, lass uns später in einem Cafe, das doch bestimmt irgendwann kommen wird, Kaffee trinken und vielleicht servieren sie dort Frühstück – zehn fünfzehn Kilometer weit radeln wir so und der Himmel sieht aus wie ein Staudamm in einem amerikanischen Katastrophenfilm,dramaturgisch perfekt inszeniertes Grau, das jederzeit brechen kann und alles verdirbt. Dramaturgisch noch perfekter inszeniert ist der erste Supermarkt in einem kleinen Dorf an einer Bahnlinie, Hoffnung keimt, um mit einem riesigen Fußtritt des Alltags zertrampelt zu werden. Der Markt öffnet erst um neun, und wir schreiben Punkt acht. Weiter oder nicht, fragen sich die von Regenkatastrophe bedrohten Helden.
Weiter weiter weiter.
Der rettende Markt kommt immer näher. Aus neunzehn Kilometern werden zehn, acht, vier und nun die 1,7.
Es regnet. Wir stehen unter einer Eiche, die uns notdürftig schützt. Wenn wir weiterradeln, werden wir trotz Regenklamotten nass. Wenn wir hier bleiben kühlen wir aus.
Dann radeln wir halt durch, sage ich schließlich. Was nass wird, wird auch wieder trocken. Es kann ja nicht immer regnen.
Sieht aber so aus.
Schnitt.
Eine Woche ist das jetzt her. Mittlerweile ist Ray wieder zu Hause, in Schottland, im verregneten Haddington. Frau SoSo ist zur Expedition ans Kap gestoßen. Es gab viel Regen in der Woche. Viel Sonne ebenso. Kälte und Wärme, Hitze und Kühle. Die Natur tat das, was sie immer tut. In alle Richtungen gleichtzeitig gehen. Vorwärts und rückwärts, mehr und weniger, schneller und langsamer, wie ein unsichtbarer, riesiger, komplexer Herzmuskel pumpt sie unentwegt, stirbt, gebiert, und sie lebt zwischenzeitlich, und wir Wesen, ob Ameise, seltsamer Käfer, Schwein oder Mensch sind alle nur ein Teil des großen Ganzen, das irgenwie da durch geht. Wenn es nicht so viel darüber nachgrübelt.